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Stand unter dem Motto «Querbeet III»

9. Wiler Symposium der SRFT

«Zum Glück alle Jahre wieder», ist man auch beim Wiler Symposium versucht zu sagen. Es wurde schon zum 9. Mal von den Ärzten der Spitalregion Fürstenland Toggenburg durchgeführt und vermochte auch diesmal eine grosse Zahl an Haus- und Spital-Ärzten anzuziehen. Dies ist nicht verwunderlich, denn das Fortbildungsprogramm ist jedes Mal vielfältig und attraktiv zusammengestellt. Der Mix von «Magistralvorlesungen» mit abschliessender Diskussion und von interaktiven Workshops wird immer positiv beurteilt. So auch am diesjährigen Kongress, welcher wiederum unter der Hauptleitung von Dr. Marc Looser, Spital Wil, unter dem Motto «Querbeet III» stand.



In der ersten Präsentation im Plenarsaal beleuchtete Dr. Dario Fontanel (SRFT)

Dr. med. Dario Fontanel

«Sinn und Unsinn der PPI-Behandlung». Ein wichtiges Thema, werden doch die Protonenpumpenhemmer allzu unkritisch eingesetzt. Nach den ersten erfolgreichen Magentherapeutika wie Antacida und H2-Blocker begann der unvorstellbare Boom der PPI (Antra seit 1992), weltweit wird ihr Umsatz auf jährlich 30-50 Milliarden geschätzt. In den EU-Ländern sei jede 14. Medikamentenpackung ein PPI. Die Indikationenliste ist zwar sehr gross, die Verträglichkeit und Wirkung mehrheitlich auch sehr gut (NNT angeblich 3-10). Gleichwohl enthalten die Beipackzettel eine auffallend lange Liste von Warnhinweisen. Der Referent besprach vor allem die Gefahr von Knochenbrüchen (Risiko 1 > 2000), die verminderte Wirkung von Clopidrogel und anderen Medikamenten (angeblich aber nicht gesichert), die Gefahr eines Vit. B12- oder Magnesium-Mangels (regelmässiges Screening zwar nicht nötig!) und das diskutierte Demenzproblem (aber ohne gesicherte Daten, ev. nur Zusammenhang mit Vit. B12-Mangel?). Zusammenfassend wurden die Zuhörer klar aufgefordert, PPI in tieferer Dosis und nur so lange wie nötig zu verschreiben und eine Langzeittherapie möglichst zu vermeiden; Motto: «Weniger ist mehr».
Das Thema «Zusammenarbeit Ärzteschaft und Pharmaindustrie» wurde von Ernst Herzig (Mundipharma Basel) aus der Sicht der Pharmaindustrie angegangen. Er verstand es aber, das verbreitete Vorurteil, alle Studien seien pharmagesponsert und daher manipuliert, zu hinterfragen und ins rechte Licht zu rücken. Forschungsprojekte sind ohne die Pharmaindustrie kaum möglich, zudem ist die Zusammenarbeit ganz besonders in der Schweiz streng reglementiert. Die Ärzteschaft und die Pharmaindustrie sitzen gegenüber den Behörden und Gesetzesauflagen im gleichen Boot und sollten zusammen arbeiten. E. Herzig postulierte, Ärzte und Pharmafirmen seien glaubwürdige Partner, und deshalb gelte: «Der Ärztebesucher stiehlt dem Arzt keine Zeit, vielmehr schenkt er sie ihm…(?)»

Dr. med. Marc Looser

Dr. Marc Looser, LA Wil, änderte den vorgesehenen Titel seines Referates «Rückblick und Ausblick der Medizinischen
Klinik Wil» ab in «Eine Erfolgsgeschichte!» und gab eine höchst humoristische, ehrenvolle Laudatio für den scheidenden langjährigen medizinischen Chefarzt,
Dr. Urs Trümpler, zum Besten. Dessen Verdienste sind gross, jetzt tritt er leider ins zweite Glied zurück.
Diese Würdigung leitete über zum nachfolgenden Vortrag des zukünftigen Chefarztes Innere Medizin Spital Wil, Dr. Markus Rütti. Sein Referat «Das Blutbild in der Hausarztpraxis» richtete sich an alle Grundversorger, gehören doch die Blutuntersuchungen zum Rüstzeug jedes praktisch tätigen Arztes. Das automatische Blutbild vermag bei korrekter Interpretation (vor allem auch des Histogrammes gegenüber dem mikroskopischen Blutbild) auszureichen, lediglich unreife Zellen und vor allem Blasten lassen sich nicht genau erkennen. Übrigens: Die Chronische myeloische Leukämie und die myeloproliferative Dysplasie können häufig ambulant abgeklärt werden, die akute Leukämie hingegen ist immer ein Spital-Notfall.
Es ist eine bewährte Tradition, am Wiler Symposium auch besonders eindrückliche und lehrreiche Praxisfälle von zwei Hausärzten vorgestellt zu erhalten.
Dr. Thomas Clerc, Aadorf, stellte einen allzu lange verschleppten Fall eines Psoasabszesses mit Osteomyelitis im Sacrum (nach einer fistelnden Divertikulitis) vor – ein unklarer Nebensatz-Hinweis in einem früheren MRI wurde zu spät weiter verfolgt.
Als Quintessenz seiner Ausführungen riet Dr. Mark Kliebens, Wil, keine «Fälle», sondern eher gesamtheitliche «Geschichten» (der Arzt ist wie der Patient auch Teil davon) im Auge zu behalten.

Ganz besonderes Interesse finden am Symposium alljährlich die vier verschiedenen Workshops, in denen praxisnahe Themen durch Spezialisten moderiert und im Plenum interaktiv diskutiert werden. Leider ist es jeweils nur möglich, an drei von vier Workshops teilzunehmen. Der Berichterstatter musste auf «Geschlechtskrankheiten – Update» mit Dr. Philipp Kohler und Dr. Ana
Steffen, beide KSp St.Gallen – leider verzichten. Er entschied sich in der ersten Runde für das Seminar «Herzinsuffizienz (HI) – praktische Fälle», geleitet vom Kardiologen Dr. D. Nobel (SRFT) und hörte dabei viel Neues. Die Definition der HI wurde modifiziert, die neuen ESC-Richtlinien (mit unterschiedlichem Therapieplan) sind zu beachten. Die diastolische Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HPpEF) ist von der systolischen HPrEF (mit reduzierter Auswurfmenge) zu unterscheiden. Bei einem BNP-Wert unter 100 ng/l (oder NT-proBNP unter 300 ist eine HI) sehr unwahrscheinlich, bei einem Wert von 400 (bzw. 2000) sehr wahrscheinlich. Besonders die dazwischen liegende Grauzone muss durch die Begleitsymptomatik und die Echokardiographie entschlüsselt werden. Der erste vorgestellte Fall betraf eine «tachycardieassozierte Myopathie», welche sich nach Frequenzregulierung erstaunlich rasch normalisierte. Aber Cave: «Ein zerebrovaskulärer Insult nach Kardiokonversion ohne Embolieprophylase gilt als Kunstfehler!» Weniger bekannt ist die «Peri-Partum-Kardiomyopathie», möglicherweise verursacht durch Prolactin-Spaltprodukte (?). Die Behandlung einer Amyloid-Kardiopathie kann neuerdings mit Tafamidis (Pfizer) versucht werden.
Im 2. Wokshop-Block besuchte ich die Diskussionsrunde «Lumbago aus physiotherapeutischer Sicht» (moderiert von A. Luty und S. Krüsi, beide Physiotherapie SRFT). Sie schöpfen beide aus langer praktischer Erfahrung. Sie entwickelten einen typischen Fall von Rückenschmerzen von der ersten zielgerichteten Diagnostik bis zum erfolgreichen Abschluss mit einer nur kurzen praxisgerechten physiotherapeutischen Behandlung. Als Engramme blieben haften: Nur 10% der Rückenschmerzen sind spezifisch, 90% hingegen unspezifisch (davon 30% nicht mechanisch, 70% aber mechanisch (bewegungs- oder haltungsabhängig). Die neurodynamische Untersuchung und verschiedene Provokationstests helfen neben einer genauen Protokollierung anhand von Evaluationsformularen weiter, die Rückenschmerzen zu differenzieren. Nur 10% davon chronifizieren, die restlichen sind nach 6 Wochen weitgehend gebessert. Die Moderatoren wiesen darauf hin, dass die «mitfühlende» Begleitung des ängstlichen Patienten sehr wichtig ist, er wünscht dabei nicht nur Beratung, sondern auch die «körperliche Berührung».
Schliesslich der 3. Workshop: «Angiologie Querbeet» mit
Dr. Philipp Schweizer, Wil. Auch seine vorgestellten Fälle waren von grossem praktischem Interesse. Ein Poplitealaneurysma ist bis zu 50% mit anderen Aneurysmata kombiniert; ein Aneurysma-Screening bei Rauchern und wenn über 65-jährig ist deshalb nötig. Besprochen wurde auch das Lipödem (besonders an der unteren Extremität, mit dem typischen «Schnürring» und fast nur bei Frauen nach hormonellen Veränderungen). Dabei sind Diuretika kontraindiziert und eine Liposuktion wird kontrovers beurteilt. Schliesslich wurden die rezidivierenden venösen Lungenembolien VTE diskutiert: Der Referent unterschied die provozierten VTE (nach Operationen, Traumen, Immobilität: Antikoagulation 3 Monate) und die unprovozierten VTE, mit deutlich erhöhtem Rezidiv-Risiko, und er diskutierte dabei die Notwendigkeit eines Tumorscreenings (in kleinerem Umfang angezeigt) und der Gerinnungsabklärung beim Hämatologen (wird kontrovers beurteilt, da meistens keine therapeutische Konsequenz).
Das Satirische Schlusswort vom Publizisten und Psychoanalytiker Peter Schneider und die «Netzwerk-Aperos» rundeten das wiederum sehr lehrreiche und angenehme Symposium ab. Der für diese qualifizierte Fortbildung aufgewendete Tag hat sich mehr als gelohnt, und ich freue mich aufs nächste Jahr (10. Wiler Symposium am 28. November 2019).

Quelle: 9. Wiler Symposium unter dem Motto «Querbeet III» der Spitalregion Fürstenland Toggenburg

der informierte @rzt

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