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Thrombozytopenie

Ab wann wird es gefährlich?

Nicht bei jeder Thrombozytopenie ist ein sofortiges diagnostisches und therapeutisches Handeln erforderlich. Doch wenn Symptome als Hinweis auf eine Blutungsneigung bestehen, muss rasch gehandelt werden.



Die Abklärung einer Thrombozytopenie ähnelt einem Indizienprozess, es muss nach Beweisanzeichen gesucht werden, um den Täter überführen zu können. Nicht jede Thrombozytopenie ist gefährlich. Erst bei Werten unter 30 000/µl besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko. Die typischen Symptome, die immer an eine Thrombozytopenie denken lassen sollten, sind Hämatome ohne Erklärung, Nachblutungen bei Verletzungen oder nach Operationen und Petechien. «Eine Thrombozytopenie kann sich aber auch als Thrombose manifestieren, z.B. bei der Heparin-induzierten Thrombozytopenie», so Prof. Jörg Halter. Nicht selten sind bei einer Thrombozytopenie auch die anderen beiden Zellreihen tangiert, so dass die Anämie oder die Infektneigung im Vordergrund steht.
Doch bevor man eine Thrombozytopenie weiter abklärt, sollte man eine Pseudothrombozytopenie ausschliessen. Eine solche «Laborkrankheit» findet sich bei 0,1% der Bevölkerung. Verantwortlich für die falsch-niedrige Thrombozytenzahl sind EDTA-abhängige Anti-Thrombozyten-Antikörper. Bei einer Kontrolle im Citratröhrchen oder unter dem Mikroskop sind die Blutplättchen dann wieder normal.

Symptomatisch oder asymptomatisch?

Eine symptomatische Thrombozytopenie muss immer abgeklärt werden. Anders ist die Situation bei asymptomatischen Patienten. Eine ursächliche Abklärung ist bei fehlenden Symptomen nur dann primär zwingend erforderlich, wenn die Thrombozytenwerte unter 100 000/µl liegen oder eine Bi- bzw. Trizytopenie vorliegt. Bei Werten > 100 000/µl sollten zunächst Kontrollen erfolgen. Bleiben die Werte in diesem Bereich, so kann man zunächst weiter zuwarten und später erneut kontrollieren.

Bildungsstörung oder erhöhter Verbrauch?

Eine Thrombozytopenie kann grundsätzlich nur durch zwei pathogenetische Mechanismen verursacht werden: Eine gestörte Bildung oder ein erhöhter Verbrauch. Ursachen, die zu einer Bildungsstörung führen, sind:

  • Schädigung des Knochenmarks durch Medikamente oder Alkohol, vor allem Zytostatika
  • Infiltration bzw. Verdrängung des Knochenmarks durch eine hämatologische Neoplasie oder eine Knochenmarkskarzinose bei soliden
  • Tumoren
  • Myelofibrose
  • Myelodysplastische Syndrome
  • Knochenmarkshypo- bzw. –aplasie
  • Schwerer Vitamin B12- oder Eisenmangel
  • seltene genetische Defekte
  • Immunthrombozytopenie (ITP).

«Ein erhöhter Thrombozytenverbrauch ist fast immer immunologisch bedingt», so Halter. Ursachen sind meist Medikamente, seltener Autoimmunerkrankungen, das Antiphospholipidsyndrom, Immundefizienzsyndrome, Lymphome bzw. CLL, Infektionen (Hepatitis, HIV) und Impfungen. Erst wenn eine solche sekundäre Immunthrombozytopenie ausgeschlossen ist, darf man die Diagnose «primäre Immunthrombozytopenie (ITP)» stellen. Bei den Medikamenten sind an erster Stelle Heparin-Präparate zu nennen, sie können eine Heparin-induzierte Thrombozytopenie auslösen. Seltener sind die Thrombozytopenie nach Gabe eines GP IIb/IIIa-Inhibitors, die posttransfusionelle, die Schwangerschafts-assoziierte und die neonatale Thrombozytopenie.
Als Ursachen der seltenen nicht-immunologischen Verbrauchsthrombozytopenie kommen in Frage: Verbrauchskoagulopathie, von Willebrand-Syndrom, massive Lungenembolie, grosse Hämangiome und grosse Aneurysmen. Auch bei einer Splenomegalie oder einer massiven Blutung kann der Thrombozytenverlust zu einer Thrombozytopenie führen.

Thrombotische Mikroangiopathie

Das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS), auch thrombotische Mikroangiopathie genannt, ist eine seltene Erkrankung, die häufig nicht erkannt wird. Ursache ist eine genetisch determinierte übermässige und unkontrollierte Aktivität des Komplementsystems, die bei entsprechender genetischer Disposition durch unterschiedliche Trigger wie Infekte, Impfungen und Schwangerschaft induziert werden kann. Durch diese überschiessende Aktivität des Komplementsystems kommt es zu einer endothelialen Dysfunktion mit nachfolgender Thrombusbildung und Hämolyse. Dies wiederum führt zu Durchblutungsstörungen, wobei alle lebenswichtigen Organe insbesondere die Niere, das Herz, die Lunge und das ZNS betroffen sein können. Die häufigsten Symptome sind Hämolyse mit Anämie, Thrombozytopenie und Nierenversagen. Viele Betroffene benötigen eine Dialyse oder sogar eine Nierentransplantation.

Auch bei COVID-19

Neue Studienergebnisse zeigen, dass auch eine COVID-19-Infektion zu einer exzessiven Aktivierung des Komplementsystems führen kann und somit eine thrombotische Mikroangiopathie auslösen kann. Bei 60 Patienten, davon 20 mit einem sehr schweren Verlauf und 11 Patienten mit einem tödlichen Verlauf, wurden zahlreiche genetische und serologische Parameter des Komplementsystems (C3, CD46, DGKE und CFH) analysiert, um zuverlässige Prädiktoren für einen kritischen Erkrankungsverlauf identifizieren zu können. So fand sich beispielsweise bei kritisch Kranken überdurchschnittlich häufig ein pathogenes ADAMTS13. Ziel dieser Forschungsaktivitäten ist es, diejenigen COVID-19-Patienten früh und zuverlässig erkennen zu können, die von einer Komplement-Inhibition mittels monoklonaler Antikörper profitieren.
Ziel der Therapie bei der thrombotischen Mikroangiopathie ist es, das Komplementsystem wieder zurück ins Gleichgewicht zu bringen. Für die Therapie stehen neben der Plasmapherese monoklonale Antikörper (Eculizumab und Ravulicumab) zur Verfügung, die an die Komplementkomponente C5 binden. Dadurch wird die Spaltung von C5 verhindert und somit die Hämolyse reduziert

ITP- wie behandeln?

Bei der ITP werden drei Stadien unterschieden:

  • Neu diagnostiziertes Stadium: innerhalb der letzten 3 Monate mit häufiger Spontanremission
  • Persistierendes Stadium: 3 bis 12 Monate, Spontanremission seltener
  • Chronisches Stadium: > 12 Monate, Spontanremission nicht wahrscheinlich.

Bei einer Thrombozytenzahl über 20 000 bis 30 000/µl und fehlender bzw. geringer Blutungsneigung empfiehlt sich ein «watch & wait». Alternativ kann eine Therapie mit Steroiden eingeleitet werden, wobei Dexamethason das Präparat der Wahl ist. Kommt es zu einem Rezidiv oder kann mit dem Steroid keine Remission erreicht werden, so sollte man die Behandlungsindikation nochmals neu überprüfen. Bei fehlenden oder minimalen Blutungen ist auch dann ein watch and wait vertretbar. Bei Therapie-pflichtigen Patienten sollte ein Thrombopoetin-Rezeptor-Agonist eingesetzt werden oder der Patient einer Splenektomie zugeführt werden. Bei schweren Blutungen sind immer Immunglobuline i.v. oder Kortikosteroide indiziert und bei lebensbedrohlichen Blutungen sollten zusätzlich Thrombozytenkonzentrate, Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten oder Rituximab erwogen werden.

Dr. med.Peter Stiefelhagen

der informierte @rzt

  • Vol. 11
  • Ausgabe 11
  • November 2021