Fortbildung AIM

Defizite in der Palliativmedizin

Ärztlich assistierter Suizid: Ein heikles Thema

Der Umgang mit schwer bzw. unheilbar Kranken und Sterbenden ist für jeden Arzt eine besondere Herausforderung. Doch gerade in der letzten Lebensphase geht es darum, Unnötiges zu vermeiden und durch eine Symptomkontrolle das Leiden zu erleichtern, um somit ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Dabei wird der Arzt auch in zunehmenden Mass mit dem Wunsch auf einen assistierten Suizid (AS) konfrontiert.



Sterbewünsche sind nicht primär Suizidwünsche», so Dr. Klaus Bally. Sterbewünsche haben einen Grund, eine Bedeutung und ein Funktion. Sterbewünsche zu erfassen, braucht Zeit und einen Erzählraum. Sterbewünsche sind oftmals nicht Ausdruck einer depressiven Episode und bedeuten auch oft nicht den Wunsch nach einem beschleunigten Sterben. Sie sollten nicht als Ausdruck ärztlichen Versagens, sondern als Vertrauensbeweis interpretiert werden. «Doch aus einem Sterbewunsch kann sich ein Suizidwunsch entwickeln», so Bally. Der Entschluss zum assistierten Suizid sei meist der Endpunkt eines längeren Entscheidungsprozesses sein. Ein solcher durchläuft verschiedene Phasen:

  • Phase des theoretischen Nachdenkens, wobei der AS als mögliche Option erwogen wird
  • Phase des Suchens nach einem Konsens mit Exploration der Haltung von Familienmitgliedern, mit dem Ziel der Akzeptanz
  • Regelung der juristischen Voraussetzungen
  • Eigentliche Organisation des AS.

Ein AS sollte nicht angeboten und muss auch nicht geleistet werden. Doch Patienten erwarten, dass sich Ärzte auf ein Gespräch über Sterbe- und Suizidwünsche einlassen. Sollte ein Arzt diesen Weg aus ethischen Gründen nicht mitgehen können, sollte er den Patienten an einen Kollegen überweisen. Auch sollte man den Patienten auf die Möglichkeit des Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit hinweisen. Unabdingbare Voraussetzung für den AS ist die Beurteilung Urteilsfähigkeit. Eine solche Beurteilung ist nicht Ausdruck der Unterstützung oder gar Teil der Durchführung eines AS. «Sehr behutsam sollte man mit dem Wunsch nach «Altersfreitod» und Suizidwünschen bei einer frisch diagnostizierten Demenz umgehen», so Bally.

Möglichkeiten der modernen Palliativmedizin voll ausschöpfen

Die Möglichkeiten der Palliativmedizin werden noch zu wenig genutzt. Dies gilt insbesondere für Nicht-Tumor-Patienten mit chronischen Erkrankungen. Am schlechtesten palliativmedizinisch versorgt sind COPD-Patienten. Bei vielen Ärzten besteht eine psychologische Hemmschwelle mit ihren Patienten über das nahe Ende zu sprechen. Doch das sei notwendig auch, um dem Patienten unnötige und belastende Prozeduren zu ersparen. «Palliativsituationen werden zu spät als solche wahrgenommen, niemand spricht darüber und wenn darüber gesprochen wird, werden Patienten und Angehörige oftmals vor den Kopf gestossen», so Bally.

Doch warum sind Gespräche über Sterben und Tod so schwierig? Nach Meinung von Bally hat das mehrere Gründe:

  • Wir schützen uns vor etwas, was uns Angst macht.
  • Es fehlen uns die Fachkenntnisse über die Reaktionen von Patienten.
  • Es fällt uns schwer, eine Niederlage zu akzeptieren.
  • Es fehlt uns an Ausbildung, Praxis und Vorbildern.
  • Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht.
  • Es ist nicht jedermanns Sache, sich mit gefühlsmässigen Reaktionen auseinanderzusetzen
  • Wir möchten selbst nicht sterben.

Palliativpatienten sollten frühzeitig als solche identifiziert werden. Ziel muss es sein, Tumor- und Nicht-Tumorpatienten gleichermassen den Zugang zu Palliative Care zu ermöglichen. Dazu gehören Prognosegespräche ebenso wie eine kontinuierliche Vorausplanung. Dadurch müsse, so Bally, beim Patienten das Verständnis für seine Erkrankung, seine Prognose und die Therapieoptionen verbessert werden. Ausserdem bieten solche Gespräche eine Gelegenheit, sich über seinen Glauben, seine Werte und sein Wille ein Bild zu verschaffen. «Die Behandlungs- und Versorgungswünsche müssen geklärt und auch dokumentiert sein», so Bally. Und alle Beteiligten müssen Zugang zur dieser Dokumentation haben.

Dr. med.Peter Stiefelhagen

der informierte @rzt

  • Vol. 12
  • Ausgabe 1
  • Januar 2022