Akuter Drehschwindel – Die klinische Untersuchung bringt die Lösung



Fallvorstellung

Eine 58-jährige Patientin meldet sich in Ihrer Sprechstunde, da sie seit zwei Tagen unter einem heftigen Drehschwindel leidet. Daneben klagt sie über leichte Übelkeit und einmaliges Erbrechen. Sie stammt ursprünglich aus Rumänien und spricht nur gebrochen deutsch. Sie wird von ihrer Tochter begleitet, welche übersetzt. Sie kennen die Patientin bereits von früheren Konsultationen, als ein Diabetes mellitus diagnostiziert und eine Behandlung mit Antidiabetika eingeleitet wurde.
Auf Nachfrage gibt die Patientin an, dass es sich um einen dauerhaften Drehschwindel handelt, welcher auch in Ruhe besteht. Beim Gehen zieht es sie auf die linke Seite. Neurologische Auffälligkeiten sind nicht aufgetreten, insbesondere keine Kopfschmerzen, keine Benommenheit oder Absenz, keine Dysarthrie, keine Arm- oder Beinschwäche. Daneben hat sie ab und zu wenig fötide Otorrhoe links und hört auf dem linken Ohr seit langem etwas schlechter. Sie führt dies auf wiederholte akute Mittelohrentzündungen im Kindesalter zurück.

Persönliche Anamnese: Diabetes mellitus bekannt seit drei Jahren. Nichtraucherin. Keine Allergien.
Medikation: Metformin 2 x 1000 mg tgl.
Vitalparameter: BD 165/95, Puls 85, regelmässig, SO2 98%, Temperatur: 36.3 °C. Grösse 159 cm, Gewicht 76 kg

Klinischer Status: Die Patientin ist allseits orientiert und gibt klar Auskunft. Es findet sich ein zweit- bis drittgradiger horizontaler Spontannystagmus nach rechts. Beim Kopf-Impuls-Test beobachten Sie eine Rückstellsakkade bei Kopfdrehung nach links. Im Romberg Falltendenz nach links, kein Absinken der Arme. Im Unterberger Drehung von 75° nach links. Finger-Nase-Versuch sicher, Diadochokinese flüssig. Kein Meningismus. Kraft allseits erhalten, keine Sensibilitätsstörungen. Weber nach links lateralisiert, Rinne rechts physiologisch (positiv), links pathologisch (negativ).

Fragen (die Antworten befinden sich am Ende des Beitrags):

1. Welche Untersuchung veranlassen Sie als Nächstes?
A. MRI Schädel
B. CT Schädel mit Kontrastmittel
C. Otoskopie
D. Infektlabor

 

2. Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?
A. Akuter Vestibularisausfall links, Trommelfellperforation als Zufallsbefund
B. Inkomplettes Wallenberg-Syndrom (dorso-laterales Medulla oblongata-Syndrom)
C. Akute Labyrinthitis bei Otitis media chronica cholesteatomatosa links
D. Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, Trommelfellperforation als Zufallsbefund

 

3. Mit welcher Untersuchung können Sie Ihre Verdachtsdiagnose untermauern?
A. MRI Schädel
B. Computertomographie der Felsenbeine (Knochenfenster)
C. Lagerungsprüfung nach Dix-Hallpike
D. Angiographie der Hirnarterien

 

Diskussion
Bei dieser Patientin liegt primär einmal ein akut vestibuläres Syndrom vor. Dabei zeigen sich einerseits eine Falltendenz nach links, ein horizontaler Spontannystagmus nach rechts (Ausfallnystagmus) und ein pathologischer Kopf-Impuls-Test mit Rückstellsakkade bei Drehung nach links, andererseits finden sich im Neurostatus keine Hinweise für eine zentrale Pathologie. So darf mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit von einer akut peripher-vestibulären Funktionsstörung links ausgegangen werden. Es finden sich hier keine Zeichen für eine zentral-vestibuläre Funktionsstörung als Ursache dieses akut vestibulären Syndroms.
Die häufigste Ursache für eine akut peripher-vestibuläre Funktionsstörung ist der akute idiopathische Vestibularisausfall («Neuritis vestibularis»). Eine weitere sehr häufige Ursache für eine peripher-vestibuläre Funktionsstörung stellt der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel dar. Dagegen sprechen allerdings die Schwindelanamnese mit einem Dauerschwindel und das Vorliegen eines Spontannystagmus. Beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel muss nämlich der Nystagmus in den Lagerungsprüfungen provoziert werden. Zudem zeigt sich in den Lagerungsprüfungen kein horizontaler Nystagmus, sondern ein rotatorischer, erschöpfbarer Nystagmus.
Bei unserer Patientin liegt also eine akut periphere-vestibuläre Funktionsstörung links vor. Handelt es sich hier um einen idiopathischen Vestibularisausfall? In der Anamnese machen die intermittierende fötide Otorrhoe und die Hörverminderung links hellhörig. Die fötide Otorrhoe ist bis zum Beweis des Gegenteils das Leitsymptom für ein Cholesteatom. Im ergänzenden klinischen Untersuch mit dem Otoskop kann bei diesem klassischen Befund eindeutig die Diagnose eines Cholesteatoms links gestellt werden: Es findet sich eine grosse, randständige Trommelfellperforation, zudem zeigt sich retiniertes Keratin. Zusammen mit der akut peripher-vestibulären Funktionsstörung mit Ausfallsnystagmus nach rechts ist es im Rahmen des Cholesteatom zu einer akuten Labyrinthitis gekommen. Ergänzend kann eine Computertomographie der Felsenbeine durchgeführt werden (Knochenfenster), welche in diesem Fall als Komplikation des Cholesteatoms das Vorliegen einer Bogengangsfistel im lateralen Bogengang bestätigt.
Patienten mit einer Bogengangsfistel mit Labyrinthreizung als Komplikation einer Otitis media chronica cholesteatomatosa werden zuerst antibiotisch behandelt. Nach Abklingen der akuten Symptomatik müssen zeitnah das Cholesteatom operativ entfernt und die Bogengangsfistel abgedichtet werden.

(Antworten:

1. Korrekt ist C. Es zeigt sich das Bild einer akut peripher-vestibulären Funktionsstörung, jedoch kombiniert mit Ohrsymptomen. Der nächste diagnostische Schritt stellt deshalb die Otoskopie dar.

2. Korrekt ist C. Es liegt ein Cholesteatom links vor. Als Komplikation hat sich eine akute Labyrinthitis ausgebildet.

3. Korrekt ist B. )

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Christoph Schlegel-Wagner

Klinik für Hals-Nasen-Ohren- und Gesichtschirurgie (HNO)
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6004 Luzern

christoph.schlegel@luks.ch

Kein Konflikt in Zusammenhang mit diesen Fallbesprechungen.

◆ Beim akut vestibulären Syndrom hilft die klinische Untersuchung in der Regel, eine peripher-vestibuläre von einer zentral-vestibulären Funktionsstörung zu differenzieren.
◆ Obwohl die häufigste Ursache einer akut peripher vestibulären Funktionsstörung der akute idiopathische Vestibularisausfall darstellt, dürfen seltenere Ursachen wie eine Ohrerkrankung nicht übersehen werden. Diese werden primär mittels Otoskopie gesucht.
◆ Leitsymptom eines Cholesteatoms ist die fötide Otorrhoe.

der informierte @rzt

  • Vol. 11
  • Ausgabe 3
  • März 2021