- Behaviorale und Psychische Symptome der Demenz (BPSD)
Behaviorale und Psychische Symptome der Demenz (BPSD) sind psychiatrische Begleitsymptome dementieller Erkrankungen, die neben den kognitiven Störungen für die Betroffene und deren betreuende Angehörige besonders belastend sind. Die Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -psychotherapie (SGAP) entwickelte interprofessionelle und interdisziplinäre Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der BPSD, um den vielfältigen Herausforderungen zu begegnen. Diese stellen die nicht-pharmakologischen Assessment- und Therapiemethoden ausführlich vor und priorisieren diese auch. Die pharmakologischen Therapieoptionen werden eingehend diskutiert und die Grundsätze für deren Einsatz geschaffen. Die Empfehlungen sollen dazu dienen, die Frühdiagnostik der BPSD zu ermöglichen, individuell angepasste Therapien einzusetzen und die Lebensqualität und Selbstständigkeit der Betroffenen zu verbessern.
Behavioral and psychological symptoms of dementia (BPSD) are psychiatric concomitant symptoms of dementia that, in addition to cognitive disorders, are particularly stressful for those affected and their caregivers. The Swiss Society of Old Age Psychiatry and Psychotherapy (SGAP) has developed interprofessional and interdisciplinary recommendations for the diagnosis and treatment of BPSD in order to meet the various challenges. These present the non-pharmacological assessment and therapy methods in detail and also prioritize them. The pharmacological treatment options are discussed in detail and the principles for their use are established. The recommendations are intended to enable the early diagnosis of BPSD, to use individually adapted therapies and to improve the quality of life and independence of those affected.
Key words: Demenz. BPSD. Alzheimer
Neben den kognitiven Störungen prägen psychiatrische Symptome, sogenannte «Behaviorale und Psychische Symptome der Demenz (BPSD)», wie Apathie, Depression, Euphorie, Angst, Agitiertheit/Aggressivität, Wahn, Halluzinationen, Irritabilität/Reizbarkeit, Enthemmung und Schlafstörungen das klinische Bild der Demenz-Erkrankungen (1–4). Diese Symptome führen einerseits zu einer schnelleren Progression der Demenz, andererseits wird ihre Therapie erschwert durch die Multimorbidität der Betroffenen. Noch zu Beginn der Nationalen Demenzstrategie hat die Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und –psychotherapie (SGAP) schon 2014 die Diagnostik- und Therapieempfehlungen für BPSD in kurzer und in längerer Version publiziert (1, 2). Diese wurden jetzt revidiert und liegen in Kurzform (3) und als Manual (4) vor. Die Empfehlungen sollen die Frühdiagnostik stärken und stellen bewusst die nicht-pharmakologischen Therapieoptionen in den Vordergrund. Die Stellung der interprofessionellen und interdisziplinären Arbeitsweise in der Alterspsychiatrie soll gestärkt werden.
Veränderungen bei Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Glutamat tragen zur Entstehung der BPSD bei. Strukturell sind der anteriore cinguläre und der orbitofrontale Kortex sowie das fronto-limbische System betroffen. Komorbiditäten, psychosoziale Faktoren wie die Belastung der Angehörigen, Kommunikationsstil und Mangel an sinnvollen Tätigkeiten sowie infrastrukturelle Faktoren wie eine Orientierung erschwerende Einrichtung, Lärm und mangelnde Bewegungssicherheit können die Entstehung und Aufrechterhaltung von BPSD begünstigen.
Diagnostik
Der therapeutische Algorithmus für BPSD sieht ein strukturiertes Vorgehen als Basis der Diagnostik und Therapie vor. Der Grundsatz der Personenzentrierung und die Multimorbidität machen einen interprofessionellen und interdisziplinären Ansatz notwendig. Der personenzentrierte Ansatz ist definiert durch die drei Kernthemenbereiche: Individualisierung der Pflege mit Bezug auf die Bedürfnisse der betroffenen Person, Begegnung mit Respekt und Empathie zur Bewahrung der Autonomie und Privatsphäre und Abbau von Hindernissen in den Rahmenbedingungen. Modelle wie «Eden Alternative und Green House Model» oder der «Montessori Ansatz» sind anwendbar. Für die nachhaltige Reduktion der BPSD sollen die individuelle Ursache, Auslöser und Beweggründe für die Verhaltensweise gefunden werden. Methoden wie «Serial Trial Intervention», «Verstehende Diagnostik», «TIME-Targeted Interdisciplinary Model for Evaluation and Treatment of neuropsychiaric symptoms» and «DICE-Describe, Investigate, Create and Evaluate» und «BPSD-DATE-Algorithmus» sind hilfreich.
Als neuropsychologisches Assessment-Verfahren hat sich in erster Linie das «NPI-Neuropsychiatrische Inventar» etabliert. Das «BEHAVE-AD – Behavioral Pathology in Alzheimer’s Disease Rating Scale» ist auch geeignet, liegt aber in deutscher Sprache nicht vor. In der Schweiz haben sich in der Langzeitpflege Bedarfserhebungsinstrumente wie RAI und BESA gut etabliert, haben aber bei der Erfassung der BPSD ihre Limitationen. Die «GDS-Geriatrische Depressionsskala» ist für die Erfassung der Depression und das «CMAI-Cohen-Mansfield Agitation Inventory» für die Agitation bestens geeignet.
In der Differentialdiagnostik müssen vor allem Delir und Altersdepression berücksichtigt werden. Psychosen, zerebrovaskuläre Ereignisse, Neoplasien sowie intellektuelle Entwicklungsstörungen sind weitere Störungsbilder mit ähnlichen Symptomen. Eine auf die differentialdiagnostischen Überlegungen basierende ausführliche Anamnese (mit Fremdanamnese), klinische Untersuchung, Labor-Diagnostik, neuropsychologische Testung und Bildgebung (MRT bzw. CT, wenn erstere nicht möglich) sind Standarduntersuchungen.
Nicht-pharmakologische Interventionsmöglichkeiten
Nicht-pharmakologische Massnahmen und Therapien werden als erste Wahl empfohlen. Diese sollen auch dann eingesetzt werden, wenn Psychopharmaka zum Einsatz kommen müssen. Die Teams sollen mit regelmässigen Schulungen und Supervision befähigt werden, diese prioritär einzusetzen. Angehörige sollen über BPSD aufgeklärt und in den Therapie-Prozess involviert werden. Im Umgang mit Menschen mit Demenz können drei Kategorien von pflegerischen Massnahmen eingesetzt werden: sensorisch orientiert (Pflege mit Musik, Aromapflege, Licht, Snoezelen, Sensory Garden, tiergestützte Aktivitäten, intelligente assistive Technologien, Massage/Berührung, Basale Stimulation, Positive Image Therapie und Clown Therapie), kognitionsorientiert (Simulierte Präsenztherapie, Kognitions- und Kommunikationsorientierte Methoden, Validation) und bewegungsorientiert (Bewegung, Outdoor-Aktivitäten, Tanz und Kinästhetik). Zusätzlich hat die Regulierung der Umgebungsfaktoren mit Vermeidung von Reizüberflutung und –Armut positiven Einfluss auf die BPSD. Faktoren wie Umgebungsgestaltung, Licht, Farben, Temperatur, Lärm und Hilfsinstallationen spielen dabei eine Rolle.
Im Umgang mit spezifischen Verhaltensweisen haben sich die obengenannten Massnahmen mit einem multimodalen Ansatz bewährt. Bei Aggressivität ist es wichtig, den aktuellen Grund des Verhaltens auf der Basis der individuellen Faktoren und der Vorgeschichte zu verstehen. Bei der sexuellen Enthemmung soll eine Balance zwischen den individuellen Rechten der Betroffenen und dem Schutz der Betreuenden unter Beibehaltung der Intimsphäre gefunden werden. Bei disruptiver Vokalisation sind verschiedene Ursachen zu eruieren, wie z.B. Deprivation, Angst und Schmerzen.
Als Kognition-stabilisierende Therapien sind Kognitive Stimulation und Reminiszenztherapie wirksam. Kombinierte, personzentrierte Methoden sind Einzelinterventionen überlegen. Bei leichten bis mittelschweren Demenzerkrankungen besteht eine gute Evidenzlage für die Wirksamkeit von Psychotherapie, vor allem für die kognitive Verhaltenstherapie. Lebensrückblickinterventionen sind ebenso wirksam. All diese Massnahmen sind effektiver, wenn Betreuungspersonen/Angehörige beigezogen werden. Angehörige sind oft selbst betroffen und können Depressionen entwickeln. Angehörigenbetreuung ist integrativer Bestandteil der Therapie.
Als spezialtherapeutische Interventionen kommen Musik- und Kunsttherapie, Aktivierungstherapie/Ergotherapie, tiergestützte Therapien, Akupunktur/Akupressur und körperliche Aktivität/Sport in Frage. Diese sind vor allem bei Depression, Angst und Agitation wirksam und sollen den individuellen Präferenzen und der Vorgeschichte angepasst angeboten werden. Weil die Effekte von kurzer Dauer sind, sollen sie mit hoher Frequenz angeboten werden.
Psychopharmakotherapie
Bei akuter Selbst- und Fremdgefährdung und für die Gewährleistung der Betreuung kann, wenn die nicht-pharmakologischen Interventionen nicht ausreichen, der Einsatz von Psychopharmaka gerechtfertigt sein. Obwohl mit vielen der eingesetzten Medikamente ausreichend klinische Erfahrung besteht, ist oft die Evidenzlage gering, weil die kontrollierten Studien fehlen. Zudem ist der Einsatz der meisten Substanzen «Off-Label», was unter erhöhter und hinreichender Aufklärungs- und Dokumentationspflicht möglich und u. U. sogar nötig ist.
Die Anwendung von Psychopharmaka soll nach einer Nutzen-/Risiko-Abwägung indikationsgerecht und zeitlich limitiert erfolgen. Zu Beginn sollen eine ausführliche Anamnese, Labor-Diagnostik und EKG durchgeführt und im Verlauf regelmässig wiederholt werden. Mögliche Nebenwirkungen und Interaktionen der eingesetzten Medikamente sind laufend zu evaluieren. In Abhängigkeit von der Symptomreduktion sind Absetzversuche vorzunehmen. Psychopharmaka sind möglichst als Monotherapie anzuwenden und Rezeptorantagonisten (Anticholinergika, Antihistaminika und Dopaminantagonisten) sind zu vermeiden. Der Einsatz möglichst niedriger Dosierungen ist zu empfehlen.
Aufgrund ihres besseren Nutzen-Risiko-Profils und weil sie durch den kognitionsstabilisierenden und u. U. auch -verbessernden Effekt auch bei BPSD wirksam sind, werden Antidementiva als Medikament der ersten Wahl empfohlen. Acetylcholinesterase-Hemmer werden bei leichter bis mittelschwerer Demenz eingesetzt und sind vor allem bei Apathie, Depression und Irritabilität wirksam. Memantin wird bei mittelschwerer bis schwerer Demenz eingesetzt und reduziert Agitiertheit, Aggressivität, Wahn und Halluzinationen. Der Einsatz von Antidementiva kann den Bedarf an anderen Psychopharmaka reduzieren.
Depression gehört zu den häufigsten BPSD. Eine effektive Antidepressiva-Therapie kann helfen, die Alltagsfähigkeiten zu verbessern. Die Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) sind vom Nebenwirkungsprofil her vorteilhafter und sind auch bei Agitiertheit wirksam (cave Verlängerung des QTc-Intervalls). Trizyklische Antidepressiva werden aufgrund ihres anticholinergen Nebenwirkungspotentials bei älteren Personen nicht empfohlen. Bei fehlender Wirksamkeit nach 4–6 Wochen, kann die Medikation ersetzt werden.
Bei BPSD wie Wahn, Halluzinationen, Agitiertheit und Aggressivität kann eine Intervention mit Antipsychotika notwendig werden. Der Einsatz dieser Substanzen ist mit erhöhtem Mortalitätsrisiko, zerebrovaskulären Ereignissen, Sedierung, extrapyramidalen-motorischen Symptomen (EPS) und metabolischen Veränderungen verbunden. Die Grundsätze des Einsatzes von Psychopharmaka bei älteren Personen sind hier besonders einzuhalten. Beim Einsatz soll alle vier Wochen eine Indikationsprüfung vorgenommen werden mit Reduktion- und Absetzversuchen. Atypische Antipsychotika werden aufgrund des besseren Nutzen-Risiko-Profils bevorzugt.
Benzodiazepine und analoge Hypnotika sind aufgrund der delirogenen Wirkung, der Sedierung mit Sturzfolge und des Abhängigkeitspotentials bei Betroffenen mit Demenz nicht empfohlen. Falls sie in Notfallsituationen trotzdem eingesetzt werden müssen, sollen Substanzen mit kürzerer Halbwertzeit (Lorazepam, Oxazepam) bevorzugt werden, um Kumulationseffekte zu vermeiden. Bei Insomnie sind hypnotisch wirksame Substanzen wie z.B. schlafanstossende Antidepressiva (Trazadon, Mirtazapin, Agomelatin) zu bevorzugen. Antipsychotika wie Pipamperon oder Quetiapin werden auch oft zur Sedierung eingesetzt. Hier ist auf die zeitliche Limitierung zu achten. Für Melatonin-Agonisten, Pregabalin und Gabapentin sind Hinweise für hypnotische Wirkungen vorhanden. Chloralhydrat, Clomethiazol, Diphenhydramin, Doxylamin und Promethazin sollen bei Demenz nicht eingesetzt werden.
Von den Antikonvulsiva ist die Wirksamkeit von Carbamazepin bei Aggressivität gut belegt, aber aufgrund von möglichen schweren Nebenwirkungen soll es zurückhaltend eingesetzt werden. Lamotrigin, Gabapentin oder Pregabalin können eine Alternative sein. Oxcarbazin, Valproat und Lithium werden bei Demenz nicht empfohlen. Für Perampanel, Lacosamid und Brivaracetam ist die Datenlage für eine Empfehlung noch unklar.
BPSD entstehen oft aufgrund von Schmerzen, die nicht zum verbalen Ausdruck gebracht werden können. Für die Behandlung von neuropathischen Schmerzen bei älteren Personen werden folgende Substanzen empfohlen: Duloxetin, Gabepentin oder Pregabalin, als Antidepressiva, Lidocain für die topische Anwendung und Tramadol oder Oxycodon als Opioide. Die Opioide sollen ausserhalb terminaler Indikationen nur zeitlich limitiert und zurückhaltend eingesetzt werden um Delir, Abhängigkeit und andere Nebenwirkungen zu vermeiden.
Als biologisches Verfahren ist die Lichttherapie (weisses Licht bis zur Untergrenze 400 nm; 25 000 Lux für zwei Stunden oder 10 000 Lux für 30 Minuten) bei zirkadianen Rhythmus- und Schlafstörungen sowie bei «Sundowning Syndrom» und Agitiertheit wirksam. Schlafentzug ist zwar bei Depression wirksam, wird aber bei Demenz nicht empfohlen.
«Elektrokrampftherapie (EKT)» kann eine Option sein, wenn alle anderen Therapiemöglichkeiten nicht wirksam sind. Ihr Einsatz setzt eine angemessene Aufklärung, Einwilligung und Dokumentation voraus. Mit «Repetitiven Transkranialen Magnetstimulationen (rTMS)» sind zunehmend gute Erfahrungen vorhanden. Für die «Tiefe Hirnstimulation» oder «Vagusnervstimulation» bei Demenz ist die Datenlage für eine Empfehlung nicht ausreichend.
Eine ganzheitliche, personzentrierte, interdisziplinäre und interprofessionelle Arbeitsweise mit Priorisierung der nicht-pharmakologischen Therapiemöglichkeiten und Einhaltung der Grundsätze des Psychopharmaka-Einsatzes soll gewährleisten, dass den Herausforderungen der Diagnostik und Therapie der BPSD begegnet wird und die Lebensqualität und Alltagsfähigkeiten der Betroffenen verbessert wird.
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Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
- BPSD sind belastend und machen oft den Einsatz von Psychopharmaka notwendig
- Frühdiagnostik und Therapie sind wichtig, um die Selbstständigkeit der Betroffenen zu erhalten.
- Nicht-pharmakologische interprofessionelle Therapien sind Therapien der ersten Wahl und sind auch dann anzubieten, wenn Psychopharmaka zum Einsatz kommen.
- Der Einsatz von Psychopharmaka soll indikationsgerecht, zeitlich limitiert und unter regelmässiger klinischer Evaluation stattfinden. Dabei sollen die Grundsätze des Psychopharmaka-Einsatzes in der Alterspsychiatrie eingehalten werden.
1. Savaskan E, Bopp-Kistler I, Buerge M et al. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD). Praxis 2014; 103(3): 135–148.
2. Savaskan E, Bopp-Kistler I, Buerge M et al. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD) – lange Version. https://www.sgap-sppa.ch/fileadmin/user_upload/Empfehlungen_zur_Diagnostik_und_Therapie_der_BPSD_-_November_2014.pdf
3. Savaskan E, Georgescu D, Becker S et al. Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychischen Symptome der Demenz (BPSD). Praxis 2024; 113(2): 34–43.
4. Savaskan E, Georgescu D, Zuniga F (Hrsg.). Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychischen Symptome der Demenz (BPSD). Bern; Hogrefe: 2024.
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- Vol. 14
- Ausgabe 8
- August 2024