- Besteht tatsächlich eine Allergie?
Viele Menschen klagen über eine Nahrungsmittelunverträglichkeit. Eine solche sollte immer dahingehend abgeklärt werden, ob es sich wirklich um eine Allergie oder um eine anderweitig bedingte Intoleranz handelt.
Nahrungsunverträglichkeiten können allergisch bedingt sein oder durch eine Intoleranz verursacht werden» erläuterte Professor Peter Schmid-Grendelmeier, Zürich. Eine Allergie könne bei einer Anaphylaxie schlimmstenfalls tödlich enden, eine Intoleranz sei zwar auch oft sehr quälend und könne die Lebensqualität wesentlich beeinträchtigen, aber sie verlaufe nie tödlich. Deshalb sei es wichtig und sinnvoll, diese beiden Formen der Nahrungsmittelunverträglichkeiten streng auseinander zu halten. Patienten mit einer Anaphylaxie benötigten auch immer ein Notfall-Set.
Was spricht für eine Allergie?
Ob es sich um eine Allergie oder eine Intoleranz handelt, lässt sich manchmal schon anhand des klinischen Bildes beurteilen. Während bei Intoleranzen immer die gastrointestinale Symptomatik im Vordergrund steht, sind es bei Allergien die extraintestinalen Symptome. Fast immer besteht bei Allergikern eine orale Allergie-Symptomatik, genauer gesagt, sofort nach der Allergenzufuhr entwickelt sich an den Lippen eine leichte Schwellung mit Juckreiz. «So etwas findet sich bei der Intoleranz nie», so Schmid-Grendelmeier. Weitere Manifestationen der Allergie sind die Haut in Form einer Urtikaria, das Bronchialsystem, und das Herz-Kreislaufsystem bis hin zum anaphylaktischen Schock. Nur in ca. 20% ist auch der Magen-Darm-Trakt betroffen.
Für die Diagnostik der Allergie biete sich primär der Skin-Prick-Test an. Als weitergehende Diagnostik steht die Bestimmung des spezifischen IgE im Serum zur Verfügung. Doch die traditionelle Diagnostik mit den bisherigen Screening-Tests ist ungenau, vor allem ist es schwer, damit Kreuzallergien zu erfassen. Wesentliche Fortschritte vor allem in Hinblick auf Kreuzallergien, bietet die Komponenten-basierte Allergendiagnostik. Mit einer solchen molekularen Allergiediagnostik können einzelne Moleküle bzw. Proteine getestet werden.
Intoleranzen sind häufig
Am bekanntesten und wohl auch häufigsten ist die Laktoseintoleranz. Ursache ist ein Mangel an Laktase, wobei es unterschiedliche Schweregrade gibt. Bei einer Milchunverträglichkeit sollte aber eine Kuhmilchallergie ausgeschlossen werden, obwohl eine solche sehr selten ist. Ursache der Fruktoseintoleranz ist eine intestinale Resorptionsstörung. Eine Erkrankung, die häufig mit einer Allergie verwechselt wird, ist die Histaminintoleranz.
Weizensensitivität: Mythos oder Fakt?
Viele Jahre wurde darüber gestritten, ob es neben der Zöliakie und der Weizenallergie auch noch eine Weizensensitivität gibt. Doch mittlerweile gibt es keine Zweifel mehr an diesem Krankheitsbild, auch wenn es eine Ausschlussdiagnose ist und der eigentliche Auslöser bisher nicht identifiziert werden konnte.
«Das Spektrum der Weizenunverträglichkeiten umfasst neben der Zöliakie und der Weizenallergie auch die Weizensensitivität, deren eigentliche Ursache allerdings noch unklar ist», so Schmid-Grendelmeier. Das Thema Weizensensitivität sei lange Zeit kontrovers diskutiert worden, aber die Datenlage sei zwischenzeitlich eindeutig. Die Weizensensitivität ist kein Mythos, sondern Fakt. Die Weizensensitivität sei auch relativ häufig mit anderen Erkrankungen assoziiert. Bei fast jedem Zweiten findet sich auch ein Reizdarmsyndrom, bei jedem Dritten eine andere Nahrungsmittelintoleranz bzw. IgE-vermittelte Allergie und bei jedem Vierten eine Autoimmunerkrankung.
Bevor die Diagnose «Weizensensitivität» gestellt wird, müssen die beiden anderen Ursachen der Weizenunverträglichkeit ausgeschlossen sein. Die Zöliakie ist autoimmunvermittelt und kann mit Hilfe der Zöliakie-Antikörper (Antikörper gegen Tissue-Transglutaminase (tTg), Gliadin oder Endomysium) und einer Duodenalbiopsie nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. Die Weizenallergie dagegen ist IgE-vermittelt. Sie erfordert eine Abklärung mittels IgE-Rast im Serum oder mittels eines Prick-Hauttests. Das Spektrum der geklagten Beschwerden bei einer Weizensensitivität ist breit. Es umfasst nicht nur gastrointestinale, sondern auch extraintestinale Symptome. Am häufigsten sind Bauchschmerzen, ekzematöse Hautveränderungen, Erschöpfung, Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Depression, Muskel- und Gelenkschmerzen, Übelkeit mit Erbrechen, Durchfall und Meteorismus.
Die Suche nach dem Auslöser
Der eigentliche Auslöser der Weizensensitivität ist bisher nicht bekannt. Diskutiert wird neben Gluten und ATIs auch das Darmmikrobiom. Für Gluten als Auslöser sprechen Ergebnisse von Studien, in denen durch eine Gluten-freie bzw. -arme Diät eine deutliche Verbesserung der Beschwerden erreicht werden konnte. In einer anderen Studie gelang es allerdings nur jedem Zweiten, die erhaltene Diät mit und ohne Gluten als solche korrekt zu identifizieren. Und auch nicht immer reagierten die Patienten nach einer Gluten-freien Ernährung mit entsprechender Symptomatik auf eine erneute Glutenprovokation.
Ein anderer Verdächtiger sind die ATIs (α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren), die wichtig sind für die Resistenz der Pflanzen gegen Schädlinge und in neueren Getreidezüchtungen vermehrt nachweisbar sind. Diese ATIs, die nicht oral verdaut werden können, aktivieren Monozyten und Makrophagen und stimulieren das angeborene Immunsystem, wobei auch vermehrt proinflammatorische Zytokine freigesetzt werden. Bei Patienten mit einer Weizensensitivität findet sich in der Tat eine systemische Immunaktivierung und Epithelschädigung an der Darmschleimhaut. Da unter ATIs aber auch bei Kontrollpersonen eine Stimulation des nativen Immunsystems nachgewiesen werden konnte, stellt sich die Frage, warum ATIs nur bei wenigen Menschen eine Weizensensitivität auslösen können? Ist bei ihnen der Schwellenwert niedriger oder liegt bei diesen eine Überaktivierung vor oder fehlt die negative Regulierung? Die Brücke zwischen Gluten und ATIs ergibt sich daraus, dass glutenhaltige Lebensmittel den höchsten Gehalt an ATIs haben.
Wenn bei einem Patienten die Diagnose «Weizensensitivität» gestellt ist, empfiehlt sich zunächst über 6 bis 8 Wochen eine glutenfreie Ernährung. Danach sollte die Glutenzufuhr nach der individuellen Toleranzschwelle erfolgen. «Grundsätzlich kann und sollte die Diät weniger strikt sein als bei der Zöliakie», so die Empfehlung von Schmid-Grendelmeier.
Quelle: Prof. Peter Schmid-Grendelmeier, Dr. Susann Hasler, MediDays 2020, 3.9.2020