- Cannabis für Spastik und Epilepsie
Der Autor schreibt: «von Nutzen sein können»: wichtig ist in der Medizin auch, was allenfalls schaden könnte (primum nil nocere). Studien zeigen, dass die Legalisierung des Cannabisverkaufs zu mehr Strassentoten führt: in den USA ergab sich eine Zunahme der Strassentodesfälle in Colorado um 15% (1), und in Kanada hat sich die Prävalenz von mittelschwer verletzten Fahrern mit THC nach der Legalisierung von Cannabis mehr als verdoppelt (2). Haben die Politiker diese Studien gelesen? Hinzu kommt, dass Cannabis – wie der Autor im Artikel schreibt – verschiedene Wirkungen hat und insbesondere im Jugendalter – was der Autor nicht erwähnt – die Hirnentwicklung stört und deshalb bei Jugendlichen kontraindiziert ist (3). Eine neueste Studie legt sogar nahe, dass langjähriger Cannabiskonsum die kognitiven Leistungen von Erwachsenen schmälert (und das Hippocampusvolumen vermindert), unabhängig von Nikotin und Alkohol (4).
Zur Wirkung bei Schmerz zitiert der Autor eine Metaanalyse aus 2015. Eine neulich in der Zeitschrift Pain veröffentlichte Metaanalyse kommt hingegen zum Schluss, dass von 36 Studien (7217 Patienten; Cannabinoide (8 Studien), Cannabis (6 Studien) und CBM (22 Studien) lediglich zwei den Endpunkt (30%-ige Reduktion der Schmerzintensität) erreichten und 81% der Subgruppenanalysen negativ waren (5). Diese Daten entsprechen der klinischen Erfahrung.
Was bleibt: Cannabis ist wirksam bei Spastik und speziellen Formen der Epilepsie, jedoch wenig wirksam bei chronischen Schmerzen (Einzelfälle sind ausgenommen). Hingegen entfaltet Cannabis verschiedene nicht nur erwünschte Wirkungen im zentralen Nervensystem. Medizinisch sollten wir auf dem Boden der Wissenschaft bleiben. Die heutige politische Debatte erinnert mich an den vor 20 Jahren von den Patientenorganisationen geforderten liberaleren Umgang mit Opioiden, der heute in teuren Prozessen gipfelt. Machen wir dieselben Fehler heute mit Cannabis?
P.S. In diesem Zusammenhang sei auf den Pilotversuch des BAG im Kanton Basel hingewiesen, wo geplant ist, Cannabis nicht reguliert abzugeben. Soll Cannabis inskünftig wie Aspirin verfügbar sein?
KD Dr. med. lic. phil. Marcel Weber
marwebdr@gmail.com
Chefarzt emeritus Rheumaklinik Triemli
8800 Thalwil
marwebdr@gmail.com
1. Santaella-Tenorio J et al. Association of Recreational Cannabis Laws in Colorado and Washington State With Changes in Traffic Fatalities, 2005-2017. JAMA Intern Med 2020;180(8):1061-1068.
2. Brubacher JR et al. Cannabis Legalization and Detection of Tetrahydrocannabinol in Injured Drivers. New Engl J Med 2022 386:148-156.
3. Albaugh MD et al. Association of Cannabis Use During Adolescence With Neurodevelopment. JAMA Psychiatry 2021;78(9):1-11.
4. Meier MH et al. Long-Term Cannabis Use and Cognitive Reserves and
Hippocampal Volume in Midlife. Am J Psychiatr 2022; doi.org/10.1176/appi.ajp.2021.21060664
5. Fisher E. et al. Cannabinoids, cannabis, and cannabis-based medicine for pain management: a systematic review of randomised controlled trials. Pain 2021;162(Suppl.1):S45-S66.
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- Ausgabe 6
- Juni 2022