- Cannabis in der Schmerzmedizin
THC-haltige Cannabispräparate werden insbesondere bei Schmerz- und/oder Spastikpatienten eingesetzt, während CBD hauptsächlich bei den Epilepsieformen Dravet- und Lennox-Gastaut Anwendung findet. In der Schweiz gibt es zwei auf Hanfbasis zugelassene Medikamente, Sativex und Epidyolex. Nicht registrierte Cannabispräparate können als Magistralrezepturen verschrieben werden.
Cannabis preparations containing THC are primarily used to treat chronic pain and spasticity, while CBD is mainly prescribed to patients suffering from refractory epilepsy, such as Dravet and Lennox-Gastaut syndrome. In Switzerland, two cannabis-based drugs are approved by the authorities, namely Sativex and Epidyolex. Besides these, cannabis preparations can be prescribed as extemporaneous formulations.
Key Words: Cannabis, Tetrahydrocannabinol (THC), Dronabinol, Cannabidiol (CBD), chronische Schmerzen
Seit einigen Jahren mausern sich Cannabispräparate oder cannabinoidhaltige Medikamente zu möglichen Alternativen bei einer Vielzahl von Indikationen. Die medizinischen Wirkungen lassen sich vor allem auf die beiden Hauptcannabinoide THC (Tetrahydrocannabinol bzw. Dronabinol*) und CBD (Cannabidiol) zurückführen. Nur diese beiden Cannabinoide werden aktuell für therapeutische Zwecke eingesetzt, entweder als Reinstoffe oder als Bestandteil von Vielstoffgemischen (z.B. THC- oder CBD-haltige Cannabisextrakten). Der Wirkstoff THC ist besser erforscht als CBD. In zahlreichen Tier- und Humanstudien konnte nachgewiesen werden, dass THC über schmerzlindernde, antispastische, appetitfördernde, den Brechreiz unterdrückende und den Augeninnendruck senkende Eigenschaften verfügt. Dazu kommen andere zentralwirksame Eigenschaften, welche bei unterschiedlichen Erkrankungen wie Tourette-Syndrom, Tics, Restless legs, Parkinson, etc. von Nutzen sein können. Die wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit von THC ist bei obgenannten Indikationen sehr unterschiedlich. Bei vielen Erkrankungen fehlen gross angelegte Studien weitgehend; es liegen höchstens Resultate aus kleinen Studien mit geringen Patientenzahlen oder Fallberichte vor. Gute Evidenz liegt gemäss dem Standardwerk «The Health Effects of Cannabis and Cannabinoids: The Current State of Evidence and Recommendations for Research» (1) bei folgenden Einsatzgebieten vor: chronische Schmerzen bei Erwachsenen, chemotherapie-assoziierte Übelkeit und Erbrechen sowie Spastik bei Multipler Sklerose. In anderen Metaanalysen (2, 3, 4) findet sich aufgrund der Heterogenität der eingesetzten Cannabispräparate für bestimmte Indikationen nicht immer die gleiche Evidenz.
CBD wiederum wird zwar zum Teil bei gleicher Indikation wie THC eingesetzt, so vor allem bei (entzündlichen) Schmerzen und gewissen Bewegungsstörungen. Wissenschaftliche Daten zeigen aber, dass CBD vor allem antiepileptisch, antipsychotisch, entzündungshemmend und neuroprotektiv wirkt (5, 6). Dementsprechend wird CBD hauptsächlich verwendet bei therapieresistenten Epilepsieformen bei Kindern (v.a. mit Dravet- bzw. Lennox-Gastaut-Syndrom), daneben auch bei Angststörungen, Panikattacken, autistischen Spektrumsstörungen, ADHS, etc.
Cannabinoide bei chronische Schmerzen – Datenlage
In verschiedensten Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das Endocannabinoid-System (ECS) bzw. die beiden Cannabinoid-Rezeptoren (CB1 und CB2) bei der Schmerzverarbeitung eine Rolle spielen (7). Allerdings sind die Vorgänge sehr komplex und es scheint klar, dass die Schmerzlinderung nicht alleine durch die Aktivierung von CB1-Rezeptoren zustande kommt (8). Eine systematische Übersicht zur Klinik aus dem Jahr 2019 zeigte folgende Hauptbefunde: Die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei chronischen Schmerzen wurde in den letzten Jahren häufig untersucht. Ein generelles Problem der Studien mit Cannabis stellt zum einen die Heterogenität der verwendeten Präparate, wie auch unterschiedliche Applikationsformen (oral vs. inhalativ) dar. In der Metanalyse zur Wirksamkeit von Cannabinoiden und chronischen Schmerzen von Whiting et al. (2015) wurden insgesamt 28 randomisierte-kontrollierte Studien berücksichtigt in der Zeit von 1975 bis 2015. Dabei waren insgesamt 2’454 Patienten eingeschlossen. Untersucht wurden verschiedene Cannabismedikamente (Medizinalhanf mit unterschiedlichem THC-Gehalt, THC- und oder THC/CBD-haltige Cannabisextrakte – meist Nabiximol-, Dronabinol wie auch das THC-Derivat Nabilon). Die Autoren kommen zum Schluss, dass Cannabinoide teilweise bis zu einer Schmerzreduktion von 30% wirksam sein können, für eine Reduktion der Symptomatik von mindestens 50 % liegt zur Zeit keine Evidenz vor.
Alle Untersuchungen zeigen aber weitere, sekundäre Wirkungsbeweise (z.B. Reduktion der durchschnittlichen Schmerzreduktion, starke oder sehr starke allgemeine Verbesserung) zugunsten der Cannabinoide (9).
Am besten untersucht wurden Cannabinoide bei neuropathischen Schmerzen. Die Effekte der verschiedenen Cannabispräparate waren ausgeprägter als bei chronischem Schmerz. Dabei ist die Wirkung von Nabiximol (Sativex) am besten untersucht. Auch bei anderen Schmerzformen wie Tumorschmerzen, Schmerzen des rheumatischen Formenkreises, Fibromyalgien u.a. werden Cannabinoide in der Praxis eingesetzt.
Zusammenfassend: Cannabinoide können chronische Schmerzen lindern, wobei vor allem Patienten mit neuropathischen Schmerzen und schmerzhafter Spastik profitieren (Whiting et al. 2015). Bei nozizeptiven Schmerzen scheinen Cannabinoide weniger wirksam zu sein (10).
Ergänzung aus der Praxis der Bahnhof Apotheke in Langnau: In den letzten 14 Jahren erhielten mehrere Tausend Patienten ein magistral verschriebenes Cannabispräparat. Zirka ¾ davon waren THC-haltige und damit BAG-bewilligungspflichtige Präparate (Dronabinol-Lösung, Cannabistinktur, Cannabisöl). Über 80 % der Verschreibungen betrafen chronische Schmerz-/und Spastikpatienten. Nicht selten können Cannabinoide bei bestimmten Patienten im Sinne einer «add on»-Therapie (z.B. zu Opiaten) eine wirksame Ergänzung sein; manchmal wirken Cannabinoide aber auch als Monotherapie besser als etablierte Medikamente.
Dosierungen: Die Dosierung der Cannabinoide bei Schmerzpatienten ist sehr individuell. Für THC liegen die typischen Tagesdosen (aufgeteilt in 2 bis 3 Einzeldosen) zwischen 10 und 30 mg (oder selten höher) pro Tag. Für CBD (alleine oder in Kombination mit THC) können diese ein Mehrfaches betragen.
Nebenwirkungen/Abhängigkeitspotential: Sowohl THC wie auch CBD gelten als relativ nebenwirkungsarm. Typische Nebenwirkungen von THC können sein: Müdigkeit, Sedierung, Mundtrockenheit, gerötete Augen, Schwindel, Herzrasen, Übelkeit, kognitive Einschränkungen. Bei hohen Dosen von CBD werden beschrieben: Müdigkeit, Sedierung, Appetitmangel, GIT-Beschwerden, reversible Erhöhung von Lebertransaminasen (insbesondere in Kombination mit anderen die Leberfunktion beeinträchtigenden Medikamenten). In therapeutischen Dosen ist die Suchtgefahr und Abhängigkeit vernachlässigbar (sowohl für THC als auch für CBD). Ebenfalls spielen in der Praxis Toleranzentwicklung und Entzugssymptome keine grosse Rolle.
Wechselwirkungen: THC und CBD sind Substrate von CYP-Enzymen in der Leber. Bei der Kombination mit CYP-Inhibitoren und CYP-Induktoren kann allenfalls eine Dosisanpassung notwendig sein. Relevant für die Praxis ist, dass CBD potenziell CYP-Enzyme hemmen kann. Insbesondere bei höheren CBD-Dosen ist daher Vorsicht geboten bei der Kombination mit CYP-Substraten enger therapeutischer Breite, wie etwa gewissen Antiepileptika (Clobazam, Rufinamid, Topiramat) (11) und oralen Antikoagulantien vom Typ Vitamin K-Antagonisten (Phenprocoumon, Acenocoumarol) (12).
Verfügbare Präparate in der Schweiz: Zurzeit haben zwei cannabisbasierte Medikamente eine Swissmedic Zulassung. Zum einen der sublingual zu applizierende, BetmG-pflichtige Spray Sativex (Nabiximol), zur Anwendung bei Spastik bei MS. Zum anderen der verschreibungspflichtige Sirup Epidyolex (CBD) zur Behandlung der seltenen Epilepsieformen Dravet- und Lennox- Gastaut-Syndrom. Alle anderen zur Zeit verschreibbaren Hanfpräparate sind sogenannte Magistralrezepturen (z.B. Dronabinol-Lösung 2.5%, CANNAPLANT Cannabistinktur bzw. –Öl, Sativa-Öl, u.a.). Anders als bei den arzneimittelrechtlich zugelassenen Medikamenten gilt bei diesen individuell für den Patienten hergestellten Präparaten Therapiefreiheit, d.h. der Arzt ist nicht an eine bestimmte Indikation gebunden.
Gesetzliche Grundlagen: Die Verschreibung des von der Swissmedic zugelassenen Cannabismedikamentes Sativex geschieht analog den anderen Betäubungsmitteln. Dabei kann das Präparat einzig bei der zugelassenen Indikation Spastik bei MS-Patienten verschrieben werden, andere Indikationen sind «off label» jedoch möglich. Alle THC-haltigen (> 1 %) Magistralpräparate bedingen zurzeit noch eine BAG-Ausnahmebewilligung, d.h. der/die verschreibende Arzt/Ärztin muss zwingend ein Gesuch (zum Beispiel mittels vorhandenem Formular) einreichen, dieses wird nach Überprüfung in der Regel innerhalb weniger Tage gutgeheissen. Diese Ausnahmeregelung wurde im geltenden Betäubungsmittelgesetz geändert, der Vollzug wird voraussichtlich in der 2. Hälfte 2022 erfolgen. Was bedeutet das: künftig können THC-haltige Hanfmedikamente mit einem Gehalt > 1 % ohne BAG-Bewilligung verschrieben werden, allerdings ist eine sogenannte Begleiterhebung Pflicht. Wie diese im Detail aussehen wird, ist noch nicht bekannt.
Reine CBD-Präparate sind rezeptpflichtig, unterstehen aber nicht dem BetmG. Für alle bisher dem Chemikalienrecht unterstellte, freiverkäuflichen «CBD-Extrakte» mit einem max. THC-Gehalt von < 1 % gelten ab Herbst 2022 neue Bestimmungen. Diese Präparate (v.a. CBD-Tinkturen, CBD-Öle) müssen zwingend mit einem Vergällungsmittel versetzt werden, so dass diese nicht mehr eingenommen werden können (13). Unvergällte, nicht dem BetmG unterstellte Cannabisextrakte mit CBD sollten verschreibungsfähig sein, sind bzw. bleiben sofern diese GMP-Qualitätsanforderungen entsprechen. Cannabispräparate haben, trotz noch unbefriedigender klinischer Evidenz, bereits heute einen beachtlichen Stellenwert in der Behandlung von chronischen Schmerzen. Das Verschreiben der THC- bzw. CBD-haltigen Präparate bleibt auch in der näheren Zukunft wohl die Ausnahme, kann aber in gewissen Fällen eine wirksame Alternative und/oder Ergänzung für betroffene Patienten darstellen. Es ist zu wünschen, dass das grosse therapeutische Potenzial der Cannabinoide noch vermehrt klinisch untersucht wird, damit Cannabis evidenzbasiert die therapeutische Palette in der Schmerztherapie bereichern kann.
*Dronabinol ist der international anerkannte Freiname für THC, in der Regel ist dabei synthetisches oder halbsynthetisches THC gemeint.
Copyright by Aerzteverlag medinfo AG
Bahnhof Apotheke Langnau AG
Dorfstrasse 2
3550 Langnau
034 402 12 55
manfred.fankhauser@cannabis-med.ch
Der Autor ist Inhaber und Geschäftsführer der Bahnhof Apotheke Langnau AG, welche als Pionierapotheke für medizinisches Cannabis spezialisiert ist. Die Bahnhof Apotheke Langnau AG verfügt über die notwendigen Bewilligungen, um Magistralrezepturen auf Cannabisbasis herstellen zu dürfen
1. National Academies of Sciences, Engineering and Medicine (2017): The Health Effects of Cannabis and Cannabinoids: The Current State of Evidence and Recommendations for Research. Washington, DC: The National Academies Press. https://doi.org/10.1722/24625
2. Whiting PF, Wolff RF, Deshpande S et al.Cannabinoids for Medical Use: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA. 2015; 313(24): 2456-73.
3. Allan GM, Finley CR, Ton J et al. Systematic review of systematic reviews for medical cannabinoids: Pain, nausea and vomiting, spasticity and harms. Can Fam Physician. 2018; 64 (2): e78-e94.
4. Stockings E, Campbell G, Hall WD et al. Cannabis and cannabinoids for the treatment of people with chronic noncancer pain conditions: a systematic review and meta-analysis of controlled and observational studies. Pain 2018; 159 (10): 1932-1954.
5. Iffland K, Grotenhermen F. An Update on Safety and Side Effects of Cannabidiol: A Review of Clincal Data und Relevant Animal Studies. Cannabis Cannabinoid Res. 2(1), 2017; 139-154.
6. Bih CI, Chen T, Nunn AVW et al. Molecular Targets of Cannabidiol in Neurological Disorders. Neurotherapeutics. 2015; 12(4): 699-730.
7. Lötsch J, Weyer-Menkhoff I et al. Current evidence of cannabinoid-based analgesia obtained in preclinical and human experimental settings. Eur J Pain. 2018; 22(3): 471-84. Doi: 10.1002/ejp.1148.
8. Agarwal N, Pacher P et al. Cannabinoids mediate analgesia largely via peripheral type 1 cannabinoid receptors in nociceptors: Nat. Neurosci. 2007; 10(7): 870-9. Doi: 10.1038/nn1916.
9. Hoch E, Friemal CM, Schneider M. (2019). Cannabis. Potenzial und Risiko. Eine wissenschaftliche Bestandesaufnahme, 295.
10. Fitzcharles MA, Baerwald C et al. Efficacy, tolerability and safety of cannabinoids in chronic pain associated with rheumatic diseases (fibromyalgia syndrome, back pain, osteoarthritis, rheumatoid arthritis); A systematic review of randomized controlled trials. Schmerz. 2016; 30(1): 47-61.doi:10.1007/s00482-015-0084-3.
11. Gaston TE, Bebin EM, Cutter GR et al. Interactions between cannabidiol and commonly used antiepileptic drugs. Epilepsia 2017; 58 (9): 1586-1592.
12. Grayson L, Vines B, Nichol K et al. An interaction between warfarin and cannabidiol, a case report. Epilepsy Behav Case Rep. 2017; 10-11.
13. BBl: Bundesblatt 2022 668 Allgemeinverfügung der Anmeldestelle Chemikalien zum Inverkehrbringen von CBD-haltigem Duftöl, gestützt auf Artikel 10 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit Artikel 1, Absätze 1-3 PrSG, 24.3.2022.
der informierte @rzt
- Vol. 12
- Ausgabe 6
- Juni 2022