- Chirurgische Behandlung der Adipositas
Die Bariatrische Chirurgie ist die effektivste Therapie zur Gewichtsreduktion bei ausgeprägter Adipositas sowie auch zur Behandlung vieler Adipositas-assoziierter Komorbiditäten. Unter dem Überbegriff «Bariatrische Chirurgie», respektive bei Fokussierung auf metabolische Komorbiditäten wie dem Typ 2 Diabetes auch als «Metabolische Chirurgie» bezeichnet, werden eine ganze Reihe unterschiedlicher Operationsverfahren zusammengefasst. Prinzipiell gibt es dabei etablierte Verfahren sowie auch (in der Schweiz) noch nicht-etablierte Verfahren. Letztere werden in den Richtlinien der Swiss Society of the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB) (1) als «in Evaluation» gekennzeichnet und dürfen nur im Rahmen von prospektiven Studien mit entsprechenden Studienprotokollen sowie Ethikkommissionsgenehmigung angewendet werden. In unserem Artikel geben wir eine Übersicht über die verschiedenen bariatrischen Operationsverfahren, deren Kenntnis auch für Grundversorger:innen relevant ist.
Bariatric surgery is the most effective therapy for weight reduction in cases of pronounced obesity as well as for the treatment of many obesity-associated comorbidities. The umbrella term «bariatric surgery» or, when focusing on metabolic comorbidities such as type 2 diabetes, also referred to as «metabolic surgery», covers a whole range of different surgical procedures. In principle, there are established procedures as well as procedures that are not yet established (in Switzerland). The latter are identified as «under evaluation» in the guidelines of the Swiss Society of the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB) (1) and may only be used in the context of prospective studies with appropriate study protocols and ethics committee approval. In our article, we provide an overview of the different bariatric surgical procedures, knowledge of which is also relevant for primary care providers.
Key Words: bariatric surgery, metabolic surgery
Etablierte Operationsverfahren
Die etablierten Operationsverfahren lassen sich gemäss SMOB Richtlinien nochmals in «Basiseingriffe» (Tab. 1) sowie «komplexe Eingriffe» (Tab. 2) unterteilen. Während Basiseingriffe in allen Zentren durchgeführt werden können, dürfen komplexe Eingriffe nur in SMOB-anerkannten Referenzzentren durchgeführt werden. Aufgrund der seltenen Durchführung werden wir hier nur eine Form der biliopankreatischen Diversion (BPD) als einzigen komplexen Eingriff vertieft darstellen.
Roux-en-Y-Magenbypass
Das Grundprinzip des Roux-en-Y-Magenbypass (Roux-en-Y gastric bypass, RYGB) ist die Trennung von Nahrungsbrei und Verdauungssäften im oberen Gastrointestinaltrakt. Dazu wird eine kleine Magentasche direkt unterhalb des ösophagogastralen Übergangs vom restlichen Magen abgetrennt (Abb. 1). Der ausgeschaltete Restmagen, der somit nicht mehr in der Nahrungspassage liegt, verbleibt in situ. Das Jejunum wird anschliessend etwa 50 – 70 cm aboral der Flexura duodenojejunalis (Treitz-Flexur) durchtrennt und als sog. alimentärer Schenkel mit der Magentasche anastomosiert (sog. Gastrojejunostomie). Anschliessend wird der proximale Abschnitt des Jejunums, in dem die Verdauungssäfte ohne Kontakt zum Nahrungsbrei transportiert werden (sog. biliopankreatischer Schenkel), ca. 150 cm aboral der Gastrojejunostomie Seit-zu-Seit mit dem alimentären Schenkel des Jejunums verbunden. Damit resultiert eine klassische Roux-Y Rekonstruktion, wie sie auch in der onkologischen Magenchirurgie genutzt wird. Erwähnenswert ist, dass diese Art der Operation prinzipiell reversibel ist, das heisst durch einen erneuten chirurgischen Eingriff zurück operiert werden kann. Dies ist erfreulicherweise jedoch nur in sehr seltenen Fällen – etwa aufgrund von Komplikationen – notwendig.
Schlauchmagen
Bei der Schlauchmagenresektion (Sleeve-Gastrektomie, SG) werden ca. 90% des Magenvolumens grosskurvaturseitig entfernt, sodass nur noch ein schlauchförmiger Restmagen mit ca. 80–100ml Fassungsvolumen verbleibt (Abb. 2). Die anatomische Nahrungspassage und auch die Durchmischung mit den Verdauungssekreten werden durch diese Operation nicht verändert. Dieser Eingriff ist im Vergleich zum laparoskopischen RYGB technisch einfacher, was wesentlich zu seiner dominanten Verbreitung weltweit beigetragen hat.
Roux-en-Y-Magenbypass vs. Schlauchmagen – Was ist besser?
Die Schlauchmagen-Operation ist dem RYGB sowohl beim erzielten Gewichtsverlust als auch bei der Behandlung der meisten mit Adipositas-assoziierten Begleiterkrankungen (z.B. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung) ebenbürtig und liefert vergleichbare Ergebnisse (2, 3). Zur Behandlung des Typ 2 Diabetes mellitus (T2DM) scheint es hingegen Vorteile für die RYGB-Operation zu geben. Zur Erreichung einer vergleichbar guten Stoffwechselkontrolle nach einer RYGB Operation werden deutlich weniger antidiabetische Medikamente benötigt, als nach einer Schlauchmagen-Operation (4).
Auch hinsichtlich der Komplikations- und Sterblichkeitsrate konnten keine gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Verfahren gefunden werden (5). Allerdings bietet die RYGB-Operation bei der Behandlung einer präoperativ bereits vorhandenen gastroösophagealen Refluxerkrankung (GERD) deutliche Vorteile (6). Zudem konnte gezeigt werden, dass deutlich mehr Patienten eine GERD nach Schlauchmagen als nach RYGB neu entwickeln. Besorgniserregend in diesem Zusammenhang sind kürzlich publizierte Untersuchungen, die von einer Häufigkeit von bis zu 17% der SG operierten Patienten für das Auftreten von Schleimhautveränderungen der Speiseröhre im Sinne von Barrett-Metaplasien berichten (7). Barrett-Metaplasien sind Folge eines chronischen Refluxes und bezeichnen eine Gewebeveränderung, die eine mögliche Vorstufe einer Krebserkrankung darstellt (sog. fakultative Präkanzerose). Weitere Daten mit längeren Nachbeobachtungszeiträumen sind nötig, bevor ein abschliessendes Urteil über mögliche Risken gefällt werden kann, jedoch sollten diese Beobachtungen bei der Verfahrenswahl bereits jetzt berücksichtigt werden.
Argumente, welche jedoch eher für eine Schlauchmagen- als eine RYGB-Operation sprechen, sind, dass nach der Schlauchmagen- Operation aufgrund der fehlenden Umgehung des Duodenums sowie des proximalen Jejunums die Mikronährstoffaufnahme weniger beeinträchtigt ist und daher weniger Supplemente dauerhaft eingenommen werden müssen. Zudem ist das Auftreten von postprandialen Hypoglykämien im Sinne eines Spätdumping-Syndroms weitaus seltener als nach der RYGB-Operation.
Magenband
Nachdem ab Mitte der Neunziger bis etwa Mitte der Zweitausender Jahre die Implantation eines adjustierbaren Magendbandes das dominierende bariatrische Verfahren war (Abb. 3), wurde es aufgrund der oft unbefriedigenden Langzeitergebnisse danach zunehmend verlassen und wird heute nur noch selten durchgeführt. So wurden gemäss SMOB-Register im Jahr 2022 schweizweit nur noch 65 Magenbänder implantiert, was etwa 1,3% aller bariatrischen Operation in diesem Jahr ausmachte.
Biliopankreatische Diversionsoperation mit duodenal switch
Bei der biliopankreatischen Diversionsoperation mit duodenal switch (BPD-DS) handelt es sich um die Kombination der oben beschriebenen Schlauchmagen-Operation mit einer malabsorptiven Komponente, die durch die Trennung des biliopankreatischen Schenkels von der Nahrungspassage (Diversion) unter Bildung eines kurzen gemeinsamen Resorptionsschenkels («common channel») gebildet wird (Abb. 4). Das Prinzip dieser Operation ist bereits seit den 1970er-Jahren bekannt und spielt in Ländern wie z. B. Italien historisch begründet eine grössere Rolle als in der Schweiz. Aufgrund der operationsbedingten Malabsorption mit einem deutlich erhöhten Risiko für Mangelzustände wie insbesondere Hypoproteinämie (8), chronischen Steatodiarrhoen und dem vermehrten Auftreten von Nierensteinen bis hin zu Oxalatnephropathie muss die Indikation sorgfältig gestellt werden und eine intensive, lebenslange postoperative Nachkontrolle gewährleistet sein. Generell wird das BPD-DS Verfahren als Reserveverfahren insbesondere nach unzureichendem Gewichtsverlust nach vorgängiger isolierter Schlauchmagen Operation angesehen.
In der Schweiz nicht-etablierte Operationsverfahren
Es gibt eine grosse Anzahl an weiteren bariatrischen Verfahren, welche in der Schweiz als nicht-etabliert gelten. Hierunter fallen chirurgische Operationen sowie auch endoskopische Interventionen, welche allesamt in den SMOB Richtlinien unter dem Vermerk «Eingriffe in Evaluation» aufgeführt werden (Tab. 3). Alle Eingriffe dieser Kategorie sollten prinzipiell nur im Rahmen von prospektiven Studien mit entsprechender Aufklärung betroffener Patient:innen und vorherigem Einholen einer Genehmigung durch eine Ethikkommission durchgeführt werden. Leider zeigt sich in der Praxis, dass diese Vorgaben nicht immer konsequent eingehalten werden, was aus wissenschaftlicher sowie aus ethischer Sicht bedenklich ist.
Aufgrund der Vielzahl experimenteller Eingriffe möchten wir an dieser Stelle nur zwei Operationsverfahren dieser «in Evaluation» Eingriffskategorie darstellen, welche international bereits relativ weit verbreitet angewendet werden.
One-anastomosis-gastric-Bypass
Der One-anastomosis-gastric-Bypass (OAGB), gelegentlich auch als Omega-Loop-Bypass oder früher irreführenderweise als «Minibypass» bezeichnet, ist ein Operationsverfahren, welches ausserhalb der Schweiz in den letzten Jahren starke Verbreitung gewonnen hat (9). Analog zum klassischen RYGB erfolgt auch hier eine kleinkurvaturseitige Magentaschenbildung (Abb. 5). Diese Tasche ist aber deutlich länger und reicht bis ins kleinkurvaturseitige Antrum. Die Anastomosierung erfolgt mit einer Dünndarmschlinge in Omega-Formation, wobei die Anastomose ca. 150–200 cm aboral der Flexura duodenojejunalis (Treitz-Flexur) erfolgt. Diese Technik erinnert stark an die Billroth-II-Rekonstruktion mit Omega-Schlinge, die in früheren Zeiten beim Magenulkus oder auch in der chirurgischen Therapie des distalen Magenkarzinoms Anwendung fand. Aufgrund negativer Erfahrungen mit der Billroth-II-Rekonstruktion mit dem langfristigen Auftreten von Galle-/Intestinalreflux, Anastomosenulzerationen und Anastomosenkarzinom ist man in der Schweiz deutlich zurückhaltender mit der Durchführung des OAGB-Verfahrens als in vielen anderen Ländern. Gemäss der SMOB-Richtlinien darf dieser Eingriff nur an Referenzzentren im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt werden und gilt nicht als Standardverfahren. In diesem Zusammenhang soll erwähnt werden, dass in Frankreich, wo der OAGB in den letzten Jahren sehr häufig angewandt wurde, diese Methode mittlerweile aufgrund zahlreicher Langzeitkomplikationen und der hohen Rate an Revisionseingriffen offiziell wieder verlassen wurde.
Single-anastomosis-duodeno-ileal-Bypass mit Sleeve-Gastrektomie
Der Single-anastomosis-duodeno-ileal-Bypass mit Sleeve-Gastrektomie (SADI-S) verbindet Elemente des OAGB (insbesondere die Omega-Formation der Dünndarmschlinge und die Präsenz nur einer einzigen Anastomose) mit Elementen des BPD-DS (Magenverkleinerung mittels Schlauchmagen-Operation und postpylorische Anastomose mit dem Dünndarm). Die Länge des «common channel» beträgt 250–300 cm und ist somit deutlich länger als beim klassischen BPD-DS (Abb. 6). Diese Technik wird in den letzten Jahren vermehrt bei Patienten eingesetzt, die nach einer Schlauchmagen-Operation einen ausgeprägten Wiederanstieg ihres Gewichtes erleiden oder primär nur unzureichend abnehmen. Verlässliche Langzeitdaten fehlen zu diesem Verfahren bisher noch, so dass unseres Erachtens weiterhin Zurückhaltung bezüglich dessen Anwendung geboten ist.
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Universitätsspital Zürich, Klinik für Viszeralchirurgie,
& Spital Männedorf AG, Klinik Chirurgie
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m.bueter@spitalmaennedorf.ch
Dr. med. Guillaume Aeby: kein Interessenkonflikt. Prof. Dr. med. Bernd Schultes ist Vize-Präsident der SMOB.
Prof. Dr. med. Marco Bueter ist Präsident der SMOB. Er gibt an Vortragstätigkeiten für die Firmen Johnson & Johnson und Medtronic durchzuführen.
◆ Die in der Schweiz am häufigsten durchgeführte bariatrische Operation ist der proximale Roux-en-Y-Magenbypass (RYGB), gefolgt von der Schlauchmagenresektion (Sleeve).
◆ Beide Verfahren (RYGB/Sleeve) liefern etwa ähnliche Langzeitergebnisse. Bezüglich der Verbesserung der Glucosestoffwechselkontrolle bei Typ 2 Diabetes mellitus sowie bei vorbestehender gastroösophagealer Refluxkrankheit bietet der Roux-en-Y-Magenbypass jedoch Vorteile.
◆ Die Schlauchmagen-Operation ist hingegen mit weniger Mikronährstoffmängeln sowie einem seltenen Auftreten von Dumpingsymptomen im Vergleich zum RYGB assoziiert.
◆ Das gehäufte Auftreten einer gastroösophagealen Refluxerkrankung in Verbindung mit potenziell malignen Schleimhautveränderungen begründet die im internationalen Vergleich zurückhaltende Anwendung der Schlauchmagen-Operation in der Schweiz.
◆ Die Implantation eines Magenbandes wird aufgrund unbefriedigender Langzeitergebnisse heute nur noch selten durchgeführt.
◆ Die Indikation zum Einsatz eines biliopankreatischen Diversion (BPD) Verfahrens muss aufgrund der grossen Gefahr des Auftretens von Mangelzuständen und von Nierensteinen zurückhaltend gestellt werden.
1. SMOB.ch – Start [Internet]. [cited 2023 May 11]. Available from: https://www.smob.ch/de/
2. Salminen P, Helmiö M, Ovaska J, Juuti A, Leivonen M, Peromaa-Haavisto P, et al. Effect of Laparoscopic Sleeve Gastrectomy vs Laparoscopic Roux-en-Y Gastric Bypass on Weight Loss at 5 Years Among Patients With Morbid Obesity: The SLEEVEPASS Randomized Clinical Trial. JAMA. 2018 Jan 16;319(3):241–54.
3. Peterli R, Wölnerhanssen BK, Peters T, Vetter D, Kröll D, Borbély Y, et al. Effect of Laparoscopic Sleeve Gastrectomy vs Laparoscopic Roux-en-Y Gastric Bypass on Weight Loss in Patients With Morbid Obesity: The SM-BOSS Randomized Clinical Trial. JAMA. 2018 Jan 16;319(3):255–65.
4. Schauer PR, Bhatt DL, Kirwan JP, Wolski K, Aminian A, Brethauer SA, et al. Bariatric Surgery versus Intensive Medical Therapy for Diabetes – 5-Year Outcomes. N Engl J Med. 2017 Feb 16;376(7):641–51.
5. Howard R, Chao GF, Yang J, Thumma J, Chhabra K, Arterburn DE, et al. Comparative Safety of Sleeve Gastrectomy and Gastric Bypass Up to 5 Years After Surgery in Patients With Severe Obesity. JAMA Surg. 2021 Dec 1;156(12):1160–9.
6. Felsenreich DM, Kefurt R, Schermann M, Beckerhinn P, Kristo I, Krebs M, et al. Reflux, Sleeve Dilation, and Barrett’s Esophagus after Laparoscopic Sleeve Gastrectomy: Long-Term Follow-Up. Obes Surg. 2017 Dec;27(12):3092–101.
7. Genco A, Soricelli E, Casella G, Maselli R, Castagneto-Gissey L, Di Lorenzo N, et al. Gastroesophageal reflux disease and Barrett’s esophagus after laparoscopic sleeve gastrectomy: a possible, underestimated long-term complication. Surg Obes Relat Dis. 2017 Apr;13(4):568–74.
8. Skogar ML, Sundbom M. Early complications, long-term adverse events, and quality of life after duodenal switch and gastric bypass in a matched national cohort. Surg Obes Relat Dis. 2020 May;16(5):614–9.
9. Robert M, Espalieu P, Pelascini E, Caiazzo R, Sterkers A, Khamphommala L, et al. Efficacy and safety of one anastomosis gastric bypass versus Roux-en-Y gastric bypass for obesity (YOMEGA): a multicentre, randomised, open-label, non-inferiority trial. Lancet. 2019 Mar 30;393(10178):1299–309.
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- Vol. 13
- Ausgabe 6
- Juni 2023