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Ulcus cruris, Dekubitus und DFS

Chronische Wunden in der Hausarztpraxis

Chronische Wunden sind in der Hausarztpraxis keine Seltenheit. Studien aus den USA und Deutschland gehen davon aus, dass rund 1-2% der Erwachsenen betroffen sind (1, 2). Eine Umfrage der Schweizerischen Gesellschaft für Wundbehandlung (SAfW) in einer Region mit über 400 Grundversorgern hat 2019 gezeigt, dass grundsätzlich 75% der Ärzte am Thema der chronischen Wunden interessiert sind, dass aber nur 15% regelmässig (> 1 Fall/Woche) Wundpatienten behandeln. Von einer chronischen Wunde spricht man in der Regel, wenn eine Wunde trotz adäquater Therapie nach acht Wochen nicht abgeheilt ist.



Auch bei chronischen Wunden gilt, dass vor einer Therapie eine Diagnose gestellt werden sollte. Im Praxisalltag findet sich die Mehrheit der chronischen Wunden im Bereich der unteren Extremität. Sie können in drei Hauptkategorien eingeteilt werden:

  • Ulcus cruris
  • Dekubitus
  • Diabetisches Fuss-Syndrom (DFS).

Während beim Dekubitus und DFS die Ätiologie weitgehend klar ist, braucht das Ulcus cruris eine weitergehende Abklärung. Die drei häufigsten Ursachen des Ulcus cruris machen in der Hausarztpraxis bis zu 90% aus und können mit einfachen Mitteln diagnostiziert werden (Tab. 1). Beim venösen Ulcus cruris kann die Pathologie sowohl das oberflächliche (Varikose) als auch das tiefe Venensystem (postthrombotisches Syndrom) betreffen. Bei beiden Formen finden sich die typischen Hautveränderungen der chronischen venösen Insuffizienz wie Ödem, Hyperpigmentierung, Corona phlebectatica, Stauungsdermatitis, Atrophie blanche und in späten Stadien auch eine Dermatoliposklerose (Abb. 1). Venöse Ulcera finden sich oft an typischer Stelle am medialen Unterschenkel.

Das arterielle Ulcus tritt in der Regel am lateralen Unterschenkel oder prätibial auf, findet sich aber oft auch im Fussbereich. Nebst der Anamnese mit dem Vorhandensein von vaskulären Risikofaktoren hilft ein pathologischer Pulsstatus bei der Diagnose. Eine Claudicatio kann hinweisend sein, fehlt aber nicht selten bei Diabetikern und älteren Personen mit eingeschränkter Mobilität. Letztlich wird das arterielle Ulcus anhand einer verminderten Perfusion diagnostiziert, was mit der Messung der Knöchelverschlussdrücke erfolgt. Ein Knöchel-Arm-Index (KAI oder ABI für engl. Ankle-Brachial-Index) von unter 0.9 beweist eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK). Je tiefer der ABI, desto schwieriger wird die Wundheilung. Bei Werten unter 0.4 kann eine chronische kritische Ischämie vorliegen, eine Abheilung von Läsionen ist spontan kaum mehr möglich (4). Beim gemischten Ulcus cruris finden sich Pathologien im venösen wie auch arteriellen Bereich, die Behandlung ist entsprechend schwieriger. Die arterielle Komponente hat bei der Behandlung immer Vorrang.
Wenn eine klare Zuteilung zu den drei Hauptursachen des Ulcus cruris nicht möglich ist, entstehen oft diagnostische Schwierigkeiten. In diesen Fällen muss an eine grosse Zahl von möglichen, insgesamt aber seltenen Ursachen gedacht werden. Tabelle 1 nennt einige dieser Ursachen, ist aber nicht abschliessend, die Differentialdiagnose des Ulcus cruris enthält mehr als 70 Entitäten (5). Serologische Tests (z.B. bei vaskulitischen Ulcera) und eine Hautbiospie können auch in der Hausarztpraxis durchgeführt werden. Eine Stanzbiopsie sollte bei einer ätiologisch unklaren und insbesondere bei nicht heilenden Wunden spätestens nach 4 Wochen durchgeführt werden. Seltene Ursachen können zum Beispiel bei atypischer Lokalisation, ungewöhnlicher Morphologie, fehlender Wundheilung trotz adäquater Therapie sowie bei inadäquat starken Schmerzen vermutet werden. Falls keine spezifische Diagnose gestellt werden kann, sollte früh daran gedacht werden, den Patienten zur Abklärung und/oder Behandlung weiterzuweisen (z.B. Angiologie, Dermatologie, Diabetologie, Chirurgie). Eine Weiterweisung an ein anerkanntes Wundzentrum kann eine sinnvolle Alternative sein. Die SAfW hat bisher 24 Zentren (www.safw.ch) anerkannt, die Betroffene mit einer chronischen Wunde nachweislich mit hoher Kompetenz betreuen können.

Therapiemanagement

Zur kausalen Therapie des venösen Ulcus cruris gehört die Kompression und Sanierung der bestehenden Varikosis. Die Kompression erfolgt in der Entstauungsphase mit Verbänden (Kurzzugbinden
oder Mehrkomponentensysteme), anschliessend mit einem Ulcus-Strumpfsystem. Zur Rezidivprophylaxe sind medizinische Kompressionsstrümpfe indiziert. Die Grundversorger sollten auf eine konsequente Anwendung achten, da diese Therapie eine hohe Evidenz aufweist (8). Die Sanierung von Stamm- und Astvarizen beschleunigt die Abheilung von venösen Ulcera. Dazu kann entweder ein endovenöses oder ein chirurgisches Vorgehen gewählt werden, die Sklerotherapie wird oft ergänzend aber auch als Einzelmassnahme eingesetzt. Beim arteriellen Ulcus sollte die Perfusion am betroffenen Bein verbessert werden. Dies geschieht bevorzugt mit einer perkutanen transluminalen Angioplastie (PTA), gegenüber der Gefässchirurgie besteht der grosse Vorteil der geringeren Invasivität. Die kausale Behandlung der übrigen Ursachen des Ulcus cruris ist diagnoseabhängig und erfordert oft die Mitbetreuung der entsprechenden Spezialisten.
Beim Diabetischen Fuss-Syndrom und beim Dekubitus liegt als gemeinsame Ursache eine Druckschädigung vor. Beim DFS ist die Neuropathie entscheidend, sie führt dazu, dass der Patient den pathologischen Druck, z.B. durch falsches Schuhwerk, nicht bemerkt. Entsprechend wird sowohl das DFS als auch ein Dekubitus mittels Druckentlastung behandelt. Die Konsequenz bei der Druckentlastung entscheidet über den Therapieerfolg. Beim Malum perforans – das neuropathische Ulcus an der planta pedis – erreicht man eine Abheilung oft erst, wenn das Bein vollständig entlastet wird. Hier hat sich der Vollkontaktgips (Total Contact Cast) als Goldstandard erwiesen.  Zu einem ganzheitlichen Behandlungskonzept gehört auch die Beurteilung des Ernährungszustandes des Patienten. Auch wenn es wenig Evidenz gibt, macht es Sinn, dass eine oft vorhandene Mangelernährung vermieden bzw. konsequent behandelt wird (9).

Lokales Wundmanagement

Die Evidenz der feuchten Wundversorgung basiert auf den Erkenntnissen von Georg G. Winter, der bereits 1962 nachweisen konnte, dass die Epithelisierung in einem feuchten Wundmilieu schneller erfolgt (10). Makrophagen und Fibroblasten – Zellen, welche für die Wundheilung unabdingbar sind – können auf einem trockenen Wundgrund nicht überleben. Feuchte Bedingungen sind ideal für die neutrophilen Zellen. Gleichzeitig werden Enzyme ausgeschüttet, die das autolytische Débridement fördern. In einer Metaanalyse von 170 publizierten Studien wurde die klinische Evidenz für hydro­aktive Wundauflagen untersucht (11). Die Überlegenheit hydro­aktiver Wundauflagen zeigte sich unabhängig der Kausaltherapie, obwohl tendenziell eine grössere Überlegenheit in den Studien mit Angabe zur Kausaltherapie vorlag. Die Autoren konnten nachweisen, dass mit hydroaktiven Wundauflagen die Chance auf eine Abheilung mit 52% signifikant höher ist. Die Überlegenheit einer bestimmten Wundauflage konnte aber nicht nachgewiesen werden.
Die Tab. 2 enthält die Anforderungen an den idealen Wundverband, die bereits 1979 von Turner formuliert wurden (12). Es gibt keine Wundauflage, welche in jeder Wundsituation geeignet ist. Die Aufgabe des Verbandes besteht darin, ein optimales Feuchtigkeitsmilieu zu schaffen und so das autolytische Débridement und die Bildung von Granulationsgewebe zu fördern. Deshalb ist das Exsudatmanagement eines der wichtigsten Kriterien bei der Wahl der Wundauflage. Dabei müssen die Wundheilungsphase und die bakterielle Besiedelung der Wunde bekannt sein.
Eine adäquate Wundreinigung ist nebst der kausalen Therapie der Wundursache eine Voraussetzung für die Wundheilung. Eine Grundreinigung (mechanisches Débridement) erfolgt meistens mit Tupfer und mit isotonischer Kochsalzlösung/Wundspüllösung und einer Nass-Trocken-Phase. Nicht empfohlen ist hingegen die routinemässige Anwendung von Antiseptika (13). Die schnellste und effektivste Wundreinigung ist das chirurgische Débridement. Avitales Gewebe und Beläge werden bis in intakte Strukturen abgetragen. Dazu werden Pinzette, Skalpell, Ringkürette und Wasserstrahldruck verwendet. Die autolytische Wundreinigung unterstützend, stehen heute eine Vielzahl an verschiedenen Wundauflagen zur Verfügung. Die Hauptgruppen (Tab. 3) besitzen unterschiedliche Eigenschaften, der korrekte Einsatz erfordert viel Fachwissen und Erfahrung. Dank den feuchtigkeitsregulierenden Eigenschaften müssen die Verbände nicht mehr täglich gewechselt werden. Dies dient einerseits der Wundruhe, andererseits fallen die Kosten geringer aus, da die Zeit des involvierten Personals immer noch der grösste Kostenfaktor ist. Die teilweise beachtlichen Preise der Wundauflagen rechtfertigen sich, wenn die Intervalle des Verbandwechsels möglichst lang sind und die Wunden mit deren Hilfe schneller abheilen. Dies bedingt jedoch ein grosses Wissen der involvierten Therapeuten und einen Einsatz nach den WZW-Kriterien. Eine Kosten-Nutzen-Analyse dazu lässt sich aber kaum finden. In der Praxis zeigt sich, dass sich eine effiziente und kostensparende Wundheilung am besten durch ein interdisziplinäres Team realisieren lässt. Hausärzte, Spezialärzte und Wundexpertinnen ergänzen sich optimal in der Behandlung komplexer Wundsituationen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Abklärung und Kausaltherapie, die adäquate Reinigung und Behandlung mit hydroaktiven, phasengerechten Wundauflagen in einem interdisziplinären Team, die besten Voraussetzungen für das rasche Abheilen einer chronischen Wunde sind.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Thomas Zehnder

Chefarzt Medizin
Spital Thun
Krankenhausstrasse 12
3600 Thun

thomas.zehnder@spitalstsag.ch

Wundexpertin SAfW, MAS in WoundcareElisabeth Kohler-von Siebenthal

SPITEX Region Interlaken AG
Untere Gasse 2
3800 Unterseen

Die Autoren sind Vorstandmitglieder im Verein «Schweizerische Gesellschaft für Wundbehandlung» SAfW und haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine anderweitigen Interessenskon­flikte zu deklarieren.

Chronische Wunden im Bereich der unteren Extremitäten fallen in den meisten Fällen in die Kategorien Ulcus cruris, Dekubitus oder Diabetisches Fuss-Syndrom. Bei den letzteren Beiden liegt als gemeinsame Ursache eine Druckschädigung vor.
◆ Gegen 90% aller Ulcera cruris in der Hausarztpraxis sind venöser, arterieller oder gemischt venös-arterieller Genese.
◆ Ein ABI unter 0.9 beweist eine PAVK und bei einem Wert unter 0.4 ist eine spontane Abheilung eines Ulcus nicht mehr zu erwarten.
◆ Die Kausaltherapie umfasst beim venösen Ulcus die Kompressionsbehandlung und Sanierung der Varikosis, beim arteriellen Ulcus die Verbesserung der Perfusion, beim DFS und dem Decubitus eine konsequente Druckentlastung.
◆ Bezüglich lokaler Wundbehandlung fördert eine feuchte Wundversorgung die Wundheilung mit hoher Evidenz. Die Überlegenheit von hydroaktiven Wundauflagen konnte unabhängig von der Kausaltherapie gezeigt werden.