- Clinical Pearls: Ein Feuerwerk von speziellen Fallvignetten
Eine Reihe von speziellen Fällen aus der Praxis bereicherte auch in diesem Jahr das Programm der SGAIM-Herbsttagung. Prof. Dr. med. Martin Krause präsentierte unerwartete Notfälle, die in die Klinik für Innere Medizin am Kantonsspital Münsterlingen eingewiesen worden waren.
Fall 1: Bei diesem handelt es sich um einen 23-jährigen Studenten, der in der Notfallambulanz vorstellig wird. Er ist mit dem linken Fuss (barfuss) in einen Rechen getreten, hat eine Schwellung an der Fusssohle und rote Pappeln am inneren Fussrand, berichtete

Prof. Dr. med. Martin Krause, Münsterlingen. Es erfolgt eine Eiterentleerung aus einer der Verletzungsstellen. Nach einer Woche Behandlung mit Ciprofloxacin po stellt sich wenig Besserung ein. Um welchen Erreger könnte es sich handeln?
Der Referent zählt die folgenden möglichen Erreger dieser Infektion auf: Staphyloccus aureus, Sporothrix schenkii, Nocardia asteroides, Mycobacterium marinum und Leishmania infantum.
Der Patient besitzt ein Aquarium, neben welchem der Rechen lag. Damit erhebt sich der Verdacht auf eine Infektion mit Mycobacterium marinum (Schwimmbadgranulom). Die Kultur/PCR erfolgt aus einer Hautbiopsie.
Die Behandlung mit Clarithromycin 2 x 500 mg (plus Ethambutol/Rifampicin) wurde bis zur Abheilung durchgeführt und 2 zusätzliche Monate, d.h. 4-6 Monate lang.
Fazit:
Bei Aquariumbesitzern mit Infektion an Mycobacterium marinum denken.
Fall 2: Bei einer zweiten klinischen Perle handelte es sich um einen Architekten, der über rechtsseitige Oberbauchschmerzen, Appetitlosigkeit, Erbrechen und dunklen Urin klagte. Der Patient hat gelbe Augen. Er trinkt ein Glas Wein alle 2 Tage und nimmt keine Medikamente. Vor zwei Monaten war er in Ungarn auf der Jagd. Der Patient ist 184 cm gross, hat einen BMI von 28.4 kg/m2, er weist einen Ikterus auf, keine Kratzspuren, Druckdolenz im rechten Oberbauch. Seine Laborwerte sind Bilirubin 226 µmol/l (< 17), ASAT 2135 U/l (< 50), ALAT 2788 U/l (< 50), Alk. Phosphatase 131 U/l (< 129), gamma-GT 220 U/l (< 66), INR 1.6.
Handelt es sich um eine aethylische, virale oder medikamentöse Hepatitis oder eine Cholangitis? Die Zuhörerschaft tippt mit überwiegender Mehrheit auf eine virale Hepatitis. Die Virusserologie ergibt eine Hepatitis-E-Infektion (serologisch und PCR).
Die E-Virus-Hepatitis ist die häufigste virale Hepatitis, so der Referent. Weltweit gibt es 20 Mio. HEV-Infektionen pro Jahr. 3.3 Mio. sind symptomatisch, 60000 Todesfälle werden jährlich registriert. Die HEV-Seroprävalenz in der Schweiz beträgt 5-20% beim Menschen, 12% bei Wildschweinen und > 50% bei Hausschweinen. Die Übertragung erfolgt von Tieren über die Lebensmittelkette auf den Menschen (Europa und Nordamerika). In Teilen Asiens, Afrikas und Mexikos gelangt das Virus fäko-oral, d.h. durch die direkte oder indirekte Einnahme von Fäkalien, in den Organismus. Dies geschieht meistens durch kontaminiertes Wasser. HEV-Infektionen sind meldepflichtig. Es existiert eine Impfung gegen HEV.
Fazit des Referenten:
Jäger oder Liebhaber von Wild mit einer Gelbsucht = Hepatitis E.
Fall 3: betrifft einen 34-jährigen Mann, der seit 6 Wochen an Kopfschmerzen vom Nacken nach frontal ausstrahlend leidet. Er arbeitet in der IT-Branche, lebt allein.
Es wird bei ihm eine Wesensveränderung festgestellt, Fehlleistungen am Arbeitsplatz, Antriebsminderung, Gleichgültigkeit, Rückzug aus dem Freundeskreis. Es erfolgen zahlreiche Mahnungen und schliesslich die Kündigung der Arbeitsstelle, KESB.
Status: antriebslos, orientiert. Internistischer sowie neurologischer Status unauffällig. Im Labor werden keine Elektrolytstörungen gefunden, Nieren- und Leberfunktion normal.
Im MRI wird ein Tumor festgestellt. Folgende Diagnosen werden durch den Referenten hervorgehoben: Malignes Meningeom, Melanom-Metastase, Glioblastoma multiforme, Herpesenzephalitis, Cocain-induzierter «stroke». Die Zuhörerschaft tippt mehrheitlich auf ein Glioblastom.
Fazit:
Ein Neurostatus ohne fokale Ausfälle und der depressiv-inhibitorische Symptomkomplex passen zu einem Glioblastom.
Fall 4: eine 66 Jahre alte Frau aus der Psychiatrie mit einer Selbstgefährdung und Aggression und einer Vigilanzverminderung. Sie war kaum ansprechbar (soporös). Der Blutdruck betrug 160/85 mmHg, Herzfrequenz 108/min, AF 20/min, Temperatur 37.8°C, sO2 88%. Kein Meningismus, Pupillen isokor und lichtreagibel, kein fokal neurologisches Defizit. Laborwerte: Na 144 mmol/l, Ca 4.70 mmol/l (2.1-2.6), Mg 1.00 mmol/l (0,7- 1.1), Kreatinin 388µmol/l, Phosphat 1.78 mmol/l (0.87-1.45). Auffällig war der hohe Calciumwert. Erklärt das hohe Calcium die Vigilanzverminderung? Etwa 60% meinen Ja, je ca. 20% nein oder vielleicht. Ist die Niereninsuffizienz durch das hohe Calcium zusammen mit dem hohen Phosphat erklärt? Etwas mehr als die Hälfte der Zuhörerschaft meint Ja. Für die weitere Untersuchung ist die Bestimmung des Parathormons entscheidend. Dabei ergab sich ein Wert von 233pmol/l! (Norm 1.6-6.9). Normalerweise ist bei hohem Ca das Parathormon tief und umgekehrt. Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen Hyperparathyreoidismus. Die operative Entfernung der krankhaften Nebenschilddrüsen stellt bei einer Nebenschilddrüsenüberfunktion die einzige therapeutische Option dar.
Fazit:
Hypercalcämie macht zerebrale Symptome, hohes Calcium/Phosphatprodukt = Risikofaktor für Organ- und Gefässverkalkungen. Entscheidender Parameter in der Abklärung einer Hypercalcämie ist das Parathormon.
Fall 5: Eine 55-jährige Frau beklagt, dass sie seit 6 Monaten Schnupfen habe und nie mehr gesund sei. Vor 4 Jahren erkrankte sie an einem Burkitt Lymphom. Die Frau hat Gesichtsschmerzen, eitrige Rinorrhoe, Schleim im Hals, morgendlicher Husten mit eitrigem Auswurf, verstopfte Ohren mit Taubheitsgefühl, Konjunktivitis bds.
Handelt es sich um eine Allergie, einen Immundefekt oder ein Rezidiv des Burkitt-Lymphoms? Die Zuhörerschaft äussert sich mehrheitlich für einen Immundefekt. Die Frau weist keine Eosinophilie auf, und keine IgE gegen Katzenhaare, aber ein tiefes IgA mit 0.06 g/l > 0.7), IgG 2.4 g/l (> 6.9), IgM ist nicht nachweisbar. Vor 4 Jahren erhielt die Patientin Rituximab-Hyper-CVAD, Rituximab-Methotrexat-Cytarabin. Es handelt sich um ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom.
Fazit:
Nach Rituximab-Therapie kann ein jahrelanger symptomatischer Immunglobulinmangel entstehen.
Fall 6: Kann eine Hypophosphatämie Bewusstseinsverminderung, Gefühlsstörungen und Kraftlosigkeit verursachen?
Der Referent stellt eine 45-jährige Frau mit diesen Symptomen vor. Bereits vor 2 Monaten hatte sie ein ähnliches Ereignis. Der Phosphatwert beträgt 0.18 mmol/l (> 0.87). Ein Phosphatwert < 0.32 mmol/l bedeutet schwere Hypophosphatämie. Er geht einher mit metabolischer Encephalopathie (Delir, Krampfanfälle, Koma), Muskelschwäche/Rhabdomyolyse, Ateminsuffizienz. Die Blutgasanalyse ergibt einen pH-Wert von 7.68, pCO2 1.9kPa, pO2 15.5 kPa, HCO3 18 mmol/l. Es handelt sich um eine akute respiratorische Alkalose. Die Patientin erhält 1mg Lorazepam. 4 Stunden später ist der Phosphatwert von 0.17 auf 0.69mmol/l angestiegen.
Fazit:
Eine akute respiratorische Alkalose induziert einen Phosphat-Shift nach intrazellulär und dadurch eine schwere Hypophosphatämie. Diese muss nicht substituiert werden – sie ist nach der Korrektur der Hyperventilation rasch reversibel.
Quelle: SGAIM-Herbsttagung, St. Gallen 20.09.2019
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