- Das Reizdarmsyndrom – ein häufig unerkanntes Leiden
Das Reizdarmsyndrom (irritable bowel syndrome, IBS) ist eine funktionelle Störung des Magen-Darm-Trakts, die durch chronische Bauchschmerzen und veränderte Darmgewohnheiten gekennzeichnet ist. Es ist für bis zu 50% der Konsultationen bei Gastroenterologen verantwortlich, wobei nur ein kleiner Teil der Betroffenen einen Arzt aufsucht. Bei etwa 40% der Personen, die die Diagnosekriterien für ein IBS erfüllen, wird die Diagnose nicht gestellt. In diesem Kurzüberblick werden diagnostische Kriterien und die wichtigsten Differentialdiagnosen erläutert.
Irritable bowel syndrome (IBS) is a functional disorder of the gastrointestinal tract characterized by chronic abdominal pain and altered bowel habits. It accounts for up to 50% of consultations with gastroenterologists, with only a small proportion of sufferers seeing a doctor. Approximately 40% of individuals who meet diagnostic criteria for IBS are not diagnosed. In this brief overview, diagnostic criteria and the most important differential diagnoses are explained.
Key Words: irritable bowel syndrome, IBS, abdominal pain, flatulence, belching, diarrhea, constipation
Unterleibsschmerzen beim Reizdarmsyndrom werden in der Regel als ein krampfartiges Gefühl unterschiedlicher Intensität beschrieben. Ort und Art der Schmerzen können sehr unterschiedlich sein und im Verlauf fluktuieren. Deren Schweregrad kann von leicht bis schwer reichen. Die Schmerzen stehen häufig im Zusammenhang mit der Defäkation. Während bei einigen Patienten die Bauchschmerzen nach dem Stuhlgang nachlassen, berichten andere über eine Verschlimmerung der Schmerzen beim Stuhlgang. Emotionaler Stress und Mahlzeiten können die Schmerzen akzentuieren.
Patienten mit Reizdarmsyndrom berichten auch häufig über Blähungen und eine erhöhte Gasproduktion in Form von Flatulenz oder Aufstossen. Zu den Symptomen des Reizdarmsyndroms gehören Durchfall, Verstopfung, abwechselnd Durchfall und Verstopfung oder normale Darmgewohnheiten im Wechsel mit Durchfall und/oder Verstopfung. Das Reizdarmsyndrom tritt gehäuft mit anderen Erkrankungen auf, darunter Fibromyalgie, chronisches Müdigkeitssyndrom, funktionelle Dyspepsie, nicht kardiale Brustschmerzen und psychiatrische Störungen wie Depression und Angstzustände.
Diagnosekriterien
Da es keinen biologischen Krankheitsmarker gibt, wurden mehrere symptombasierte Kriterien vorgeschlagen, um die Diagnose des Reizdarmsyndroms zu standardisieren. Die am häufigsten verwendeten Kriterien sind die Rom-IV-Kriterien (siehe auch Artikel «Chronische Bauchschmerzen» (1). Gemäss diesen ist das Reizdarmsyndrom definiert als wiederkehrende Bauchschmerzen, die im Durchschnitt mindestens an einem Tag pro Woche in den letzten drei Monaten aufgetreten sind und mit zwei oder mehr der folgenden Kriterien einhergehen:
- im Zusammenhang mit der Defäkation
- Verbunden mit einer Veränderung der Stuhlgangsfrequenz
- Verbunden mit einer Veränderung der Stuhlform (Aussehen)
Erstuntersuchung
In Hinblick auf die spätere Betreuung der Patienten gilt es, eine gute Arzt-Patienten-Beziehung zu etablieren. Die Anamnese dient dazu, klinische Manifestationen des Reizdarmsyndroms zu erkennen und «red flags» für schwerwiegende Erkrankungen zu identifizieren (Krankheitsbeginn nach dem 50. Lebensjahr, rektale Blutungen oder Meläna, nächtliche Symptome/Diarrhoe, progrediente Symptomatik, unerklärliche Gewichtsabnahme, ungeklärte Eisenmangelanämie). Auch Medikamente, die ähnliche Symptome bewirken können, sind zu erfassen. Die Familienanamnese sollte das Vorhandensein von entzündlichen Darmerkrankungen, Darmkrebs und Zöliakie umfassen. Die körperliche Untersuchung ist bei Patienten mit Reizdarmsyndrom in der Regel normal. Labor: Vollständiges Blutbild, bei Durchfällen zusätzlich fäkales Calprotectin, Test auf Lamblien, Zöliakie-Serologie (tTG-Ak). Coloskopie: Im Rahmen eines altersgerechten Darmkrebs-Screenings. Dieser eingeschränkte diagnostische Ansatz schliesst bei über 95% der Patienten eine organische Erkrankung aus.
Differentialdiagnose
Sie ist bei IBS breit gefächert. Bei vorwiegend diarrhöischen Symptomen sind andere wichtige Ursachen für chronischen Durchfall in Betracht zu ziehen wie Zöliakie, mikroskopische Kolitis, bakterielle Überwucherung des Dünndarms und entzündliche Darmerkrankungen (IBD). Verstopfung kann auf eine organische Erkrankung, eine dyssynergische Defäkation oder einen langsamen Kolontransit zurückzuführen sein.
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Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Die Abklärung und Betreuung von Patienten mit Verdacht auf IBS basieren auf einer guten Arzt-Patienten-Beziehung als Fundament.
◆ Darauf aufbauend soll versucht werden, die Diagnose positiv zu
stellen und organische Erkrankungen angemessen auszuschliessen, womit eine gute Chance besteht, eine solide Basis für die Behandlung zu erzielen.
◆ Bei fehlenden Alarmsymptomen und zunehmender Dauer von
abdominalen Schmerzzuständen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass funktionelle Schmerzzustände vorliegen.
1. der informierte arzt 2019; 9(2):16-18
der informierte @rzt
- Vol. 12
- Ausgabe 8
- August 2022