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Delir und Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz

Demenz und Delir sind häufige Krankheitsbilder, welche mit Desorientierung, «Verwirrtheit» und Verhaltensauffälligkeiten einhergehen können. Nicht selten ist es schwer beide Krankheitsbilder zu differenzieren, insbesondere dann, wenn im Vorfeld noch keine Demenzerkrankung diagnostiziert wurde. Dieser Artikel behandelt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Krankheitsbilder Delir und Demenz sowie die Behandlungsmöglichkeiten von Verhaltensauffälligkeiten, welche bei diesen Erkrankungen auftreten können.



Dementia and delirium are common diseases which can be associated with symptoms of desorientation and behavioural occurances. The differentiation of delirum and dementia might cause some difficulties especially if a neurocognitive disorder has not been diagnosed beforehand. This article tries to enlighten the similarities as well as the differences of these disorders as well as treatment options of behavioural symptoms which often occur in patients with delirium and/or dementia.
Key Words: delirium, dementia, neurocognitive disorder, behavioural and psychological symptoms of dementia

In der Schweiz litten im Jahr 2021 zirka 146’500 Menschen an einer Demenz, von diesen wurden 2019 rund 30’000 in Spitälern behandelt. Je älter ein Mensch ist, desto häufiger liegt eine Demenz­erkrankung vor. Bei über 90jährigen Schweizern/Schweizerinnen liegt die Prävalenzrate bei ca. 40%. Man geht davon aus, dass in der Schweiz jährlich 31’375 Menschen neu an einer Demenz erkranken (1, 2). Die Demenz egal welcher Ätiologie ist somit eine häufige Erkrankung insbesondere der älteren Menschen.

Psychische und Verhaltenssymptome der Demenz

Psychische und Verhaltenssymptome der Demenz (engl. Behavioral and psychological Symptoms of Dementia – BPSD) treten im Verlauf einer Demenzerkrankung bei einer Mehrheit der Patienten/Patientinnen auf. Oft können sie auch Frühsymptome einer Demenzerkrankung sein. Unter psychischen und Verhaltens­symptomen einer Demenz versteht man zum Beispiel Apathie, Unruhe, Aggression, Halluzinationen, Depression oder Angst. Diese Symptome können individuell und im Krankheitsverlauf stark variieren und sich verändern. Die Ursache dieser Symptome ist multifaktoriell. Es wird davon ausgegangen, dass die Demenzerkrankung die Neurotransmittersysteme verändert, was zu einer erhöhten Vulnerabilität des Gehirns in Bezug auf Stressoren wie zum Beispiel geänderte Umgebungsbedingungen, eine nicht adäquate Kommunikation oder Schmerzen führt (3, 4, 5). BPSD führen häufig zur Überforderung pflegender Angehöriger und infolgedessen zu einer Hospitalisierung und/oder Institutionalisierung von Menschen mit Demenz.

Delir

Ein Delir tritt bei ca 25% (6, 7) der hospitalisierten Patienten/Patientinnen auf. Eine vorbestehende Demenzerkrankung und ein fortgeschrittenes Alter sind dabei wesentliche Risikofaktoren. Die Diagnosekriterien nach DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) für ein Delir bedingen neben einer Aufmerksamkeitsstörung als Hauptmerkmal einen raschen Beginn mit fluktuierenden Symptomen im Tagesverlauf sowie eine somatische Ursache bzw. einen Substanzgebrauch oder Subtanzentzug als Ursache. Zudem können kognitive Funktionen wie Gedächtnis oder Sprache beeinträchtigt sein (8). Häufig kommt es im Delir zu Veränderungen der Emotionalität wie zum Beispiel Angst und Aggression. Auch eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus mit nächtlicher Unruhe und Tag-Nacht-Umkehr ist ein häufiges Symptom bei Patienten/Patientinnen mit Delir.

Klinisch sind somit BPSD und ein Delir schwer zu differenzieren.

Unterscheidung der beiden Krankheitsbilder

Möglichkeiten zur Unterscheidung der beiden Krankheitsbilder ergeben sich aus der Anamnese, den klinischen und laboranalytischen Untersuchungen wie auch aus dem Verlauf zum Beispiel im Rahmen einer Hospitalisation oder auch einer Eingewöhnung in ein Alters- und Pflegeheim.

In der Anamnese liegt ein Hauptfokus darauf herauszufinden, wie lange die Veränderungen schon bestehen und ob sie sich schnell oder schleichend entwickelt haben. So entwickeln sich die Symptome eines Delirs typsicherweise akut über wenige Stunden bis perakut in bis zu zwei Wochen bis zum klinischen Vollbild. Psychische Symptome und Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz dagegen entwickeln sich häufig schleichend. So wird beispielsweise der Verwirrtheits­zustand mit Agitation und Aggression bei Delir von den Angehörigen als völlig neues und beunruhigendes Krankheits­bild erlebt und der Patient/die Patientin als ganz anders als sonst beschrieben. Bei Agitation und Aggression im Rahmen von BPSD dagegen berichten die Angehörigen, dass dies schon immer mal wieder vorgekommen sei, im langfristigen Verlauf zugenommen habe und nun durch die pflegenden Personen nicht mehr tragbar sei.

In der klinischen Untersuchung und ggf. auch in der Beobachtung der Patienten/Patientinnen achten wir auf Zeichen von Schmerzen, Verletzungen zum Beispiel als Folge von Stürzen und Hinweise auf eine Infektion. Insbesondere schliessen wir einen Harnverhalt aus und achten auf regelmässigen Stuhlgang. Harnverhalt und Obstipation sind – besonders bei Patienten/Patientinnen mit Demenz, die ihre Beschwerden nicht mehr klar äussern können – häufig Auslöser eines einfach zu behandelnden Delirs. Nicht selten ist ein Delir das einzige Symptom eines Infektes bei betagten Menschen.

Menschen mit Demenz können sowohl an einem Delir als auch an Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Symptomen der Demenz leiden. So kann zum Beispiel ein Harnwegsinfekt bei einem Patienten/einer Patientin mit Demenz und vorbestehenden leichten Verhaltensauffälligkeiten zu einer Zunahme der Auffälligkeiten führen – jedoch auch zu einem Delir mit zusätzlich vorher nicht bestehender Aufmerksamkeitsstörung sowie Fluktuationen im Tagesverlauf und neuer Störung des Tag-Nacht-Rhythmus. Hier gilt es bei einer Verschlechterung von BPSD an ein mögliches Delir zu denken und die Auslöser mittels klinischer Untersuchung und ggf. Laboruntersuchung zu finden. Nach Behandlung des Auslösers – also zum Beispiel des Harnwegsinfektes – bilden sich die Symptome des Delirs wieder zurück. Die vorbestehenden Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz können wie vor dem Delir aber auch aggraviert weiterbestehen.

Ein Delir führt häufig zu einer Verschlechterung einer vorbestehenden Demenz (9). Es können als Folge eines Delirs nicht nur eine Verschlechterung des kognitiven Zustandes, sondern auch neue Verhaltensauffälligkeiten oder eine Zunahme vorbestehender Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz auftreten.

Behandlungsmöglichkeiten

Die Behandlung von Verwirrtheitszuständen im Rahmen von BPSD und Delir ist sehr ähnlich. Zunächst müssen auslösende Faktoren identifiziert und behandelt werden – zum Beispiel ein Harnwegs­infekt mit Antibiotika, eine kardiale Dekompensation mit Diuretika, eine Obstipation mit abführenden Massnahmen. Zudem stehen pflegerische Massnahmen wie Mobilisation, Verbesserung der Kommunikation und ein empathischer Umgang im Vordergrund (10). Insbesondere hat sich das TADA-Prinzip bewährt: Tolerate, anticipate, don’t agitate (11).

Neuroleptika und andere sedierende Medikamente sollten nur bei akuter Selbst- und Fremdgefährdung eingesetzt werden. Bei BPSD kann Risperdal als einzig zugelassenes Medikament in niedriger Dosierung bei starker Belastung des Umfeldes eingesetzt werden.
Das häufig verwendete Medikament Quetiapin ist in der Behandlung des Delirs und bei BPSD off label und sollte daher nur mit sehr strenger Indikationsstellung angewendet werden.

Haldol ist für die Behandlung eines Delirs sowie psychomotorischer Unruhezustände im Rahmen einer Alzheimer-Krankheit zugelassen, jedoch nur dann, wenn nicht-pharmakologische Therapien erfolglos waren und bei einem Risiko für Selbst- oder Fremd­gefährdung.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Isabella Glaser

Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER
Burgfelderstrasse 101
4055 Basel

Dr. phil. Wolfgang Hasemann

Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER
Burgfelderstrasse 101
4055 Basel

Deborah L. Leuenberger

Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER
Burgfelderstrasse 101
4055 Basel

Im Zusammenhang mit diesem Artikel wurden keine Interessenskonflikte deklariert.

◆ BPSD und Delir sind häufige Krankheitsbilder bei alten Menschen, insbesondere mit Demenzerkrankungen.
◆ Beide Krankheitsbilder können ähnliche Symptome aufweisen
(z.B. Unruhe, Aggression, Störung des Tag-Nacht-Rhythmus).
◆ Die Ursachen eines Delirs sind multifaktoriell.
◆ Eine gute Anamnese kann helfen zwischen BPSD und Delir zu
unterscheiden.
◆ Bei der Behandlung von BPSD und Delir stehen nicht-pharma-­
kolo­gische Therapien im Vordergrund­.

1. Alzheimer Europe BFS STATPOP 2014-2020
2. Alzheimer Schweiz, Demenz in der Schweiz 2021. Zahlen und Fakten. 2021
3. S3-Leitlinie (Deutschland) Demenzen 2016
4. Savaskan, E. Recommendations for diagnosis and therapy of behavioral and psychological symptoms in dementia (BPSD)]. Praxis (Bern 1994), 103(3), 135-148.
5. Chakraborty S. Serotonergic system, cognition, and BPSD in Alzheimer’s disease. Neurosci Lett. 2019 704:36-44.
6. Ryan, D. J. Delirium in an adult acute hospital population: predictors, prevalence and detection. BMJ Open, 2013 3(1)
7. Wilson, J. E. Delirium. Nat Rev Dis Primers. 2020 6(1), 90
8. Maier, W. Neurokognitive Störungen (NCD). In P. Falkai & American Psychiatric Association (Eds.), Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen: DSM-5 (pp. 811-827). Hogrefe. 2015
9. Davis, D. H. Association of Delirium With Cognitive Decline in Late Life: A Neuropathologic Study of 3 Population-Based Cohort Studies. JAMA Psychiatry, 74(3), 244-251 2017.
10. Flaherty, J. H. The Delirium Room: A Restraint-Free Model of Care for Older Hospitalized Patients with Delirium. J Am Geriatric Soc 59 Suppl 2:S295-300. 2011
11. Malone, E. A. Capezuti, & R. M. Palmer (Eds.), Geriatrics Models of Care: Bringing ‘Best Practice’ to an Aging America (pp. 281-285). Springer International Publishing.