Diabetes Sprechstunde

Fallvorstellung

Diabetes mellitus Typ 2 und Niereninsuffizienz

Ein 72-jähriger pensionierter Zahnarzt leidet seit mindestens 15 Jahren an einem Diabetes mellitus Typ 2 im Rahmen eines metabolischen Syndroms. Bei der Kontrolluntersuchung finden Sie eine zunehmende Niereninsuffizienz. Welche therapeutischen Überlegungen sind angebracht. Im Artikel werden begründete Vorschläge präsentiert.



Der 72-jährige Mann mit langjährigem Diabetes mellitus Typ 2 erfreute sich über Jahre an einer guten Blutzuckereinstellung mit Metformin und seit ca. 2 Jahren zusätzlich Jardiance® 10 mg pro Tag. Er hat auf beide Medikamente gut angesprochen und HbA1c-Werte von 6.5-7% erreicht. Der Patient ist sehr bestrebt, die modernste und beste Therapie zu bekommen und kommt zu Ihnen in die Hausarztpraxis zur Besprechung. Er hat sich extra selber ein kapilläres Blutzuckermessgerät gekauft und misst nun ab und zu Nüchternblutzuckerwerte, meist um die
8 mmol/l und präprandiale Werte von ca. 8-10 mmol/l.

Soll die Therapie so belassen werden?

Bei einer eingeschränkten Nierenfunktion (eGFR <30ml/min) sollten Metformin und auch der SGLT-2 Hemmer abgesetzt werden. Obwohl die Blutzucker-senkende Wirkung von SGLT-2 Hemmern mit sinkender Nierenfunktion abnimmt, bleiben die reno- und kardioprotektiven Eigenschaften voll erhalten, was besonders bei einer LVEF von 45% zu berücksichtigen ist. In kardiovaskulären Endpunktstudien konnte mit Empagliflozin (Jardiance®) und v.a. mit Canagliflozin (Invokana®) der kardiovaskuläre und renale Nutzen bis zu einer eGFR von 30ml/min gezeigt werden.
Aus diesen Gründen könnte die Therapie von Jardiance belassen werden, sofern sich die Nierenfunktion nicht weiter verschlechtert. Allerdings sollte bei akuter Krankheit, Operation etc. das Jardiance sofort gestoppt werden (Gefahr der Ketoazidose).
Das Metformin könnte durch einen DPP-4-Hemmer Trajenta® (Linagliptin) 5mg ersetzt werden. Das wäre eine sichere Blutzucker-senkende Therapie, aber ohne positive Beeinflussung des reno- und kardiovaskulären Endpunktes.
Falls der BMI ≥ 28kg / m2 wäre, könnte auch eine Therapie mit einem GLP1-Rezeptoragonisten, zum Beispiel dem wöchentlich zu verabreichenden Ozempic (Semaglutid), welches bis zu einer eGFR von 10 ml/min gegeben werden kann, in Betracht gezogen werden. Die GLP1-RA haben nachweislich einen positiven Effekt auf kardiovaskuläre und renale Endpunkte.
Alternativ gäbe es noch eine Insulin-Therapie (Basisinsulin (z.B. Tresiba® oder Glargin300 Toujeo®)oder co-formuliertes Ryzodeg® (70% Insulin Tresiba und 30% NovoRapid)), oder allenfalls einen kurzwirksamen Sulfonylharnstoff ohne aktive Metaboliten (z.B. Gliclazid 30-60 mg/Tag). Beide Alternativem bringen ein Hypoglykämierisiko mit sich, wobei die ultralangen Insuline Tresiba® und Toujeo® ein wesentlich kleineres Hypoglykämierisiko haben, als NPH-Insulin, Mischinsuline (Mixtard, Humalog® Mix) oder Lantus® und Levemir®.

Ist der Diabetes mellitus Typ 2 mit HbA1c von 7.6% gut eingestellt?

Zuerst muss die Glaubhaftigkeit des HbA1c-Wertes hinterfragt werden, weil diverse auf die Erythropoese einwirkende Faktoren den HbA1c-Wert falsch hoch oder tief machen können. Bei vorliegendem Vitamin B12-Mangel wird der HbA1c-Wert eher überschätzt und bei chronischer Niereninsuffizienz ist er eher falsch tief. Die kapillär gemessenen Blutzuckerwerte ergeben grob einen Durchschnitt von ca. 9 mmol/l, was gut zum HbA1c von 7.6% passt und zeigt, dass sich die verändernde Wirkung vom Vitamin B12-Mangel und der Niereninsuffizienz etwa aufheben.
Beim 72-jährigen Patienten mit diversen Sekundärorganschäden ist das primäre Therapieziel keine Hypoglykämien und ein HbA1c-Wert von 7.6% akzeptabel (Ziel-HbA1c 7.5%). Falls eine Therapie ohne Hypoglykämierisiko eingesetzt wird z.B. SGLT-2 Hemmer, GLP-1 RA oder DPP-4 Hemmer möchte man ein möglichst normales HbA1c haben (<7.0%).
Der systolische Blutdruck liegt etwas zu hoch. Allerdings möchte man auch keinen diastolischen Blutdruck unter 70 mm Hg. Die grosse Differenz zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck lässt sich wahrscheinlich durch die typische Mediasklerose erklären. Allenfalls könnte die Dosis des ACE-Hemmers und/oder Calciumantagonisten noch etwas erhöht werden.

Multifaktorielle Therapie:

Das LDL-Ziel liegt in diesem Fall bei < 1.8 mmol/l. Es könnte ein Kombinationspräparat (Atorvastatin oder Rosuvastatin mit Ezetimib) gegeben werden.

Prof. Dr. med.Roger Lehmann

UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich

Roger.Lehmann@usz.ch

Dr. med. Matthias Ernst

USZ Zürich

matthias.ernst@usz.ch

RL: Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo Nordisk, Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca.
ME: Reise- und Kongressspesen von Eli Lilly und Ipsen.

  • Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 bei eGFR <30ml/min
    o Kein Metformin (Gefahr einer Laktatazidose)
    o Nachweisliche Verbesserung des kardiovaskulären und
    renalen Risikos:
    > SGLT2-Hemmer bis zu einer eGFR von 30ml/min mit
    nachweislich
    kardio- und renoprotektiver Wirkung (weniger
    Blutzuckersenkung)
    > GLP1-Rezeptoragonisten (z.B. Ozempic bis eGFR 10ml/min
    zugelassen) falls BMI ≥ 28kg/m2.
    o DPP4-Hemmer (z.B. Trajenta 5mg/Tag) sicher, aber ohne
    Nutzen für kardiovaskuläre und renale Endpunkte Insulin oder
    kurzwirksame Sulfonylharnstoffe ohne aktive Metaboliten
    (z.B. Gliclazid)
  • «Sick day rules»: Metformin und SGLT2-Hemmer bei akuter Krankheit,
    Erbrechen, Durchfall, Operation etc. stoppen.
  • Den HbA1c-Wert immer hinterfragen und bei Zweifel oder Interpretationsschwierigkeit in Spezialsituationen mit kapillären Blutzuckermessungen abgleichen.
    o Wichtigste Ursachen für falsch hohe HbA1c-Werte:
    Eisenmangelanämie, Vitamin B12-Mangel.
    o Wichtigste Ursachen für falsch tiefe HbA1c-Werte: chronische
    Niereninsuffizienz, Neusynthese von Erythrozyten (z.B. frisch
    supplementierter Eisenmangel), hämolytische Anämie,
    Leberzirrhose