Streiflichter des Medizinrechts

Die Arzthaftung im schweizerischen Recht: Grundlagen und aktuelle Entwicklungen



Einleitung

Die Arzthaftung ist ein zentraler Aspekt des Medizinrechts und regelt die Verantwortlichkeit von Ärzten und anderen medizinischen Fachkräften für Schäden, die bei der Behandlung von Patienten entstehen. Im schweizerischen Recht basiert die Arzthaftung hauptsächlich auf den Regelungen des Obligationenrechts (OR) sowie auf gerichtlichen Entscheidungen. Der vorliegende Aufsatz gibt einen Überblick über die Grundlagen der Arzthaftung in der Schweiz und beleuchtet einige aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich.

Rechtsgrundlagen der Arzthaftung

Die schweizerische Arzthaftung beruht auf dem Vertragsrecht, insbesondere auf den Bestimmungen des Heilbehandlungsvertrages gemäss Art. 394 ff. OR. Dabei handelt es sich um einen Werkvertrag, bei dem der Arzt dem Patienten die Erbringung von Heilbehandlungsleistungen schuldet. Die Haftung des Arztes für Schäden, die im Rahmen der Heilbehandlung entstehen, ergibt sich aus Art. 398 OR (Haftung für Hilfspersonen) und Art. 97 OR (Haftung für vertragliche Schäden).

Voraussetzungen der Arzthaftung

Für die Haftung eines Arztes müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
a) Vertragsverletzung: Der Arzt muss seine vertraglichen Pflichten verletzt haben, insbesondere die Einhaltung der berufsüblichen Sorgfaltspflicht (Art. 398 Abs. 2 OR).
b) Schaden: Der Patient muss einen Schaden erlitten haben, der auf die Vertragsverletzung zurückzuführen ist. Dabei kann es sich um materielle oder immaterielle Schäden handeln.
c) Kausalität: Es muss ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem eingetretenen Schaden bestehen. Dies bedeutet, dass der Schaden bei pflichtgemässem Verhalten des Arztes nicht eingetreten wäre.
d) Verschulden: Der Arzt muss die Vertragsverletzung verschuldet haben. Dabei wird zwischen leichter, mittlerer und schwerer Fahrlässigkeit sowie Vorsatz unterschieden.

Beweislast

Grundsätzlich trägt der Patient die Beweislast für das Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen der Arzthaftung. In bestimmten Fällen kann jedoch eine Beweislastumkehr stattfinden, etwa bei groben Behandlungsfehlern oder wenn der Arzt seiner Dokumentationspflicht nicht nachgekommen ist.

Haftungsbegrenzung und Verjährung

Die Haftung des Arztes kann durch individuelle Haftungsbegrenzungen oder gesetzliche Haftungshöchstbeträge eingeschränkt werden. Zudem unterliegen Schadenersatzansprüche aus der Arzthaftung der Verjährung gemäss Art. 128 OR. Die Verjährungsfrist beträgt in der Regel zehn Jahre ab dem Zeitpunkt, in dem der Schaden entstanden ist, oder ab dem Zeitpunkt, in dem der Patient von dem Schaden und der haftenden Person Kenntnis erlangt hat. In jedem Fall tritt jedoch eine absolute Verjährung von 20 Jahren ab dem schädigenden Ereignis ein (Art. 60 Abs. 1 OR).

Patientenrechte und informierte Einwilligung

Ein zentraler Aspekt der Arzthaftung ist die Beachtung der Patientenrechte, insbesondere das Recht auf Selbstbestimmung und informierte Einwilligung. Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten über alle wesentlichen Aspekte der Behandlung aufzuklären, einschliesslich möglicher Risiken und Alternativen. Eine fehlende oder unzureichende Aufklärung kann zu einer Haftung des Arztes führen, wenn der Patient bei ordnungsgemässer Aufklärung die Behandlung abgelehnt hätte und dadurch der Schaden vermieden worden wäre.

Haftung von Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen

Neben der Haftung von Ärzten können auch Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen für Schäden, die im Rahmen der Heilbehandlung entstehen, haftbar gemacht werden. Die Haftung des Krankenhauses ergibt sich in der Regel aus der Organisationshaftung gemäss Art. 55 OR oder der Haftung für Hilfspersonen gemäss Art. 101 OR.

Unterschiede in der Haftung zwischen angestellten Ärzten in öffentlichen Spitälern und selbständigen Ärzten in Belegspitälern

Angestellte Ärzte in öffentlichen Spitälern

Angestellte Ärzte in öffentlichen Spitälern sind Teil der Organisationsstruktur des Krankenhauses. Sie handeln im Rahmen ihrer Anstellung und unterliegen der Weisungsgebundenheit des Krankenhauses. In solchen Fällen haftet das Krankenhaus für das Verhalten seiner Ärzte aufgrund der Organisationshaftung gemäss Art. 55 OR oder der Haftung für Hilfspersonen gemäss Art. 101 OR. Das Krankenhaus kann aufgrund dieser Haftung zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet sein.

Allerdings bedeutet dies nicht, dass der angestellte Arzt von jeglicher persönlicher Haftung befreit ist. Bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz kann der angestellte Arzt nach wie vor persönlich haftbar gemacht werden. Zudem kann das Krankenhaus den Arzt gegebenenfalls regresspflichtig machen, wenn es für den von ihm verursachten Schaden aufkommen musste.

Selbständige Ärzte in Belegspitälern

Selbständige Ärzte, die in Belegspitälern tätig sind, üben ihre Tätigkeit in eigener Verantwortung aus und sind nicht weisungsgebunden. Sie schliessen mit dem Patienten einen Heilbehandlungsvertrag gemäss Art. 394 ff. OR ab und sind für ihre eigenen Handlungen und Unterlassungen persönlich verantwortlich. Im Falle einer Haftung haftet der selbständige Arzt direkt dem Patienten gegenüber aufgrund der vertraglichen Beziehung.

Da selbständige Ärzte nicht Teil der Organisationsstruktur des Belegspitals sind, ist die Haftung des Krankenhauses für das Verhalten des selbständigen Arztes eingeschränkt. Jedoch kann das Krankenhaus in bestimmten Fällen dennoch haftbar gemacht werden, zum Beispiel wenn es seine Organisations- oder Überwachungspflichten verletzt hat oder wenn es für das Handeln des selbständigen Arztes als Hilfsperson haftet.

Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen

In den letzten Jahren haben sich die Anforderungen an die Qualität und Sicherheit der medizinischen Versorgung sowie die Patientenrechte weiterentwickelt. Neue Technologien, wie etwa Telemedizin und künstliche Intelligenz, stellen neue Herausforderungen für das Arzthaftungsrecht dar. Darüber hinaus hat die zunehmende Spezialisierung und Arbeitsteilung im Gesundheitswesen dazu geführt, dass die Abgrenzung der Verantwortlichkeiten zwischen verschiedenen medizinischen Fachkräften und Einrichtungen immer komplexer geworden ist.

Fazit

Die Arzthaftung ist ein zentrales Element des schweizerischen Medizinrechts und dient dem Schutz der Patienten vor Schäden, die im Rahmen der Heilbehandlung entstehen können. Die Haftung des Arztes basiert auf dem Vertragsrecht, insbesondere auf den Bestimmungen des Heilbehandlungsvertrages im Obligationenrecht. Trotz der umfassenden Regelungen zur Arzthaftung stellen aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen im Gesundheitswesen neue Anforderungen an das bestehende Rechtssystem. Daher ist es wichtig, das Arzthaftungsrecht kontinuierlich weiterzuentwickeln und an die sich ändernden Gegebenheiten anzupassen, um den Schutz der Patienten und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu gewährleisten.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Dr. iur. Thomas D. Szucs

Witellikerstrasse 40
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thomas.szucs@hin.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

der informierte @rzt

  • Vol. 13
  • Ausgabe 12
  • Dezember 2023