Fortbildung AIM

ZAIM MediDays 2024

Die Bedeutung des Stentings

Einen kritischen Überblick über die Bedeutung des Stenting präsentierte Prof. Dr. Franz Eberli, Stadtspital Triemli, Zürich an den diesjährigen ZAIM MediDays. Die Behandlung der koronaren Herzkrankheit erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen Stenting und medikamentöser Therapie.



Stenting zur Verbesserung der Prognose


Studien wie ISCHEMIA und ORBITA zeigen, dass ein invasives Vorgehen bei einer stabilen koronaren Herzkrankheit (KHK) oft keinen langfristigen Überlebensvorteil bietet, aber Symptome deutlich lindert und die Lebensqualität verbessert, sagte Prof. Eberli. Die Kombination aus optimaler medikamentöser Therapie, Lebensstiländerungen und gezielten Revaskularisationsmassnahmen bleibt der Schlüssel zu einer patientenzentrierten Behandlungsstrategie.

Konservatives Management der KHK

Das konservative Management der koronaren Herzkrankheit umfasst eine Vielzahl von Ansätzen, die auf die Reduktion von Risikofaktoren und die Verbesserung der Lebensqualität abzielen:
• Risikoreduktion
– Anpassung des Lebensstils: Rauchstopp, Gewichtsreduktion, körperliches Training, Essgewohnheiten
– Cholesterinsenkende Therapie
– Behandlung der Hypertonie
– Diabetestherapie
• Thrombozytenaggregationshemmer
• Antiischämische Therapie
• Betablocker
• Kalziumantagonisten
• Langwirkende Nitrate und Molsidomin (Corvaton®)
• Nicorandil (Dancor®), Ranolazin (Ranexa®), Ivabradin  (Procalaran®)

Mehrwert von Stenting zusätzlich zum medikamentösen Management

• Die einzelnen Komponenten der medikamentösen Therapie haben oft nur einen begrenzten Einfluss auf Prognose und Symptome. Jedoch verbessert die Gesamtheit der medikamentösen Therapie die Prognose.
• Lebensstiländerungen, eine optimale medikamentöse Therapie und die koronare Revaskularisation spielen komplementäre Rollen in der Behandlung der KHK.

Wann bringt die Revaskularisation mittels Stenting einen Mehrwert?

Beim akuten Koronarsyndrom zeigt die perkutane Koronarintervention (PCI) eine deutliche Senkung der Mortalität, wie der Referent anhand von Daten aus den Jahren 1997 bis 2015 darlegte.

Prognostischer Wert bei Hauptstammstenose und schwerer Dreigefässerkrankung

Historisch zeigte sich ein Überlebensvorteil bei der Revaskularisation mittels Bypass-Operation im Vergleich zur rein medikamentösen Therapie. Dies wurde in einer Meta-Analyse der 10-Jahres-Mortalität (Lancet 1994;344:563–570) für folgende Patientenpopulationen bestätigt:
• Patienten mit einer Hauptstammstenose >50 %
• Patienten mit Mehrgefäss-KHK und hochgradiger proximaler RIVA-Stenose
• Patienten mit Mehrgefäss-KHK und einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (EF) <40 %
Die Folge war, dass alle diese Patienten von allen Studien ausgeschlossen wurden.

Prognostischer Wert des invasiven Managements beim chronischen Koronarsyndrom mit Ein/Zwei­gefässerkrankung

• In randomisierten Einzelstudien über 3–5 Jahre wurde kein prognostischer Vorteil einer initial invasiven im Vergleich zu einer initial medikamentösen Therapie nachgewiesen.
• Meta-Analysen deuten jedoch auf mögliche prognostische Vorteile hin.
• Die Randomisierung erfolge in allen Studien nach Koronarographie mit Ausnahme der ICHEMIA Studie
• In allen Studien führte die Revaskularisation zu einer Reduktion der Symptome und der benötigten antiischämischen Medikamente
Beispiel ISCHEMIA-Studie (New Engl J Med 2020;382: 1395–1407:
In die Studie wurden 5179 Patienten mit moderater oder schwerer Ischämie eingeschlossen. Sie wurden in zwei Gruppen randomisiert:
• Initial invasive Strategie: Koronarangiographie und, wenn möglich, Revaskularisation plus medikamentöse Therapie.
• Initial konservative Strategie: Medikamentöse Therapie allein, Angiographie und Revaskularisation nur bei Versagen der Therapie.
Der primäre Endpunkt war ein Komposit aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Hospitalisation wegen instabiler Angina pectoris, Herzinsuffizienz oder reanimiertem Herzstillstand. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass es keine Evidenz dafür gab, dass die initial invasive Strategie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder die Gesamtmortalität über einen Median von 3,2 Jahren reduzierte.

Studien bei stabiler Angina pectoris: Fast Check

Bei stabiler Angina gab es nie eine Studie, die PCI vs. medikamentöse Therapie allein, d. h. unter Verbot/Ausschluss der jeweils anderen Therapie untersucht hat. Alle Studien bei stabiler Angina waren Strategiestudien initial medikamentöse Therapie vs. initial invasives Vorgehen. Ein Drittel aller Patienten, die initial medikamentös behandelt wurden, mussten im Verlauf revaskularisiert werden.
ISCHEMIA: Ist es sicher, dass die Prognose durch das konservative Management im Langzeitverlauf nicht schlechter wird?
Es ist wichtig zu wissen, dass der erste erreichte Endpunkt auf der Kaplan-Meier-Kurve dargestellt ist. Das heisst: Wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet, gilt dies als Erreichen des Endpunkts. Wenn der Patient drei Wochen später stirbt, erscheint das nicht auf der Kaplan-Meier-Kurve.
ISCHEMIA Trial: Mehr spontane Myokardinfarkte (Typ 1) bei anfänglich konservativer Strategie
• Spontane Myokardinfarkte waren mit einer höheren Sterblichkeit im Verlauf von 3.2 Jahren verbunden
• Sorge, dass bei Weiterbestehen der erhöhten Rate an spontanen Myokardinfarkten die konservative Strategie zu erhöhter kardiovaskulärer Mortalität führt.

ISCHEMIA Extended (Hochman JS et al. Circulation 2023;147:8–19)

Es wurde eine 22 % erhöhte kardiovaskuläre Mortalität bei initial konservativem Management beobachtet:
• Beobachtungszeit betrug 7 Jahre
• Mortalität (Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität unbestimmt)
• Es wurden keine weiteren Ereignisse wie Myokardinfarkt, Revaskularisationen, Herzinsuffizienz oder medikamentöse Therapie berücksichtigt
• Hazard Ration betrug 0.78 (0.63 bis 0.96)

Konklusionen zur Prognose

• Der Nutzen eines koronaren Stenting muss differenziert bezüglich Verbesserung der Prognose und der Symptome betrachtet werden
• Die Prognose hängt ab vom Ausmass der KHK (Hauptstammstenose, Dreigefässerkrankung)
• Patienten, auch diabetische, können initial eine medikamentöse Therapie erhalten, sofern aus prognostischen und symptomatischen Gründen keine Revaskularisation erforderlich ist
• Bei konservativem Management muss im Verlauf eine erhöhte Anzahl an spontanen Myokardinfarkten in Kauf genommen werden

Meta-Analyse aller Studien mit invasivem vs. konservativem Management

Das Risiko für einen spontanen Myokardinfarkt kann durch das invasive Management um 26 % gesenkt werden. Ebenso kann die kardiale Mortalität durch das invasive Management um 21 % reduziert werden (Navarese et al Eur. Heart J 2021;42:4638–4651.
OMT plus präventive PCI vs. medikamentöse Therapie (Prevent trial Lancet 2024;403:1752).
• Patienten mit hämodynamisch nicht wirksamen Stenosen (FFR > 0.8) von > 50 %
• Vulnerable Plaque nach IVUS und/oder OCT
• Randomisiert zu 803 Patienten mit optimaler medikamentöser Therapie versus 803 Patienten mit OMT plus Stenting (33 % ABSORB 67 % XIENCE)

Konklusionen I

• Der Nutzen von koronarem Stenting muss differenziert erfolgen, wobei einerseits die Verbesserung der Prognose und andererseits die Linderung der Symptome zu betrachten sind
• Die Prognose hängt ab vom Ausmass der koronaren Herzkrankheit KHK (Hauptstammstenose, Dreigefässerkrankung)
• Auch Patienten mit Diabetes können initial medikamentös behandelt werden, wenn aus prognostischen und symptomatischen Gründen keine Revaskularisation erforderlich ist
• Bei einem konservativen Management muss im Verlauf eine erhöhte Anzahl an spontanen Myokardinfarkten in Kauf genommen werden

Stenting zur Verbesserung der Symptome

Messen der Qualität eines initial konservativen vs. invasiven Managements der chronisch koronaren Herzkrankheit

Clinical Reported Outcome Measures (CROM)
• Kardiovaskulärer Tod
• Gesamtmortalität
• Myokardinfarkt
• Revaskularisation
• Instabile Angina pectoris
• Herzinsuffizienz
Patient Reported Outcome Measures (PROM)
• Symptome
• Funktioneller Status (physisch, psychisch, sozial)
• Lebensqualität bezüglich Gesundheit
• Lebensqualität insgesamt
• Gesundheitsverhalten (Medikamentenadhärenz, Selbstsorge)
• Erfahrung mit der Behandlung (PREM)

Resultate der ISCHEMIA-Studie

CROM: Ischämische KV-Ereignisse oder Tod. Kein Vorteil der initial invasiven Strategie vs. initial konservatives Management.
PROM: Angina, QoL, physische Fitness. Weniger Angina und bessere Lebensqualität durch initial invasives vs. konservatives Management.
ISCHEMIA: Die initial invasive Strategie zeigt eine höhere Effektivität bezüglich der Symptomfreiheit als die initial konservative Strategie. Die Wahrscheinlichkeit, frei von Angina pectoris zu sein, ist gegeben. In der Gesamtpopulation der Studie mit mässiger oder schwerer Ischämie, zu der 35 % der Teilnehmer ohne Angina pectoris zu Studienbeginn gehörten, zeigten die Patienten, die nach dem Zufallsprinzip der invasiven Strategie zugewiesen wurden, eine grössere Verbesserung des Angina-bedingten Gesundheitszustands als diejenigen, die der konservativen Strategie zugewiesen wurden. Die geringen mittleren Unterschiede zugunsten der invasiven Strategie in der Gesamtgruppe reflektierten die minimalen Unterschiede bei den asymptomatischen Patienten sowie die grösseren Unterschiede bei denjenigen, die zu Beginn der Studie eine Angina pectoris auswiesen.

ORBITA-Studie

Die ORBITA-Studie stellt die PCI als Therapie der Angina pectoris in Frage.

Im Rahmen der ORBITA-Studie wurde untersucht, ob die PCI besser als die anti-anginöse Therapie zur Leistungs- und Symptomverbesserung bei Eingefässerkrankung ist.

Es wurden 200 Patienten mit stabiler KHK x 1 (≥ 70 % Stenose), im Mittel 3.1 anti-anginöse Medikamente, 75 % AP CCS II, CCS 0-1, randomisiert zu PCI oder Sham-Intervention. Die Resultate zeigten keine signifikante Verbesserung der Belastbarkeit bei Stenting vs. OMT. Stenting reduzierte die Ischämie, nach Sham gab es keine Reduktion der Ischämie (p = 0.011). Je kleiner FFR (je grösser die Ischämie), desto grösser war die Verbesserung. 20 % mehr PCI-Patienten waren nach 6 Wochen frei von Angina (NNT = 5).
Urteil der Patientinnen und Patienten: 85 % der Sham Gruppe wünschten und erhielten eine PCI.

ORBITA-2-Studie

PCI reduziert Angina pectoris bei instabiler KHK. Die ORBITA-2-Studie ging der Frage nach, ob die PCI die Angina bei Patienten, welche keine antianginöse Therapie erhalten, verbessert. Es wurden 300 Patienten mit stabiler KHK (80 % Eingefäss-, 20 % Mehrgefässerkrankung) in die Studie eingeschlossen. Die antianginöse Therapie wurde unterbrochen, alle Patienten waren symptomatisch. Sie wurden randomisiert zu PCI oder Sham-Intervention («Placebo»). Primärer Endpunkt war die Differenz im Angina-Symptom-Score nach 12 Wochen. Die PCI verbesserte die Ischämie und alle Aspekte der Symptome und der Lebensqualität.

Konservatives vs. invasives Management der KHK

Die Kosten für ein Stenting belaufen sich auf 500 CHF pro eingesetztem Stent. Im Mittel werden zwei Stents pro Intervention eingesetzt, was einer Gesamtzahl von 25 933 Stents pro Jahr entspricht. Multipliziert mit einem Preis von 500 CHF pro Stent resultiert dies in Kosten von 25.9 Mio. CHF pro Jahr. Im Jahr 2022 beliefen sich die Kosten für Statine auf 200.5 Mio. CHF. Die jährlichen Behandlungskosten der stabilen koronaren Herzkrankheit sind in Tab. 1 dargestellt.

Arteriosklerose in der CH: 1.2 Mio. Personen. Kosten für Medikamente und ärztliche Betreuung 1.2 Mio. x 1901 = 2.73 Milliarden.

ODYSSEY Kosten für die Verhinderung eines nicht-tödlichen kardiovaskulären Ereignisses (MI, CVI, UAR, HF-Hospitalisierung, Revaskularisation wegen Ischämie). NNT für 4 Jahre: 44 für das erste Ereignis, 18 für alle Ereignisse. Kosten, um ein kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern:
Erstereignis CHF 4993 x 44 x 4 = 878 768 CHF
Jedes Ereignis CHF 4993 x 18 x 4 = 359 496 CHF
STEMI = 8 % aller kardiovaskulärer Ereignisse. Kosten zur Verhinderung eines STEMI: 359 496 CHF x 12.5 = 4 493 700 CHF.

Stabile KHK

Unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des Patienten kann eine Entscheidung bezüglich der zu wählenden Behandlungsstrategie getroffen werden. Dazu schilderte der Referent das Fallbeispiels Bill Clinton, 2004: vierfacher aorto-koronarer Bypass, 2010 Stentimplantation wegen Bypass-Verschluss. Der Patient hatte die Statintherapie abgesetzt.
Die Betreuung des Patienten mit chronischer koronarer Herzkrankheit erfolgt nach dem Prinzip der gemeinsamen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making).
Die Patientenperspektive umfasst folgende Aspekte:
• Symptome und Lebensqualität
• Kardiovaskuläres Risiko
• Präferenzen des Patienten
• Haltung gegenüber dem Risiko
Die Perspektive des Arztes beinhaltet:
• Wissen um Behandlungsoptionen
• Nutzen und Risiko der verschiedenen Therapie­strategien

Konklusionen II

• Die koronare Revaskularisation reduziert zuverlässig die Symptome bei stenosierender koronarer Herzkrankheit
• Die medikamentöse Therapie und die koronare Revaskularisation ergänzen einander in der Behandlung der KHK
• Therapieentscheide sollten patientenzentriert getroffen werden
• Die Kosten für eine Revaskularisation entsprechen den Kosten für 10 Jahre konservatives Management, solange kein PCSK9-Inhibitor eingesetzt wird.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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  • Vol. 14
  • Ausgabe 11
  • November 2024