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Dysfunktionale Atmung

Dysfunktionale Atmung beschreibt eine Gruppe von chronischen Störungen des Atemmusters, die sowohl primär als auch in Zusammenhang mit kardiopulmonalen Erkrankungen vorkommen. Das Leitsymptom sind unspezifische Atembeschwerden. Daneben treten auch nicht-respiratorische Beschwerden wie thorakale Schmerzen, Schwindel oder Kribbelparästhesien auf. Die bekannteste Vertreterin der dysfunktionalen Atmung ist die chronische Hyperventilation, jedoch werden diverse weitere dysfunktionale Atemmuster beschrieben. Einen Goldstandard für die Diagnostik gibt es nicht. Häufig werden Fragebogen und funktionelle Untersuchungen zur Objektivierung der Atemstörung eingesetzt. Einen hohen Stellenwert hat dabei die Spiroergometrie. Die Behandlung besteht aus einer individuellen Atemphysiotherapie in Kombination mit einer guten Patientenedukation.



Dysfunctional breathing describes a group of chronic breathing disorders that occur either primarily and secondary to cardiopulmonary diseases. Key symptom is a non-specific breathlessness. Furthermore, non-respiratory symptoms such as thoracic pain, dizziness or tingling may occur. The most common form of dysfunctional breathing is known as chronic hyperventilation, but various other dysfunctional breathing patterns have been described. There is no gold standard for diagnosis. Questionnaires and functional examinations are frequently used to detect the breathing disorder. Thereby, cardiopulmonary exercise testing (CPET) plays an important role. The treatment consists of an individual respiratory physiotherapy in combination with a good patient education.
Dysfunktionale Atmung, chronische Hyperventilation, Nijmegen Questionnaire, Spiroergometrie

Einleitung und Definition

Der Überbegriff dysfunktionale Atmung beschreibt eine Gruppe von Atmungsstörungen, die zu chronischen Veränderungen des Atemmusters führen (1–5). Ein dysfunktionales Atemmuster kann auftreten, ohne dass eine organische Erkrankung zugrunde liegt. Eine solche primäre Störung liegt in etwa 10–20 % der Fälle vor (3, 6, 7). Häufiger tritt die dysfunktionale Atmung jedoch in Zusammenhang mit kardialen, pulmonalen oder neurologischen Erkrankungen auf (3, 6, 8, 9). Patient/-innen mit Asthma bronchiale sind besonders oft betroffen (bis zu 30 %). Auch bei der COPD tritt die Erkrankung gehäuft auf (1, 3, 8). Zuletzt ergaben sich zudem Hinweise, dass die dysfunktionale Atmung eine der Ursachen für die noch ungenügend verstandenen persistierenden Atembeschwerden nach COVID-19 Erkrankungen («long-COVID-19») sein könnte (10, 11) und auch beim post-Lungenembolie Syndrom wird eine dysfunktionale Atmung beschrieben (12).

Die bisher bekannteste Form der dysfunktionalen Atmung ist die chronische Hyperventilation. Oft wird die chronische Hyperventilation auch als Synonym für die dysfunktionale Atmung verwendet. Tatsächlich handelt es sich dabei aber nur um eine von vielen Formen der Atmungsstörung (1). Eine einheitliche Definition und Klassifikation der dysfunktionalen Atmung gibt es bisher nicht. Die meisten bisherigen Klassifikations-Vorschläge basieren auf einer Beschreibung des Atemmusters. So definiert beispielsweise Boulding et al. fünf Formen der dysfunktionalen Atmung: Hyperventilation, periodisches tiefes Luftholen, thorakal-dominante Atmung, forcierte abdominale Exspiration und thorako-abdominale Asynchronie (1). Eine alternative Einteilung berücksichtigt zudem extrathorakale Erkrankungen. Die zwei Gruppen der thorakalen und extrathorakalen Erkrankungen werden zudem jeweils in funktionelle und strukturelle Ursachen eingeteilt (2, 3). Ein bekanntes Beispiel für eine Erkrankung aus der Gruppe der extrathorakalen, funktionellen Störungen ist die ILO (induzierbare laryngeale Obstruktion, früher vocal cord dysfunction) (3, 4) (Tab. 1).

Das Leitsymptom der dysfunktionalen Atmung sind unspezifische Atembeschwerden. Die Beschwerden können sowohl in Ruhe als auch unter Belastung auftreten. Oft wird ein «Lufthunger» beschrieben. Damit gemeint ist das Gefühl, trotz tiefer Einatmung nicht genügend Luft zu bekommen. Daneben erleben die Betroffenen auch verschiedene nicht-respiratorische Symptome, wie thorakale Schmerzen, Tachykardien, Schwindel, Kribbelparästhesien oder Fatigue. Die Beschwerden sind teilweise der respiratorischen Alkalose, die durch die chronische Hyperventilation entsteht, zuzuschreiben (1, 2, 4, 7).

Diagnosestellung

Die Diagnose der dysfunktionalen Atmung ist eine Ausschlussdiagnose. Eine sorgfältige Diagnostik ist deshalb sehr wichtig. Bei sekundären Formen der dysfunktionalen Atmung kann die Diagnose erst gestellt werden nach bestmöglicher Kontrolle der zugrundeliegenden Erkrankung. Es gibt bis heute keine validierte Untersuchungsmethode und keinen Gold-Standard für die Diagnosestellung der dysfunktionalen Atmung. Es wird deshalb eine multimodale Herangehensweise empfohlen, bestehend aus einer fundierten ­Anamnese, die ergänzt wird durch Fragebogen, der klinischen Untersuchung und funktionellen Tests (1, 2, 4, 13).

Es gibt verschiedene Fragebogen, die in der Diagnostik der dysfunktionalen Atmung eingesetzt werden. Der hierfür am häufigsten verwendete Fragebogen ist der Nijmegen Questionnaire (Tab. 2). Der Nijmegen-Fragebogen wurde ursprünglich als Screening-Tool für das Hyperventilationssyndrom bei Asthma bronchiale entwickelt und erfragt eine Liste von Symptomen und deren Häufigkeit, die bei der dysfunktionalen Atmung gehäuft auftreten (1, 14, 15).

Die funktionellen Untersuchungen haben zum Ziel, das dysfunktionale Atemmuster nachzuweisen. Die Lungenfunktionstestung fällt meist normal aus, sie ist aber wichtig für den Ausschluss anderer Dyspnoe-Ursachen und gehört deshalb dennoch zur Diagnostik dazu (3).
Ein einfacher diagnostischer Test, der auch in der Hausarztpraxis durchgeführt werden kann, ist der Hyperventilations-Provokationstest. Hier wird die/der Patient/-in angeleitet, für einen bestimmten Zeitraum (typischerweise 1–3 Minuten) so schnell und so tief wie möglich zu atmen. Treten dabei die gleichen Beschwerden auf, die der Patient im Alltag erlebt, ist das Vorliegen eines Hyperventilations-Syndroms sehr wahrscheinlich (3, 15). Ebenfalls einfach messbar ist die sogenannte «breath-holding time», die Zeitdauer, während der/die Patient/-in nach einer normalen Ausatmung die Atmung anhalten kann. Diese ist bei Patient/-innen mit dysfunktionaler Atmung typischerweise deutlich verkürzt (< 20 Sekunden vs. 45–90 Sekunden bei Kontrollpersonen) (1, 16).

Eine weitere Untersuchungsmethode ist das direkte Beobachten und die Palpitation der Thorax- und Abdomenbewegung (Manual Assessment of Respiratory Motion (MARM))(1, 3, 15, 17–19).

Einen hohen Stellenwert in der Diagnostik der dysfunktionalen Atmung hat zudem die Spiroergometrie. Bei der meist auf einem Fahrradergometer durchgeführten Untersuchung erfolgt im Anschluss an eine Ruhemessung eine Belastungstestung gemäss einem Rampenprotokoll mit kontinuierlich ansteigender Belastung. Idealerweise wird dabei die maximale Ausbelastung nach einer Belastungszeit von 8 bis 12 Minuten erreicht. Neben der Leistungsfähigkeit werden Parameter zum Sauerstoffverbrauch, der Herzleistung und dem Gasaustausch, sowie die Atemeffizienz und das Atemmuster erfasst (9, 13, 17). Die Spiroergometrie spielt dadurch eine wichtige Rolle in der primären Differenzierung der Atembeschwerden und ermöglicht gleichzeitig die direkte Objektivierung des dysfunktionalen Atemmusters. Im Vergleich zu anderen Untersuchungsmethoden hat die Spiroergometrie den Vorteil, dass die Atmung sowohl im Ruhezustand als auch unter Belastung beurteilt werden kann. Nicht alle Formen der dysfunktionalen Atmung können bereits im Ruhezustand nachgewiesen werden. Umgekehrt ist auch eine Normalisierung des Atemmusters unter Belastung möglich. Patient/-innen mit dysfunktionaler Atmung haben häufig bereits in Ruhe eine erhöhte Atemfrequenz mit dem typischen Bild eines irregulären und chaotischen Verlaufs der Atemfrequenz und des Atemzugvolumens unter Belastung (Abb. 1). Dies führt zu einer eingeschränkten Atemeffizienz mit oft schon im Ruhezustand erhöhten Atemäquivalenten für CO2. Je nach Form der dysfunktionalen Atmung können ausserdem eine Ruhe-Hypokapnie und ein tiefer endexspiratorischer CO2-Wert als Ausdruck der Hyperventilation nachgewiesen werden. (Tab. 3) Trotz des subjektiven Empfindens der respiratorischen Erschöpfung wird die Atemreserve bei Untersuchungsende typischerweise nicht ausgeschöpft (9, 13, 17, 20).

Behandlung

Ein wichtiger Bestandteil der Behandlung der dysfunktionalen Atmung ist die Aufklärung der Patienten/-innen über das Krankheitsbild. Das Wissen, dass keine lebensbedrohlichen Erkrankungen des Herzkreislaufsystems vorliegen, führt bei vielen Patienten/-innen bereits zu einer Verbesserung der Symptome (4, 15, 16). Die Therapie der Wahl ist dann eine individualisierte Atemphysiotherapie. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass dadurch eine langfristige Reduktion der Beschwerden und eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden kann (4, 21, 22). Eine der etablierten Therapiemethoden ist die Atemphysiotherapie nach Buteyko, wobei eine Kombination aus konsequenter Nasen- und Bauchatmung und einer bewussten Entspannung und Verlangsamung der Atmung erlernt wird (1, 23, 24).

Patienten mit dysfunktionaler Atmung tendieren dazu, körperliche Aktivität zu vermeiden. Es ist deshalb zudem ein individuelles und kontrolliertes Training zu empfehlen, um der zunehmenden Dekonditionierung entgegenzuwirken (4).

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Pascale Huber

Universitätsspital Zürich
Klinik für Pneumologie
Rämistrasse 100
8091 Zürich

PD Dr. med. Mona Lichtblau

Universitätsspital Zürich
Klinik für Pneumologie
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Die Autorinnen haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Chronische Störungen des Atemmusters sind eine häufige Ursache von unspezifischen Atembeschwerden.
  • Wenn der Schweregrad einer Erkrankung das Ausmass der
    geschilderten Atembeschwerden nicht erklärt, sollte an eine
    dysfunktionale Atmung gedacht werden.
  • Die Spiroergometrie ist zentral in der Diagnostik der dysfunktionalen Atmung, da hiermit sowohl Differentialdiagnosen ausgeschlossen als auch das dysfunktionale Atemmuster direkt objektiviert werden kann.
  • Therapie der Wahl ist eine individuelle Atemphysiotherapie.

1. Boulding R, Stacey R, Niven R, Fowler SJ. Dysfunctional breathing: a review of the literature and proposal for classification. Eur Respir Rev. 2016;25(141):287-94.
2. Barker N, Everard ML. Getting to grips with ‚dysfunctional breathing‘. Paediatr Respir Rev. 2015;16(1):53-61.
3. Vidotto LS, Carvalho CRF, Harvey A, Jones M. Dysfunctional breathing: what do we know? J Bras Pneumol. 2019;45(1):e20170347.
4. Depiazzi J, Everard ML. Dysfunctional breathing and reaching one‘s physiological limit as causes of exercise-induced dyspnoea. Breathe (Sheff). 2016;12(2):120-9.
5. Vlemincx E. Dysfunctional breathing: a dimensional, transdiagnostic perspective. Eur Respir J. 2023;61(6).
6. Thomas M, McKinley RK, Freeman E, Foy C, Price D. The prevalence of dysfunctional breathing in adults in the community with and without asthma. Prim Care Respir J. 2005;14(2):78-82.
7. Steinmann J, Lewis A, Ellmers TJ, Jones M, MacBean V, Kal E. Validating the Breathing Vigilance Questionnaire for use in dysfunctional breathing. Eur Respir J. 2023;61(6).
8. Thomas M, McKinley RK, Freeman E, Foy C. Prevalence of dysfunctional breathing in patients treated for asthma in primary care: cross sectional survey. Bmj. 2001;322(7294):1098-100.
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