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Post-COVID-19-Syndrom

Ein diffuses Krankheitsbild

«Long Covid» ist eine Sammlung von Beschwerden im Sinne einer verzögerten Rekonvaleszenz nach einer Intensivbehandlung mit einem ungewöhnlichen Erschöpfungssyndrom ohne sicheren organischen Befund, reaktiver Depression und neurologischen oder neuropsychiatrischen Beschwerden jenseits von drei Monaten nach der Akutbehandlung.



Bei einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung werden drei Verlaufsformen unterschieden:

  • akute Infektion: Symptome < 4 Wochen
  • anhaltend symptomatische Infektion: Symptome 4 – 12 Wochen nach der akuten Infektion
  • Post-COVID-19: > 12 Wochen anhaltende Symptomatik.

Die akute Infektion verläuft nach Meinung von Prof. Nina Khanna in drei Stadien:

  • Stadium 1: Frühe Infektion mit viraler Replikation
  • Stadium 2: Pulmonale Phase
  • Stadium 3: Hyperinflammatorische Phase.

20% der Infizierten sind asymptomatisch, 80% zeigen einen milden, 14% einen schweren und 5% einen kritischen Verlauf mit einer Mortalität zwischen 20 und 70%.

Das Long-Covid-19-Syndrom kann alle infizierten Patienten betreffen, ist jedoch häufiger und länger bei hospitalisierten Patienten. Dabei stellt sich die Frage, ob die Symptome spezifisch für COVID-19 sind oder aber unspezifisch, wie sie auch nach schweren Infektionen oder Erkrankungen mit Intensivbehandlung auftreten können; denn es gibt eine Überlappung mit dem «Chronic Fatigue»-Syndrom bzw. der so genannten «Myalgischen Encephalopathie», d. h. dem post-viralen oder post-infektiösen Müdigkeitssyndrom, das auch nach anderen Infektionen (EBV-Infektion, Borreliose, Q-Fieber) immer mal wieder auftritt. Typisch für letzteres sind eine funktionelle Einschränkung im Alltag bzw. Berufsleben, nicht erholsamer Schlaf, kognitive Einschränkungen, orthostatische Intoleranz , Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, umgrenzte Muskelschmerzen und Mehr­fachallergien. Die Abgrenzung zum Long COVID kann deshalb sehr schwierig sein.

Keine Seltenheit

Inzwischen mehren sich die Beobachtungen, die zeigen, dass bei einer gewissen Anzahl von Patienten auch nach 6 Monaten und später persistierende Beschwerden vorliegen, die nicht streng mit der initialen Krankheitsschwere und auch nicht mit dem initialen Beschwerdemuster korrelieren. So fand sich eine erhöhte Rate von organisch kaum erklärbaren Erschöpfungssyndromen und neurokognitiven Einschränkungen bei ansonsten gesunden Erwachsenen mittleren Alters, die vor ihrer COVID-19-Infektion voll im Beruf standen, jetzt aber längerfristig eingeschränkt oder sogar arbeitsunfähig sind. In einer chinesischen Studie bei 1.733 Patienten klagten nach 6 Monaten 63% über Müdigkeit, 26% über Schlafstörungen, 23% über eine ängstliche-depressive Verstimmung. Bei der Lungenfunktionsuntersuchung zeigten 22% eine Diffusionsstörung und fast 30% eine Verminderung der 6-Minuten-Gehstrecke. In einer britischen Studie fanden sich bei 14% persistierende oder episodisch rezidivierende Beschwerden, wobei drei phänotypische Cluster beschrieben werden:

  • Sensorische Störungen wie Geschmacks- und Riechstörungen, Appetitmangel, Sehstörungen
  • Neurologische Störungen wie Vergesslichkeit, Kurzzeitgedächtnisstörungen, Verwirrtheit
  • Kardio-respiratorische Symptome wie Brustenge bzw. - schmerz, Belastungsdyspnoe, Müdigkeit, Erschöpfung, Ruhe-oder Belastungsdyspnoe, Herzstolpern, Herzklopfen.

Was die Häufigkeit betrifft, so klagen bis zu 20% auch nach 3 Monaten noch über mindestens 1 Symptom, bei hospitalisierten Patienten sind es bis zu 50% und bei intensivmedizinisch behandelten Patienten sogar über 70%. Am häufigsten wird über eine anhaltende Müdigkeit, Kopfschmerzen, Husten und Thoraxschmerzen geklagt. Als Risikofaktoren für ein Long COVID-19-Syndrom erwiesen sich ein höheres Alter, weibliches Geschlecht. Komorbiditäten und ≥ 5 Symptome in der ersten Woche. Verlaufsbeobachtungen zeigen, dass bei einem Drittel der Fälle die Diffusionskapazität nach 12 Wochen noch eingeschränkt ist und bei 60% finden sich im CT noch Residuen. «Halten die Beschwerden über zwölf Wochen an, so erfordern diese Patienten eine multidisziplinäre Kontrolle», so Khanna. Bei einem unkomplizierten Verlauf sei aber eine Kontrolle nicht erforderlich.

Dr. med.Peter Stiefelhagen

der informierte @rzt

  • Vol. 11
  • Ausgabe 11
  • November 2021