Wandertipp

Pichiour

Ein Wasserfall für Hartgesottene

Die Tièche, nach ihrem Zusammenfluss mit der Pauja Raspille genannt, bildet auf der Nordseite des Rhonetals die Sprachgrenze zwischen dem deutsch- und französischsprachigen Wallis. Der Fluss entwässert das Gletscherbecken der Plaine Morte gegen Süden. Sie hat sich auf ihrem stotzigen Weg zum Rotten zwischen Petit Mont Bonvin und Tschajetuhorn tief in den Felsuntergrund eingegraben und stürzt sich auf ihrem tosenden Lauf mehrere Male spektakulär in die Tiefe.



Zu einem dieser Wasserfälle wollen wir heute von Aminona aus ab- und aufsteigen. Wie der Untertitel dieses Berichtes bereits andeutet, sind die entsprechenden Pfade sehr steil und steinig, weshalb diese insbesondere während der heissen Sommermonate mehr für Hartgesottene geeignet sind. Landschaft und Flora sind jedoch bestechend schön, sodass sich die Anstrengung auch für jene lohnt, die es nicht sind oder es nicht sein wollen.

Wir starten in Aminona bei der Verzweigung der von Montana herkommenden Strasse Richtung Ploumachit und Molens, wobei wir letzterer talwärts folgen, bis diese eine dichte Ansammlung von Ferienchalets erreicht. Hier biegen wir in einen stark abfallenden Fahrweg ein, der mit einer Linkskehre ein tiefer liegendes Zugangssträsschen und kurze Zeit später die Strasse nach Molens gegen Südosten hin quert. Jenseits der Strasse tauchen wir in duftenden Föhrenwald ein und steigen wie gesagt vorerst steil über Stock und Stein bis zum Felsvorsprung von Pirra Grocha ab. Hier lohnt es sich, den Weg kurz zu verlassen und bis zur Felskante vorzutreten (Abb. 1). Der Blick öffnet sich bis hinunter zu den Rebbergen von Miège und gegen Osten auf die Blattu mit dem weithin sichtbaren Band von Föhren und Flaumeichen, die den Verlauf der «Grossi Wasserleitu» markieren. Die Flaumeichen vermögen in der Blattu trotz Trockenheit und extremer Hitze von bis zu 50° C in Bodennähe zu überleben. Es ist die Raspille, die das Wasser für diese Suone liefert, ebenso für die etwas tiefer liegende von Mengis. Beide Wasserleiten versorgen die Rebgebiete zwischen Salgesch und Varen. Gegen Westen speist die Raspille die Bisse Neuf, die der Bewässerung der Reben von Venthône dient; wie lange noch, angesichts des wegschmelzenden Glacier de la Plaine Morte?

Auf dem Felsen von Pirra Grocha

Bei Pirra Grocha verlassen wir den stotzigen Pfad und gelangen über einen nur noch sanft abfallenden Weg zu den Häusern von Fortsey und zur Strasse hinauf zum Weiler Cordona. Herrlich duftet es im Föhrenwald, der willkommenen Schatten vor der niederbrennenden Sonne spendet. Wir folgen der Strasse bis unmittelbar nach der Brücke über die Tièche, wo gegen Norden der Weg zum Wasserfall von Pichiour abzweigt. Nun geht es ebenso steil bergauf, wie es zuvor bergab ging. Nach der Stille des Föhrenwaldes erfüllt nun das Rauschen und Donnern der Tièche die enge Schlucht. Jenseits des Gletscherbaches ragen steil und wild die Felswände von Les Cingles in den gleissenden Sommerhimmel auf, über denen die weiten Weiden von Aminona und Aprili liegen. Immer wieder stürzt der Blick in die Tiefe zum tosend in die Tiefe stürzenden Wasser. Zum Glück liegt auch dieser Pfad im Schatten des Bergwaldes, sodass wir nicht ganz schutzlos der Hitze ausgesetzt sind. Reich ist hier die Flora an Orchideen.

Der Wasserfall von Pichiour

Den ganzen Aufstieg über träumen wir von einem erfrischenden Bad beim Wasserfall. Doch dieses bleibt uns des abschüssigen Geländes wegen verwehrt. Dafür wechseln wir die Talseite trockenen Fusses hinter den herabstürzenden Wassermassen, sodass wir den surrealen Blick hinüber in die Val d’Anniviers in kühlendem Schatten geniessen können (Abb. 2). Zurück im welschen Sprachgebiet erwartet uns nochmals ein stotziger Wegabschnitt bis zur luftigen Querung einer Reihe von Felsbändern. Der Weg ist hier mit Fixseilen gut gesichert. Trotzdem ist an dieser Stelle Trittsicherheit und Schwindelfreiheit gefordert. Fast eben aus erreichen wir schliesslich die Alpweiden von Aprili und beschliessen noch weiter bis zur Alp Cave du Sex aufzusteigen, wo uns ein Glas Arancello erwartet, bestehend aus einem fruchtigen und alkoholreichen Aperitif mit Bitterorangen. Auch den Einkauf von würzigem Alpkäse sollte man sich hier nicht entgehen lassen. Einziger Wermutstropfen: hier hält uns leider nach Stunden der Einsamkeit der touristische Trubel wieder gefangen (Abb. 3).

Aufkommende Gewitterstimmung bei Cave du Sex mit Blick auf Zinalrot-, Obergabel- und Matterhorn

Entlang der Bisse de Tsittoret, der sein Wasser aus der Tièche bezieht, erreichen wir gegen Westen ein querendes Fahrsträsschen. Über dieses verlassen wir talwärts den Lärchenwald bis zum unmittelbar folgenden Waldrand. Diesem entlang gelangen wir weglos hinunter zur Fahrstrasse von Ploumachit nach Aminona und treffen dort auf eine Karrenspur, die vorerst in der Falllinie, dann mit einem weiten Schlag gegen Osten zu einer Fahrstrasse hinunterleitet, über die wir, vorbei an luxuriösen Chalets, wieder den Ausgangspunkt unserer Rundwanderung erreichen (Abb. 4).

Routenverlauf

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch

der informierte @rzt

  • Vol. 14
  • Ausgabe 9
  • September 2024