Editorial

Einfach und praktisch



Soeben ging der 24. Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinen Innere Medizin (SGAIM) in Basel zu Ende. Unter dem Motto «creative medicine: renew and transmit» waren neben der SGAIM dreizehn Gastgesellschaften mit im Rennen. Die Geriatrie war mit für sie spezifischen Themen wie Schmerz- und Delirtherapie, Reanimation im Alter, palliativen Situationen in der Langzeitinstitution oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen im Alter mit am Start. Daneben kamen geriatrische Smarter-Medicine Themen und der Einsatz der integrativen Medizin bei geriatrischen Patientinnen und Patienten zur Sprache.

Aus geriatrischer Sicht sind das wichtige Themen. Die Referate und Workshops waren entsprechend gut besucht, was für den Weiterbildungsbedarf an geriatrischen Inhalten in der Grundversorgung spricht. Wichtige Themen, die in der Altersmedizin immer wieder diskutiert werden, sind die der Diagnostik und Therapie bei hochbetagten, komplexen, multidimensional betroffenen und multimorbiden Personen.

Kann man Guidelines 1:1 auf sehr alte Personen umsetzen? Welche Kriterien helfen für die Entscheidung? Die erste Frage kann man meines Erachtens mit einem klaren NEIN beantworten, da viele Guidelines auf die Behandlung einer einzelnen Erkrankung abzielen, aber viele andere Faktoren, wie die Co-Morbiditäten und besonders funktionelle Aspekte aussen vor lassen. Gerade die funktionellen Einschränkungen der betroffenen alten Person sind relevant für die positiven wie negativen Effekte einer Therapie. Ähnliches gilt auch für Vorsorgeuntersuchungen oder diagnostische Massnahmen. Darum sollte man bestehende Richtlinien an die Situation individuell anpassen und die Konsequenzen dieser Anpassung mit der Patientin oder dem Patienten besprechen.

Für die Entscheidungsfindung hat sich in den letzten Jahren die Abschätzung der Frailty (Gebrechlichkeit/Hinfälligkeit) als sehr guter Parameter erwiesen (vgl. Kressig R., Früherkennung von Frailty, der informierte@rzt 05-24). Mit einfachen Kriterien kann man Patientinnen und Patienten im Rahmen der Sprechstunde auf einer Skala von 1 bis 9 einteilen und basierend auf dem Ergebnis die weitere Diagnostik und Therapie planen ((Clinical Frailty Scale (CFS) (dggeriatrie.de)). Eine 2018 in Lancet Public Health publizierte Studie konnte belegen, dass sich die Mortalität ab dem Alter von 55 Jahren annähernd verdoppelt, wenn Frailty Kriterien vorliegen (1). Frailty ist allerdings ein dynamischer Prozess. Darum wäre die repetitive Erhebung des Frailty Status oder die klinische Einschätzung der Gebrechlichkeit sinnvoll. Viele Massnahmen, gerade im Spital, könnten basierend auf dieser wertvollen Information aus der Praxis an die Patientin oder den Patienten angepasst werden. Das würde vermutlich die Kosten senken und unnötige Abklärungen und Massnahmen verhindern. Die Skala ist ein einfaches und praktisches Hilfsmittel zur Triage und Entscheidungsfindung. Ihre Aussagekraft ist vermutlich weit wertvoller als die repetitive Bestimmung von Vitalzeichen geriatrischer Patientinnen und Patienten in der Grundversorgung.

PD Dr. med. Thomas Münzer
Geriatrische Klinik St. Gallen

PD Dr. med. Thomas Münzer

Geriatrische Klinik St. Gallen AG
Rorschacher Strasse 94
9000 St. Gallen

thomas.muenzer@geriatrie-sg.ch

1. Hanlon P, Nicholl BI, Jani BD, Lee D, McQueenie R, Mair FS. Frailty and pre-frailty in middle-aged and older adults and its association with multimorbidity and mortality: a prospective analysis of 493 737 UK Biobank participants. Lancet Public Health. 2018 Jul;3(7):e323-e332. doi: 10.1016/S2468-2667(18)30091-4.

der informierte @rzt

  • Vol. 14
  • Ausgabe 6
  • Juni 2024