- Endokrinologie im Wandel der Zeit
Bereits als Kind erfuhr ich vom Diabetes, und zwar durch ein überdimensioniertes Bild, das in einem Ferienlager 1966 aufgestellt wurde. Darauf sah man meinen Vater und die Kinder, wie sie vor einem Zelt Schweineinsulin mit einer Metallspritze mit Glaskanülen aufzogen. Die Spritzennadel wurde nach der Injektion des Insulins über dem Spiritusbrenner sterilisiert. Verwendet wurde sie wohl, bis sie zerbrach. Die Nadeln konnten nachgeschliffen werden – wie damals die Scheren beim Scherenschleifer. Kapilläre Glucosebestimmung gab es nicht. Man sammelte den Urin und versetzte ihn mit einer Benedict-Lösung. Der Urin verfärbte sich blau (kein Zucker), rot (viel Zucker) oder gelb (mässig Zucker). Aufgrund dieses Tests wurde die Insulinmenge bestimmt.
Professor Constam, Endokrinologe am Universitätsspital Zürich, kam damals mit seinem Gefolge von Unterassistenten, Assistenten und Oberärzten im Lager vorbei. Er wollte zeigen, wie man richtig behandelt. Doch aufgrund des vielen Sports waren die Kinder gut eingestellt, die Urine blieben blau, der Professor war enttäuscht, dass er sein Können nicht demonstrieren konnte.
Diese Geschichten schweben mir vor Augen, wenn ich heute einem Patienten einen Natrium-Glukose-Co-Transporter-2-Hemmer abgebe. Oder wenn er wöchentlich ein Glucagon-like Peptid-1 (GLP-1)-Analogon spritzt. Und jedes Mal, wenn wir den prozentual glykolysierten Anteil des Hämoglobin A des Proteins 1c bestimmen. Oder wenn gewisse Patienten auf Ihrem Handy die per Biosensor ausgelesenen BZ-Werte mitteilen – was bald schon via Apple Watch möglich sein wird.
Es ist eine andere Welt. Auch eine teurere. Vielleicht auch eine verspieltere. Nur der Sport, der bleibt etwas auf der Strecke – den kann man weder spritzen noch schlucken, den muss man nach wie vor selber betreiben.
Dr. med. Dr. sc. nat. Andreas Bäbler
Herrliberg