Fortbildung

Kardiovaskuläre Prävention

Fortschritte durch neue Lipidsenker

Einer der entscheidenden Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse ist ein erhöhtes LDL-Cholesterin. Da auch mit einer hochdosierten Statintherapie bzw. einer Kombination mit Ezetimib die Zielwerte oft nicht erreicht werden, besteht Bedarf für neue Therapiestrategien. Neue Behandlungsoptionen sind Inclisiran, eine small interfering RNA (siRNA) und Bempedoinsäure.



Trotz gewisser Fortschritte sind kardiovaskuläre Erkrankungen weltweit aber auch in Deutschland weiterhin die führende Todesursache. Das LDL-Cholesterin (LDL-C) ist unbestritten einer der wichtigsten Risikofaktoren für die KHK. Deshalb gilt im Rahmen der Prävention: Je niedriger umso besser. Das LDL-Cholesterin ist kein Risikomarker, sondern kausal in die Manifestation und Progression der Atherogenese involviert. In entsprechenden Interventionsstudien konnte man zeigen, dass eine Senkung des LDL-Cholesterins um 1 mmol/l zu einer über 20%igen Risikoreduktion führt.

Aktualisierte ESC-Leitlinie

Nach der neuen ESC Leitlinie von 2020 sollten sich die Zielwerte für das LDL-C am individuellen Risiko orientieren, wobei ein höchstes, sehr hohes, hohes und moderates Risiko unterschieden werden. Der niedrigste Zielwert von < 40 mg/dl wird für Höchst-Risiko-Patienten empfohlen, die ein zweites vaskuläres Ereignis innerhalb von zwei Jahren trotz maximaler lipidsenkender Therapie erlitten haben. Bei Patienten mit einem sehr hohen Risiko (bekannte KHK, Z.n. Myokardinfarkt, Z.n. ischämischen Schlaganfall, pAVK, dokumentierte atherosklerotische Gefäßerkrankung, Typ-2-Diabetiker, Typ-1-Diabetiker mit Endorganschäden) sollte ein LDL-C-Wert von < 55 mg/dl bzw. eine > 50%ige LDL-C-Senkung angestrebt werden. Als hohes Risiko gilt, wenn ein Risikofaktor wie eine familiäre Hypercholesterinämie oder eine schwere Hypertonie oder ein Diabetes mellitus ohne Folgeschäden vorliegt bzw. die Ereignisrate in den nächsten 10 Jahren 5-10% beträgt. Bei solchen Patienten sollte ein Zielwert von < 70 mg/dl erreicht werden. Bei einem moderaten Risiko, d.h. einer Ereigniswahrscheinlichkeit in den nächsten 10 Jahren von 1 – 5%, gilt als LDL-Zielwert < 116 mg/dl. «in den neuen Leitlinien wird auch der Stellenwert des Kalk-Scores, der Bildgebung bzgl. Plaques-Nachweis und des Lipoprotein a stärker hervorgehoben», so Dr. Thilo Burkard.

Da mit einer hochdosierten Statintherapie und auch mit der Ezetimib-Kombination die Zielwerte oft nicht erreicht werden, besteht Bedarf für neue Therapiestrategien. Weitere Probleme sind die Statinunverträglichkeit und die unzureichende Adhärenz. Doch trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Substanzen, nämlich Statine, Ezitimib und PSCK9-Inhibitoren, werden bei den meisten Patienten diese Zielwerte nicht erreicht. Somit besteht Bedarf an neuen Therapiestrategien.

Inclisiran ist ein RNA-Silencer

Eine vielversprechende neue Strategie ist Inclisiran (Leqvio®). Dabei handelt es sich um ein small interfering RNA (siRNA)-Agens. Dieses doppelsträngige RNA-Fragment bindet an einen spezifischen Rezeptor auf den Hepatozyten und wird in das Zytoplasma der Leberzelle aufgenommen und dort lysosomal gespalten. Die nun einsträngige kleine interferierende RNA bildet mit der das Enzym Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) kodierenden mRNA einen Komplex, wodurch die PSCK9-mRNA weitgehend zerstört wird, mit anderen Worten die Synthese von PCSK9 in den Hepatozyten wird inhibiert. Es ist der erste Vertreter einer neuen Substanzgruppe und wird auch als RNA-Silencer bezeichnet. Indiziert ist die Substanz bei Patienten mit einer primären heterozygoter Hypercholesterinämie oder einer gemischten Dyslipidämie, bei denen mit anderen lipidsenkenden Therapeutika die Zielwerte nicht erreicht werden [1].

ORION-Studienprogramm

Die Substanz wird in dem groß angelegten ORION-Studienprogramm untersucht. In den Phase III-Studien ORION-10 und ORION-11 wurde Inclisiran in einem randomisierten placebokontrollierten Design zunächst nach 3 Monaten und dann alle 6 Monate s.c. injiziert. Eingeschlossen in die ORION-10-Studie wurden 1.561 Patienten mit stabiler KHK und einem unter einer maximal tolerierten Statintherapie (mit und ohne Ezetimib) weiterhin erhöhten LDL-C (> 70 mg/dl) oder einer Statinunverträglichkeit. In der ORION-11-Studie waren es 1.617 Patienten mit einer atherosklerotischen Gefäßerkrankung oder einem erhöhten kardiovaskulärem Risiko. Dabei zeigte sich unter Inclisiran eine LDL-C-Reduktion von 53,3% bzw. 49,9% nach 540 Tagen [2]. In die ORION-9-Studie wurde die Substanz bei 482 Erwachsenen mit einer familiären Hypercholesterinämie placebokontrolliert eingesetzt. Bei diesen Patienten wurde das LDL-Cholesterin um 39,7% gesenkt, in der Placebo-Gruppe stiegen die Werte um 8,2%, wodurch sich eine Gruppendifferenz von 47,9% ergibt [3]. Hinweise für eine Hepatopathie zeigten sich in diesen Studien nicht.

Eine weitere neue Option ist Bempedoinsäure. Bempedoinsäure ist ein ATP-Citrat-Lyase (ACL)-Inhibitor. Die Substanz eignet sich als Kombinationspartner mit einem anderen Lipidsenker, wenn damit der LDL-Zielwert nicht erreicht wird, oder als Monotherapie bei Statinintoleranz. In entsprechenden Studien wie der CLEAR-Tranquility-Studie konnte für die Kombination Bempedoinsäure plus Statin eine deutlich stärkere LDL-Senkung um ca. 35% nachgewiesen werden.

Statinunverträglichkeit: Oft eine Nocebo –Effekt

Ca. 20% sollen es sein. Die Rede ist von der Inzidenz der Statinunverträglichkeit, die oft eine Umstellung der Lipidtherapie auf moderne aber auch teure Substanzen erforderlich macht. Doch stimmt diese Zahl oder gibt es auch einen Nocebo-Effekt? Und wie lässt sich dieser erfassen?

Dieser Frage wurde im Rahmen einer britischen Studie (SAMSON) nachgegangen. Eingeschlossen wurden 60 Patienten mit Nebenwirkungen unter einem Statin, in zwei Drittel der Fälle handelt es sich um Muskelbeschwerden. Die Patienten erhielten 4 Monate ein Statin, 4 Monate ein Placebo und 4 Monate keine Therapie. Alle Teilnehmer durchliefen alle drei Phasen in einer zufälligen verblindeten Reihenfolge. Während der Studie wurde die Intensität der Beschwerden vom Patienten selbst dokumentiert und zwar mittels einer Smartphone-App auf einer Scala von 9 bis 100. Im Mittel gaben die Teilnehmer unter dem Statin einen Schweregrad von 13,6 an, in der Placebo-Phase von 15,4 und im behandlungsfreien Intervall von 8,0 Bei der Auswertung zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen der behandlungsfreien Zeit gegenüber der Statin- und auch Placebo-Phase, nicht jedoch zwischen der Statin- und der Placebo-Periode. Daraus konnte eine Nocebo-Rate von 90% berechnet werden. Dies bedeutet, dass nur 10% der Statin-assoziierten Beschwerden kausal auf das Statin zurückgeführt werden konnten. «Nachdem die Patienten nach Studienende über die Hintergründe ihrer Beschwerden aufgeklärt werden konnten, konnte die Hälfte zu einer Wiederaufnahme der Statin-Therapie motiviert werden», so Burkard.

Dr. med.Peter Stiefelhagen

der informierte @rzt

  • Vol. 11
  • Ausgabe 12
  • Dezember 2021