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Therapie ausgeprägter oder häufiger Rezidive

Herpes simplex Infektionen

Das Herpes simplex Virus Typ 1 und Typ 2 (HSV-1, HSV-2) gehört zusammen mit dem Varizella-Zoster Virus zur Gruppe der Alpha-Herpesviridae. Gemeinsam ist diesen Alpha-Herpesviren neben ihrer weiten Verbreitung die Epidermo- und Neurotropie mit Ausbildung einer individuell unterschiedlichen klinischen Symptomatik und dem Vorkommen einer Latenzphase, d.h. dem Verbleiben der viralen DNS nahezu ohne Proteinsynthese in den Nervenganglien. Aus der latenten Phase können die Viren durch Triggerfaktoren oder durch Schwächung der Immunantwort reaktiviert werden und zum klinischen Rezidiv führen. Ein gehäuftes und klinisch aggraviertes Auftreten ist folglich bei Immundefizienz zu erwarten.



Pathogenese und Epidemiologie

Herpes simplex Viren gelangen im Rahmen der häufig asymptomatischen Primärinfektion über die Haut oder Schleimhäute in den Wirtsorganismus, wo die Virusreplikation in den Epithelzellen stattfindet. Zusätzlich kommt es auch zum Befall sensorischer Hautnerven, entlang denen die Viren in die Zellen der Hinterwurzelganglien einwandern und dort eine lebenslange latente Infektion etablieren. Zahlreiche Triggerfaktoren verursachen Reaktivierungen des Virus, das wieder entlang der sensiblen Nerven deszendiert, wo entweder eine klinische Symptomatik an Haut und Schleimhäuten oder eine asymptomatische Virusausscheidung resultiert. Die Primärinfektion mit HSV-1 geschieht vorwiegend durch vertikalen Kontakt in den ersten fünf Lebensjahren und verläuft mehrheitlich asymptomatisch. Gelegentlich kann jedoch eine schwer verlaufende Gingivostomatitis eine Hospitalisation notwendig machen. Bei einer Primärinfektion im Erwachsenenalter muss häufiger mit Symptomen gerechnet werden. In der Schweiz weisen knapp zwei Drittel der Blutspender Antikörper gegen HSV-1 auf, wobei keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bestehen. Da die HSV-1 Seroprävalenz in der industrialisierten Welt rückläufig ist, ist bei uns mit einer Zunahme der Primärinfektion im Erwachsenenalter zu rechnen (Abb. 1). HSV-1 kann auch eine genitale Infektion verursachen, was in den letzten Jahren durch die zunehmenden orogenitalen Kontakte in diversen Ländern vermehrt beobachtet werden konnte.
Die HSV-2 Infektion wird meist sexuell übertragen und betrifft in der Regel die anogenitale Lokalisation. Weniger häufig kommen Infektionen an der Hand (Abb. 2), glutäal oder am Oberschenkel und sehr selten orofazial vor. Der wichtigste Risikofaktor für eine Ansteckung mit HSV-2 ist die Anzahl Sexualpartner wobei Frauen signifikant häufiger als Männer betroffen sind. Über zwei Drittel der Ansteckungen erfolgt durch eine asymptomatische Virusausscheidung und die Mehrzahl der Primärinfektionen mit HSV-2 verläuft ohne Symptome insbesondere wenn eine Infektion mit HSV-1 bereits früher an einer anderen Stelle erfolgt ist (sog. Initialinfektion).
Sowohl Infektionen mit HSV-1 als auch HSV-2 weisen eine hohe Rezidivrate auf. Das Risiko für ein genitales Rezidiv ist jedoch bei HSV-2 4-5 mal grösser.

Klinik

Herpes orofacialis

Verläuft eine Primärinfektion mit HSV-1 symptomatisch, so kann überwiegend eine Gingivostomatitis mit multiplen fibrinös-belegten Ulzerationen enoral, der Lippen und teilweise auch perioral gesehen werden. Ein Befall des harten Gaumens hilft bei der klinischen Abgrenzung gegenüber der Herpangina durch Coxsackie-Viren. Gleichzeitig bestehen schmerzhafte Lymphknotenschwellungen, Speichelfluss, hohes Fieber und Unwohlsein. Während das Fieber nach 3-4 Tagen abklingt, bilden sich die Läsionen erst nach 2-3 Wochen zurück. Nicht selten kommt es im Rahmen der Primärinfektion zur Autoinokulation des Virus anderenorts (z.B. genital oder Finger). Bei Adoleszenten manifestiert sich die Primärinfektion häufig auch unter dem Bild einer ulzerativen Pharyngitis.
Die rezidivierende Form wird durch unterschiedliche Triggerfaktoren ausgelöst (z.B. UV-Exposition, Fieber, Menstruation, lokales Trauma und längerdauernde Stresssituationen). Am häufigsten ist der Lippenrand betroffen, jedoch kann grundsätzlich jede Stelle, vorwiegend im Gesichts- und Halsbereich betroffen sein. Infekte an Nase (Abb. 3), Kinn, und Wangen machen jedoch weniger als 10% aller orofazialen Manifestationen aus. Häufig wird ein prodromales Spannungsgefühl, Juckreiz oder Kribbeln an der Lokalisation des Rezidivs verspürt. Eine asymptomatische orale Virusausscheidung ist häufig und kann zur Übertragung des Virus führen. Komplizierend kann es vor allem bei ekzematös vorgeschädigter Haut zu einer flächenhaften Ausbreitung der Infektion, einem Eczema herpeticatum kommen (Abb. 4), was eine notfallmässige systemische antivirale Therapie erfordert. Gewisse Patienten reagieren 1-2 Wochen nach einem Herpes labialis mit einem Erythema exsudativum multiforme, was nach einem Herpes genitalis nur selten vorkommt.

Herpes genitalis

Die genitale Primärinfektion mit HSV-2 verläuft mehrheitlich ohne Symptome. Beim symptomatischen Verlauf kommt es nach einer 3-10-tägigen Inkubationszeit zu gruppiert angeordneten Bläschen auf geröteter Haut oder Schleimhaut, die schnell aufbrechen und in flächenhafte Erosionen oder Ulzerationen übergehen. Beim Mann ist meist die Glans, das Präputium, oder der Penisschaft betroffen, seltener finden sich Herde glutäal, perineal, an Oberschenkeln oder anal. Bei Frauen bestehen meist symmetrische Läsionen an der Vulva (Abb. 5), perineal, vaginal und in 80% auch zervikal.
Die inguinalen Lymphknoten sind fast immer druckdolent und vergrössert. Insbesondere bei Frauen ist bereits früh im Krankheitsverlauf mit Allgemeinsymptomen zu rechnen, die an einen grippalen Infekt erinnern aber auch Symptome einer aseptischen Meningitis beinhalten können. Komplizierend kann es infolge der Dysurie und Radikulomyelitis bis zum Harnverhalten kommen, was eine suprapubische Harnableitung notwendig macht. Eine herpetische Proktitis, die typischerweise nur selten rezidiviert, kann insbesondere bei homosexuellen Männern bestehen. Ein genitaler Herpes wird von der Mehrheit der Patienten als stigmatisierende Krankheit und grosse psychosoziale Belastung empfunden.
Etwa 20% der HSV-2 seropositiven Patienten weisen charakteristische Rezidive mit gruppierten genitalen Bläschen auf gerötetem Grund auf, die im Vergleich zur Primärinfektion milder und kürzer verlaufen. Weitere 20% der Patienten weisen einen vollständig asymptomatischen Verlauf auf, der jedoch ebenfalls zu einer Übertragung führen kann. Die restlichen 60% der HSV-2 Seropositiven weisen uncharakteristische Symptome auf, die sie ohne Beratung nicht als herpetisch bedingt erkennen. Diese häufig bestehenden atypischen Manifestationen umfassen lokalisiertes Brennen bis Jucken, lokalisierte Erytheme, Schwellungen (Abb. 6), kleine Fissuren, isolierte Erosionen (Abb. 7) sowie unklare rezidivierend auftretende ziehende Unterbauchschmerzen. Auch bei einer rezidivierenden serösen Urethritis ohne anderweitigen Erregernachweis muss an die Möglichkeit einer herpetischen Form gedacht werden. Isolierte genitale Ulzera sind in der westlichen Welt ebenfalls häufig durch HSV-2 verursacht. Da das ganze Integument betroffen sein kann, muss auch bei atypischen Lokalisationen an einen HSV-Infekt gedacht werden. Generell kann bei allen HSV-2 Seropositiven eine asymptomatische Virusausscheidung entweder vor, nach oder völlig unabhängig von einem symptomatischen Rezidiv erfolgen. Diese asymptomatische Virusausscheidung ist häufiger im ersten Jahr nach der Primärinfektion und häufiger bei HSV-2 als bei HSV-1.

Therapie und Prävention

Die Therapieform des Herpes simplex wird bestimmt von der Häufigkeit und der Schwere der Rezidive, aber auch von der Bereitschaft des Patienten zur Durchführung der entsprechenden Therapieoption. Das Ziel der Therapie ist eine raschere Rückbildung der Läsionen und Schmerzen sowie eine Reduktion der Rezidivhäufigkeit.

Herpes orofacialis

Die Behandlung orofazialer HSV-Infekte ist multimodal und besteht neben der virostatischen Therapie aus schmerzlindernden und lokalen Massnahmen. Grundsätzlich können spezifische, antivirale Therapieformen in topischer oder systemischer Form von unspezifischen und symptomatischen Behandlungsstrategien unterschieden werden. Die Selbstmedikation besitzt bei Patienten mit rezidivierendem Herpes labialis einen hohen Stellenwert. Die überwiegende Zahl der Betroffenen verwenden topische Präparate, die in einer Vielzahl auf dem Markt sind jedoch existieren meist keine Studien, die ihre klinische Wirksamkeit belegen würden.

Episodische Behandlung

Eine systemische virostatische Behandlung mit Aciclovir, Valaciclovir und Famciclovir führt zu einer rascheren Rückbildung der Läsionen und geringeren Grösse der Läsionen.
Obwohl die verbesserten pharmakokinetischen Eigenschaften der neueren Virostatika (Valaciclovir, Famciclovir) zu einer klinisch kaum fassbaren Verbesserung der oben genannten Wirkungen führen, ermöglichen sie eine für den Patienten angenehmere Dosierung und fördern die Therapietreue. Die perorale virostatische Therapie erstreckt sich bei Erstinfektionen mit HSV-1 in der Regel über 5-7 Tage (Tabelle 1).


Im Gegensatz zum Herpes genitalis, bei dem die Wirksamkeit einer systemischen antiviralen Therapie (mit Aciclovir, Famciclovir oder Valaciclovir) vor allem bei Primär- und häufigen Rezidivinfektionen gut dokumentiert ist, besteht beim Herpes labialis eine spärliche Datenlage. Dies erklärt auch die teilweise von der genitalen Form abweichenden Therapieschemata. Die ursprünglich empfohlene fünftätige Therapie beim rezidivierenden Herpes labialis wird zunehmend durch eine Kurzzeit-Behandlung («short-course») ersetzt. Es konnte gezeigt werden, dass 2x2g Valaciclovir für einen Tag die Abheilungszeit signifikant verkürzt und dass eine längere Behandlungsdauer keinen zusätzlichen Nutzen erbringt. Ebenfalls konnte mit diesem Behandlungsschema der Prozentsatz an verhinderten Ausbrüchen («aborted lesions») vermindert werden. Kürzlich konnte eine signifikante Wirkung mit einer Einmaldosis Famciclovir 1.5g erzielt werden.
Diese höher dosierte Kurzzeitbehandlung ist den traditionellen Schemata mindestens ebenbürtig und wird gut toleriert. Das einfachere Behandlungsschema erleichtert den Patienten das Einhalten der Therapie («adherence») und vermag teilweise Kosten zu sparen.
Generell ist zu bemerken, dass bei der rezidivierenden HSV-Infektion trotz frühzeitigem Beginn der systemischen Therapie (wenn möglich innerhalb 24 Stunden nach Auftreten der Symptome) eine geringere Wirkung mit Verkürzung der Virusausscheidung und der Abheilungsdauer als bei der Primärinfektion erreicht wird. Angesichts dieser nur geringfügigen Wirkung und des meist problemlosen Verlaufes des Herpes labialis ist eine systemische Therapie bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten mit rezidivierendem Herpes labialis nicht gerechtfertigt. Bei Primärinfektionen, grossem Leidensdruck und bei immunsupprimierten Patienten sowie kompliziertem Verlauf (Eczema herpeticatum, Erythema exsudativum multiforme) sollte jedoch möglichst frühzeitig systemisch therapiert werden. Eine virostatische Suppressionstherapie des rezidivierenden Herpes labialis (Dosierung analog zum Herpes genitalis) kann bei sehr häufigen oder subjektiv stark belastende Rezidiven, bei Patienten mit einem Herpes- assoziierten Erythema exsudativum multiforme oder bei immunsupprimierten Patienten mit rezidivierendem Herpes labialis erwogen werden.

Herpes genitalis

Für den Herpes genitalis stehen die gleichen Therapieoptionen zur Verfügung, die jedoch in der Dosierung Unterschiede aufweisen (Tabelle 2).
Der schwerere Verlauf der Primärinfektion rechtfertigt eine antivirale Behandlung, die möglichst frühzeitig (noch bei ausstehenden Laborresultaten) eingeleitet werden soll.
Je nach Ausprägung der Rezidive erfolgt eine Therapie episodisch, suppressiv oder mit alleinigen unspezifischen Externa. Eine topische Behandlung mit antiviralen Medikamenten ist nicht von nachweisbarem klinischem Nutzen.

Beim rezidivierenden Herpes genitalis zeigen die Kurzzeittherapien ebenfalls gegenüber den Standardtherapien vergleichbare Resultate. Eine episodische Behandlung während 1-5 Tagen, die innerhalb von 24 Stunden nach Einsetzen der Symptome durch den Patienten selbst eingeleitet wird, kann die Dauer einer Episode um 1 bis 2 Tage verkürzen. Bei häufigen Rezidiven (> 6/Jahr) sowie bei sehr belastender Symptomatik kann eine Dauertherapie über 6 bis 12 Monate erwogen werden, was rund 80% der Rezidive unterdrückt und eine grössere Wirkung auf die mit dem Herpes genitalis verbundene Morbidität aufweist. Aufgrund der Kosten sowie des trendmässig leicht besseren Ansprechens ist bei der Dauersuppression Valacyclovir zu bevorzugen. Beispiele für eine symptomatische Lokaltherapie sind in Tabelle 2 ersichtlich.
Die Beratung des Patienten über Präventionsmassnahmen zur Verhinderung der Übertragung ist Bestandteil der Therapie. Da bislang kein kommerziell erhältlicher und wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht, reduziert sich die Prävention auf Abstinenz von Sexualkontakten (inkl. Oralsex) während symptomatischen Phasen bis 1-2 Wochen nach Abheilung, Verwendung von Latex-Präservativen und allenfalls eine antivirale Dauerbehandlung. Keine dieser Massnahmen bietet einen vollständigen Schutz (Abb. 8). Die Suppressionstherapie mit Valaciclovir verringert die Übertragung um 50%.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager

Chefarzt
Institut für Dermatologie und Venerologie
Stadtspital Zürich
Herman Greulich-Str. 70
8004 Zürich

stephan.lautenschlager@triemli.zuerich.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Manuskript keine Interessenkonflikte deklariert.

◆ Infektionen mit dem Herpes simplex Virus – einem Vertreter der humanen Alpha-Herpesviridae – sind ausgesprochen häufig.
◆ Charakteristisch für diese Viren ist ihre Fähigkeit eine Latenzphase im Nervengewebe auszubilden von wo sie reaktivieren können. Primärinfektionen und Rezidive sind durch eine unterschiedliche und vielgestaltige Klinik gekennzeichnet.
◆ In seiner typischen Ausprägung ist ein Herpes simplex Infekt meist klinisch zu diagnostizieren, während die häufigen atypischen Manifestationen eine Labordiagnostik erfordern.
◆ Seroepidemiologische Studien belegen einen hohen Prozentsatz von HSV-2 infizierten Individuen, deren klinische Manifestationen nicht als Herpes genitalis erkannt werden.
◆ Um die Herpes genitalis Epidemie beeinflussen zu können, muss insbesondere primär die Diagnostik verbessert werden.
◆ In steigendem Ausmass finden sich genital auch Infektionen mit HSV-
◆ Therapeutisch zunehmend bedeutend ist die hochdosierte Kurzzeitbehandlung mit peroralen Nukleosidanaloga sowie die Dauersuppressionstherapie bei häufigen und belastenden Rezidiven.

Literatur beim Verfasser