Fortbildung AIM

Herz und Adipositas

Auf Grund einer Sitzung mit drei sehr informativen Vorträgen an der diesjährigen 90. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim und guten Publikationen zu diesem hochaktuellen Thema möchten wir ein kurzes Summary wiedergeben. Die Adipositas, eine chronisch fortschreitende Erkrankung, ist heute und in der nahen Zukunft ein grosses gesundheitliches Problem, insbesondere in der kardiovaskulären Medizin. Sie hat aber auch metabolische, onkologische und weitere medizinische Auswirkungen. Somit ist sie eine enorme Herausforderung für Betroffene, Ärzte und das Gesundheitssystem.



Based on a session with three very informative presentations at this year‘s 90th Annual Meeting of the DGK in Mannheim and good publications on this highly topical subject, we would like to provide a brief summary. Obesity, a chronically progressive disease, is a major health problem today and in the near future, particularly in cardiovascular medicine. However, it also has metabolic, oncological and other medical implications. It is therefore an enormous challenge for patients, doctors and the healthcare system.
Key words: Adipositas, Cardiovascular disease and Mortality, Semaglutide, Weight reduction, HFpEF

Die Adipositas ist eine relevante kardiologische Komorbidität. Sie steigt weltweit überproportional an. 2022 waren gemäss BAG 12 % der schweizerischen Bevölkerung adipös; unter zusätzlicher Berücksichtigung des Übergewichts waren es 43 %. Innerhalb von 30 Jahren hat sich der Anteil der adipösen Menschen in der Schweiz verdoppelt.

In den letzten 35 Jahren (1980-2015) hat sich die Prävalenz in mehr als 70 Ländern bei Frauen und Männern verdoppelt (1). Bei Adipositas assoziierten Todesfällen haben vor allem die kardiovaskulären (cv) mit 41 % stark zugenommen. Heute ist eine von acht Personen adipös; bis 2035 ist wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung übergewichtig oder adipös. Nach einer sehr grossen amerikanischen Kohortenstudie erhöht Übergewicht/Adipositas das cv Risiko mit vermehrten Schlaganfällen, Herzinfarkten, Herzinsuffizienz und cv Tod. Übergewicht war mit einem signifikant erhöhten Risiko verbunden, in einem früheren Alter an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkranken, was zu einem grösseren Anteil der Lebenszeit mit kardiovaskulärer Morbidität führte (2).

Adipositas bedeutet nach WHO ein BMI ≥30 kg/m2. Der BMI variiert nach Geschlecht, Alter und Ethnizität. Das Problem ist die viszerale Fettansammlung, darum wird auch der Taillenumfang als Mass diskutiert. Der BMI korreliert aber gut mit dem Gesamtkörperfett. So bleibt er vorerst immer noch als Mass erhalten. Die kardiovaskulären Erkrankungen sind mit ca. 6,5 % weltweit an erster Stelle der nicht infektiösen Erkrankungen.

Neben den nicht modifizierbaren cv Risikofaktoren (Alter, Geschlecht, Genetik, Ethnizität) gibt es die modifizierbaren cv Risikofaktoren. Diese sind: Hypertonie, Hyperlipidämie, Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM), Rauchen und körperliche Inaktivität. Mehr als 50 % des cv Risikos kann dadurch beeinflusst werden. In der Primärprävention ist die Hypertonie der wichtigste modifizierbare Risikofaktor (RF). Die Adipositas ist mit diesen cv RF assoziiert, sie begünstigt einige davon. Fünf modifizierbare RF (Body-Mass-Index, systolischer Blutdruck, Nicht-HDL-Cholesterin, Rauchen und Diabetes) sind mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem Tod jeglicher Ursache verbunden. Daten aus einer globalen Kohorte zeigten, dass 57,2 % bzw. 52,6 % der Fälle von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen bzw. Männern und 22,2 % bzw. 19,1 % der Todesfälle jeglicher Ursache auf diese Risikofaktoren zurückzuführen sind (3). Bei der Hypertonie ist eine Körpergewichtsreduktion ein wichtiges Therapieziel, das primär durch Bewegung und Ernährungsmodifikation erreicht werden kann. Die Leitlinien betonen eine Gewichtsabnahme. Pro kg Gewichtsverlust bei übergewichtigen (BMI ≥25 kg/m2) oder adipösen (BMI ≥30) Menschen kann mit einem systolischen Blutdruckabfall von 0,5–2mmHg gerechnet werden.

Pathophysiologisch kommt es im viszeralen Fettgewebe bei vergrösserten Adipozyten zu einer systemischen Entzündung mit Erhöhung von Interleukin 6 und IL-β und weiteren Zytokinen und TNF-α. Dies führt zu einer Endotheldysfunktion, einer Oxidation von LDL mit Dyslipidämie, Plaquebildungen und späteren kardiovaskulären Events. Zusätzlich kommt es zu einer Insulinresistenz und einer verminderten Insulinsekretion mit Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) (Abb. 1) (4). Gastrointestinale Karzinome sind bei Adipositas gehäuft. Erwähnenswert sind die nichtalkoholische Fettlebererkrankung und weitere internistische, neurologische, psychische und orthopädische Leiden (5). Die Adipositas wird heute als chronisch fortschreitende Erkrankung anerkannt.

Bei der Prävention gibt es die individuelle und die Population basierte Form. Bei der ersten stehen Lifestyle-Massnahmen (körperliche Aktivität, Gewichtsreduktion, gesunde energiereduzierte Ernährung) neben spezifischen Interventionen im Vordergrund. Weitere cv Risikofaktoren sind zu vermeiden. Bei der zweiten Form sind zusätzliche Umwelt bedingte Massnahmen und Entscheidungen der Politik notwendig. Ein signifikanter Gewichtsverlust von ≥5–10 % ist für eine cv protektive Wirkung notwendig. Dies konnte bis vor kurzem nur durch eine bariatrische Chirurgie erreicht werden. In einer sehr grossen Kohortenstudie aus den USA konnte das cv Risiko in 4 bis 7 Jahren (Tod, MI, HI, Stroke) signifikant gesenkt werden (6).

Mit den GLP1-RA haben wir heute ein Medikament, welches als Antidiabetika ebenfalls zu einer signifikanten Gewichtsreduktion führt. GLP1-RA ahmen die Wirkung der körpereigenen Hormone GLP-1 und glukoseabhängiges insulinotropes Peptid (GIP) nach; diese werden bei T2DM vermindert ausgeschüttet, wodurch der Inkretin-Effekt, d.h. die blutzuckersenkende Wirkung, verringert ist (Abb. 2) (7, 8).

In der STEP-4 Studie kam es bei 902 jüngeren Patienten mit einem durchschnittlichen BMI von 38 kg/m2 mit einer Dosistitration auf 2.4 mg Semaglutid 1x/Woche sc nach 68 Wochen zu einer Gewichtsreduktion von 18 %. Wurde das Medikament nach 20 Wochen wieder abgesetzt, ging das Gewicht wieder hoch (9). In der SUSTAIN-6 Studie bei T2DM und Patienten mit sehr hohem cv Risiko schützt die Substanz in tieferer Dosierung von 0.5 resp. 1 mg 1 x/Woche sc über 2 Jahre vor kardiovaskulären Ereignissen (cv Tod, MI, Schlaganfall) bei einer HR von 0.74. Es kam auch zu einem signifikanten Abfall des HbA1c und des Körpergewichts (10).

In der SELECT-Studie konnte bei 17 604 adipösen Nicht-Diabetikern mit kardiovaskulären Erkrankungen (ASCVD) und einem BMI ≥27, mittlerer BMI von 33 kg/m2, die Eventrate nach 3.2 Jahren mit Semaglutid, Dosistitration von 2.4 mg 1x/Woche sc, um 20 % gesenkt werden. Es kam zu signifikant weniger cv Todesfällen, nicht fatalen MI und nicht fatalen Strokes und weniger Hospitalisationen wegen einer HI nach 40 Monaten. Der Gewichtsabfall betrug -8.5 %, der Taillenumfang nahm um 7.6 % ab. Eine sehr interessante Beobachtung war, dass die protektive Wirkung, unabhängig vom Ausgangsgewicht, Prädiabetes, GFR, chron. HI (24 %), sehr rasch einsetzte, was mit der Gewichtsreduktion nicht zu erklären war. Man vermutet, dass die systemische Entzündung rasch vermindert wird und dadurch die cv Events bei allen bereits in der Frühphase positiv beeinflusst werden. Das hs-CRP sank um 37. 8%, der BD um 3.3 mmHg (Gewichtsreduktion) und das LDL um 2.2 %. An NW waren die GI- und hepatobiliären Nebenwirkungen deutlich ausgeprägter als Placebo mit 16.6 % vs. 8.2 %. Diese können mit individuellen Massnahmen und einer langsamen Dosissteigerung oft reduziert werden (11). Es fehlen Daten bei jüngeren gesunden Adipösen.

«SELECT» identifiziert erstmals Adipositas als einen behandelbaren kardiovaskulären Risikofaktor und eröffnet damit eine neue Domäne für die Kardiologie. Die Reduktion von Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall durch Semaglutid wurde, zusätzlich zu einer guten leitliniengerechten Therapie, beobachtet. Der Befund war in allen Subgruppen konsistent. «Insbesondere ist interessant, dass Patient/-innen in der niedrigen BMI-Gruppe von 27-30 kg/m2 mindestens ebenso stark, numerisch evtl. sogar stärker, profitiert haben» schrieb Prof. Dr. U. Laufs aus Leipzig im November 2023 in «Herzmedizin» der DGK.

Seit mehr als 20 Jahren wissen wir, dass die Adipositas mit der Herzinsuffizienz (HI) assoziiert ist; vor allem mit einer HFpEF bei vielen Komorbiditäten. Am häufigsten eine Hypertonie in 60–80 %, ein höheres Alter, eine CHK, das weibliche Geschlecht, eine chronotrope Inkompetenz, die Adipositas in 30–40 % und viele weitere. Die Adipositas verschlechtert die HI-Symptome, die Lebensqualität und die Prognose (12). Pathophysiologisch kommt es zu einer diastolischen Funktionsstörung mit Elastizitätsabnahme, steiferem Ventrikel mit verminderter Compliance. Man findet einen erhöhten pulmonal vaskulären Widerstand mit erhöhten pulmonalen Druckwerten inkl. RV und RA und erhöhten Füllungsdrücken. Mit der Zeit kommt es zu einer RV-Dysfunktion. Adipöse HFpEF-Patienten haben einen niederen BNP/NT-pro-BNP Wert bei gleichem Wedge-Druck als normalgewichtige Personen. Unter Belastung Abfall des Cardiac-Index und überproportionaler Anstieg der pulmonalen Druckwerte/Füllungsdrücke. Dies führt zur Belastungseinschränkung.

Insbesondere bei Frauen mit hohem BMI ist auch das Blutvolumen erhöht. Das perikardiale Fettgewebe hat eine restriktive Wirkung. Klinisch periphere Ödeme, Orthopnoe und Belastungsdyspnoe, Anstieg des NT-pro BNP (12, 13). Nach einer bariatrischen Chirurgie gibt es nach einer schwedischen Studie mit 2 Registern bei fast 40 000 Patienten deutlich weniger HI-Fälle im Vergleich zu einer intensiven Änderung des Lebensstils (14).

In der STEP-HFpEF Studie konnte bei 529 medikamentös gut vorbehandelten Patienten ohne T2DM (noch ohne SGLT2-H., nur 3,6 %) mit einem Durchschnittsalter von 69 Jahren und einer LVEF ≥ 45 % mit einem BMI ≥30 kg/m2 (median 37) mit einer HFpEF (NYHA II-IV), eingeschränkter Lebensqualität und kardiovaskulären Vorerkrankungen (Hypertonie, Vorhofflimmern, chronische Nierenerkrankung) klar aufgezeigt werden, dass mit Semaglutid in aufsteigender Dosierung über 16 Wochen bis 2.4mg 1 x /Woche sc und einer Beobachtung über 1 Jahr, es zu einer starken Verminderung der Symptome und einer Verbesserung der körperlichen Einschränkung kam und die Lebensqualität (KCCQ) deutlich verbessert wurde mit einer stärkeren Gewichtsabnahme (–10.7 %) als Placebo. Alle Patienten profitierten unabhängig vom Ausgangs-BMI. Der Nutzen war besonders ausgeprägt bei starker Gewichtsreduktion. Die Frauen waren insgesamt stärker beeinträchtigt und wiesen eine grössere subjektive Verbesserung auf – vgl. Pathophysiologie. Neben der Senkung des hs-CRP wurde auch das NT-pro-BNP (–16 %) deutlich gesenkt (15). Semaglutid stellt eine neue, wertvolle Therapieoption für die Behandlung von Patienten mit HFpEF und Übergewicht dar.

In der am ACC 2024 vorgestellten STEP-HFpEF DM Studie bei 616 Patienten mit einer HFpEF bei Adipositas und einem T2DM kam es zu einer Gewichtsreduktion von minus 6.4 % und einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität über 52 Wochen. Das NT-pro BNP wurde 23.2 %, das HbA1c 0.7 % gesenkt; dies mit einer Dosistitration über 16 Wochen auf 2,4mg Semaglutid 1x/Woche sc. 33 % hatten zusätzlich einen SGLT2-Hemmer (16).

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Der Autor hat keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert

  • Die Adipositas als kardiovaskuläre Komorbidität nimmt weiterhin
    stark zu.
  • Adipositas begünstigt neben ischämischen cv Erkrankungen auch
    die Entwicklung einer HFpEF und ein Vorhofflimmern; 30–40 % der HFpEF Patienten haben eine Adipositas. Bei diesen bestehen charakteristische ungünstige hämodynamische Veränderungen (Frauen > Männer).
  • Eine substanzielle Gewichtsreduktion von ≥ 5–10 % bei adipösen ASCVD Patienten führte zu einer Reduktion der cv Ereignisrate (SELECT Studie). Möglicherweise über eine Reduktion
    der ­Inflammation jenseits des eigentlichen Gewichtsverlusts.
  • Bei Patienten mit einer HFpEF und Adipositas ist der GLP1-RA
    Semaglutid assoziiert mit einer stärkeren Verbesserung der Symptome, der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität bei einer signifikanten Gewichtsreduktion und Verringerung der Entzündung als bei Placebo.
  • Mit Semaglutid ist eine Langzeittherapie notwendig;
    die häufigsten NW sind gastrointestinal.
  • Eine Rückerstattung der hohen Kosten von Ozempic®, Wegovy®
    muss individuell abgeklärt werden – vgl. Spezialitätenliste BAG.

1. The GBD 2015 Obesity Collaborators, Health effects of overweight and obesity in 195 countries over 25 years, N Engl J Med 2017;377:13-27, DOI: 10.1056/NEJMoa1614362
2. Khan S.S. et al., Association of body mass index with lifetime risk of cardiovascular disease and compression of morbidity, JAMA Cardiol. 2018 Apr 1; 3(4):280-287, doi: 10.1001/jamacardio.2018.0022
3. GCRC, Global Effect of Modifiable Risk Factors on Cadovascular Disease and Mortality, N Engl J Med 2023;389:1273-1285, DOI: 10.1056/NEJMoa2206916
4. Yao L. et al., Roles of the Chemokine System in Development of Obesity, Insulin Resistance, and Cardiovascular Disease, Journal of Immunology Research Volume 2014, Article ID 181450, 11 pages http://dx.doi.org/10.1155/2014/181450
5. Müller T.D. et al., Adipositastherapie – werden Pharmakotherapien die Alternative zur metabolischen Chirurgie sein?, Innere Medizin 2023, 64 : 629-635
6. Mentias A. et al., Long-term cardiovascular outcomes after bariatric surgery in the Medicare population, JACC 19. April 2022; 79(15):1429-1437, doi: 10.1016/j.jacc.2022.01.047
7. Vontobel J. et al., Diabetes + Herz» – 2023 ESC-Guideline: ein Summary, info@herz+gefäss, Vol.14, 02, Ausgabe April, S.:10-15
8. Drucker D. et al.,The Cardiovascular Biology of Glucagon-like Peptide-1, Cell Metab 2016;24(1):15-30
9. Rubino D. et al., Effect of Continued Weekly Subcutaneous Semaglutide vs Placebo on Weight Loss Maintenance in Adults With Overweight or Obesity: The STEP 4 Randomized Clinical Trial, JAMA 2021 Apr 13;325(14):1414-1425. doi: 10.1001/jama.2021.3224
10. Marso S.P. et al., Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes, N Engl J Med 2016 Nov 10;375(19):1834-1844. doi: 10.1056/NEJMoa1607141. Epub 2016 Sep 15
11. Lincoff A.M. et al., Semaglutid and Casrdiovascular Outcomes in Obesity without Diabetes, N Engl J Med 2023;389:2221-2232, DOI: 10.1056/NEJMoa2307563
12. Anker S.D. et al., Patient phenotype profiling in heart failure with preserved ejection fraction to guide therapeutic decision making. A scientific statement…., EJ Heart Failure 2023, 25:936-955
13. Borlaug BA. et al., Heart Failure with Preserved Ejection Fraction, JACC Scientific Statement, JACC 2023;81 (18): 1810-1834
14. Sundström J. et al., Weight loss and Heart Failure, Circulation 2017;135:1577-1585
15. Kosiborod M.N. et al., Semaglutide in Patients with Heart Failure with Preserved Ejection Fraction and Obesity, N Engl J Med 2023;389:1069-1084, DOI: 10.1056/NEJMoa2306963
16. Kosiborod M.N. et al., Semaglutide in Patients with Obesity-Related Heart Failure and Type 2 Diabetes, N Engl J Med 2024;390:1394-1407, DOI: 10.1056/NEJMoa2313917

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  • Vol. 14
  • Ausgabe 5
  • Mai 2024