- Herzerkrankungen im Kindesalter
Nebst der Tatsache, dass das Thema «Herz» mit sehr vielen Emotionen verbunden ist, gibt es im Kindes- und Jugendalter einige kardiale Probleme, die man weiter abklären sollte. ca. 1 von 100 Kindern in der Schweiz hat einen angeborenen Herzfehler, das Spektrum reicht von einem kleinen, hämodynamisch nicht relevanten muskulären Ventrikelseptumdefekt (VSD) bis zum komplexen «hypoplastischen Linksherzsyndrom». Nebst den angeborenen Vitien sind Herzrhythmusstörungen, Synkopen und Herzgeräusche aber ebenso häufige Probleme, mit denen nicht nur Kinderkardiologen, sondern v.a. die GrundversorgerInnen in der Praxis konfrontiert sind.
Spezialisten haben den Vorteil, ein vorselektioniertes Patientengut zu sehen. Ärzte in der Grundversorgung müssen aber die Kinder identifizieren, welche zum Kinderkardiologen überwiesen werden müssen, und festlegen mit welcher Dringlichkeit. In diesem Artikel werden einige wichtige «red flags» und eine Art Leitfaden für die häufigeren kinderkardiologischen Probleme vorgestellt.
Herzgeräusche
Herzgeräusche bei Kindern und Jugendlichen sind sehr häufig (60-80%). Prinzipiell kann man sagen, je jünger das Kind, desto breiter sind die Differentialdiagnosen und umso relevanter die Konsequenzen für das Kind. Eine gute klinische Untersuchung in Kombination mit einer guten Anamnese, lassen uns «harmlose» Herzgeräusche von den weiter abzuklärenden Herzgeräuschen unterscheiden.
Bei neugeborenen Kindern sind Trinkverhalten und Gedeihen zwei sehr wichtige Faktoren. Trinkt das Kind zügig ohne Pausen oder vermehrtes Schwitzen und gedeiht perzentilengerecht, ist eine relevante Herzinsuffizienz sehr unwahrscheinlich.
Bei älteren Kindern sind ein Leistungsknick oder angeborene Herzfehler in der Familie immer Angaben, die uns aufhorchen lassen.
Im klinischen Status sind die Inspektion und Palpation genauso wichtig wie die Auskultation. Zeigt das Kind Dysmorphiezeichen oder Zeichen der Atemnot? Ist es zyanotisch?
Bei der Palpation sind ein verstärktes Präkordium, ein Schwirren präkordial oder jugulär Symptome, die uns an ein zugrundeliegendes (Aortenstenose, Pulmonalstenose oder Ventrikelseptumdefekt) Vitium denken lassen.
Bei den Neugeborenen / Säuglingen sollte man nie vergessen die Leistenpulse zu tasten um eine mögliche Aortenisthmusstenose nicht zu verpassen.
Falls in der Praxis die Möglichkeit besteht, sollte man versuchen, eine transkutane Sauerstoffsättigung prä- und postductal sowie Blutdrücke an allen 4 Extremitäten zu messen.
Bei der kardiale Auskultation zu beachten:
- Herztöne: 2. Herzton fix gespalten, erst bei Kindern ab Vorschulalter verwertbar (z.B. relevanter Atriumseptumdefekt), frühsystolischer
- Ejektionsklick (Pulmonal- / Aortenstenose).
- Lokalisation/Ausstrahlung: Pumonalis, Aorta oder über Erb.
- Timing: systolisch, diastolisch, systolo-diastolisch.
- Lautstärke (1-6/6).
- Dynamik.
Harmlose Herzgeräusche
Akzidentelles Herzgeräusch: gesunde Kinder, oft über Erb, midsystolisch, max. 3/6, «musikalisch», nieder-mittelfrequent, evtl. leiser beim Aufrichten. Ursachen unklar, Strömungsgeräusch, bei Fieber/Anämie häufiger. Nicht abklärungsbedürftig.
Periphere Pulmonalstenose: Häufigstes Herzgeräusch bei Neugeborenen und Säuglingen bis 6 Monate: Kurzes, mittelfrequentes Systolikum, ubiquitär, im Rücken
Nonnensausen: Turbulenz in den Jugularvenen, Alter 3-6 Jahre, systolisch-diastolisch, links und rechts infraclaviculär, nur in aufrechter Position, verschwindet bei Kopfdrehung
Organische Herzgeräusche
VSD: über Erb/4. ICR parasternal links, kurz/hochfrequentes Systolikum (kleiner, muskulärer VSD), hochfrequent/holosystolisch (mittelgrosser VSD).
Valvuläre Pulmonalstenose: rau/niederfrequentes Systolikum 2. ICR links, Ausstrahlung in den Rücken, frühsystolischer Klick.
Grosser Atriumseptumdefekt (ASD): mittelfrequentes Systolikum 2. ICR links (relative Pulmonalstenose durch vermehrten Fluss), fix gespaltener 2. HT (meist asymptomatische Kinder).
Aortenisthmusstenose: mittelfrequentes Systolikum 2. ICR links, im Rücken links und axillär.
Valvuläre Aortenstenose: niederfrequentes, raues Systolikum 2. ICR rechts mit frühsystolischem Klick und evtl. Schwirren im Jugulum.
Persistierender Ductus arteriosus (PDA): systolo-diastolisches Geräusch 1. und 2. ICR links.
Welche Herzgeräusche bedingen eine überweisung an die Kinderkardiologie
- Diastolische Herzgeräusche
- Herzgeräusch mit zusätzlichem Schwirren oder verstärktem Präkordium
- Herzgeräusch und Herzinsuffizienzzeichen
- Herzgeräusch und Zyanose
- Herzgeräusch und Dysmorphiezeichen
- Herzgeräusch mit fix gespaltenem 2. HT.
- Systolikum lauter als 3/6
- CAVE: bei Neugeborenen ist alles möglich, evtl. PDA noch offen, rasche Zuweisung
Thoraxschmerzen
Konsultationen wegen Thoraxschmerzen sind v.a. bei Jugendlichen häufig, kardiale Ursachen sind aber eher selten (Tabelle 1). An eine ernsthafte Erkrankung ist v.a. bei akutem Auftreten zu denken (Tab. 2).
Kardiale Ursachen
Akute Thoraxschmerzen
Im Rahmen einer Perikarditis treten häufig Thoraxschmerzen auf, oft mit Fieber und Infektzeichen vergesellschaftet. Auskultatorisch finden sich evtl. ein Reibungsgeräusch oder sehr leise Herztöne. Im EKG sieht man die typischen ST-Streckenveränderungen. Nach herzchirurgischen Eingriffen kann eine Perikarditis (Postkardiotomiesyndrom) bis 4 Wochen postoperativ auftreten. Neben den viralen und bakteriellen Perikarditiden, treten idiopathische und Begleitperikarditiden (paraneoplastisch, Kollagenosen, Nierenleiden) auf.
Im Unterschied zu den Erwachsenen sind Koronarischämien bei Kindern und Jugendlichen selten und praktisch nur bei prädisponierenden Faktoren zu sehen. Im Rahmen einer Kawasaki Vaskulitis können Koronaraneurysmen auftreten, welche im Verlauf zu Koronarkomplikationen führen können. Treten bei diesen Patienten Thoraxschmerzen auf, sollte man immer an eine mögliche Koronarischämie denken.
Frühe Herzinfarkte in der ersten oder zweiten Dekade, können ebenfalls bei homo- oder heterozygoter Hypercholesterinämie auftreten.
Sehr selten sind auch angeborene Koronaranomalien, wie z.B. der Fehlabgang der linken Koronararterie aus der Pulmonalis (ALCAPA) für Thoraxschmerzen verantwortlich. Bei diesen Anomalien können Thoraxschmerzen oder Synkopen unter Belastung hinweisende anamnestische Angaben sein.
Aortendissektionen sind im Kindesalter eine Rarität und treten praktisch nur im Rahmen eines Traumas oder einer Bindegewebserkrankung (Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos) auf.
Sehr selten können Arrhythmien (Extrasystolen, Palpitationen bei tachykarden Rhythmusstörungen) v.a. von kleineren Kindern als «Schmerzen» wahrgenommen werden.
Chronisch-rezidivierende Thoraxschmerzen
Häufig treten bei Jugendlichen über einen längeren Zeitraum etwas unspezifische Thoraxschmerzen auf. Meistens handelt es sich um idiopathische, gutartige Beschwerden, die im Verlauf spontan rückläufig sind. Oft liegen auch muskuloskelettale Beschwerden oder psychisch überlagerte Probleme zugrunde. Relevante kardiale Ursachen sind selten und häufig handelt es sich um harmlose Zufallsbefunde, wie Mitralklappenprolaps oder Extrasystolen. Ein hoher Leidensdruck oder familiäre Belastung führen schlussendlich öfters zu einer kardiologischen Abklärung. Meistens helfen bereits die kardiologische Untersuchung und die Aufklärung über den gutartigen Spontanverlauf, um die Beschwerden zu lindern.
Differentialdiagnosen
Pneumologisch: (Pleuro)-Pneumonie, Asthma, Pneumothorax, Lungenembolie (sehr selten).
Gastrointestinal: Gastritis, Oesophagitis, gastro-ösophagealer Reflux.
Synkopen
Auch Synkopen sind im Kindes- und vor allem Jugendalter etwas Häufiges. Im Kleinkindesalter können Synkopen eigentlich nur im Rahmen von Affektkrämpfen beobachtet werden. Im Teenageralter stehen die neurokardiogenen Synkopen im Vordergrund. Dazwischen sind Synkopen eher untypisch. Selten (< 5%) liegen im Kindesalter organische kardiale Ursachen zugrunde. Aber genau diese kardialen Ursachen sind potentiell lebensgefährlich und es gilt, sie aus den vielen harmlosen Ursachen herauszufiltern (Tab. 3).
Nebst einer gründlichen körperlichen Untersuchung ist eine gute, gezielte Anamnese das wichtigste Instrument bei einer Synkopenabklärung. Als zusätzliche Untersuchung sollte ein Ruhe-EKG durchgeführt werden. Aufgrund dieser Angaben und Befunde kann man in den meisten Fällen sehr gut eingrenzen, welche Kinder weitere kardiologische Abklärungen benötigen.
Strukturelle Herzfehler
Selten, evtl. schwere Aortenstenose. Patienten nach Herzoperation (atriale und ventrikuläre Arrhythmien auch Jahre nach OP). Koronar- anomalien.
Arrhythmie-Syndrome
Hierbei handelt es sich um genetisch bedingte Störungen der Ionenströme an der Zellmembran mit Veränderungen der Repolarisation. Bei diesen Syndromen gibt es stets einen Trigger, (z.B. Emotionen, körperliche Anstrengung, akustische Reize), der zu polymorphen ventrikulären Kammertachykardien (meistens Torsades-de-pointes) führt und dadurch zu Synkopen oder gar zum plötzlichen Herztod. Oft sind diese Erkrankungen familiär gehäuft. In diesen Fällen ist meistens die Anamnese in Kombination mit einem auffälligen EKG bereits wegweisend. Bei sehr suggestiver Anamnese und initial normalem EKG sind evtl. repetitive EKGs, eine Ergometrie oder eine pharmakologische Provokation notwendig, da der Phänotyp im EKG transient vorhanden sein kann.
Kardiomyopathien
Jede Form einer Kardiomyopathie birgt ein relevantes Arrhythmierisiko. Am häufigsten sind die Patienten mit obstruktiver, hypertropher Kardiomyopathie oder arrhythmogener rechtsventrikulärer Dysplasie betroffen. Oft sind die Kardiomyopathien familiär. Die Synkopen treten meist unter verdächtigen Umständen, wie körperliche Belastung auf. Oft gibt es Auffälligkeiten im Ruhe-EKG, welche aber auch sehr diskret sein können. Eine fachärztliche Abklärung ist stets indiziert.
Universitätsklinik für Kardiologie
Schweizer Herz- und Gefässzentrum Bern
Inselspital
Universitätsspital Bern
3010 Bern
dina.jakob@insel.ch
Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
- Relevante kardiale Erkrankungen im Kinder- und Jugendalter sind selten, aber falls sie verpasst werden, können sie zu tödlichen Verläufen führen.
- Generell gilt, dass man Neugeborene und Säuglinge einem Kinderkardiologen niederschwelliger zuweisen sollte.
- Angeborene oder familiäre Erkrankungen stehen im Kindesalter im Vordergrund, degenerative oder sekundäre Herzerkrankungen sind eine Rarität.
- Eine gründliche, fokussierte Anamnese, kombiniert mit einem guten klinischen Status und evtl. zusätzlichem Ruhe-EKG, lässt in den meisten Fällen differenzieren, ob es sich um ein relevantes kardiales Problem handeln könnte und weitere spezialärztliche Untersuchungen notwendig seien.
der informierte @rzt
- Vol. 8
- Ausgabe 7
- Juli 2018