- Highlights vom EASD 2022
Die Innovationskraft in der Diabetologie ist ungebrochen. Dies zeigt die Fülle an neuen wissenschaftlichen Daten, wie sie auf der diesjährigen Tagung der European Society for the Study of Diabetes (EASD: 19.-23.9.2002 in Stockholm) präsentiert wurden.
Diabetisches Fußsyndrom: Proaktive Operation lohnt sich
Bei ca. 25% aller Typ-2-Diabetiker entwickelt sich im Krankheitsverlauf ein diabetisches Fußsyndrom, die Hälfte der Betroffenen verstirbt daran und bei 70% muss innerhalb von fünf Jahren eine Amputation durchgeführt werden. Diese Zahlen belegen, dass das diabetische Fußsyndrom eine besondere Herausforderung darstellt und deshalb auch ein interdisziplinäres Vorgehen erfordert. Ein früher proaktiver operativer Eingriff mit dem Ziel einer mechanischen Entlastung des Fußes beschleunigt die Abheilung des Ulkus, verhindert Komplikationen insbesondere eine Sepsis oder Amputation und spart Kosten im Vergleich zum konservativen Vorgehen. Dies ist das Ergebnis einer klinischen Studie.
„Obwohl das Verfahren relativ einfach ist, so verspricht es doch eine revolutionäre Verbesserung bei der Therapie des diabetischen Fußsyndroms“, so der Studienautor Dr. Adrian Heald, Salford. Verglichen wurde das Outcome von 19 operierten Patienten, die alle auch eine diabetische Polyneuropathie hatten, mit dem von 15 konservativ behandelten Patienten. Bei allen operierten Patienten konnte das Ulkus zur Abheilung gebracht und eine Sepsis verhindert werden. In der konservativ behandelten Gruppe kam es nur bei 36% zur Abheilung und bei 46% zu einem septischen Verlauf. Während bei den operierten Patienten nur bei 10% eine Amputation unumgänglich war, betrug die Amputationsrate bei konservativem Vorgehehen 66%. Von den operierten Patienten verstarb keiner, in der konservativ behandelten waren es 6 Patienten.
Bei dem operativen Eingriff ging es darum, durch einen plastischen Eingriff an den Sehnen den mechanischen Druck auf die Ulkus-Läsion zu minimieren, um so die Abheilung zu beschleunigen. Bei 9 Patienten mit einem Ulkus an der Fußsohle wurde die Achillessehne verlängert und bei 10 Patienten mit einem Ulkus an einer Zehenspitze mit Beteiligung der Flexoren-Sehnen wurden die Strecksehnen verlängert, um eine Streckung der Zehen zu ermöglichen.
Tee und Ballaststoffe reduzieren das Diabetes-Risiko
Tee oder Kaffee? Mit welchem alltäglichen Getränk kann man der Manifestation eines Typ-2-Diabetes entgegenwirken? Darüber wird seit vielen Jahren durchaus kontrovers diskutiert. Aktuelle Daten sprechen eindeutig für Tee, genauer gesagt für den schwarzen oder chinesischen Oolong-Tee.
Ausgewertet wurden die Daten in einer Metaanalyse von 19 Kohortenstudien mit über 1 Million Teilnehmern. Das Ergebnis auf einen kurzen Nenner gebracht lautet: Wer bis zu vier Tassen Tee pro Tag trinkt, reduziert damit sein Diabetes-Risiko um 17% innerhalb von 10 Jahren. „Diese Daten zeigen, dass man ohne besondere Anstrengungen und ohne tiefgreifende Veränderung seiner Lebensgewohnheiten auf relativ einfache Weise etwas im Kampf gegen den Diabetes tun kann“, so Dr. Xiaying Li, Wuhan. Welche Inhaltsstoffe für diese günstige Wirkung verantwortlich sein dürften, darüber ist noch wenig bekannt. Aber die bioaktiven Polyphenole dürften eine wichtige Rolle spielen.
In einer anderen Studie erwies sich ein moderater Verzehr von Milchprodukten als protektiv gegen den Typ-2-Diabetes, während rotes Fleisch das Diabetesrisiko steigerte. Und der Verzehr von Getreidekörnern, faserreichen Produkten und auch Omega-3-Fettsäuren reduzierte das Sterberisiko bei Typ-2-Diabetikern.
COVID-19 bei Diabetikern: Gewicht ist entscheidend
Dass Typ-2-Diabetiker ein erhöhtes Risiko tragen, um schwer an COVID-19 zu erkranken oder ein Long-COVID-Syndrom zu entwickeln, ist unbestritten. Aber woran liegt das? Ist es der erhöhte Blutzuckerwert oder ist die mit der Diabeteserkrankung oft assoziierte Adipositas das eigentlich Gefährliche?
Dieser Frage ist man im Rahmen einer Observationsstudie nachgegangen. Analysiert wurden die Daten von 30.000 Patienten mit einer COVID-19-Infektion aus 9 prospektiven Kohortenstudien und zwar in Bezug auf HbA1c-Wert, BMI und Hüftumfang. In 9 Studien fand sich eine Korrelation zwischen dem BMI und dem COVID-19-Risiko. Dieses stieg um 7% pro 5 kg/m2 und war bei einem BMI von 30 kg/m2 und mehr sogar um 16% erhöht. Ähnliches gilt für das Long-COVID-Syndrom. Pro 5 kg/m2 stieg das Risiko um 20%. „Doch bei Diabetikern fand sich keine Korrelation zwischen dem COVID-19-Risiko und dem HbA1c-Wert“, so die Studienautorin Dr. Annika Knuppel, London.
Krebsleiden sind führende Todesursache bei Diabetikern
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass zwischenzeitlich die malignen Erkrankungen als häufigste Todesursache kardiovaskuläre Erkrankungen abgelöst haben. Dies dürfte einer im Hinblick auf das kardiovaskuläre Risiko besseren antidiabetischen Therapie und einer damit einhergehenden Lebensverlängerung geschuldet sein. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Typ-2-Diabetiker mit einem Krebsleiden (Mamma, Prostata, Darm oder Lunge) früher sterben, wenn sie rauchen oder körperlich inaktiv sind. Dies ist das Ergebnis einer Registerstudie bei ca. 500.000 Patienten. Innerhalb von sieben Jahren entwickelten 32.000 dieser Diabetiker ein Brust-, Prostata-, Darm- oder Lungenkarzinom.
Als die entscheidenden Risikofaktoren für einen vorzeitigen Tod bei diesen Patienten erwiesen sich Rauchen und körperliche Inaktivität. Nikotinabusus erhöhte das Sterberisiko um das 2,15-fache, körperliche Inaktivität um das 1,6-fache. „Dies dürfte aber auch für Diabetiker ohne Malignom gelten“, so der Studienautor Tinne Lautberg, Aarhus.
Der Diabetes raubt Lebensjahre
Trotz großer Fortschritte bei der Diabetestherapie ist der Typ-2-Diabetes weiterhin eine Erkrankung, die mit einer Verkürzung der Lebenserwartung assoziiert ist. Insbesondere bei Frauen, jungen Patienten und Rauchern ist die Prognose quo ad vitam wesentlich schlechter als bei Stoffwechselgesunden.
In einer neuen Studie mit fast 12.000 Patienten (55% Männer und medianes Alter 66,2 Jahre) war die Lebenserwartung bei Frauen um 60% und bei Männern um 44% verkürzt. „Diabetische Frauen leben im Durchschnitt fünf Jahre und Männer mit Diabetes 4,5 Jahre kürzer“, so Dr. Adrian Heald, Salford. Besonders gefährdet sind Raucher. Ihnen wurden durch die unheilige Allianz von Diabetes und Rauchen sogar 10 Lebensjahre geraubt. Auch fand sich eine Korrelation zwischen dem Sterberisiko und dem Alter, in dem der Diabetes diagnostiziert wurde. Je früher die Erkrankung erkannt wurde umso schlechter die Prognose. Wurde der Diabetes in einem Alter unter 65 Jahren entdeckt, dann ging dies mit einer um 8 Jahre verringerten Lebenserwartung einher. Als weitere Risikofaktoren für ein vorzeitiges Ableben erwiesen sich ein niedriger sozioökonomischer Status und Deprivation.
Typ-1-Diabetes: Mehr Probleme bei Mädchen
Beim Typ-1-Diabetes gibt es durchaus relevante geschlechtsspezifische Unterschiede. Kurzum: Mädchen haben schlechtere Karten. Sie zeigen eine schlechtere Blutzuckereinstellung, müssen häufiger wegen Komplikationen wie Hypoglykämien oder Ketoazidosen hospitalisiert werden, benötigen höhere Insulindosen und beklagen eine stärkere Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität vor allem in der Adoleszenz. Dies ist das Ergebnis einer großen Metaanalyse bei 89.700 Kindern und Jugendlichen mit einem Typ-1-Diabetes. „Auch war der BMI bei Mädchen höher als be Jungen“, so Dr. Silvia de Vries, Amsterdam.
Je schlechter der BZ umso mehr Angst
Angststörungen sind bei Diabetikern häufiger als bei Stoffwechselgesunden. Sie gehören zu den häufigsten Komorbiditäten. Dies gilt sowohl für Typ-1- als auch für Typ-2-Diabetiker. Und dabei besteht eine Korrelation zwischen der Güte der Stoffwechselkontrolle und dem Ausmaß der Angstgefühle. Dies ist das Ergebnis einer europäischen Studie bei 3.077 Patienten.
Besonders betroffen waren vor allem Frauen und jung Diabetiker unter 45 Jahre. Beim weiblichen Geschlecht lag die Angstinzidenz bei 63% im Vergleich zu 51% bei Männern. „Diese Patientengruppen sollten als besonders vulnerabel angesehen werden und bedürfen entsprechender Zuwendung“, so die Studienautorein Dr. Evelyn Cox, San Francisco. Je schlechter die Stoffwechselkontrolle umso mehr Angstgefühle entwickelten die Patienten. Bei einem HbA1c-Wert über 7% gaben 13% moderate Angstgefühle und 6 % starke Angstgefühle an. Die Vergleichszahlen bei einem HbA1c-Wert unter 7% waren 6% bzw. 4%. „Eine gute Blutzuckereinstellung kann vor Angst schützen“ so Cox.
Quelle: Pressekonferenzen im Rahmen des EASD, 19.-23.9.2022 in Stockholm