- Ikterus
Beim gesunden Erwachsenen liegt die Konzentration des Serum-Bilirubins unter 17 μmol/l, davon weniger als 5% in konjugierter Form. Obgleich Ikterus und Hyperbilirubinämie oft synonym verwendet werden, ist ein Ikterus erst ab einem Serum Bilirubin von mehr als 34 μmol/l, also einem zweifachen des oberen Normwertes, klinisch zu diagnostizieren. Die Gelbverfärbung lässt sich als erstes und am besten am Aussenrand der Konjunktiven und an der oralen Mucosa, insbesondere unter der Zunge erkennen. Die weitere Abklärung eines Ikterus ist kritisch, da es das erste und einzige klinische Zeichen einer relevanten Lebererkrankung sein kann (1).
Eine Hyperbilirubinämie lässt sich nach dem überwiegenden Gallenpigment in zwei Kategorien einteilen:
1. Erhöhung des unkonjugierten (indirekten) Serum-Bilirubins z.B. durch vermehrte Bildung von Bilirubin, gestörte Aufnahme von Bilirubin in die Leber oder gestörte Bilirubinkonjugation.
2. Erhöhung des unkonjugierten wie auch des konjugierten Bilirubins aufgrund einer hepatozellulären Erkrankung, Störung der kanalikulären Exkretion, gestörte Wiederaufnahme von konjugiertem Bilirubin oder einer Gallenwegsobstruktion (1).
Indirekte Hyperbilirubinämie
A. Gesteigerte Bildung von Bilirubin
a. Extravaskuläre Hämolyse – im Rahmen der meisten hämolytischen Erkrankungen kommt es zu einem vermehrten Abbau von Erythrozyten durch phagozytierende Zellen in Milz, Knochenmark und Leber.
b. Extravasation von Erythrozyten – Beim Austritt von Erythrozyten in die Pleura- oder Peritonealhöhle oder ins Gewebe kommt es zur Phagozytose durch Gewebsmakrophagen und zum vermehrten Anfall von Bilirubin.
c. Intravaskuläre Hämolyse – Hierbei wird Bilirubin vor allem in Leber und Nieren gebildet und intravasal an Haptoglobin gebunden. Haptoglobin kann bei ausgeprägter Hämolyse depletiert werden.
d. Dyserythropoese – gestörter Einbau von Bilirubin in die Erythrozyten, wie unter anderem bei der megaloblastischen und sideroblastischen Anämie, schwerer Eisenmangelanämie oder Bleivergiftungen (2).
e. Hämolyse bei körperlichem Stress – hierbei kann es zu einem bis zu 10fachen Anstieg der Bilirubinproduktion kommen. Bei Patienten mit normaler Leberfunktion ist allerdings die Kapazität für die Konjugation weit höher als selbst ein massiver Anfall von unkonjugiertem Bilirubin, so dass die kanalikuläre Exkretion zum geschwindigkeitsbestimmenden Schritt wird (3). Konjugiertes Bilirubin wird dann renal eliminiert und die Serumspiegel steigen nicht über 68 μmol/l. Beim Leberkranken hingegen kann es zu erheblichen Anstiegen des Serum Bilirubins kommen. Bei diesen Patienten kommt es zu einem gemischten Anstieg von unkonjugiertem und konjugiertem Bilirubin.
f. Im Gegensatz dazu findet sich bei Patienten mit einer erblichen Störung der Konjugation, wie z.B. dem Morbus Meulengracht, eine isolierte unkonjugierte Hyperbilirubinämie, da der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Elimination hier die Konjugation ist (4).
g. Von besonderer Bedeutung ist der Bilirubin Spiegel für die Diagnose des akuten Leberversagens bei Morbus Wilson. In dieser Situation findet sich eine normale oder ungewöhnlich niedrige alkalische Phosphatase (AP) wohingegen aufgrund der pathognomonischen Hämolyse die Bilirubinwerte hoch sind. Beim erwachsenen Patienten mit akutem Leberversagen liegt die Sensitivität einer AP (IU/ml)/Bilirubin (mg/dl) Ratio von < 4 bei 94, die Spezifität sogar bei 96% (5).
B. Verminderter Abbau von Bilirubin
a. Gestörte hepatische Bilirubinaufnahme – Sowohl eine Störung des Bilirubintransports in die Leber wie auch eine gestörte Aufnahme in den Hepatozyten können zu erhöhten Bilirubinspiegeln führen. Ersteres kann durch eine Herzinsuffizienz oder portosystemische Shunts bedingt sein, letzteres medikamentös (z.B. Rifampicin, Probenecid) sowie in manchen Fällen des
Morbus Meulengracht.
b. Gestörte Bilirubinkonjugation – eine reduzierte Glucuronidierung infolge verminderter oder fehlender UDP-Glucuronosyltransferase-Aktivität ist Merkmal einiger erworbener und erblicher Erkrankungen. Hierzu zählen Crigler-Najjar Syndrom Typ I und Typ II sowie der bereits erwähnte Morbus Meulengracht. Hyperthyroidismus und Ethinylestradiol-haltige Kontrazeptiva wie auch einige Antibiotika (Gentamicin) können die Glucuronidierung inhibieren (6). Auch fortgeschrittene Leberschäden gehen oft mit einer reduzierten Glucuronidierung einher.
Direkte Hyperbilirubinämie
Bei den erworbenen Erkrankungen, die zu einer direkten Hyperbilirubinämie führen, lassen sich einige grundlegende Pathomechanismen unterscheiden: Obstruktion der Gallen-wege mit extrahepatischer Cholestase, intrahepatische Cholestase und hepatozelluläre Schädigungen.
A. Gallenwegsobstruktion – es akkumulieren sowohl unkonjugiertes wie auch konjugiertes Bilirubin innerhalb der Hepatozyten, hierbei kann es auch zur Dekonjugation kommen und erneut dekonjugiertes Bilirubin gebildet werden (7). Ikterus aufgrund einer Gallenwegsobstruktion beim Erwachsenen hat zahlreiche Differentialdiagnosen: Gallensteinleiden mit der Sonderform des Mirizzi-Syndrom, bei dem die durch einen Zystikusstein gestaute Gallenblase den Hauptgallengang komprimiert. Daneben Tumoren mit intra- oder extraluminaler Obstruktion, Primär Sklerosierende Cholangitis, die intra- wie extrahepatische Gallenwege betreffen kann, parasitärer Befall mit Ascaris oder Leberegeln (Chlonorchis und Fasciola), Lymphome, AIDS Cholangiopathie, die durch Cryptosporidien, CMV oder aber HIV selbst verursacht wird (8), akute und chronische Pankreatitis sowie postinterventionelle Strikturen.
B. Intrahepatische Cholestase – hierbei findet sich ein Ikterus sowie eine erhöhte Serum AP so dass das Bild einer Gallengangsobstruktion besteht, die Gallenwege aber frei sind. Wichtige Differentialdiagnosen sind: Virale Hepatitiden, die sich mit cholestatischem Bild und starkem Pruritus manifestieren können. Alkoholische Steatohepatitis (ASH) die sich mit Cholestase, Fieber und Leukozytose präsentieren kann (9). Nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH) zeigt klinisch wie auch histologisch Ähnlichkeiten mit der ASH. Primär Biliäre Cholangitis zeigt typischer Weise ein cholangitisches Bild, allerdings finden sich auch hepatozelluläre Schäden. Pharmaka und Toxine können dosisabhängig (anabole Steroide, Ethinylestradiol) oder seltener im Sinne eines allergischen Geschehens «idiosynkratisch» zu einer Cholestase führen. Daraus ergibt sich, dass eine sorgfältige Medikamenten- und Substanzanalyse bei jeder Cholestase unerlässlich ist. Besonders erwähnt werden sollen hier unkontrollierte Phytotherapeutika und «pflanzlichen Produkte», die Ursache für unklare Cholestase und Leberschäden sein können (10).
Sepsis und septisches Kreislaufversagen können ebenfalls zu einem cholestatischen Bild führen. Daneben kann Cholestase als paraneoplastisches Syndrom (Stauffer Syndrom) insbesondere bei Nierenzellkarzinomen, gynäkologischen Malignomen und Prostatakarzinomen beobachtet werden (11). Infiltrationen des Leberparenchyms durch pathologische Prozesse wie Amyloidose, Lymphome oder Tuberkulose können ebenfalls ursächlich sein. Bei den erblichen Erkrankungen mit intrahepatischer Cholestase und erhöhtem konjugiertem Bilirubin sind das Dubin-Johnson Syndrom, das Rotor Syndrom, die progressive familiäre intrahepatische Cholestase (PFIC), die benigne rekurrente intrahepatische Cholestase (BRIC) und die low phospholipid assoziierte Cholelithiasis (LPAC) zu nennen. Bereits in der Neugeborenenperiode manifestieren sich Alagille Syndrom, Cystische Fibrose und manche angeborenen Störungen des Kohlenhydrat-, Fett- oder Gallenmetabolismus mit konjugierter Hyperbilirubinämie. Totale parenterale Ernährung kann Lebersteatose und Cholestase verursachen, wobei vorbestehende Leberschäden ein Risikofaktor sind (12).
Bei der Sichelzellanämie kann es im Rahmen der Hepatischen Krise zu dramatischen Erhöhungen des Bilirubins und der Gallensäuren kommen (13).
Eine weitere Entität stellt die Intrahepatische Schwangerschafts-cholestase (ICP) dar. Meist steht Pruritus als Anfangssymptom im Vordergrund, im weiteren Verlauf kann Ikterus folgen. Hier ist das erhöhte Schwangerschaftsrisiko zu bedenken das mit hohen Gallensäurespiegeln einhergeht (14).
C. Hepatozelluläre Schädigung – Bei einer primären hepatozellulären Schädigung stehen in der Laborkontrolle die erhöhten Transaminasen im Vordergrund, die aber von erhöhtem Bilirubin und Gallensäuren begleitet werden können.
Zusammenfassend
kann dem klinischen Bild des Ikterus und dem laborchemischen Befund der Hyperbilirubinämie eine Vielzahl von Erkrankungen zugrunde liegen. Hilfreich ist die Differenzierung des Serum- Bilirubins und damit eine erste diagnostische Einordnung. Eine erschöpfende Abklärung des Ikterus ist angesichts der möglichen gravierenden Grunderkrankungen unbedingt erforderlich.
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie
Universitätsspital
8091 Zürich
joachim.mertens@usz.ch
Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
- Die Ursachen des Ikterus sind vielfältig und können hepatischen wie nicht-hepatischen Ursprungs sein
- Die Unterscheidung von indirekter und direkter Hyperbilirubinämie ist für die Differenzialdiagnose wichtig
- Eine relevante Lebererkrankung sollte bei jedem Ikterus ausgeschlossen werden.
1. Reisman Y, Gips CH, Lavelle SM, Wilson JH. Clinical presentation of (subclinical) jaundice–the Euricterus project in The Netherlands. United Dutch Hospitals and Euricterus Project Management Group. Hepatogastroenterology 1996; 43:1190-5.
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3. Berk PD, Wolkoff AW, Berlin NI. Inborn errors of bilirubin metabolism. Med Clin North Am 1975; 59:803-16.
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5. Korman JD, Volenberg I, Balko J, Webster J, Schiodt FV, Squires RH, Jr., Fontana RJ, Lee WM, Schilsky ML, Pediatric, Adult Acute Liver Failure Study G. Screening for Wilson disease in acute liver failure: a comparison of currently available
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14. Dixon PH, Weerasekera N, Linton KJ, Donaldson O, Chambers J, Egginton E, Weaver J, Nelson-Piercy C, de Swiet M, Warnes G, Elias E, Higgins CF, Johnston DG, McCarthy MI, Williamson C. Heterozygous MDR3 missense mutation associated with intrahepatic cholestasis of pregnancy: evidence for a defect in protein trafficking. Hum Mol Genet 2000; 9:1209-17.
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- Vol. 9
- Ausgabe 7
- Juli 2019