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Schutz der schwangeren Bevölkerung mit höherem Risiko durch Impfung

Impfung gegen COVID-19 und Schwangerschaft

Die SARS-CoV-2-Pandemie ist nun schon seit über einem Jahr im Gange und hat bis Ende April 2021 weltweit über 3 Millionen Todesfälle verursacht. Während die Strategie der Massenimpfung von vielen Ländern übernommen wurde, ist die Frage der Priorisierung des Zugangs zur Impfung zentral. Gefährdete Bevölkerungsgruppen wurden einstimmig als Priorität im Kampf gegen diese Pandemie angesehen. Die Schweiz zählt zu den Ländern, die sich entschieden haben, schwangere Frauen durch eine Impfung gegen COVID-19 zu berücksichtigen und zu schützen.



Das Risiko, während der Schwangerschaft schwere COVID-19 Erkrankung zu entwickeln

Es ist mittlerweile in der Literatur gut dokumentiert, dass schwangere Frauen im Vergleich zu nicht schwangeren Frauen gleichen Alters ein höheres Risiko haben, eine schwere COVID-19 Erkrankung zu entwickeln, einschliesslich eines zwei- bis dreifach erhöhten Risikos der Aufnahme auf die Intensivstation, so die Autoren der grössten Serien (1, 2).
Das erhöhte Risiko einer schweren COVID-19 Erkrankung während der Schwangerschaft ist besonders bei Frauen mit bestimmten Komorbiditäten von Bedeutung. Chronischer Bluthochdruck, chronische Lungenerkrankung, vorbestehender Diabetes sowie mütterliches Alter und Adipositas sind mit einer signifikanten Erhöhung des Risikos für schwere COVID-19 Erkrankung verbunden (1).

In der Schwangerschaft scheint das Risiko einer Frühgeburt erhöht zu sein, obwohl es noch nicht möglich ist, diesen Anstieg genau abzuschätzen. Die Rate der Frühgeburten in der grössten Serie von schwangeren Patientinnen, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren, erreicht 15 bis 20 %, einschliesslich der durch schwere Formen von COVID-19 induzierten Frühgeburten, die einen Notkaiserschnitt erfordern. Eine vertikale Übertragung der Infektion ist selten, aber möglich und wird auf weniger als 5 % geschätzt, mit einem sehr seltenen Risiko einer schweren neonatalen COVID-19-Infektion (3,  4).
Die erhöhten Komplikationen einer COVID-19-Infektion versetzen die schwangere Frau daher in eine Risikogruppe, insbesondere wenn sie die Risikofaktoren für eine schwere Erkrankung hat.

Impfung und Schwangerschaft

Während der Schwangerschaft werden mehrere Impfungen empfohlen, insbesondere gegen Keuchhusten und Influenza, die als sicher und vorteilhaft für die Mutter, ihren Fötus und das zukünftige Neugeborene gelten. Dies sind inaktivierte Impfstoffe ohne infektiöse Eigenschaften. Attenuierte Lebendimpfstoffe hingegen sind wegen ihrer möglichen theoretischen Restpathogenität in der Schwangerschaft kontraindiziert.

Neue Impfstofftechnologien

In den letzten Jahren wurden neue Impfstofftechnologien wie die Verwendung von Ribonukleinsäuren, Proteinuntereinheiten und viralen Vektoren entwickelt. Diese Technologien wurden experimentell gegen Influenza, HIV und CMV eingesetzt. Klinische Studien der Phasen I und II wurden gegen Zika- und Ebola-Viren durchgeführt.
Die beiden bisher in der Schweiz verfügbaren Impfstoffe gegen SarS-CoV-2 sind Pfizer/BNT162b2 und Moderna/mRNA-1273, die beide die mRNA-Technologie verwenden und aus zwei intramuskulären Injektionen bestehen.

Nach der Injektion gelangt die mRNA, eingewickelt in eine Lipidkapsel, in die Wirtszellen, ohne in den Zellkern einzudringen. Die mRNA, die für das SARS-CoV-2-Spike-Protein kodiert, wird in das Zytoplasma der Zelle transkribiert. Sobald das Spike-Protein synthetisiert wurde, wird es zur Zelloberfläche transportiert, wo es dem Immunsystem präsentiert wird, um eine Immunität gegen SARS-CoV-2 zu erzeugen. Die mRNA enthält nicht das Virus, sondern nur den genetischen Code für ein Oberflächenprotein der Virushülle. (Abb. 1).

Die mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna sind zu 95 % wirksam bei der Prävention von COVID-19-Infektionen bei Erwachsenen (> 70.000 Teilnehmer), mit häufig leichten bis mässigen Nebenwirkungen und selten schweren allergischen Reaktionen, die auf 1/100 000 geschätzt werden, hauptsächlich bei Patienten mit einer Vorgeschichte von schweren allergischen Reaktionen (5, 6).

Daten zu schwangeren Frauen und Impfung gegen COVID-19

Schwangere Frauen wurden von klinischen Studien mit in der Schweiz zugelassenen Impfstoffen ausgeschlossen. Präklinische Daten an Ratten und Makaken haben keine nachteiligen Auswirkungen auf die Embryonalentwicklung und den Verlauf der Schwangerschaft gezeigt (7, 8). Ausserdem stellt das Profil dieser Impfstoffe kein theoretisches Überschussrisiko bei Schwangeren dar, und das Nutzen-Risiko-Verhältnis spricht stark für eine Impfung in dieser Gruppe von Patienten mit Komplikationsrisiko.

In den Phase-III-Studien (Wirksamkeitsstudien) der mRNA-Impfstoffe erhielten 53 Patientinnen den Impfstoff oder Placebo, ohne zu wissen, dass sie schwanger waren. In der Impfstoff- und der Placebogruppe trat eine gleiche Anzahl von Schwangerschaften auf, was zeigt, dass der Impfstoff keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit hat. Die Anzahl der Fehlgeburten war in beiden Gruppen gleich.

Am 10. Februar 2021 gab Dr. Anthony Fauci, Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Disease (NIAID), auf einer Pressekonferenz im Weissen Haus bekannt, dass mehr als 20 000 schwangere Frauen in den USA geimpft wurden, ohne dass es besorgniserregende Warnzeichen gab (9).
Mit Stand vom 1. März 2021 berichten die Register V-safe (10) und Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS)(11), die vom Center for Disease Control and Prevention (CDC) und der Food and Drug Administration (FDA) in den USA entwickelt wurden, über Daten von mehr als 30 000 schwangeren Frauen, die dem Impfstoff ausgesetzt waren, ohne signifikanten Anstieg von Schwangerschaftskomplikationen.

In Bezug auf die Wirksamkeit zeigte eine im März 2021 veröffentlichte prospektive kontrollierte Studie eine identische serologische Reaktion bei schwangeren (n = 84), stillenden (n = 31) und nicht schwangeren (n = 16) Frauen, was auf eine ähnliche Wirksamkeit des Impfstoffs während der Schwangerschaft und Stillzeit hindeutet (12).
Alle Nabelschnurblut- und Muttermilchproben von geimpften Pa-tienten enthielten Antikörper (12), was auf eine mögliche passive Immunität der Säuglinge bei der Geburt hindeutet, die jedoch noch nicht nachgewiesen wurde. Darüber hinaus gab die Pfizer BioNTECH-Gruppe am 18. Februar 2021 den Start einer Phase II/III-Studie bei schwangeren Frauen bekannt.
In der Schweiz ist die Impfung seit dem 5. März 2021 für schwangere Frauen mit Risikofaktoren zugänglich. Schwangere oder stillende Frauen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, können ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel ein spezielles Rezept bei ihrem Gynäkologen anfordern. Alle Informationen sind auf der Website der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie (https://www.sggg.ch/) verfügbar. Gleichzeitig wird den Patientinnen die Teilnahme an der Impf-Follow-up-Studie angeboten, die die Sicherheit des COVID-19-Impfstoffs bei schwangeren Frauen überwachen soll.

Impftreue von schwangeren Frauen

Während das Misstrauen gegenüber Impfstoffen im Allgemeinen bei schwangeren Frauen und insbesondere bei einem neu entwickelten Impfstoff berechtigt sein mag, stellt COVID-19 ein erhebliches Risiko für potenziell schwere Komplikationen während der Schwangerschaft dar, auch wenn die ersten Daten zur Impfung äusserst beruhigend sind. Schwangere Frauen sind in der Regel zurückhaltender, wenn es um medikamentöse Behandlungen geht (13), unter anderem wegen fehlender schwangerschaftsspezifischer Informationen (14). In einer kürzlich durchgeführten Studie wurde berichtet, dass 40-50 % der schwangeren Frauen vor einer Impfung gegen COVID-19 zurückschrecken, was zum Teil auf einen Mangel an Informationen zurückzuführen ist. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, den Patienten die begrenzten, aber sehr beruhigenden Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung zu vermitteln (15).
Darüber hinaus haben sich viele Fachgesellschaften, darunter die CDC (16), das American College of Obstetrics and Gynecology (ACOG) (17), die Society of Materno-Fetal Medicine (SMFM) (18), das Collège National des Gynécologues Obstétriciens Français (CNGOF) (19) und das Royal College of Obstetrics and Gynecology (RCOG) (20), für die Impfung von Schwangeren ausgesprochen.

Übersetzung des Originalartikels aus «info@gynäkologie» 02_2021

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Karine Lepigeon

Département femme-mère-enfant
CHUV
Rue du Bugnon 2
1011 Lausanne

Karine.Lepigeon@chuv.ch

PrDavid Baud

Département femme-mère-enfant
CHUV
Rue du Bugnon 2
1011 Lausanne

Dr Guillaume Favre

Département femme-mère-enfant
CHUV
Rue du Bugnon 2
1011 Lausanne

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

◆ Für schwangere Frauen mit bestimmten chronischen Erkrankungen oder mit erhöhtem Expositionsrisiko (vor allem Mitarbeiterinnen des Gesundheitswesens) wird die Impfung in der Schweiz aufgrund des erhöhten Risikos einer schweren COVID-19-Erkrankung in dieser speziellen Bevölkerungsgruppe empfohlen.
◆ Die Informationen werden regelmässig aktualisiert unter www.sggg.ch.
◆ Die Adhärenz der Patientinnen ist abhängig vom Zugang zu Informationen spezifisch zur Schwangerschaft, die auf der Website der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe verfügbar sind.

 

1. Allotey J, Stallings E, Bonet M, Yap M, Chatterjee S, Kew T, et al. Clinical manifestations, risk factors, and maternal and perinatal outcomes of coronavirus disease 2019 in pregnancy: living systematic review and meta-analysis. BMJ. 1 sept 2020;m3320.
2. Zambrano LD, Ellington S, Strid P, Galang RR, Oduyebo T, Tong VT, et al. Update: Characteristics of Symptomatic Women of Reproductive Age with Laboratory-Confirmed SARS-CoV-2 Infection by Pregnancy Status — United States, January 22–October 3, 2020. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 6 nov 2020;69(44):1641‑7.
3. Raschetti R, Vivanti AJ, Vauloup-Fellous C, Loi B, Benachi A, De Luca D. Synthesis and systematic review of reported neonatal SARS-CoV-2 infections. Nat Commun. 15 oct 2020;11(1):5164.
4. Vivanti AJ, De Luca D, Raschetti R, Benachi A. Obstetric and neonatal literature is complex and should be merged to understand perinatal SARS-CoV-2 infection. Ultrasound Obstet Gynecol Off J Int Soc Ultrasound Obstet Gynecol. févr 2021;57(2):351‑2.
5. Poland GA, Ovsyannikova IG, Kennedy RB. SARS-CoV-2 immunity: review and applications to phase 3 vaccine candidates. Lancet Lond Engl. 14 nov 2020;396(10262):1595‑606.
6. InfoVac.ch. Coronavirus (COVID-19) [Internet]. [cité 14 avr 2021]. Disponible sur: https://www.infovac.ch/fr/les-vaccins/par-maladie/coronavirus-covid-19#securite-vaccinale
7. Rasmussen SA, Kelley CF, Horton JP, Jamieson DJ. Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Vaccines and Pregnancy: What Obstetricians Need to Know. Obstet Gynecol. mars 2021;137(3):408‑14.
8. Pfizer-BioNTech. COVID-19 Vaccine VRBPAC Briefing Document [Internet]. [cité 6 avr 2021]. Disponible sur: https://www.fda.gov/media/144246/download
9. Nunez-Smith, M. & Fauci, A. Press Briefing [Internet]. Press briefing by White House COVID-19 response team and public health officials, 10 February 2021. Disponible sur: https://www.whitehouse.gov/briefing-room/press-briefings/2021/02/10/press-briefing-by-white-house-covid-19-response-team-and-public-health-officials-3/
10. Centers for disease Control and Preventio. V-Safe [Internet]. Disponible sur: https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/vaccines/safety/vsafe.html
11. Center for Disease control (CDC) et la Food and Drug Administration (FDA). The Vaccine Adverse Event Reporting System [Internet]. [cité 14 avr 2021]. Disponible sur: https://vaers.hhs.gov/
12. Gray KJ, Bordt EA, Atyeo C, Deriso E, Akinwunmi B, Young N, et al. COVID-19 vaccine response in pregnant and lactating women: a cohort study. Am J Obstet Gynecol. 24 mars 2021;
13. Nordeng H, Koren G, Einarson A. Pregnant Women’ s Beliefs About Medications—A Study Among 866 Norwegian Women. Ann Pharmacother. sept 2010;44(9):1478‑84.
14. Hayakawa S, Komine-Aizawa S, Takada K, Kimura T, Yamada H. Anti-SARS-CoV-2 vaccination strategy for pregnant women in Japan. J Obstet Gynaecol Res [Internet]. 23 mars 2021 [cité 5 avr 2021]; Disponible sur: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jog.14748
15. Ceulemans M, Foulon V, Panchaud A, Winterfeld U, Pomar L, Lambelet V, et al. Vaccine Willingness and Impact of the COVID-19 Pandemic on Women’ s Perinatal Experiences and Practices—A Multinational, Cross-Sectional Study Covering the First Wave of the Pandemic. Int J Environ Res Public Health. janv 2021;18(7):3367.
16. Centers for Disease Control and Preventio. Pregnancy and Breastfeeding/COVID-19 [Internet]. Disponible sur: https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/vaccines/recommendations/pregnancy.html
17. American College of Obstetricians and Gynecologist. Coronavirus (COVID-19), Pregnancy, and Breastfeeding [Internet]. Disponible sur: https://www.acog.org/womens-health/faqs/coronavirus-covid-19-pregnancy-and-breastfeeding
18. The Society for Maternal-Fetal Medicine. Publications & Clinical Guidance [Internet]. Disponible sur: https://www.smfm.org/covidclinical
19. Collège national des gynécologues et obstétriciens français. Vaccination anti-COVID-19 des femmes enceintes : Le CNGOF et Le GRIG rappellent leur position. [Internet]. 2021. Disponible sur: http://www.cngof.fr/patientes/presse/740-covid-19-vaccination-femmes-enceintes-3ars-2021
20. Royal College of Obstetricians and Gynaecologist. COVID-19 vaccines, pregnancy and breastfeeding [Internet]. Disponible sur: https://www.rcog.org.uk/en/guidelines-research-services/coronavirus-covid-19-pregnancy-and-womens-health/covid-19-vaccines-and-pregnancy/covid-19-vaccines-pregnancy-and-breastfeeding/