- Infektiologie: Therapie im Wandel
Der Kongress des Kollegiums für Hausarztmedizin stand im Zeichen der Neuerung: Unter dem Motto «Alles bleibt im Wandel» stellten die Organisatoren ein Programm zusammen, welches einen tiefgreifenden Einblick in die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen der Allgemeinmedizin gab. «Nichts ist so beständig wie der Wandel» (Heraklit von Ephesos) stellte Dr. med. Stefan Zinnenlauf in seiner Begrüssung fest. Im Folgenden werden einzelne Ausschnitte aus dem vielseitigen Programm wiedergegeben.
Antimikrobielle Resistenzen sind eine grosse Gefahr für die öffentliche Gesundheit, stellte PD Dr. med.Andreas Plate, MSc vom Institut für Hausarztmedizin am Universitäts Spital Zürich im Seminar mit Hausärztin Dr. med. Hanni Bartels, Küssnacht, fest.
Die WHO hat unter den zehn grössten Bedrohungen der globalen Gesundheit die antimikrobielle Resistenz nach Luftverschmutzung und Klimaveränderungen, den nicht übertragbaren Krankheiten, der Bedrohung durch eine Influenza-Pandemie sowie fragilen und gefährdeten Situationen an fünfter Stelle gelistet. Das beste Mittel gegen steigende Resistenzen ist, kein Antibiotikum einzusetzen, so der Referent.
Fall 1
Frau Dr. Bartels präsentierte einen ersten Fall aus ihrer Praxis, der eine 28-jährige nicht schwangere Frau betraf. Die persönliche Anamnese ergab, dass die Patientin keine Operationen hatte, keine täglichen Medikamente einnimmt und seit drei Jahren in einer festen Partnerschaft lebt.
Klinik
Seit drei Tagen besteht eine Dysurie und Pollakisurie. Der Abdomen ist weich, wobei eine leichte Druckdolenz suprapubisch zu verzeichnen ist. Eine Abwehrspannung ist nicht festzustellen, ebenso wenig ein Peritonismus. Die Körpertemparatur ist normal, und es bestehen keine Klopfdolenz oder Flanken- oder Rückenschmerzen.
Diagnostik
Urinstatus: Lc +++, Erys ++, Nitrit +++. BB: Lc 9.8, leichte Granulozytose, CRP 17.
Urinkultur: E. coli 105 KBE/ml (pansensible).
Unkomplizierte Zystitis ohne Antibiotika
Wer kennt die nationalen Guidelines?
Welches ist Ihr First-Line Antibiotikum?
Wer hat schon einmal eine akute, unkomplizierte Harnwegsinfektion (HWI) ohne Antibiotikum behandelt?
Bei wem ist eine Therapie ohne Antibiotikum erste Wahl bei Patienten mit einem unkomplizierten HWI? So lauteten die Fragen der Referenten.
Antibiotika-sparende Therapieansätze im Zeichen der Antibiotikaresistenz
Untere HWI:
Bis zur Hälfte der Harnwegsinfektionen heilen spontan ab (allerdings beschleunigen Antibiotika den Heilungsprozess um 1–2 Tage).
Eine unbehandelte Zystitis scheint das Risiko einer Progression zur Pyelonephritis nicht signifikant zu erhöhen.
Für ausgewählte Patienten können zuerst Antibiotika-sparende Ansätze versucht werden.
Keine Vorgeschichte einer Pyelonephritis.
Symptomdauer ≤ 5Tage.
Häufige komplizierende Faktoren und Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf in der Hausarztpraxis:
Alle HWI bei Kindern, Männern und Schwangeren.
Funktionelle oder anatomische Besonderheiten, Z. n. OP.
Immunsupprimierte Patient/-innen.
Fieber und Flankenschmerzen.
Urologische Behandlung bei Nierensteinen innerhalb der letzten zwei Wochen:
• Anlage eines Urinkatheters.
• Entlassung aus dem Krankenhaus oder dem Pflegeheim.
• Antibiotikatherapie in den letzte zwei Wochen
• renale Erkrankung
Welche Patientengruppen eignen sich für eine primärsymptomatische Behandlung? Junge und ansonsten gesunden Patienten mit unkomplizierten Harnwegsinfektionen. Bei komplizierten Harnwegsinfektionen oder Hinweisen auf komplizierende Faktoren, älteren Patienten (> 65 Jahre), Patienten mit eingeschränktem Allgemeinzustand, Patienten mit stark erhöhtem CRP, Pyelonephritis in der Vorgeschichte, Patienten mit Fieber sowie Patienten mit Symptomen, die länger als fünf Tage andauern, sollte eine antibiotische Therapie erfolgen.
Aus einer Publikation aus dem Jahr 2019 (Gharbi M et al. BMJ 2019;364: l525) geht hervor, dass bei älteren Patienten, bei denen in der Primärversorgung eine Harnwegsinfektion diagnostiziert wurde, keine Antibiotika und aufgeschobene Antibiotika im Vergleich zur sofortigen Antibiotikagabe mit einem signifikanten Anstieg der Blutstrominfektionen und der Gesamtmortalität verbunden war. Vor dem Hintergrund der Zunahme von Escherichia coli-Blutstrominfektionen in England wird eine frühzeitige Einleitung der empfohlenen Erstlinien-Antibiotika bei Harnwegsinfektionen in der älteren Bevölkerung befürwortet.
Empirische Therapie
Zystitis
Erstlinien-Therapie: Nitrofurantoin, po 100 mg alle 8 h für 5 Tage oder Trimethoprim /Sulfamethoxazol (TMP/SMX) pro 160/80 mg alle 12 h für 3 Tage
Zweitlinien-Therapie: Fosfomycin po 3 g (Einmaldosis) oder Norfloxacin po 400 mg alle 12 h für 3 Tage oder Cefuroxim po 500 mg alle 12 h für 3 Tage oder Amoxicillin/Clavulansäure po 500/125 mg alle 8 h für 3 Tage.
Fall 2
Ein siebenjährige Junge ohne Vor-OPs, keine Grunderkrankung.
Klinik
Akut seit zwei Tagen Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Fieber bis 38° C.
Enoral: Rachen gerötet, Tonsillen vergrössert mit gelben Stippchen, LK submandibulär geschwollen und druckdolent.
Diagnostik
BB: Lc 12.3, Granulozytose (Linksverschiebung), CRP 68, Transmainasen im Normbereich, Center Score 4 Punkte/McIsaac Score 5 Punkte.
Management Pharyngitis
Dr. Plate stellte die folgenden Fragen: Wer kennt die Guidelines? Was ist Ihr First Line Antibiotikum? Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulinsäure, Penicillin, Makrolid, Cephalosporin. Wer hat schon einmal eine Streptokokken-Pharyngitis ohne Antibiotikum behandelt?
Bei wem ist eine Therapie ohne Antibiotikum erste Wahl bei Patienten mit einer Streptokokken-Pharyngitis?
Häufig wird folgendes gemacht: Patient mit Symptomen → Abstrich, bei einem positiven Ergebnis erfolgt die Verabreichung eines Antibiotikums.
Patient mit Symptomen → Abstrich, wenn positiv erfolgt eine Beratung (SDM) über die Therapie.
Zur Vorhersage von Gruppe-A-Streptokokken im Rachenabstrich wird der McIsaac-Score herangezogen.
Bei einem Patienten, der über Halsweh klagt, werden die folgenden Symptome zusammengezählt: Kein Husten: 1 Punkt, Fieber > 38° C: 1 Punkt, Tonsillen-Rötung + Beläge: 1 Punkt, Zervikale Lymphadenopathie: 1 Punkt, Kein Husten: 1 Punkt.
Alter:
3–14 Jahre: 1 Punkt, 15–44 Jahre: 0 Punkte, 48 oder mehr –1 Punkt.
Die Wahrscheinlichkeit eines positiven Rachenabstrichs je nach McIsaac Score beträgt: Score 1 → 5–10 %, Score 2 → 11–17 %, Score 3 → 28–39 %, Score 4 oder Score 5 → 51–63 %
McIsaac Score 3 oder mehr → Rachenabstrich + Strepokokken-Schnelltest.
Im Falle eines negativen Befunds ist die Verabreichung eines Antibiotikums kontraindiziert (Ausnahmen: siehe Red Flag-Patienten). Im Falle eines positiven Befundes wird auf die Anwendung von Penicillin/Amxicillin verzichtet oder deren Einsatz zumindest verzögert.
McIsaac Score 0–2 → kein Rachenabstrich, keine Antibiotika.
(Strepokokken)-Pharyngitis
Empirische Behandlung
Option: Beobachten -ohne Antibiotikum
• Selbst bei Streptokokken-Angina möglich
• Symptomdauer mit Antibiotika unwesentlich verkürzt (1–2 Tage)
Therapieindikation (Erwachsene und Kinder)
• Centor Score 3 oder 4 (s. Diagnostik)
• UND
• Positives Resultat Streptokokken-Antigen-Schnelltest (Schnelltest nur durchführen, wenn eine antibiotische Behandlung bei positivem Ergebnis in Betracht gezogen wird).
• Das Entscheidende steht in der Klammer: Beratung VOR dem Schnelltest.
Beratung
Beratung über voraussichtlichen Verlauf, selbstlimitierend, Beschwerdedauer ca. 1 Woche.
Geringes Risiko (ca. Otitis media/Sinusitis/PTA/Erysipel)
Selbstmanagement (z. B. viel Flüssigkeit, körperliche Schonung usw.)
Wahrscheinlichkeit für eine behandelbare bakterielle Pharyngitis auf Basis von Anamnese und ärztlicher Befunderhebung
Vor- und Nachteile einer antibiotischen Therapie bei Pharyngitis
(+) durchschnittliche Symptomverkürzung von 16 Stunden
(–) hohe NNT v. ca. 200 zur Vermeidung einer o.g. Komplikation
(–) bei Einnahme, ca. 10 % UAW (Diarrhoe, Anaphylaxie, Mykosen)
(ggf. auf Nachfrage: geschätzte Inzidenz des ARF: < 1 : 1 000 000, Geschätzte NNT > 5500 für rheumatologische Herzerkrankung in De.)
Wenn Sie doch behandeln wollen
Erwachsene
• Penicillin V 1 Mio. IE/12 h per os, 6 Tage
• Amoxicillin 1 g/12 h per os, 6 Tage
• Ausnahmen:
– Penicillin-Allergie, Cephalosporine nicht kontraindiziert, Cefuroxim 500 mg/12 h p o, 6 Tage
– Penicillin-Allergie, alle Betalactam-Antibiotika kontraindiziert
Kinder
• Amoxicillin 25 mg/kg/12 h per os, 6 Tage
• Ausnahme:
– Penicillin-Allergie, Cephalosporine nicht kontraindiziert, Cefuroxim 15 mg/kg/8 h per os, 6 Tage
Häufig wird Amoxicillin/Clavulinsäure verschrieben.
Fazit
Sowohl bei Patienten mit einer unkomplizierten Harnwegsinfektion als auch mit einer Streptokokken-Pharyngitis kann eine symptomatischer Therapieversuch vor einer (sekundären) antibiotischen Therapie erfolgen.
Antibiotika-sparende Therapieansätze werden in den nationalen (SSI-) Guidelines empfohlen.
Achten Sie auf die richtige Identifizierung der Patienten, bei welchen Sie diese Therapie durchführen.
Aufklärung und Beratung. Viele Patienten sind darüber froh, keine Antibiotika einnehmen zu müssen.
riesen@medinfo-verlag.ch