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Alzheimer Krankheit: Potenziell neuer Therapieansatz in Sicht
Die nach ihrem Entdecker, dem deutschen Arzt Alois Alzheimer, benannte Alzheimer-Krankheit ist eine neurodegenerative Erkrankung, die in ihrer häufigsten Form bei Personen über dem 65. Lebensjahr auftritt und durch zunehmende Demenz gekennzeichnet ist. Sie ist für ungefähr 60 % der weltweit etwa 25 Mio. Demenzerkrankungen verantwortlich.
Seit Jahren wird intensiv an der Entwicklung einer Therapie dieser Krankheit geforscht, die immer mehr Menschen weltweit betrifft. Die Alzheimer-Krankheit ist charakterisiert durch das Auftreten von Amyloid-Plaques und Ablagerungen des Proteins Tau. Das von der FDA in einem beschleunigten Verfahren zugelassene Medikament Lecanemab besteht aus einem humanisierten monoklonalen Antikörper, der gegen das im Hirn abgelagerte β-Amyloid gerichtet ist. Lecanemab ist nicht in der Lage, den Krankheitsverlauf zu stoppen, jedoch kann es diesen um fünf bis sieben Jahre verlängern, was einen beachtlichen Fortschritt darstellt. Nach Jahrzehnten, in denen nahezu ausschließlich die β-Amyloid-Plaques und die Tau-Protein-Ablagerungen als Ursache der Neurodegeneration erforscht wurden, ist es einem Wissenschaftskonsortium um Prof. Bart de Strooper, Direktor des UK Dementia Institute London, gelungen, das Absterben von Hirnzellen im Tiermodell vollständig zu stoppen. Die Forscher fanden heraus, dass die Hemmung des MEG3-Molküls das Absterben von Gehirnzellen verzögern kann, was möglicherweise zu einer ganz neuen Linie der Arzneimittelentwicklung führen könnte (1).
MEG3 – Bindeglied zwischen der Akkumulation der Amyloidplaques oder Tau-Fibrillen und dem Absterben der Hirnzellen?
Der Verlust von Nervenzellen stellt einen entscheidenden Vorgang bei der Alzheimer-Krankheit dar. Die zugrunde liegenden Mechanismen wurden durch die Arbeit von Balusu et al. (1) in ein völlig anderes Licht gerückt. Diese Autoren transplantierten menschliche Neuronen in Mäusegehirne, die Amyloid-Plaques enthielten. Die menschlichen Neuronen, nicht jedoch die Mausneuronen, wiesen eine ausgeprägte Alzheimer-Pathologie auf, einschließlich Protein-Tau-Tangles und Nekroptose. Menschliche Neuronen regulierten das neuronenspezifische maternal exprimierte Gen 3 (MEG3) als Reaktion auf Amyloid-Plaques hoch. Allein das Vorhandensein von MEG3 reichte aus, um die Nekroptose in vitro auszulösen. Die orale Verabreichung von RIP-Kinase-1- und -3-Inhibitoren (Receptor Interacting Proteins) führte zu einer Unterdrückung der MEG3-Überexpression und Nekroptose. Die Herabregulierung von MEG3 schützte die Neuronen vor dem Absterben im Xenograft-Modell der Alzheimer-Krankheit. Die Manipulation von Signal-Kinasen im Nekroptose-Signalweg, die MEG3 nachgeschaltet sind, konnte die Neuronen schützen. Dies deutet auf einen möglichen Ansatz für therapeutische Maßnahmen gegen die Alzheimer-Krankheit hin.
Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Riesen
1. Balusu S et al. MEG3 activates necroptosis in human neuron xenografts modeling Alzheimer’s disease
Syphilis und kardiovaskuläres Risiko: ein taiwanesisches Register
Wird eine alte Krankheit unterschätzt?
«Syphilis ist nach wie vor ein bedeutendes globales Gesundheitsproblem. Angesichts des rasanten Anstiegs der Prävalenz, in den Jahren 2018-2022 um 79 % in USA, könnten insbesondere Kliniker und Kardiologen bereits in den nächsten Jahren mit den lebensbedrohlichen oder sogar tödlichen Folgen der Syphilis konfrontiert werden (1)».
In einer grossen Kohortenstudie aus Taiwan (2) wurde von 2010-2015 insgesamt 20 601 Patienten mit Syphilis analysiert und mit einem gleich grossen Kollektiv (alters-, geschlechts- und komorbi-ditäts-angepassten Personen) ohne Syphilis verglichen. Diese Studie zeigt, dass Patienten mit Syphilis ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und eine höhere Gesamtmortalität haben. So wurden folgende kardiovaskuläre Ereignisse mit einem RR signifikant häufiger nachgewiesen: ein akuter Myokardinfarkt mit 38 %, eine HI mit 88 %, eine Aortenklappeninsuffizienz mit 81 %, ein VHFLi mit 45 %, ein ischämischer Schlaganfall mit 68 %, ein hämorrhagischer Schlaganfall mit 114 % und eine venöse Thromboembolie (tiefe Venenthrombose u. LE) mit 67 %. Der kardiovaskuläre- und der Gesamttod waren mit 155 % (HR:2.55) resp. 196 % (HR: 2,96) deutlich erhöht. In dieser Zeitspanne von lediglich 5 Jahren waren die Aortenaneurysmen und Dissektionen nicht signifikant gehäuft – HR:1.32.
Die Syphilis (Lues) ist eine nahezu ausschließlich sexuell übertragene, in mehreren klinischen Stadien verlaufende, chronische Infektionskrankheit durch die Spirochäte Treponema pallidum. Patienten können je nach Stadium der Erkrankung eine Vielzahl von Anzeichen und Symptomen aufweisen.
Nach der Frühsyphilis (primär + sekundär + frühlatent), oft unbemerkt, folgt ein Spät-Latenzstadium. Dieses kann 1-30 Jahre dauern. Der Erreger ist aber immer noch im Körper aktiv. Entsprechend besteht auch im Latenzstadium immer noch ein gewisses Infektionsrisiko. Die folgende Tertiär- oder Spätsyphilis, nicht behandelter Fälle (25-40 %), nimmt ihren Anfang mit einem erneuten Ausbruch der Krankheit durch Befall von Organen (kutan, kardiovaskulär, Knochen, intestinal und neurologisch).
Die kardiovaskuläre (cv) Lues stellt die häufigste systemische Manifestation der Erkrankung nach hämatogener Ausbreitung des Erregers Treponema pallidum dar, die in der Regel 4–10 Wochen nach der primären Läsion ohne Therapie auftritt. Die klinischen Manifestationen der CV-Syphilis sind jedoch eher 10-25 Jahre nach dem ersten Kontakt mit dem Erreger zu erwarten. So sind auch die kleinen und grossen Gefässe (Vaskulitis der Vasa vasorum) befallen. Bei den Koronarien kommt es neben der Vaskulitis oft zu einer ostialen Stenose. Veränderungen an der Aorta (Aorten-wurzelvaskulitis) mit Aneurysmen und Dissektionen werden erst nach 10-20 Jahren beobachtet.
Dafür war diese Studie mit einer Beobachtung über 5 Jahre nicht angelegt; auch hat diese noch weitere wichtige Einschränkungen und Limitationen, welche evt. zu einer Überschätzung der Resultate führten (1,2).
Es lohnt sich die aktuelle Originalarbeit und das Editorial im EHJ zu lesen; ist doch dieses Krankheitsbild uns Ärzten ohne venerologische Erfahrungen vor allem aus dem Studium als Rarität bekannt. Wichtig bleibt dabei die Latenzzeit bis zum Ausbruch der beschriebenen kardiovaskulären Ereignisse, bei einer positiven Serologie eine frühe Antibiotika-Therapie (meist Penicillin-G) und das konsequente Suchen dieser Folgeerkrankungen resp. die Erweiterung der Anamnese nach einer früheren Lues. Patienten mit einer gummatösen oder kardiovaskulären Infektion sollten vor Beginn der Therapie eine Untersuchung der Zerebrospinalflüssigkeit durchführen lassen, um eine Neurosyphilis festzustellen – Up To Date 2023.
Dr. med. Urs Dürst
1. Arnold N. and Koenig W., Infection, inflammation, and cardiovascular risk: are we underestimating an old disease?, Eur Heart J, ehae183, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae104
2. Wu V.CC. et al, Syphilis and cardiovascular risk: a Taiwanese registry, Eur Heart J, ehae183, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae183
Bewegung gegen Depressionen
Diese Netzwerk-Meta-Analyse untersuchte die optimale Dosis und die Modalität von Bewegungsübungen zur Behandlung einer schweren depressiven Störung im Vergleich zu Psychotherapie, Antidepressiva und Kontrollbedingungen. In 218 Einzelstudien mit insgesamt 495 Armen und 14’170 Teilnehmenden wurden moderate Reduktionen der Depression für Gehen oder Joggen (n=1210, 95 % Vertrauensintervall -0,80 bis -0,45), Yoga (n=1047, -0,73 bis -0,36), Krafttraining (n=643, -0,69 bis -0,29), gemischte Aerobic-Übungen (n=1286, -0,61 bis -0,24) und Tai Chi oder Qigong (n=343, -0,65 bis -0,21) gefunden. Die Auswirkungen des Trainings waren proportional zur verordneten Intensität. Krafttraining und Yoga schienen die akzeptabelsten Modalitäten zu sein.
Fazit: Bewegung ist eine wirksame Behandlung für Depressionen. Gehen oder Joggen, Yoga und Krafttraining stehen an oberster Stelle und haben mit grösserer Intensität bessere Wirkung. Diese Wirksamkeit ist unabhängig von Komorbiditäten oder dem Ausgangswert der Depression. Alle Bewegungsmodalitäten werden gut vertragen. Ein körperliches Training sollte neben Psychotherapie und Antidepressiva als Kernbehandlung für Depressionen empfohlen werden.
KD Dr. med. Marcel Weber
Noetel M. Effect of exercise for depression: systematic review and network meta-analysis of randomised controlled trials.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38355154/
Wechsel von Vitamin K-Antagonisten zu Nicht-Vitamin K-Antagonisten erhöht bei gebrechlichen Patienten mit Vorhofflimmern das Blutungsrisiko
Hintergrund
Die meisten Patienten mit einem Vorhofflimmern werden zur Reduktion des Schlaganfallrisikos antikoaguliert; heute vorwiegend mit Nicht-Vitamin K-Antagonisten (DOAC). Es gibt aber noch eine beträchtliche Anzahl Patienten, die schon seit Jahren mit einem Vitamin K-Antagonisten (VKA) antikoaguliert werden. Der Nachteil der VKA ist, dass im Gegensatz zu DOAC regelmässig der INR-Wert bestimmt und eventuell die Dosierung angepasst werden muss. In verschiedenen Studien mit Patienten mit Vorhofflimmern, in denen die Wirksamkeit und Sicherheit von VKA mit DOAC verglichen wurden, schnitten DOACs besser ab.
Ein Teil der Patienten, die seit Jahren mit Vitamin K-Antagonisten behandelt werden, sind älter und auch gebrechlich («frail»). Diese Patienten waren in den genannten Studien nur in sehr kleiner Zahl vertreten.
Aus dem Grund untersuchten die Autoren die Frage der Wirksamkeit und Sicherheit der beiden Arten der Antikoagulation bei älteren, gebrechlichen Menschen.
Einschlusskriterien
• Patienten mit Vorhofflimmern ≥ 75 Jahre und
• vor Studienbeginn behandelt mit einem Vitamin K-Antagonisten und
• Groningen Frailty Index ≥ 3 (ein validierter Fragebogen zur Erfassung der Gebrechlichkeit; Steverink et al. Gerontologist 2001; 41: 236-237) und
• sie waren bereit, auf Nicht-Vitamin K-Antagonisten zu wechseln
Ausschlusskriterien
• Vorhofflimmern und Klappenerkrankung (mechanische Herzklappe; schwere Mitralstenose)
• eGFR < 30 ml/min/1.73m²
Outcome
Primärer Outcome
• Eine grosse (fatal, Blutung an kritischem Ort, wie Gehirn oder Retroperitoneum) oder eine klinisch relevante nicht so grosse Blutung (nach internationalen Kriterien klassifiziert)
Sekundäre Outcomes
• Thromboembolische Ereignisse
• Tod
Studiendesign und Methode:
Multizentrische, randomisierte, nicht-verblindete Studie
Studienort: 8 Zentren (Dutch thrombosis services) in den Niederlanden
Interventionen:
Gruppe 1: Stoppen der Antikoagulation mit einem Vitamin K-Antagonisten und Umstellung auf ein DOAC-Präparat, wenn der INR < 1.3 war. Initial wurde mit einem DOAC-Präparat (konnte von den behandelnden Personen frei gewählt werden) begonnen, wenn der INR-Wert < 2 war. Dabei wurden aber in der Umstellungsphase einige Blutungskomplikationen beobachtet.
Gruppe 2: weiterhin Antikoagulation mit einem Vitamin K-Antagonisten.
Resultat
• 1330 Patienten wurden randomisiert, 662 wechselten von Vitamin K-Antagonisten zu DOAC. Das mittlere Alter lag bei 83 Jahren; der mediane «Groningen fraility Index» lag bei 4. Fast 40 % waren Frauen.
• Nachdem 163 primäre Outcomes beobachtet wurden, 101 (15.3 %) im DOAC-Arm und 62 (9.4 %) im VKA-Arm wurde die Studie abgebrochen. Die Anzahl Blutungen war in der DOAC-Gruppe bei der abschliessenden Analyse um fast 70 % höher als in der VKA Gruppe.
• Bei den thromboembolischen Ereignissen und bei der Mortalität waren keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen beobachtbar.
Kommentar:
• Die Ergebnisse dieser Studie sind ein Hinweis darauf, dass bei gebrechlichen Patienten mit Vorhofflimmern nach einer Umstellung der Antikoagulation von Vitamin K Antagonisten auf Nicht-Vitamin K Antagonisten die Blutungswahrscheinlichkeit (deutlich) steigt.
• Mit dieser Studie kann die Frage bezüglich eines Unterschiedes an thromboembolischen Ereignissen (ischämischer Insult) nicht konklusiv beantwortet werden. In der Studie gab es aber keine Hinweise auf einen Unterschied zwischen den beiden Gruppen.
• Die Autoren kommen zum Schluss, dass bei diesen Patienten von einer Umstellung auf Nicht-Vitamin K Antagonisten ohne zwingenden Grund abzuraten ist.
Prof. em. Dr. med. Johann Steurer
1. Joosten L.P.T. et al. Safety of switching from a Vitamin K Antagonist of an Non-Vitamin K Antagonist Oral Anticoagulant in frail older patients with atrial fibrillation: Results for FRAIL-AF Randomized Controlled Trial. Circulation 2024; 149: 279 – 289.