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Praktische Strategien für den Umgang mit Übergewicht bei Typ2 Diabetes
Das Phänomen der Fettleibigkeit, das als wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung und das Fortschreiten von Typ-2-Diabetes gilt, ist ein komplexes und vielschichtiges Problem, das einen umfassenden und koordinierten Ansatz erfordert, um effektiv verhindert und behandelt zu werden. Obwohl neuartige pharmakologische Massnahmen zur Bekämpfung von Fettleibigkeit eine noch nie dagewesene Wirksamkeit erreicht haben, bleibt ein gesunder Lebensstil für den langfristigen Erfolg jeder therapeutischen Intervention unerlässlich.
Eine aktuelle Übersichtsarbeit empfiehlt praktische Vorschläge zum Gewichtsmanagement aus einer ganzheitlichen und personenzentrierten Perspektive. Sie umfasst evidenzbasierte Empfehlungen für unterstützende Kommunikation, gemeinsame Entscheidungsfindung sowie ernährungsphysiologische und pharmakologische Therapien zur Erzielung einer nachhaltigen Gewichtsabnahme. Die Übersichtsarbeit diskutiert auch neurometabolische, psychologische und iatrogene Barrieren und klinische Trägheit, die zum Mangel an Adipositas-Behandlung beitragen, und schlägt Wege vor, wie diese Probleme in der Klinik angegangen werden können.
Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen
Rodbard H W et al. Practical strategies to manage obesity in type 2 diabetes. Diabetes Obes Metab 2024 Mar 2 doi:10.1111/dom.15556 online ahead of print.
GLP-1-Agonisten und SGLT-2-Inhibitoren haben zusammen einen grösseren kardiorenalen Nutzen
GLP1-Rezeptor-Agonisten und SGLT-2-Hemmer verringern das Risiko kardiovaskulärer und renaler Ereignisse bei Patienten mit Typ-2-Diabetes (T2DM). Diese modernen Antidiabetika werden zunehmend in Kombination eingesetzt, wenn eine vorherige Therapie mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten ungenügend ist resp. wenn ein hohes kardiovaskuläres Risiko vorliegt. Ob der kombinierte Einsatz dieser Medikamentenklassen zu einer Verbesserung der kardiovaskulären (cv) und renalen Ergebnisse führt, verglichen mit der einer der beiden Medikamentenklassen allein, ist noch unklar.
In dieser Populationsbasierten Kohortenstudie mit 15 638 Patienten mit T2DM und einem BMI ≥ 30kg/m² in 81% und verschiedenen kardiovaskulären Erkrankungen war die Kombination aus GLP1-RA und SGLT2-H. mit einem geringeren Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse und schwere Nierenereignisse im Vergleich zu einer der beiden Wirkstoffklassen allein assoziiert. Die kardiovaskulären Events wurden um 30%, die Nierenereignisse um 57% gesenkt. Verglichen mit dem SGLT2-H. war die Kombination mit einem 29% tieferen Risiko für cv Ereignisse assoziiert; schwere Nierenereignisse hatten ein breites Konfidenzintervall (HR 0,67).
Diese Ergebnisse unterstreichen den potenziellen Nutzen einer Kombination dieser beiden wirksamen Medikamentenklassen zur Vorbeugung von kardiovaskulären und renalen Ereignissen bei der Behandlung von Typ-2-Diabetes. Weitere Studien, einschliesslich randomisierter kontrollierter Studien, werden benötigt, um die vielversprechenden Ergebnisse zu bestätigen.
Dr. med. Urs Dürst
Simms-Williams N. et al., GLP-1 Agonists and SGLT-2 Inhibitors Together Have Greater Cardiorenal Benefits, BMJ 2024;385: e078242 http://dx.doi.org/10.1136/ bmj-2023-078242
Hyperurikämie-Behandlung reduziert kardiovaskuläre Ereignisse
Epidemiologische Studien haben seit Jahren gezeigt, dass ein hoher Harnsäurespiegel mit einem erhöhten Risiko für koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht. Weniger klar war, ob eine harnsäuresenkende Behandlung mit Xanthinoxidase-Hemmern wie Allopurinol dieses Risiko minimiert. Die hier zusammengefassten Studien zeigen, dass eine harnsäuresenkende Behandlung bei Hypertonikern mit Hyperurikämie eine signifikante Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks bewirkt. Eine harnsäuresenkende Behandlung hat eine positive Wirkung auf die Senkung des systolischen Blutdrucks und auf schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit früheren kardiovaskulären Erkrankungen gezeigt. In Bezug auf die kardiovaskuläre Sicherheit ist der neuere Xanthinoxidase-Hemmer Febuxostat dem altbewährten Allopurinol nicht unterlegen, und das Risiko von Tod oder schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen ist bei Febuxostat nicht erhöht.
Fazit: Die Hyperurikämie stellt, genau wie die Hypercholesterinämie, ein bewiesener kardiovaskulärer Risikofaktor dar und muss intensiv behandelt werden, mit einem Ziel-Harnsäure-Serumwert <360 umol/L, besser noch im Bereich von 300 umol/L.
KD Dr. med. Marcel Weber
Sosa F. Impact of Hyperuricemia and Urate-Lowering Agents on Cardiovascular Diseases. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38529322
Erhöhen Antidepresiva (SSRIs) das Blutungsrisiko bei antikoagulierten Patienten?
Frage
Führt die Einnahme von SSRIs bei Patienten mit oralen Antikoagulatien bei Vorhofflimmern (VHF) zu mehr Blutungen?
Hintergrund
Die weltweite Verordnung von Antidepressiva steigt kontinuierlich. In den USA geben 19% der Über-60-Jährigen an, in den letzten 30 Tagen ein Antidepressivum genommen zu haben. Unter den Antidepressiva dominieren die selektiven Serotonin Re-Uptake Hemmer oder SSRI. Daten aus Beobachtungsstudien deuten darauf hin, dass es unter SSRIs zu vermehrten Blutungen kommt, verantwortlich dafür wird eine Thromozytenaggregationshemmung der SSRIs gemacht.
Einschlusskriterien
Alle Erwachsenen Personen (>18 Jahren) mit Vorhofflimmern, diagnostiziert zwischen 1998 und 2021, die neu ein orales Antikoagulanz, OAK in Form eines Vitamin K-Antagonisten oder eines direkten oralen Antikoagulanz, DOAK, erhielten.
Studiendesign und Methodik
Populationsbasierte Fall-Kontrollstudie (nested case-control study), auf der Basis der UK Clinical Practice Research Datalink, einer grossen Primary Care Datenbank, vergleichbar FIRE, die die Daten (Verschreibungen, Überweisungen, etc.) von fast 60 Millionen Patienten aus 2000 Hausarztpraxen umfasst. Als SSRI exponiert wurden alle Patienten definiert, die Citalopram, Escitalopram, Fluoxetine, Fluvoxamine, Paroxetine oder Sertraline einnahmen. Die Ergebnisse wurden für zahlreiche Faktoren korrigiert, unter anderem Rauchen, Alkoholkonsum, BMI, kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Leber- und Nierenerkrankungen, Anämie und weiteren. Korrigiert wurde auch für zahlreiche Medikamente, insbesondere solche, die das Blutungsrisiko beeinflussen können (Thrombozytenaggertaionshemmer, etc.)
Outcomes/Endpunkte
Als Endpunkt «Blutung» wurde eine Hospitalisation auf der Basis einer schweren Blutung (Hospitalisationsanlass) oder der Tod durch eine «major bleeding» gewertet. Antikoagulierte Patienten mit SSRI-Einnahme wurden dann mit antikoagulierten Patienten ohne SSRI Einnahme verglichen.
Resultate
Insgesamt traten relevante Blutungsereignisse («major bleedings») bei 42 190 Patienten auf (mittleres Alter 74.2, SD [9.3] Jahre, 59.8% Männer), die zu 1. 156.641 Kontrollen gematched wurden. Die gleichzeitige Einnahme von SSRIs und OAKs führte zu einem 33% höherem Blutungsrisiko als unter OAK alleine (Inzidenzverhältnis, inzidence rate ratio, IRR, 1.33; 95% CI, 1.24-1.42). Die Risikoerhöhung im Vergleich zu den Kontrollen war mit 74% zu Beginn der Therapie am höchsten (IRR, 1.74; 95% CI, 1.37-2.22 für die ersten dreissig Tage) und blieb für 6 Monate erhöht. Die Risikoerhöhung war unbeeinflusst durch Alter, Geschlecht, Blutungsanamnese, chronische Nierenerkrankung oder Potenz der SSRIs. Bei Vitamin-K-Antagonisten war die Risikoerhöhung (IRR, 1.36; 95% CI, 1.25-1.47) ausgeprägter als bei DOAKs (IRR, 1.25; 95% CI, 1.12-1.40).
Kommentar
• Diese sehr grosse, populationsbasierte Studie bestätigt frühere kleinere Studien, die bereits zeigten, dass die gleichzeitige Einnahme von SSRIs und oralen Antikoagulantien zu einem erhöhten Blutungsrisiko führt.
• Das Risiko scheint insbesondere initial, nach Beginn einer Therapie mit oralen Antikoagulantien erhöht
• Patienten sollten für diese Risikoerhöhung sensibilisiert werden und ein engmaschiges Monitoring erfolgen
• Die Studie belegt auch den hohen Nutzen von real-life Daten aus hausärztlichen Datenbanken, wie sie mit FIRE auch in der Schweiz zur Verfügung steht.
Prof. Dr. med. Thomas Rosemann
Rahman AA, Platt RW, Beradid S, Boivin J, Rej S, Renoux C. Concomitant Use of Selective Serotonin Reuptake Inhibitors With Oral Anticoagulants and Risk of Major Bleeding. JAMA Netw Open. 2024;7(3):e243208. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.3208