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Neue Impfung für ältere Risikopatienten – der erste RSV-Impfstoff
Bei älteren (≥ 65 J.) Risikopatienten muss man im Herbst neben einer jährlichen Grippe-, einer evtl. erneuten angepassten Covid-19- und einer evtl. einmaligen konjugierten PCV-Pneumokokken-Impfung auch an die neue Möglichkeit einer vorerst einmaligen RSV-Impfung denken. Das Ziel ist die Reduktion von schweren RSV-assoziierten Atemwegserkrankungen sowie der daraus resultierenden Folgen mit Hospitalisierung und möglichem Tod. Es besteht eine hohe, wahrscheinlich anhaltende Wirksamkeit und eine gute Verträglichkeit dieses weltweit ersten RSV-Impfstoffs für Erwachsene ab 60 Jahren mit einer Grunderkrankung.
Eine jährliche Influenza Impfung kann bei älteren Risikopatienten bekanntlich kardiovaskuläre Ereignisse, wie einen akuten Myokardinfarkt oder einen Schlaganfall, verhindern und die Morbidität und Mortalität deutlich senken. Eine Prävention ist sowohl bei Personen ≥ 65 Jahre als auch bei Patienten mit einer chronischen Erkrankung zu empfehlen. Diese Massnahmen sind einfach, hocheffizient und kosteneffektiv (1).
Respiratory Syncytial-Viren (RSV) verursachen weltweit hauptsächlich bei Säuglingen und Kleinkindern im Winterhalbjahr Erkältungen, grippeartige Erkrankungen und eine Bronchiolitis. Das Virus infiziert die Zilien tragenden Epithelzellen der Schleimhäute im Atemwegstrakt. Diese verschmelzen zu sogenannten Synzytien. Die Atemwegsinfekte führen oft zu Hospitalisationen. Dieses Virus ist aber auch bei älteren Erwachsenen aufgrund der Immunoseneszenz ein zunehmendes medizinisches Problem, mit schweren und potentiell lebensbedrohlichen Infektionen der unteren Atemwege und weiteren u.a. auch kardiovaskulären Komplikationen (HI, ACS, Arrhythmien nach AHA in 14–22 %). Viele Hospitalisierungen betreffen ältere Menschen und Personen mit einer Immunschwäche. Dies sind gemäss Paul-Ehrlich-Institut in Europa jährlich ca. 250 000 Hospitalisationen, davon ca. 17 000 Todesfälle.
Aus diesem Grund haben verschiedene Gesundheitsbehörden (CDC, Europäische Kommission, STIKO, RKI, EKIF und BAG) und mehrere deutsche Fachgesellschaften: u. a. Pneumologie (DGP), Hämato-Onkologie (DGHO) auch eine RSV-Impfempfehlung für Risikopersonen ausgesprochen. So lautet die Empfehlung der STIKO: «Ziel der RSV-Impfempfehlung ist die Reduktion schwerer RSV-assoziierter Atemwegserkrankungen sowie der daraus resultierenden Folgen wie Hospitalisierung und Tod bei allen Personen im Alter von ≥75 Jahren sowie bei Personen im Alter von 60 bis 74 Jahren mit deutlich erhöhtem Risiko für eine schwer verlaufende RSV-Erkrankung aufgrund einer relevant beeinträchtigenden Grunderkrankung sowie bei Bewohnenden in Einrichtungen der Pflege in einem Alter von 60 bis 74 Jahren» (2). Die RSV-Impfung sollte möglichst im September/Anfang Oktober erfolgen, um bereits in der darauffolgenden RSV-Saison (Oktober-März) einen bestmöglichen Schutz zu bieten. Zu den relevanten Grunderkrankungen gehören u. a.: Asthma, COPD, Herzinsuffizienz, koronare Herzerkrankung, Diabetes mellitus mit Komplikationen, chron. Niereninsuffizienz, Lebererkrankung, chron. neurologische und neuromuskuläre Erkrankungen, hämato-onkologische Erkrankungen sowie eine Immundefizienz. Die Krankheitsverläufe sind schwerer als bei einer Influenza. RSV-Infektionen können lediglich symptomatisch behandelt werden. Die Inkubationszeit dauert 2–8 Tage. Daher ist der neue Impfstoff von hoher Relevanz.
Auch in der Schweiz ist zurzeit der erste Impfstoff gegen RSV (Arexvy®) für Personen ab einem Alter von 60 Jahren bei diesen Risikopatienten zur aktiven Immunisierung verfügbar und zugelassen (www.bag.admin.ch/rsv). Dieser enthält ein rekombinantes RSV-Fusionsprotein-Antigen (RSVPreF3) aus der Lipidhülle des RSV mit einem Wirkverstärker (AS01E). In der grossen randomisierten, Placebo-kontrollierten Zulassungsstudie bei 25 040 Patienten in 17 Ländern wurde die Rate an RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege bei Erwachsenen im Alter von ≥ 60 Jahren in der ersten RSV-Saison statistisch signifikant um 82.6 % gegenüber einer Placebo-Impfung reduziert. Die Wirksamkeit bezüglich eines schweren infektiösen Verlaufs lag bei 94.1 % gegenüber Placebo. An Nebenwirkungen: lokale Schmerzen an der Einstichstelle in 60.9 % und Müdigkeit in 33.6 % (3). Durch die Kombination des RSVPreF3-Antigens mit dem Adjuvans-System werden eine breite, antigen-spezifische zelluläre und humorale Immunantwort und neutralisierende Antikörper erzeugt, die vor RSV-assoziierten Erkrankungen der unteren Atemwege schützen. So blockiert der Impfstoff die Fusion von RSV mit der Plasmamembran der humanen Wirtszelle. Ältere Patienten mit Komorbiditäten sind nach einer weiteren Analyse der Zulassungsstudie sehr gut vor Pneumonien (94.6 %) und akuten resp. Infekten (81 %) geschützt (4). Eine Grippeimpfung bietet nur einen Schutz von 30–70 %, da der optimale saisonale Grippeimpfstoff jeweils nicht genau vorhergesagt werden kann.
Im Juni 2024 aktualisierte auch die CDC in den USA ihre RSV-Impfempfehlung für ältere Erwachsene und empfahl, dass alle ≥ 75 Jahre und Personen im Alter von 60 bis 74 Jahren mit erhöhtem Risiko für eine schwere RSV-Erkrankung eine Einzeldosis des RSV-Impfstoffs erhalten. Bei Erwachsenen ab 60 Jahren war die RSV-Impfung in 19 US-Bundesstaaten mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthalts mit RSV verbunden, verglichen mit keiner Impfung. Die Wirksamkeit gegen RSV-bedingte Hospitalisierungen lag bei 75 % (5).
Auch eine Ko-Administration, an anderer Körper-Lokalisation, von RSV- und quadrivalenten Grippe-Impfstoffen ist möglich (2, 6, Compendium). Auf Basis der aktuellen Datenlage kann noch keine abschliessende Aussage zur Notwendigkeit/Zeitpunkt von Wiederholungsimpfungen getroffen werden. Die Höhe der Antikörpertiter nach Einmalimpfung sorgte für eine anhaltende Schutzwirkung über mindestens zwei Wintersaisons. Dies hat eine weitere sehr aktuelle Auswertung der Daten bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Zulassungsstudie nach einer zweiten Saison ergeben (7).
Weitere RSV-Impfstoffe (8, 9) befinden sich nach der EKIF resp. dem BAG im Zulassungsverfahren. Zu letzteren gehören RSV-Impfstoffe für ältere Personen (Abrysvo®, mRNA-1345) sowie ein bivalenter Präfusions-F-Impfstoff für Schwangere ab der 24. Woche (Abrysvo®) zum Schutz ihrer neugeborenen Kinder. Von Swissmedic wurde letzterer soeben zugelassen. Impfungen mit Totimpfstoffen in der Schwangerschaft gelten als sicher und werden von der Ständigen Impfkommission (STIKO) bereits seit einigen Jahren zum Schutz der Mutter und ihres Ungeborenen unter anderem gegen die saisonale Influenza und Pertussis explizit empfohlen.
Eine RSV-Impfung für Säuglinge und Kleinkinder ist in Entwicklung, aber dürfte für die nächsten Jahre noch nicht zur Verfügung stehen. Im Verlauf des Oktobers 2024 soll der monoklonale Antikörper Nirsevimab (Beyfortus®) für eine passive Immunisierung von Neugeborenen und Säuglingen im Winterhalbjahr gemäss SGGG/SGP zur Verfügung stehen.
Dr. med. Urs Dürst
Literatur:
- Dürst U., Grippe und Herz, der informierte Arzt 2023, Vol. 13, Nr.10; 24-26
- Robert Koch Institut, Epidemiologisches Bulletin 32|2024 8. August 2024
- Papi A. et al., RSV Prefusion F Protein Vaccine in Older Adults, N Engl J Med 2023,388:595-608
- Feldmann R.G. et al., Respiratory Syncytial Virus Prefusion F Protein Vaccine Is Efficacious in Older Adults With Underlying Medical Conditions, Clin Infect Dis 2024,78:202-209
- Surie D. et al., Efficacy of RSV vaccine against hospitalization in adults aged 60 years and older in the US, JAMA. Online 4. September 2024. doi:10.1001/jama.2024.15775
- Blickpunkt Medizin, RSV: Wirksamer Impfschutz für ältere Erwachsene, 2023 Thieme
- Ison MG et al., Efficacy and Safety of Respiratory Syncytial Virus (RSV) Prefusion F Protein Vaccine (RSVPreF3 OA) in Older Adults Over 2 RSV Seasons, Clin Infect Dis 2024 Jun 14;78(6):1732-1744. doi: 10.1093/cid/ciae010.
- Walsh EE. et al., Efficacy and Safety of a Bivalent RSV Prefusion F Vaccine in Older Adults, N Engl J Med 2023;388:1465-1477
- Kampmann B et al., Bivalent Prefusion F Vaccine in Pregnancy to Prevent RSV Illness in Infants, N Engl J Med 2023;388:1451-1464
Längere Sonnenlichtexposition bei Schulkindern vermeidet Kurzsichtigkeit
Bereits im November 2022 publizierte eine Forschergruppe aus Shanghai bei 6295 Schülerinnen und Schülern im Alter von 6 bis 9 Jahren aus 24 Grundschulen in Shanghai über einen Zeitraum von 2 Jahren, dass sich das Risiko des Auftretens von Myopie bei zunehmender Zeit im Freien verringerte. Die Kinder in der Kontrollgruppe setzten ihre gewohnte Zeit im Freien fort, und jene der Testgruppe I erhielten zusätzliche 40 Minuten Zeit im Freien und jene der Testgruppe II 80 zusätzliche Minuten Zeit im Freien. Zusätzliche 120 bis 150 Minuten im Freien bei 5000 Lux führten zu einem Rückgang der Myopie-Neuerkrankungen um 15–24 %.
In Ostasien sind im Alter von 12–13 Jahren gegen 90 % aller Kinder kurzsichtig. Ursache ist das vermehrte Längenwachstum des Augapfels, wodurch sich der Brennpunkt des Lichts vor die Retina verschiebt.
Die nun publizierte, 1-jährige, prospektive, randomisierte Kohortenstudie umfasste jene Kinder im zweiten Jahr der obigen Studie, welche eine Smartwatch (am Handgelenk getragene Wearable) mindestens 6 Stunden täglich trugen und mindestens 90 Tage lang durchhielten. Zur Abklärung eines Zusammenhangs von Expositionsmustern im Freien mit Auftreten einer Myopie bei Kindern wurde die Zeit im Freien und die Intensität der Sonneneinstrahlung sowie die absolute Änderung der Refraktion zwischen der anfänglichen sphärischen Äquivalenz und der späteren sphärischen Äquivalenz gemessen.
Die 2976 Schülerinnen und Schüler (Alter 7.2 Jahre; 51 % Mädchen) hielten sich durchschnittlich täglich 90 Minuten im Freien auf, mit einer Sonnenlichtintensität von 2345 Lux. Von den 12 Expositionsmustern im Freien waren nur zwei erfolgreich, wobei die Zeitdauer von mindestens 15 Minuten im Freien der wichtigste Parameter war. Nur Muster mit mindestens 15 Minuten im Freien, begleitet von nicht weniger als 2000 Lux (mässig heller, bewölkter Tag), waren mit einem geringeren Auftreten einer Myopie verbunden (für ≥ 15 Minuten und 2000–3999 Lux: –0.007 Dioptrien und für ≥ 15 Minuten und ≥4000 Lux (Sonnenschein): –0.006 Dioptrien).
Fazit: Die Zeitdauer im Freien mit genügender Sonnenlichtexposition ist für die Entwicklung des Auges bei 6–9-jährigen Kindern entscheidend. Kinder dürfen sich in den Pausen nicht im Schulhausinnern aufhalten. Allerdings reichen die üblichen Schulpausen kaum für die gewünschte Expositionszeit von > 15 Minuten mit > 2000 Lux. Freizeitaktivitäten (am Mittwoch-Nachmittag und am Wochenende) sollten möglichst im Freien stattfinden. Der hohe Prozentsatz der myopen Kinder mag mit ungenügender Sonnenlichtexposition zusammenhängen.
KD Dr. med. Marcel Weber
Literatur
Chen J. et al. Smartwatch Measures of Outdoor Exposure and Myopia in Children. JAMA Netw Open 2024 Aug 1;7(8):e2424595. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.24595. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39136948/He X. et. al. Time Outdoors in Reducing Myopia: A School-Based Cluster Randomized Trial with Objective Monitoring of Outdoor Time and Light Intensity. Ophthalmology 2022;129(11):1245-1254. doi.org/10.1016/j.ophtha.2022.06.024. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35779695/