Fortbildung AIM

Klimawandel und kardiovaskuläre Gesundheit

Basierend auf einer Session mit vier sehr informativen Vorträgen an der diesjährigen 90. Jahrestagung der DGK in Mannheim und drei sehr guten Publikationen zu diesem hoch aktuellen Thema (1-3) möchten wir ein kurzes Summary wiedergeben; zusätzliche Themenerweiterungen aus verschiedenen aktuellen Quellen. Die Ziele des Pariser-Abkommens mit max. 1.5 Grad Klimaerwärmung sind bereits unrealistisch. Es hat sich gezeigt, dass extreme Hitzeereignisse die Sterblichkeit erhöhen, und übermässige Todesfälle aufgrund von Hitzewellen überwiegend kardiovaskulären Ursprungs sind. Luftverschmutzung, Lärm und urbanes Wohnen sind weitere wichtige und folgenschwere Risiken für die Gesundheit. Ein Hitzschlag bei Anstrengung tritt in der Regel bei jungen, aktiven Menschen auf; ein klassischer Hitzschlag, der mit Hitzewellen einhergeht, tritt häufiger bei älteren Menschen auf und kann epidemische Ausmasse annehmen. Kühlung und Flüssigkeitszufuhr sind die Schlüssel zur Behandlung; manchmal ist eine Intensivbehandlung erforderlich.



Based on a session with four very informative presentations at this year’s 90th Annual Conference of the DGK in Mannheim and three very good publications on this highly topical subject (1-3), we would like to provide a brief summary; additional topic extensions from various current sources. The Paris Agreement targets of 1.5 degrees of global warming are already unrealistic. It has been shown that extreme heat events increase mortality, and excess deaths due to heat waves are predominantly of cardiovascular origin. Air pollution, noise and urban living are other important and serious health risks. Exertional heatstroke, brought on by strenuous activity, is usually seen in young, active people; classic heatstroke, associated with heat waves, is more common in the elderly and may be epidemic. Cooling and fluids are keys to management; sometimes, intensive care is needed.
Key words: climate change, heatwave, air pollution, noise pollution, cardiovascular events, heat stroke

Hitzebelastung

Hitzeereignisse nehmen aufgrund weltweit steigender Temperaturen zu, sie werden sich auch über längere Zeiträume ausdehnen. Im Juni 2024 wurde in Saudi-Arabien anlässlich der Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch) in der Grossen Moschee max. 51.8 °C gemessen. Es kam laut der Agence France-Presse insgesamt zu mehr als 1300 Toten. In Athen stieg die Temperatur Mitte Juni auf 41 °C, nachts lag diese ≥30 °C. Weitere Hitzewellen werden folgen. Ohne diese betrug die Temperatur im gleichen Monat 35-36 °C. Eine weitere Gefahr sind dabei die möglichen Waldbrände und die Luftschadstoffbelastung. Auch in Nord-Indien wurden Temperaturen bis 50.8 °C registriert mit enormen sozioökonomischen Auswirkungen. Gefährlich sind auch die Hitzeglocken in Nordamerika.

Der neuste WMO-Bericht bestätigte, dass 2023 bisher das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war, mit einer globalen durchschnittlichen oberflächennahen Temperatur von 1,45 °C (± 0,12  °C) über der vorindustriellen Basislinie. Es war die wärmste Zehnjahresperiode seit Beginn der Aufzeichnungen. Der CO₂-Gehalt ist um 50 % höher als in der vorindustriellen Zeit und speichert Wärme in der Atmosphäre. Die lange Lebensdauer von CO2 führt dazu, dass die Temperaturen noch viele Jahre weiter steigen werden. Es kam auch zu Rekorden bei der Meereshitze, beim Meeresspiegelanstieg, beim antarktischen Meereisverlust und beim Gletscherrückgang. Extreme Wetterbedingungen konnten beobachtet werden (4). Nach einem neuen Bericht des europäischen Klimawandeldiensts Copernicus, Ende April 2024, kam es 2023 in der Schweiz zu einem Anstieg der mittleren Temperatur von 2,6 °C verglichen mit der vorindustrialisierten Zeit. Extreme Wetterbedingungen: Stürme, grosse Waldbrände Dürren und Überschwemmungen sind vermehrt aufgetreten. Es fiel auch 7 % mehr Regen als im Durchschnitt. Diese Extremereignisse werden bis 2050 häufiger und intensiver. In der Schweiz wird die Temperatur um 4-5 °C ansteigen, die Winter werden wärmer und die Sommer trockener. 2022 und 2023 verloren die Gletscher in den Alpen rund 10 % ihres Volumens. Die bisherigen Klimaschutzmassnahmen greifen zu wenig, die verschiedenen Klima-Modelle waren zu optimistisch und das Handeln der Politik zu zögerlich. Der Ausstoss von fossilem CO2, die Treibhausgashauptquelle, muss gemäss Klimaforschern drastisch reduziert werden!

Die zunehmende Hitze am Äquator und z.B. in Indien geht einher mit dem Bevölkerungswachstum und der zunehmenden Verstädterung vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Aktuell leben zwei Drittel der Europäer in Städten, weltweit sind es bis zum Jahre 2050 75 %. Diese Ballungsräume verbrauchen die meiste Energie, verursachen die meisten Treibhausgase und verursachen eine signifikante Umweltverschmutzung. Diese städtischen Hitzeinseln speichern im Sommer am Nachmittag, in den Abendstunden und in der Nacht die Hitze: am Tag 3-5 °C, in der Nacht bis zu 10 °C. Die zunehmenden Tropennächte (≥20 °C) sind medizinisch besonders problematisch, mit deutlichem Anstieg des kardiovaskulären Risikos. Dies führt zu mehr Hospitalisationen, kardiovaskulären Komplikationen mit Strokes und Myokardinfarkten. Bis zum Jahr 2050 verändern viele Städte ihre mittlere Temperatur: so wird z.B. München wie Bologna, Paris wie Istanbul, London wie Barcelona mit einem mittleren Temperaturanstieg um jeweils 6 °C. Auch kommt es seit 1951 zu deutlich mehr Hitzetage/Jahr (≥30 °C: + 8,6) und deutlich weniger Eistage (≤0 °C: -13,6). Auf 1000 kardiovaskuläre Todesfälle entfielen 2 bzw. 9 zusätzliche Todesfälle auf extrem heisse bzw. kalte Tage (5). Frauen zeigen möglicherweise etwas stärkere Effekte. Nicht tödliche Myokardinfarkte haben 2001-2014 hitzeassoziiert vor allem bei zusätzlichen Komorbiditäten (Diabetes, Hyperlipidämie) im Augsburger Register zugenommen.

Die besonderen Hitzejahre 2003, 2015, 2018, 2022 und 2023 sind uns in Erinnerung. In Zukunft werden die Hitzeeffekte mit ihren negativen kardiovaskulären (cv) Auswirkungen stärker als die Kälteeffekte. Auch nehmen die Komorbiditäten und die Überalterung deutlich zu. Dies führt zu einer starken Zunahme der Hitze bedingten Mortalität bis Ende des Jahrhunderts. Wichtig ist auch der sozioökonomische Status. Die Menschen werden anfälliger für cv Ereignisse wie Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Mehr als 4 % der Sommertodesfälle in Europa sind durch Hitze bedingt. Wenn die Temperatur in den Schweizer Städten von der 75. Perzentile auf die 99. Perzentile (geographische Lage) steigt, ist das cv relative Risiko
um 1.52, das pulmonale relative Risiko um 1.86 erhöht (www.exhaustion.eu).

Physiologie

Physiologisch kommt es durch die Hitze zu einer Vasodilatation und zum Schwitzen. Das Schwitzen und die Anhidrose sind sehr individuell. Bei nicht akklimatisierten Personen 1l Schweiss/h = 580 kcal Wärmeabgabe/h, bei akklimatisierten Personen 2-3l Schweiss/h = max. 1740 kcal/h durch Verdunstungswärmeverlust. Letzterer ist von vielen Parametern abhängig: Hautzustand, Schweissdrüsenfunktion, intravaskulärem Volumen, kardiovaskulärer Dysfunktion, Lungenfunktion, Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit – sofern diese ≤75 %,
Luftbewegung, Akklimatisation, Medikamente. Der Metabolismus, die Kerntemperatur und das Herzminutenvolumen sind erhöht; zusätzlich Vasodilatation und verminderter viszeraler Blutfluss.

Bei einer Dekompensation führt dies zu einer zentralen Hypovolämie mit einer Abnahme des Schlagvolumens, einem Anstieg der Herzfrequenz (bis 130-140/min) und der Inotropie mit einem erhöhten Sauerstoffbedarf des Herzens. Die Kerntemperatur steigt. Auch die Stresshormone sind erhöht. Ältere Menschen, chronisch kranke Patienten, Schwangere, Obdachlose, im Freien Arbeitende und sehr kleine Kinder können diese physiologischen Mechanismen auf die Hitze nicht vollziehen. Dies erhöht das Risiko für einen Hitzschlag (6). Gefährliche Vorerkrankungen in Kombination mit der Hitze sind: Herzkreislauferkrankungen, COPD, Diabetes Mellitus, CKD, Morbus Parkinson und Demenz, Psychische Erkrankungen, Adipositas per magna.

Hitzekrankheiten sind ein Kontinuum. Beginnend mit kutanen Veränderungen (gerötete überwärmte Haut = Vasodilatation, blasse kühlere Haut = vaskulärer Kollaps; Ödeme, Haut-Ausschlag), Hitzekrämpfen, Tetanie, Hitzesynkopen und Hitzeerschöpfung. Die schwerste Form ist der Hitzschlag mit einer Körpertemperatur ≥40 °C (je nach Massnahmen vor Diagnose) und einer neurologischen Dysfunktion mit: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und gestörtem Sensorium. Dabei besteht der Verdacht auf ein Hirnödem.

Man unterscheidet zwei Hitzschlagformen:
a) Exertional Heat Stroke (EHS) bei sportlichen gesunden Jugendlichen und älteren aktiven Menschen in der Hitze. Dieser tritt sporadisch in jeder Jahreszeit bei einer Anstrengung bei gesunden Personen auf. Durch die körperliche Aktivität wird eine exzessive Hitze produziert, welche dann die physiologischen Abwehrmassnahmen übersteuert. Anstrengende körperliche Aktivität kann die Wärmeproduktion um mehr als das 10-fache auf Werte über 1000 kcal/h erhöhen. In ähnlicher Weise können Fieber, Schüttelfrost, Zittern, Krämpfe, Thyreotoxikose, Sepsis, Sympathomimetika und viele andere Erkrankungen die Wärmeproduktion erhöhen und dadurch die Körpertemperatur erhöhen. Es bestehen folgende möglichen Komplikationen bei einem EHS: eine metabolische Azidose, Organdysfunktionen (Leber, Niere in 25-30 %, ZNS u.a.), starker CPK-Anstieg mit evtl. Rhabdomyolyse, disseminierte Gerinnungsstörung, Hypokalzämie und Hyperkaliämie. Die Risikofaktoren sind: Übermotivation, verminderte Fitness, zusätzlicher Infekt, fehlendes Schwitzen, Medikamente, evtl. Einnahme von Alkohol oder Drogen.

b) Non-Exertional Heat Stroke (NEHS) = klassischer Hitzschlag ohne Anstrengung bei den erwähnten älteren, multimorbiden Patienten und bei kleinen Kindern mit verminderter bis fehlender physiologischer Reaktion auf die Hitze. Der Mechanismus ist ein Ungleichgewicht zwischen Absorption der Umgebungshitze und einer schlechten Hitzeabgabe. Die beim EHS erwähnten Komplikationen sind deutlich weniger vorhanden resp. weniger ausgeprägt. Oft positive Medikamentenanamnese, respiratorische Alkalose, selten NI.

Die Risikofaktoren sind hohe Temperaturen am Tag und in der Nacht, soziale Faktoren, begleitende Erkrankungen und diverse Medikamente. Der NEHS kann bei Hitzewellen epidemische Ausmasse annehmen. Beide Hitzschlag-Formen können ein ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) entwickeln.

Auf zellulärer Ebene werden durch übermässige Hitze Proteine und Zellmembranen denaturiert. Es entsteht eine Entzündung durch Freisetzung von Zytokinen, Interleukin und den Hitzeschock-Proteinen. Phospholipide und Lipoproteine werden destabilisiert und verflüssigt (Membranlipide (Apoptose, Zelltod)), was zu kardiovaskulärem Kollaps, Multiorganversagen und letztendlich zum Tod führt (6-8).

Bei einem vorgeschädigten Herz sind die pathologischen Auswirkungen ein Mismatch von Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf. Dies führt zu einem Typ-2-Myokard-Infarkt und zu einer Herzinsuffizienz. Die gesteigerte Entzündung und Thrombogenität führen zur Plaque-Ruptur und zu einem Typ-1-Myokardinfarkt – hier ist die Evidenz noch nicht so klar. Multiorganschäden an Nieren und Darm sind durch eine Minderdurchblutung möglich.
Bei Atemwegserkrankungen sind die Hitze und eine zusätzliche Luftverschmutzung ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Morbidität und Mortalität (+14%) verbunden, insbesondere bei Hitzewellen. Exazerbationen von COPD durch Schleimhautentzündungen mit Bronchialobstruktion und reduzierter Schleimhaut-Durchblutung. Dosieraerosole haben einen hohen Treibhauseffekt mit deutlich höherem Schädigungspotenzial als CO2 (9-11).

Medikamente können durch vermehrte unerwünschte Wirkungen die Vulnerabilität bei Hitze erhöhen und so die Patienten gefährden. Betablocker können Vasodilatation und Schwitzen hemmen – dies beeinträchtigt den physiologischen Hitzemechanismus. Cave auch Anti­hypertensiva, ACE-Hemmer (vermindern Durstgefühl), Antianginosa, Diuretika, CCB, Anticholinergika, Abführ­mittel, Schilddrüsenpräparate, SSRI; transdermale Opioide und Insulin s.c. wirken durch die Vasodilatation stärker und schneller – cave Hypoglykämie (1, 5-8, 11) – vgl.: www.dosing.de, www.mhh.de/allpallmed/adapt-heat.

Im Ruhe-EKG findet man neben einer Tachykardie, Repolarisationsstörungen (DD: Ischämie) und Überleitungsstörungen (RSB, verlängertes QT).
Die genaue Temperatur, bei der ein kardiovaskulärer Kollaps auftritt, variiert von Person zu Person, da gleichzeitig bestehende Krankheiten, Medikamente und andere Faktoren zu Organfunktionsstörungen beitragen oder diese verzögern können. Bei Patienten mit Temperaturen von bis zu 46 °C wurde eine vollständige Genesung beobachtet, und bei Patienten mit viel niedrigeren Temperaturen trat der Tod ein. Temperaturen über 41,1 °C sind im Allgemeinen katastrophal und erfordern eine sofortige aggressive Therapie (Kühltherapie).

Ohne eine solche Therapie kommt es zu einem Multiorganversagen inkl. einer kardialen Dysfunktion. Die Mortalität beträgt, je nach Literatur, 10-20 %. (6,8).

Therapeutisch gibt es beim Hitzschlag die Möglichkeit einer Kaltwasser-Immersion (Eiswasser oder Eintauchen in kaltes Wasser). Die bevorzugte Methode bei EHS. Diese ist unangenehm, führt zu einer subcutanen Vasokonstriktion mit Zittern. Letzteres dann wieder zu einer internen Wärmeproduktion. Die Überwachung gestaltet sich schwierig. In 20-40 Min. kann die Kerntemperatur auf ≤39 °C gesenkt werden. Eine weitere Möglichkeit ist der erwähnte Verdunstungswärmeverlust bei verschiedenen beeinflussenden Parametern. Der Patient wird ohne Kleider regelmässig mit lauwarmem Wasser besprüht und neben dem Patienten hat es einen Ventilator. Evaporative und konvektive Kühlung kann durch die Anwendung von Ganzkörper-Eispackungen ergänzt werden. Wichtig ist auch der iv. Volumen und Elektrolytersatz (NaCL 0.9 %, Ringerlactat, Mischinfusion). Spezifische Massnahmen je nach obiger Pathophysiologie. Zur Abklärung gehört bei Verdacht auf ein beginnendes Hirnödem ein Schädel-CT. Bei Verdacht auf ein Multiorganversagen ad IPS und Hinzuzug von entsprechenden Fachärzten (Abb. 1) (7, 8).

Die Feuchtkugeltemperatur (Wet-Bulb Globe Temperature, WBGT) ist ein Mass für die Umweltwärme, wie sie auf den Menschen wirkt. Im Gegensatz zu einer einfachen Temperaturmessung berücksichtigt die WBGT alle vier wichtigen Umweltwärmefaktoren: Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Strahlungswärme (von Sonnenlicht oder Quellen wie Öfen) und Luftbewegung (Wind oder Belüftung). Sie wird von Industriehygienikern, Sportlern, Sportveranstaltungen und dem Militär verwendet, um angemessene Expositionswerte für hohe Temperaturen zu bestimmen. Es besteht ein geringes Risiko, wenn der WBGT weniger als 18 °C beträgt, ein mässiges Risiko, wenn er 18-23 °C beträgt, ein hohes Risiko bei 23-28 °C und ein sehr hohes Risiko, wenn er ≥28 °C beträgt (6).

Feinstaubbelastung

Das Gesundheitsrisiko wird zusätzlich durch eine Feinstaubbelastung mit gasförmigen Komponenten und chemischen Bestandteilen potenziert – je mehr Luftschadstoffe vorhanden sind, desto stärker wirkt die Hitze bei der Entstehung und Akutmanifestation von Herzkreislauferkrankungen. Weniger Regen führt zu mehr Feinstaub, ebenso Wüsten-/Sahara-Staub, Vulkanausbrüche, Waldbrände, Industrie, Überdüngung, Verkehr, Verbrennung von Öl und Gas u.a. Ultrafeinstaub (<0,1 µM) kann direkt ins Hirn gelangen mit Erhöhung des Blutdrucks. Grössere Partikel (<2,5 + <10 µM) gelangen über die Lunge ins Blut und in die Gefässe. Dies führt zu oxidativem Stress und einer Entzündung im Blut und in den Plaques, über die Jahre dann zu einer Atherosklerose und zu Lungen- und anderen Endorganschädigungen. Der Feinstaub kann in Gefäss-Plaques nachgewiesen werden. Ein akuter Anstieg der Luftverschmutzung kann zu Plaques-Rupturen mit Myokardinfarkten und Schlaganfällen führen. Lärm und Feinstaub verschlechtern die Endothelfunktion; beide zusammen sind extrem schlecht. Nach einer Studie beträgt der Lebenszeitverlust durch Feinstaub 2,9 Lebensjahre, mehr als das Rauchen. Weltweit kommt es zu ca. 12 Millionen Todesfällen pro Jahr. Sport bei hoher Luftverschmutzung und an Hauptverkehrsachsen ist wahrscheinlich schädlich. Gesichtsmasken sind bei hoher Feinstaubbelastung nur begrenzt wirksam. Luftfilter wirken möglicherweise protektiv. 99 % der Weltbevölkerung leben an Orten, wo der WHO-Grenzwert von <5 µg/m3 überschritten wird. Der EU-Grenzwert beträgt 25 µg/m3. Nach WHO sterben 7 Mio./Jahr am Feinstaub. Bei weniger Feinstaub steigt die Temperatur durch weniger Reflexion der Sonne mehr an (2, 3).

Lärmbelastung

Strassenverkehrslärm/Fluglärm/Eisenbahnlärm (>55 dB nach WHO) steigert ebenfalls signifikant das Risiko für ischämische Herzkrankheiten und ischämische Schlaganfälle. Auch kommt es zu mehr Herzinsuffizienz und VHFli. Dieser Lärm führt in Europa nach der EEA zu 900 000 Hypertonien, 43 000 Hospitalisationen, 6.5 Mio. mit Schlafstörungen und 22 Mio. Personen leiden an der hohen Lärmbelästigung. Der Nachtlärm ist besonders schädlich. Fast 150 Millionen Menschen sind in Europa einem solchen Lärmpegel täglich ausgesetzt. Dies führt in Europa zu einem jährlichen Verlust von 1,6 Mio. gesunden Lebensjahren. Ein Zusammenhang besteht auch mit den cv Risikofaktoren Adipositas, Diabetes und Hypertonie. Verkehrslärm ist als ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen wie CHK, Hypertonie, Arrythmien, Stroke und Herzinsuffizienz nachgewiesen – +3,2 %/10 dB. Nach der Luftverschmutzung zählt der Lärm zu den grössten Umweltrisiken für die Gesundheit in Europa. Schlafstörungen, Störung der zirkadianen Rhythmik, Stressreaktionen/Hormone aktivieren das limbische- (Amygdala) und autonome Nervensystem/Sympathikus ab 55 dB. Es kommt zu ähnlichen pathophysiologischen Veränderungen mit oxidativem Stress, endothelialer Dysfunktion, Entzündungsreaktion in den Gefässen und einer Vasokonstriktion. Die manifesten Endorganschäden, innerhalb von 5 Jahren, sind kardiovaskuläre, zerebrovaskuläre und metabolische Erkrankungen. Es kommt auch zu einer Beeinträchtigung von Kognition und Gedächtnis. Beim Fluglärm kommen noch die Abgase der Triebwerke (Schmieröl und weitere schädliche kleine Partikel) dazu, welche die Atherosklerose und die cv-Ereignisse wie z.B. ein akutes Koronarsyndrom fördern (2,3).

Massnahmen gegen den Klimawandel

Hitze

Neben dem Erreichen der gesteckten Klimaziele können durch eine gute Städteplanung mit einer Reduktion von Hitzeinseln durch Ausbau von Grünflächen mit vielen Bäumen (30 % der Städte: -0.4° C, ca. -36 % Hitzetote) das kardiovaskuläre Risiko und die Mortalität gesenkt werden (12). Begrünung von Fassaden von Hochhäusern und Verminderung von Asphaltflächen sind weitere Massnahmen. Lärm und Luftverschmutzung werden günstig beeinflusst, die körperliche Aktivität der Bewohner verbessert, ebenso die Lebensqualität, die mentale Gesundheit, der Schlaf und das Mikrobiom. In Athen gibt es seit 2021 eine Hitzebeauftragte. Städtebauliche Massnahmen, Errichtung vieler kleine Parks, ein alter Viadukt wird renoviert, um Wasser in die Stadt zu führen (Verdunstung) und mit einer speziellen App wird den Bewohnern jeweils der kürzeste und kühlste Fussweg in der Stadt empfohlen. Ein grosses Problem sind auch die vielen Klimaanlagen in fast jeder Wohnung (Stromverbrauch). Ältere Personen werden zu Hause versorgt, auch gibt es spezielle «Kühlräume» für diese Population. 1987 führte eine Hitzewelle ohne diese präventiven Massnahmen zu 600-900 Toten. Weitere Massnahmen beinhalten: Auf- und Wiederaufforstungen von Wäldern, Implementierung von diversen Frühwarnsystemen, unter anderem via SMS aufs Handy, und optimales und nachhaltiges Management/Programme zur Wassereinsparung und bauliche Sicherungen in den Bergen inkl. Lawinenschutz und an Gewässern (Hochwasserschutz). Öffentlichkeitskampagnen und rechtzeitige Informationsverbreitungen reduzieren die verschiedenen Risiken bei Hitzewellen und anderen Naturereignissen.

Schadstoffe, Lärm

Mit einer intelligenten Verkehrsführung (Kompaktmassnahmen mit kürzeren Transportwegen mit weniger Lärm und Schadstoffen, verkehrsfreien Zonen, rascher Erreichbarkeit zu Fuss, Fahrrad/ÖV innert 15 Min.), geringer nächtlicher Lärmbelastung und einer verminderten Lichtverschmutzung (Blaulicht stört zirkadiane Rhythmik) können die oben erwähnten Umweltbelastungen und ihre gesundheitlichen Folgen mit Todesfällen deutlich reduziert werden. Strategien und Massnahmen zur Lärmminderung (Lärmschutzwände, Fensterisolierung, spez. Strassenbeläge, Flüsterbremse für Züge, Bauisolationen, Verkehrsberuhigung, Nachtflugverbot, lärmreduzierende Reifen, E-Autos u.a.) gehören dazu (2).

Weitere Massnahmen

Gegen Überflutungen werden am Meer, an Flüssen und Seen bauliche Massnahmen getätigt: Erhöhung der Dämme, Renaturierungen u.a.. In den Niederlanden, welche teilweise unter dem Meeresspiegel liegen, gibt es ein spezielles Schutzsystem mit hohen Schleusen gegen die Sturmfluten der Nordsee. Zur Waldbrandverhinderung werden Waldpflege und Wald-Schneisen verwirklicht und das Wassermanagement optimiert. Die Flotte der Löschflugzeuge wurde z.B. ums Mittelmeer in einem Länderverbund aufgestockt und ihr Einsatz koordiniert. Wegen der Gletscherschmelze und dem Auftauen des Permafrosts braucht es spezielle Vorkehrungen und Frühwarnsysteme (Felsabbrüche, Murgänge). Die meteorologischen Dienste und -Kapazitäten inkl. Satellitenüberwachung wurden in den letzten Jahren deutlich ausgebaut mit Verbesserung der weltweiten Kommunikation. So können präventive Massnahmen bei entsprechenden Gefahren rasch eingeleitet werden.
Es ist wichtig, dass wir Ärzte eine aktive Rolle zu diesem lebenswichtigen Thema einnehmen. Eine Schärfung des Bewusstseins für die Herausforderungen und Probleme des Klimawandels und die medizinischen und kardiovaskulären Folgen von Hitze, Luftverschmutzung, Lärm und urbanem Lebensstil, hilft diese Risikosituationen zu erkennen und Gegenmassnahmen, auch mit Schulung der Pa-tienten, einzuleiten resp. zu unterstützen. Eine gute Aufklärung ist die beste Prävention.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Lechner K. et al., Hitze und kardiovaskuläres Risiko, Kardiologie 2024, 18: 120-126
2. Münzel Th. et al., Luftverschmutzung und Lärm, Einfluss auf bzw. Ursache bei Herzerkrankungen, Kardiologie 2024, 18: 127-134
3. Münzel Th. et al., Environmental risk factors and cardiovascular diseases: a comprehensive expert review, Cardiovascular Research 2022, 118: 2880–2902
4. WMO-Bericht 2023, Zustand des Weltklimas 2023 (wmo.int)
5. Alahmad B. et al., Associations Between Extreme Temperatures and Cardiovascular Cause-Specific Mortality: Results From 27 Countries, Circulation 2023,147:35–46. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.122.061832
6. Helman R.S. et al., Clinical practice guidelines for the prevention and treatment of heat illness (WMS, 2024), Medscape 18.6.2024, und Medscape 20.7.2022, Heatstroke
7. Lipman G.S. et al., Wilderness Medical Society Clinical Practice Guidelines for the Prevention and Treatment of Heat Illness: 2019 Update, Wilderness + Environmental Medicine 2019: 30 (4S): 33-46
8. Epstein Y. et al, Heatstroke, N Engl J Med 2019;380:2449-2459
9. Witt C. et al., Der ambulante pneumologische Patient in Zeiten zunehmender globaler Erwärmung, Z Pneumologie 2023,20:144–151 https://doi.org/10.1007/s10405-023-00502-3
10. Matthies-Wiesler F. et al., Auswirkungen von hohen Aussentemperaturen und Hitzewellen auf Lungenerkrankungen, Z Pneumologie 2023, 20:133–143 https://doi.org/10.1007/s10405-023-00500-5
11. Nohl-Deryk P. et al., Gesundheitliche Probleme in Hitzeperioden: Was Sie wissen sollten, MMW Fortschr Med. 2024, 166 (11): 38-40
12. Lungman T. et al, Cooling cities through urban green infrastructure: an assessment of the health impact of European cities, Lancet 2023, 401, 577-589. doi: 10.1016/S0140-6736(22)02585-5. Epub 31. Januar 2023

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  • Vol. 14
  • Ausgabe 7
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