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ZAIM MediDays 2024

Lipidmanagement anno 2024. Wo stehen wir?

Im Rahmen der ZAIM MediDays 2024 in Zürich sprach Prof. Dr. med. Georg Noll, Zürich, über das derzeitige Lipidmanagement. Er erwähnte zunächst den Entwurf zum ­«Gesundes-Herz-Gesetz» (GHG) in Deutschland. Durch das Gesetz sollen Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen möglichst früh erkannt und bekämpft werden. «Lauterbachs Herz-Gesetz komplett einstampfen», sagen dazu die Krankenkassen. Ende August hat das Bundeskabinett Karl Lauterbachs Gesetzesentwurf zur Herzgesundheit verabschiedet. Das sorgte bei manchen Fachleuten für Empörung. Die AOK-Vorsitzende fand deutliche Worte. Auch in der Schweiz wehrt man sich gegen Prävention, so der Referent.



LDL-Cholesterin (LDL-C) ist einer der wichtigsten und bestuntersuchten kardiovaskulären Risikofaktoren. Der Zusammenhang zwischen der LDL-Senkung und dem Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung ist durch klinische Studien belegt, einerseits durch 198 503 Patienten, die während durchschnittlich 5 Jahren behandelt wurden, andererseits durch prospektive Kohortenstudien mit 403 501 Patienten, die während 12 Jahren beobachtet wurden, und durch randomisierte Mendel-Studien mit 194 427 Probanden, die während 52 Jahren beobachtet wurden.

Damit wurde auch die Kausalität des LDL-C als kardiovaskulärer Risikofaktor nachgewiesen (1). Es hat sich dabei gezeigt, je tiefer das LDL-C gesenkt wird, desto niedriger ist das kardiovaskuläre Risiko.

Risikoberechnung in der Primärprävention

Die Berechnung des Risikos kann durch Scores, die aufgrund der Ausprägung der Risikofaktoren das globale Risiko ermitteln, geschätzt werden. Dabei werden in der Schweiz AGLA-Scores oder ESC-Scores angewandt. Der ESC-Score umfasst die Risikofaktoren Alter, Geschlecht, Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin, systolischer Blutdruck und das Rauchen. Die europäischen Länder werden im ESC-Score in Hochrisikoländer und solche mit tiefem Risiko eingeteilt. Beim AGLA-Score kommen zu den Risikofaktoren des ESC-Scores die Triglyceride und die Familienanamnese für kardiovaskuläre Krankheit dazu. Der ESC-Score ist etwas sensitiver als der AGLA-Score. «Wenn Sie also jemand behandeln möchten, verwenden Sie den ESC-Score und wenn Sie dies nicht tun möchten, verwenden Sie den AGLA-Score», bemerkte der Referent.

Aufgrund der verschiedenen Studienresultate erliess die ESC im Jahr 2019 neue Richtlinien zum Management von LDL-C (2). Diese empfehlen für ein tiefes kardiovaskuläres Risiko einen Zielwert des LDL-C unter 3 mmol/l, für moderates Risiko unter 2.6 mmol/l, für hohes Risiko unter 1.8 mmol/l und für sehr hohes Risiko unter 1.4 mmol/l.

Kardiovaskuläre Prävention: Diät

Gesunde Ernährung gehört bei allen Risikokategorien zu den wichtigsten Massnahmen:
• gesättigte Fettsäuren < 10 % der totalen Energiezufuhr, bei Reduktion von gesättigten Fettsäuren, diese v.a. durch mehrfach ungesättigte Fettsäuren ersetzen und Trans-Fettsäuren vermeiden.
• Kein Salzexzess (Vermeiden von verarbeiteten Nahrungsmitteln, kein Nachsalzen). Bei Patienten mit Hypertonie, Nierenkrankheiten oder Herzinsuffizienz sollte die Reduktion strenger sein.
• 30–45 g Fasern pro Tag bevorzugt aus Vollkornprodukten.
• ≥ 200 g Früchte pro Tag (2–3 Portionen)
• ≥ 200 g Gemüse pro Tag (2–3 Portionen)
• 1–2 mal Fisch pro Woche, davon einmal fetthaltiger Fisch
• 30 g ungesalzene Nüsse pro Tag
• Alkohol aus gesundheitlichen Gründen nicht empfohlen, bei Konsum nicht täglich und bei Männern/Frauen < 14/< 7 Standarddrinks pro Woche.
• Patienten mit Hypertonie sollten auf Alkohol verzichten.
• Zuckerhaltige Softdrinks und Alkopops meiden. In besonders schwierigen Situationen – z. B. ausgeprägte Hypertriglyceridämie professionale Ernährungsberatung.

Im Zusammenhang mit diätetischen Methoden verwies der Referent auf die «PREDIMED»-Studie zur Wirkung einer mediterranen Diät auf akuten Myokardinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulären Tod (3). In dieser Studie, an der Personen mit hohem kardiovaskulärem Risiko teilnahmen, war die Inzidenz grösserer kardiovaskulärer Ereignisse bei den Teilnehmern an einer mediterranen Diät, die mit nativem Olivenöl extra oder Nüssen ergänzt wurde, niedriger als bei den Teilnehmern an einer fettreduzierten Diät.

Wirkung antilipidämischer Medikamente

Wenn durch diätetische Massnahmen die Zielwerte nicht erreicht werden, bedarf es in der Sekundärprävention medikamentöser Massnahmen zur Lipidsenkung. Tab. 1 gibt die Wirkung verschiedener, antilipidämischer Medikamente wieder.
Dass die Senkung von LDL-Cholesterin von besonderer Wichtigkeit im Rahmen der kardiovaskulären Prävention ist, zeigte der Referent anhand der Daten der Cholesterol Treatment Trialists (4). Die Senkung von LDL-C um 1 mmol/l ergibt eine Senkung koronarer Ereignisse um 23 % und vaskulärer Ereignisse um 21 %, egal, mit welcher Methode die LDL-Senkung erzielt wurde. Statine unterscheiden sich in Bezug auf ihre Interaktionen mit anderen Medikamenten. Prof. Noll erwähnte das Statin Pitavastatin, welches ein geringes Interaktionspotential mit anderen Medikamenten hat und insbesondere bei Patienten mit HIV, welche mit Proteasehemmern, die mit Statinen interagieren, behandelt werden (5).

Statine bei älteren Personen

Eine häufig auftretende Problematik ist die Behandlung älterer Patienten mit Statinen. Der Referent verwies dazu auf eine Publikation von MW Andersson et al. aus dem vergangenen Jahr (6). Dabei zeigte sich, dass 85jährige und ältere in Bezug auf vaskuläre Primärprävention im selben Masse von eine Statintherapie profitieren wie 50 bis 69-jährige.

Die familiäre Hypercholesterinämie

Eine weitere Problematik ist die familiäre Hypercholesterinämie. Die Datenlage dazu ist für die Schweiz noch ungenügend. Prof. Noll präsentierte das Beispiel eines 38-jährigen Bankers. Er wurde wegen Hypercholesterinämie zugewiesen. Sein Vater verstarb mit 43 Jahren an einem Myokardinfarkt. Der Patient ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 8 und 10 Jahren. Sein LDL-C beträgt 7.2 mmol/l und deutet auf eine familiäre Hypercholesterinämie hin. Diese wird autosomal dominant vererbt. Das bedeutet, dass schon ein verändertes Gen, das von einem der beiden Elternteile vererbt wurde, ausreicht, um an einer familiären Hypercholesterinämie zu erkranken. Betroffene vererben das veränderte Gen in 50 Prozent der Fälle an einen Nachkommen. Bei Verdacht auf eine familiäre Hypercholesterinämie empfiehlt sich die Abklärung mittels Kaskadenscreening nach den Kriterien der Dutch Lipid Clinics.
Der Patient wurde mit Rosuvastatin 20 mg/Ezetimibe 10mg behandelt, worauf das LDL-C auf 4.1 gesenkt wurde. Eine nicht seltene Nebenwirkung der Statine ist das Auftreten von Muskelschmerzen. Dabei ist aber der Nocebo-Effekt zu beachten, wie der Referent ausführte. In einer im Jahre 2021 erschienenen Arbeit hatten 8 % der Personen, die keine Statinbehandlung erhielten Muskelschmerzen. In der Placebogruppe waren es 15.4 % und in der Statingruppe 16.3 %.

PCSK9 Inhibition zur Senkung von LDL-C

Eine ebenso wirksame Senkung von LDL-C lässt sich durch Inhibition von PCSK9 erreichen, so der Referent. PCSK9 (Proproteinkonvertase Subtilisin Kexin Typ 9) ist ein Enzym, welches inaktive Vorläuferzellen in eine aktive Form umwandelt. Unabhängig von seiner katalytischen Form bindet PCSK9 an den membranständigen LDL-Rezeptor von Hepatozyten. An PCSK9 gebundener LDL-Rezeptor wird internalisiert und der Rezeptor in der Zelle abgebaut, so dass er nicht auf die Membranoberflächen rezykliert werden kann. Ohne PCSK9 wird der Rezeptor rezykliert und kann erneut LDL binden und in die Zelle internalisieren, wo es abgebaut wird. Die Inhibition von PCSK9 hat in den Studien FOURIER mit Evolocumab (8) und ODYSSEY Outcomes mit Alirocumab (9) eine LDL-C-Senkung von 59 % bzw. 62 % ergeben. Evolocumab senkte den primären Endpunkt, ein Komposit von kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Hospitalisierung wegen instabiler Angina oder koronare Revaskularisierung um 15 % (HR 0.85, 95 % KI 0.7 bis 0.92; p < 0.001). Mit Alirocumab ergaben sich in der ODYSSEY Outcomes Studie ähnliche Resultate mit einer ebenfalls 15 % Reduktion des gleichen primären Endpunkts, wie in FOURIER (KI HR.78 bis 0.93; p < 0.001).

Inclisiran – small interfering RNA

Inclisiran, eine small interfering RNA, inhibiert die PCSK9 durch RNA-Interferenz, ein biologischer Prozess, bei dem RNA-Moleküle die Genexpression oder -translation hemmen, indem sie gezielte mRNA-Moleküle neutralisieren.Inclisiran ist eine synthetische, doppelsträngige small interfering RNA (siRNA). Die RNA-Inhibition besteht aus den folgenden Mechanismen:
Guide strand erkennt die PCSK9 mRNA, Passenger strand wird für den Transport benötigt. Der konjugierte GalNAc–Zucker ermöglicht den gezielten Transport in die Leber. In den Studien ORION 10 und ORION 11 wurde mit einer einzigen subkutanen Dosis Inclisiran zusätzlich zu maximal verträglicher Dosis von Statin eine Senkung des LDL-C von ungefähr 50 % über 6 Monate erreicht (10).

Inclisiran zweimal jährlich zusätzlich zu einer maximal verträglichen Statintherapie mit oder ohne andere LDL-senkende Mittel verabreicht, ergab eine wirksame, sichere und gut verträgliche Behandlung zur Senkung von LDL-C bei Erwachsenen mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie, ASCVD oder ASCVD-Risikoäquivalenten (11).

Eine im letzten Jahr publizierte Analyse bietet erste Eindrücke in den potenziellen Nutzen einer LDL-C-Senkung mit Inclisiran für die Herz-Kreislauf-Erkrankungen und deutet auf einen potenziellen Nutzen für die Verringerung der Häufigkeit von Erkrankungen hin. Diese Ergebnisse müssen noch in grösseren Studien mit längerer Studiendauer bestätigt werden (12).

Adhärenz bei lipidsenkender Therapie mit PCSK9-Inhibiton

Der Vergleich einer 12-monatigen Behandlung mit Inclisiran versus Therapie mit monoklonalen anti-PCSK9 Antikörpern ergab für Inclisiran 0.9 (n = 852), für Alirocumab 0.71 (n = 852) und für Evolocumab 0.70 (n = 852). Die jährlich nur zweimalige Injektion durch den behandelnden Arzt ergibt erwartungsgemäss eine weitaus bessere Adhärenz als die zweimal monatliche Injektion durch den Patienten selbst.

Inclisiran und kardiovaskuläre Ereignisse

Eine kürzlich publizierte Analyse bietet erste Eindrücke in den potenziellen Nutzen einer LDL-C-Senkung mit Inclisiran für die Herz-Kreislauf-Erkrankungen und deutet auf einen potenziellen Nutzen für deren Verringerung der Häufigkeit hin (12). Diese Ergebnisse müssen noch in grösseren Studien mit längerer Studiendauer bestätigt werden.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

• Der LDL-C-Wert ist vorwiegend genetisch determiniert → Kaskaden-Screening bei familiärer Hypercholesterinämie
• LDL-C ist ein behandelbarer Risikofaktor
• LDL-C Zielwerte sollten erreicht werden (the lower the better), nötigenfalls mit einer Kombinationsbehandlung
• Bei Intoleranz der Statine (cave Nocebo-Effekt), LDL > Zielwert trotz Statin: Be,pedoinsäure /PCSK9-Hemmer erwägen.
• Inclisiran ist eine einfache und potente Möglichkeit über CSK9-Synthese Hemmung LDL-C zu senken.

1. Ference BA et al. Low-density lipoproteins cause atherosclerotic cardiovascular disease. 1. Evidence from genetic, epidemiologic, and clinical studies. A consensus statement from the European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Eur Heart J 2017;38(32):2459-2472. doi: 10.1093/eurheartj/ehx144.
2. Mach F. et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J 2020;41:111-188.doi: 10.1093/eurheartj/ehz455.
3. Estruch R et al. Primary Prevention of cardiovascular disease with amediterranean diet supplementd with extra-virgin olive oil or nuts. New Engl J Med 2018 ;378 :e34. DOI : 10 ;1056/NEJMoa1800389.
4. Cholesterol Treatment Trialists‘ (CTT) Collaboration>Efficacy and safety of LDL-lowering therapy among men and women: meta-analysis of individual data from 174 000 participants in 27 randomised trials. The Lancet 2015; 385, 9976, 1397 – 1405
5. Grinspoon SK et al. Pitavastatin to Prevent Cardiovascular Disease in HIV Infection.. N Engl J Med 2023; ;389(8):687-699.doi: 10.1056/NEJMoa2304146
6. Andersson NW et al. LDL-C Reduction With Lipid-Lowering Therapy for Primary Prevention of Major Vascular Events Among Older Individuals. J Am Coll Cardiol 2023; 82):1381-1391. doi: 10.1016/j.jacc.2023.07.027.
7. Howard JP et al Side Effect Patterns in a Crossover Trial of Statin, Placebo, and No Treatment J Am Coll Cardiol 2021;78:1210-1222. doi: 10.1016/j.jacc.2021.07.022.
8. Sabatine MS et al. Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. New Engl J Med 2017 ;376 :1713-1722.
9. Schwartz GC et al : Alirocumab and cardiovascular outcomes after acute coronary syndrome. N Engl J Med 2018 ; 379 : 2097-2107
10. Ray KK et al Two Phase 3 trials of Inclisiran jn patients with elevated LDL cholesterol. New Engl J Med 2020 ;382 :1507-1519
11. Wright RS et al. Pooled patient-level analysis of Inclisiran trials in patients with familial hypercholesterolemie of atherosclerosis. JACC 2021 ;77 :1182-1193
12. Ray KK et al. Inclisiran and cardiovascualr events : a patient-level analysis of phase III trials.Eur Heart J 2023 ;44 :129-138