- Medikamente in der Schwangerschaft
In der hausärztlichen Praxis kommt es häufig zu Konsultationen schwangerer Patientinnen. Welche Medikamente mit ausreichenden Erfahrungswerten und damit grösstmöglicher Sicherheit in der Schwangerschaft verabreicht werden dürfen, sorgt oft für Verunsicherung. Dieser Artikel soll einen Überblick geben über die häufigsten Konsultationsgründe schwangerer Patientinnen in der Hausarztpraxis und die gängigsten Medikamente vorstellen.
Wenn bei Wirkstoffgruppen auf einen spezifischen Wirkstoff verwiesen wird, so stellt dieser stets das Mittel der Wahl dar. Es wird bewusst nur auf die Pharmakotherapie in der Schwangerschaft eingegangen. Es ist zu beachten, dass in der Stillzeit zum Teil abweichende Empfehlungen gelten, so dass hier eine Therapie unbedingt neu evaluiert werden sollte.
Schmerzen, Fieber
Gemäss Swiss Teratogen Information Service (STIS) und der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Perinatale Pharmakologie (SAPP) ist Paracetamol weiterhin Mittel der Wahl bei Schmerzen und Fieber in der Schwangerschaft – auch zur Selbstmedikation. Fieber soll behandelt werden, da es Wehen auslösen kann. Gemäss aktuellen Forschungsdaten soll sich die Therapie mit Paracetamol aber auf einige Tage beschränken, da es bei längerer Anwendung zu unerwünschten Wirkungen auf den Fötus kommt (1, 2). NSAR (bevorzugt Ibuprofen) sollen aufgrund fehlender Datenlage nur in Einzeldosen eingesetzt werden und nur bis zur 28. SSW. Bei einer versehentlich längeren Einnahme von NSAR vor und bei jeder Einnahme nach der 28. SSW sollte eine sonographische Kontrolle des fetalen Ductus arteriosus Botalli erfolgen. Opiat- und Opioid-Analgetika (Morphin, Tramadol) sollten im ersten Trimenon nur in Einzeldosen gegeben werden – neuste Daten zeigen ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen v.a. unter Tramadol. Bei einer Entbindung unter Opiaten/Opioiden ist zu beachten, dass das Neugeborene aufgrund der in Terminnähe entwickelten Opiatrezeptoren u. U. stark sediert ist. Generell soll bei jeder Anwendung länger als wenige Tage zur Behandlung von Schmerzen eine kritische Evaluation und eine weitere Abklärung der Symptome erfolgen.
Ergänzend können nicht-medikamentöse Massnahmen wie Physiotherapie, Akupunktur oder Taping erwogen werden. Bei Kopfschmerzen gibt es eine gute Evidenz für Pfefferminzöl äusserlich; ausserdem zeigt Magnesiumaspartat (in einer Dosierung von 25 mmol/Tag; cave Durchfall) eine gute Wirksamkeit (3). Anhaltende Kopfschmerzen in der Schwangerschaft sollten geburtshilflich (Ausschluss Präeklampsie) und neurologisch (Ausschluss Sinusvenenthrombose, Migräne) abgeklärt werden.
Gastrointestinale Beschwerden
Eine Schwangerschaftsübelkeit kann zunächst mit Allgemeinmassnahmen behandelt werden. Hierzu zählen vor allem das Meiden von Triggern, die Einnahme von regelmässigen kleinen kohlenhydrat- und proteinreichen Mahlzeiten sowie ausreichendes Trinken. Ausserdem gibt es gute Wirksamkeitsnachweise für die Anwendung von Ingwer (als pulverisiertes Rhizom). Begleitend können Akupunktur und eine psychologische Betreuung hilfreich sein.
Mittel der Wahl zur Antiemese ist Meclozin kombiniert mit Vitamin B6. In Reserve können Metoclopramid und Ondansetron eingesetzt werden. Für die Behandlung von Gastritis und Refluxbeschwerden können aluminiumhaltige Antazida in therapeutischer Dosierung verwendet werden. Als zweite Wahl stehen H2-Rezeptorantagonisten (Ranitidin) zur Verfügung oder auch PPI (bevorzugt Omeprazol) (4). Rechtsseitige Oberbauchschmerzen ohne internistisches oder muskuloskelettales Korrelat müssen vor allem in der zweiten Schwangerschaftshälfte immer an ein HELLP-Syndrom denken lassen und erfordern eine labordiagnostische und gynäkologische Abklärung.
Allergien und Asthma bronchiale
Die Behandlung der allergischen Rhinitis erfolgt nach den gleichen Prinzipien wie ausserhalb der Schwangerschaft. Es werden topische (Azelastin) oder orale Antihistaminika (Loratadin, Cetirizin) eingesetzt. Topische Glukokortikoide (Budesonid, Fluticason) können ebenfalls verwendet werden. Der Beginn einer spezifischen Immuntherapie ist in der Schwangerschaft kontraindiziert; eine bereits begonnene Therapie kann jedoch weitergeführt werden (5).
Eine vor der Schwangerschaft etablierte Asthmatherapie kann und sollte in der Regel fortgesetzt werden, da ein unkontrolliertes Asthma ein erhöhtes maternales und fetales Risiko darstellt (5). Bei den inhalativen Betamimetika ist Salbutamol Mittel der Wahl, als inhalative Kortikosteroide können Budesonid, Beclometason und Fluticason eingesetzt werden. Auch systemische Kortikosteroide können in der Schwangerschaft verwendet werden, hierbei ist Prednisolon zu bevorzugen. Bei längerer Anwendung ist eine Entbindung im Zentrumsspital aufgrund des erhöhten Risikos für neonatale Anpassungsstörungen und Hypoglykämien indiziert. Aus der Gruppe der langwirksamen Betamimetika sollten bevorzugt Formoterol und Salmeterol verwendet werden (6).
Die Behandlung der anaphylaktischen Reaktion unterscheidet sich nicht von der Behandlung ausserhalb der Schwangerschaft: Es werden je nach Schweregrad orale oder intravenöse Antihistaminika und Kortikosteroide gegeben, neben der Inhalation eines Betamimetikums. Auch die Gabe von Adrenalin intramuskulär oder intravenös sollte stufengerecht erfolgen (7).
Psychische Störungen
Bei leichten depressiven Verstimmungen und Schlafstörungen sind folgende Phytotherapeutika gut untersucht: Baldrian, Johanniskraut und Bryophyllum pinnatum (8). Eine medikamentöse antidepressive Therapie sollte in der Schwangerschaft unbedingt fortgeführt werden. Vor allem gilt es, ein abruptes Absetzen zu vermeiden, um Krisen mit möglicher Gefährdung von Mutter und Kind zu verhindern. Wenn immer möglich sollte bereits bei Kinderwunsch auf ein gut erprobtes Medikament umgestellt werden. Mittel der ersten Wahl bei sehr guter Datenlage sind SSRI (Citalopram, Sertralin); bei Citalopram ist ab dem 2. Trimenon aufgrund der gesteigerten Clearance eine Dosissteigerung unerlässlich (9). Bei den trizyklischen Antidepressiva gelten vor allem Amitriptylin und Nortriptylin als ausreichend sicher. Eine Dosisreduktion präpartal ist bei Amitriptylin oftmals notwendig.
Da alle Antidepressiva ein Risiko neonataler Anpassungsstörungen mit sich bringen, ist bei einer solchen Therapie die Entbindung im Zentrumsspital empfohlen. Unmittelbar postpartal sollte nach Dosisanpassungen in der Schwangerschaft immer wieder auf die ursprüngliche Dosis zurückgestellt werden. Bei Symptomen einer Wochenbettdepression ist unbedingt eine rasche Zuweisung an ein gynäkopsychiatrisches Zentrum und die Evaluation einer Hospitalisation indiziert.
Bei bipolar-affektiven Störungen ist Quetiapin (6) das am besten untersuchte Medikament und verfügt über das günstigste Risikoprofil. Valproat, Carbamazepin und Lithium dürfen aufgrund ihrer Teratogenität nur bei sehr strenger Indikation gegeben werden und erfordern eine detaillierte fetale Sonographie (10).
Hypertensive Erkrankungen
Vorbestehende hypertensive Erkrankungen sollten präkonzeptionell bereits auf ein schwangerschaftsverträgliches Medikament umgestellt werden. Generell sollten vor einer geplanten Schwangerschaft eine optimale Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutdruckeinstellung erreicht sein. Kontraindiziert in der Schwangerschaft sind ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptor-antagonisten, Diuretika sollten möglichst vermieden werden. Mittel der Wahl sind Methyldopa, Nifedipin und Labetalol, in Reserve Metoprolol (6, 11).
Infektionen
Eine Erkältung kann in der Schwangerschaft symptomatisch behandelt werden mit ätherischen Ölen (Eukalyptus, Thymian, Efeu), befeuchtenden Mitteln wie Meerwasser und Hyaluronsäure, lokalen Vasokonstriktoren (Xylometazolin, Oxymetazolin) und Acetylcystein als Sekretolytikum (12).
Als Antiinfektiva werden bevorzugt Beta-Laktam-Antibiotika (Penicilline, Cephalosporine) verwendet. In Reserve, z.B. bei Allergien, stehen Makrolide (insbesondere Erythromycin) sowie Clindamycin und Azithromycin bei speziellen gynäkologischen Infektionen zur Verfügung. Ein Harnwegsinfekt in der Schwangerschaft ist immer als komplizierter HWI anzusehen und sollte firstline mit Amoxicillin/Clavulansäure über 3-5 Tage behandelt werden (13).
Schwangere Patientinnen (und Mütter im Wochenbett sowie ihre Neugeborenen) zählen zu den Risikopatienten bei einer Influenzainfektion. Das Risiko für Komplikationen wie schwere Pneumonien, Abort, Frühgeburt und intrauteriner Fruchttod ist bei ihnen deutlich erhöht. Wenn die Symptome der Patientin noch nicht länger als 48 Stunden bestehen, ist eine Therapie mit Oseltamivir indiziert (14). Bei persistierender Verschlechterung des Allgemeinzustands muss eine Hospitalisation erfolgen.
Impfungen in der Schwangerschaft
Vor einer geplanten Schwangerschaft sollte der Impfstatus der Patientin überprüft werden. Lebendimpfungen wie MMR und Varizellen dürfen nicht in der Schwangerschaft verabreicht werden, bei eventuellen Impflücken (MMR) oder negativer bzw. unklarer Anamnese (Varizellen) sollte die Impfung vor einer geplanten Schwangerschaft erfolgen. Der Abstand zwischen Lebendimpfung und Konzeption sollte einen Monat betragen (15). Falls doch unmittelbar nach der Impfung eine Schwangerschaft eintritt, stellt dies jedoch keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch dar.
In der Schwangerschaft sollte saisonal so früh wie möglich gegen Influenza geimpft werden, eine Nachimpfung ist aber auch später immer noch indiziert bis 4 Wochen postpartal. Ebenfalls in jeder Schwangerschaft indiziert ist – unabhängig vom Zeitpunkt der letzten Impfung – die Pertussisimpfung (DTPa) im zweiten Trimester. Hier sollte ebenfalls der Impfstatus des Partners und weiterer naher Betreuungspersonen des Neugeborenen überprüft werden. Liegt bei den betroffenen Personen die letzte DTPa-Impfung mehr als 10 Jahre zurück, sollte auch hier eine Auffrischimpfung erfolgen (16).
Weitere Informationen
- Swiss Teratogen Information Service (STIS; www.swisstis.ch)
- Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für perinatale Pharmakologie (SAPP; www.sappinfo.ch)
- Embryotox (www.embryotox.de)
- Meldung über unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Mutter und (ungeborenem) Kind an Swissmedic über ElViS (Electronic Vigilance System)
Frauenklinik
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen
Andrea.Biener@kssg.ch
Kantonsspital St.Gallen
Frauenklinik Geburtshilfe
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen
tina.fischer@kssg.ch
Beide Autorinnen geben an, keine Interessens-konflikte im Zusammenhang mit dem vorgelegten Manuskript zu haben.
- Analgetikum und Antipyretikum der Wahl zur kurzzeitigen Behandlung in der Schwangerschaft ist Paracetamol, NSAR sollten vor der 28. SSW nur in Einzeldosen und ab der 28. SSW gar nicht mehr eingenommen werden.
- Die gängigen Schemata zur Behandlung von allergischen Symptomen und Asthma bronchiale können und sollen auch in der Schwangerschaft fortgeführt werden.
- Antibiotika der Wahl sind Penicilline, Cephalosporine und Makrolide.
- In jeder Schwangerschaft sollte eine Impfung gegen Influenza (saisonal) und Pertussis erfolgen; ebenso sollten bei jungen Frauen in der hausärztlichen Praxis der Impfstatus überprüft und eventuelle Lücken vor einer Schwangerschaft geschlossen werden.
1. Stellungnahme der SAPP zur Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft vom 17.11.14
2. Alice Panchaud, David Baud. Le paracétamol reste l’antalgique de 1er choix pendant la grossesse. STIS, 2014
3. B. Lardi. Schmerz und Analgesie in der Schwangerschaft, Stillzeit und Neonatalperiode (Teil 1). pharmaJournal 5, 3.2012
4. B. Lardi. Gastrointestinale Beschwerden und Erkrankungen in der Schwangerschaft und Stillzeit. pharmaJournal 4, 2.2014
5. B. Lardi. Allergische Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit (Teil 1). pharmaJournal 3, 2.2017
6. Pharmakovigilanz – und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Embryotox.de. Aufrufdatum 18.03.2019
7. B. Lardi. Allergische Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit (Teil 2). pharmaJournal 4, 2.2017
8. U. von Mandach. SAPP-Jahrestagung 2012
9. Weisskopf E et al. Risk-benefit balance assessment of SSRI antidepressant use during pregnancy and lactation based on best available evidence. Expert Opin Drug Saf. 2015 Mar;14(3):413-27
10. B. Lardi, A. Heck. Mood Stabilizer während der Schwangerschaft und Stillzeit: Tabu oder möglich? pharmaJournal 13, 6.2012
11. August, P et al. Management of hypertension in pregnant and postpartum women. Up to date, Aufrufdatum 18.03.2019
12. U. von Mandach, K. Fürer. Schnupfen in Schwangerschaft und Stillzeit. pharmaJournal 1, 2018
13. Expertenbrief Nr. 58, 2018, SGGG
14. Guidelines.ch
15. Bundesamt für Gesundheit BAG, Empfohlene Impfungen für Frauen vor, während und nach der Schwangerschaft, Fact sheet, 2017
16. Bundesamt für Gesundheit BAG, Influenza- und Pertussisimpfung in der Schwangerschaft, Bulletin 5, 2019
der informierte @rzt
- Vol. 9
- Ausgabe 6
- Juni 2019