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Messung des Albumins im Urin bei über 45-Jährigen für ein langes Leben in Gesundheit?

Die chronische Nierenerkrankung (CKD) betrifft etwa 10 % der Bevölkerung, wobei frühe Stadien oft unbemerkt bleiben. Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer CKD, die nicht nur zur Niereninsuffizienz, sondern auch zu kardiovaskulären Erkrankungen führen kann. Zwei Hauptparameter zur Diagnose sind der Kreatininwert im Serum (zur Abschätzung der glomerulären Filtrationsrate) und die Albuminurie, welche eine strukturelle Schädigung der Nieren anzeigt. Studien empfehlen regelmäßige Screenings bei Risikogruppen, um frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen. In der Schweiz gibt es jedoch eine Versorgungslücke, da Leitlinien oft unzureichend umgesetzt werden. Alternative Versicherungsmodelle könnten Anreize für eine bessere Prävention schaffen.



Chronic kidney disease (CKD) affects approximately 10 % of the population, with early stages often going unnoticed. Risk factors such as diabetes, hypertension, and obesity increase the likelihood of CKD, which not only leads to renal failure but also to cardiovascular diseases. Two key parameters for diagnosis are serum creatinine levels (for estimating glomerular filtration rate) and albuminuria, indicating structural kidney damage. Studies recommend regular screenings for high-risk groups to enable early intervention. However, there is a gap in care implementation in Switzerland, as guidelines are often inadequately followed. Alternative insurance models could create incentives for improved prevention strategies.
Key words: chronic kidney disease, estimated glomerular filtration rate, albuminuria, longevity.

Mit zunehmendem Alter nimmt die Nierenfunktion langsam, aber stetig ab. Bei manchen Menschen nimmt sie so stark ab, dass eine Nierenersatztherapie notwendig wird. Da die Bevölkerung in unseren Breitengraden immer älter wird, nimmt die Zahl der Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion zu. Die Prävalenz der chronischen Nierenerkrankung (CKD) (1) in der Bevölkerung liegt bei etwa 10 %, wobei frühe und klinisch weniger relevante Stadien überwiegen (2). Es nimmt aber auch die Häufigkeit der Menschen mit einer gravierenden Einschränkung der Nierenfunktion zu. Die Zahl der neuen Dialysepa­tienten steigt jährlich um 2 bis 3 % (3). In wenigen Jahren wird die Niereninsuffizienz zu den zehn häufigsten Todesursachen im Alter gehören (4). Die chronische Nierenerkrankung ist nicht nur wegen der aufwendigen Nierenersatzverfahren – eingeschränkte Lebensqualität und hohe Kosten – sondern auch wegen des negativen Einflusses auf andere Organsysteme – z. B. kardiovaskuläres System, Knochen, Kognition – von klinischer Relevanz.

Der Erhalt der Nierenfunktion und die Verlangsamung der Abnahme der Nierenfunktion sind deshalb eine wichtige Voraussetzung für ein langes Leben in Gesundheit.

Die wichtigsten Massnahmen für den Erhalt der Nierenfunktion sind die Identifizierung eines frühen Nierenschadens und die Behandlung der Risikofaktoren und, wenn indiziert, der Einsatz von organprotektiven Medikamenten. Die wichtigsten Risikofaktoren sind: Diabetes mellitus, Hypertonie, Adipositas und Hyperlipidämie.

Laborparameter für die Erfassung der CKD und Prävention

Für Erfassung und Monitoring einer CKD sind hauptsächlich zwei Parameter relevant. Der Kreatininwert im Serum, aus dem die glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) abgeschätzt werden kann, und die Bestimmung des Albumins im Urin. Die eGFR spiegelt die Filtrationsleistung, also die exkretorische Funktion der Nieren wider, die Albuminurie ist Folge einer strukturellen Schädigung in den Nieren.

Es besteht Konsens darüber, dass Serumkreatinin und die Albuminurie bei allen Personen mit einem der oben genannten Risikofaktoren in jährlichen Abständen bestimmt werden sollten (5–7).

Populationsbasiertes Screening für die ­Identifikation einer Albuminurie

Menschen mit CKD haben nicht nur ein erhöhtes Risiko für eine terminale Niereninsuffizienz. Eine CKD führt bereits in einem frühen Stadium zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (8). Während dies die direkte Folge einer eingeschränkten Nierenfunktion und reduzierter eGFR ist, so hat sich in den vergangenen Jahren auch die Bedeutung einer Albumin­urie als unabhängiger Risikofaktor kardiovaskulärer Ereignisse gezeigt. Da einfache Tests für eine Albumin­urie zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, ob nicht für alle Personen ab einem bestimmten Alter eine Untersuchung auf eine Albuminurie durchgeführt werden soll. In den Niederlanden wurde diese Frage in einer Studie mit mehr als 15 000 Personen im Alter zwischen 45 und 80 Jahren untersucht, wobei bei etwa 4 % der Teilnehmer eine abnorme Albuminurie festgestellt wurde. Bei diesen Personen konnte dann frühzeitig eine Behandlung eingeleitet werden, um sowohl eine Abnahme der Nierenfunktion als auch das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen zu reduzieren (9).

Unterversorgung von Menschen mit chronischer Niereninsuffizienz in der Schweiz – Lücke zwischen Wissen und Tun?

Es gibt Hinweise, dass das in Leitlinien (5, 7, 10) dargestellte Wissen in der Praxis nicht oder noch nicht vollständig umgesetzt wird.
Eine Studie, die Daten von Grundversorgern aus der Schweiz erfasste, zeigt vor allem im Monitoring (eGFR) von Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und in der Bestimmung der Albuminurie mittels der Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin (uACR) ein deutliches Verbesserungspotential (11). Aus den Ergebnissen der Studien geht nicht klar hervor, ob der Grund für das Defizit in mangelndem Wissen, knappen Ressourcen oder anderen Faktoren liegt.

Verbesserung der Versorgung – mögliche Ansätze

Ärztinnen und Ärzte in der Primärversorgung spielen eine wichtige Rolle in der Prävention und Behandlung von Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung. Die Aufgabe besteht in der Erfassung und Behandlung von Risikofaktoren, der Bestimmung der eGFR und der Albuminurie. Menschen mit den erwähnten Risikofaktoren sind auf eine chronische Nierenerkrankung zu untersuchen (5) und die Risikofaktoren konsequent zu behandeln.

Wirksame Prävention benötigt Ressourcen

Dies alles benötigt Ressourcen. Dies insbesondere, um die betroffenen Menschen zu informieren und für diese Untersuchungen und Therapien zu motivieren.

Ein Faktor für die mangelnde Umsetzung der Empfehlungen in der Praxis ist möglicherweise die Tatsache, dass für Prävention im überwiegend durch den Einzelleistungstarif geprägten Tarifsystem kein systematischer Anreiz besteht.

Die Rolle alternativer Versicherungsmodelle – bessere Anreize für mehr Gesundheit

Wirksame Prävention setzt jedoch Qualitätsarbeit von Hausärztinnen und Hausärzten und interdisziplinären Teams auch ausserhalb von akuten Krankheitsanlässen voraus. Innerhalb von alternativen Versicherungsmodellen – «Hausarztmodellen» – können entsprechende positive Anreize gesetzt werden, um die geleistete Qualitätsarbeit zusätzlich zu vergüten. Dies ist auch eine Chance für Krankenversicherer, sich durch gute Leistungen über mehr Qualität und Prävention bei ihren Versicherten auszuzeichnen. Einzelne Versicherer schliessen bereits seit Jahren mit Ärztenetzen Vereinbarungen ab, um mit Hilfe von Abrechnungsdaten qualitätsfördernde Massnahmen zu unterstützen. Diese könnten auch auf diesen Themenbereich anwendbar sein und entsprechend ausgebaut werden (12, 13).
Schliesslich bietet eine Überarbeitung der «Nationalen Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten» eine Chance, chronische Nierenerkrankungen – in wenigen Jahren eine der häufigsten Ursachen verlorener Lebensjahre – im Hinblick auf ein längeres Leben bei guter Gesundheit die Bedeutung zu geben, um schlussendlich die nötigen Ressourcen zu mobilisieren, die diese wichtige Erkrankung verdient.

Für die Arbeitsgruppe «WDA Swiss Longevity Council»

Autoren
Prof. Dr. med. Patrice Ambühl
Institut für Nephrologie, Stadtspital Zürich

Prof. Dr. med. Heike Bischoff-Ferrari
DrPH, Lehrstuhl Geriatrie und Altersforschung, Universität Zürich

Prof. Dr. med. Eva Blozik
MPH, SWICA, Gesundheitsorganisation, Winterthur & Institut für Hausarztmedizin, Universität und UniversitätsSpital Zürich

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Verena Briner
FRCP, Medical Centre, Bürgenstock

Dr. med. Claude Cao
MPH, Meydoo Consulting

Dr. med. Hans Groth
Präsident World Demographic & Ageing Forum (WDA Forum), St. Gallen

Dr. med. Leander Muheim
EMBA, mediX zürich und mediX schweiz

Dr. Heiner Sandmeier
MPH, Sandmeier Health Care Consulting

Prof. em. Dr. med. Johann Steurer
Universität Zürich

Prof. Dr. med. Christoph Wanner
Universität Würzburg

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Hans Groth

Präsident World Demographic & Ageing Forum (WDA Forum),
St. Gallen

Die Autorschaft hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Jager KJ, Kovesdy C, Langham R, Rosenberg M, Jha V, Zoccali C. A single number for advocacy and communication—worldwide more than 850 million individuals have kidney diseases. Nephrol Dial Transplant. 2019;34(11):1803-5.
2. Ponte B, Pruijm M, Marques-Vidal P, Martin PY, Burnier M, Paccaud F, et al. Determinants and burden of chronic kidney disease in the population-based CoLaus study: a cross-sectional analysis. Nephrol Dial Transplant. 2013;28(9):2329-39.
3. Boerstra BA, Boenink R, Astley ME, Bonthuis M, Abd ElHafeez S, Arribas Monzón F, et al. The ERA Registry Annual Report 2021: a summary. Clinical kidney journal. 2024;17(2):sfad281.
4. Brauer M, Roth GA, Aravkin AY, Zheng P, Abate KH, Abate YH, et al. Global burden and strength of evidence for 88 risk factors in 204 countries and 811 subnational locations, 1990–2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. The Lancet. 2024;403(10440):2162-203.
5. Stevens PE, Ahmed SB, Carrero JJ, Foster B, Francis A, Hall RK, et al. KDIGO 2024 clinical practice guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease. Kidney international. 2024;105(4):S117-S314.
6. Committee ADAPP. Introduction and Methodology: Standards of Care in Diabetes—2024. Diabetes Care. 2023;47(Supplement_1):S1-S4.
7. Schweizerischge Gesellschaft für Nephrologie. Richtlinien zu Screening und Identifikation der Chronischen Niereninsuffizienz für Allgemeinmediziner und Internisten.15. Juli 2024. Available from: https://www.swissnephrology.ch/wp/wp-content/uploads/2023/01/161121_SGN_Pocketguide_CKD_Web_A4_d_WZ.pdf.
8. Matsushita K, Van der Velde M, Astor B, Woodward M, Levey A, De Jong P, et al. Chronic Kidney Disease Prognosis Consortium: Association of estimated glomerular filtration rate and albuminuria with all-cause and cardiovascular mortality in general population cohorts: A collaborative meta-analysis. Lancet. 2010;375(9731):2073-81.
9. van Mil D, Kieneker LM, Evers-Roeten B, Thelen MH, de Vries H, Hemmelder MH, et al. Participation rate and yield of two home-based screening methods to detect increased albuminuria in the general population in the Netherlands (THOMAS): a prospective, randomised, open-label implementation study. The Lancet. 2023;402(10407):1052-64.
10. Crea F. The ESC Guidelines on cardiovascular prevention and a focus on old and new risk factors. Oxford University Press; 2021. p. 3209-13.
11. Jager L, Rosemann T, Burgstaller JM, Senn O, Markun S. Quality and variation of care for chronic kidney disease in Swiss general practice: A retrospective database study. PLoS One. 2022;17(8):e0272662.
12. Farcher R, Graber SM, Thuring N, Blozik E, Huber CA. Does the implementation of an incentive scheme increase adherence to diabetes guidelines? A retrospective cohort study of managed care enrollees. BMC Health Serv Res. 2023;23(1):707.
13. Hoglinger M, Wirth B, Carlander M, Caviglia C, Frei C, Rhomberg B, et al. Impact of a diabetes disease management program on guideline-adherent care, hospitalization risk and health care costs: a propensity score matching study using real-world data. Eur J Health Econ. 2023;24(3):469-78.

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  • Vol. 14
  • Ausgabe 11
  • November 2024