- Mit Dampf und zu Fuss unterwegs am Furkapass

Zu meinem 60igsten Geburtstag schenkte mir unsere Tochter Julia eine Fahrt mit der Furka-Dampfbahn. Obwohl ich nicht zu den Eisenbahnverrückten zu zählen bin, wusste unsere Tochter doch genau, dass in ihrem Vater noch immer der technikbegeisterte kleine Junge von früher steckt. Da sich Julia als angehende Biologin zu einer naturverbundenen jungen Frau entwickelt hat, war es für uns selbstverständlich, dass wir uns bei diesem Ausflug nicht auf die Bahnfahrt beschränken, sondern diese mit einer Wanderung verbinden würden – der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm.
Deshalb endet unsere spannende Zugfahrt bei der Station Muttbach-Belvédère jenseits des Scheiteltunnels. Dort finden wir uns, nach dem ruckelnden und gepolsterten Luxus der ersten Klasse inklusive Prosecco, im schweflig-russigen Rauch der sich kreuzenden Züge und in der alpinen Wirklichkeit wieder (Abb. 1). Über Nacht hat es bis weit ins Tal hinunter geschneit und die Wolken hängen noch immer tief. Auch Julias Augen leuchten nach dem faszinierenden Bahnabenteuer, das wir nicht nur Bahnbegeisterten bestens empfehlen können. Unserem nach Gletsch hinunter fahrenden Zug schauen wir nach, als wäre er eine Fata morgana in unserer schnelllebigen Zeit und das eben Erlebte nur ein Traum.
Harte Wirklichkeit ist der nun folgende, kurze Aufstieg über Rossboden zur Furka-Passhöhe hinauf. Die geschickt angelegten Schleifen des Zickzackweges helfen jedoch, diesen steilen Hang rasch zu überwinden. Wer das kurze Stück Passstrasse bis zu den ehemaligen Militärbaracken auf Galenbödmen scheut, der kann hier zum etwa 40 Meter höher gelegenen Bergweg aufsteigen, der das Hotel Belvédère mit Galenbödmen verbindet. Der Weg zur Sidelenhütte verlässt die Barackensiedlung gegen Norden. Sobald wir ins Tal des Sidelenbachs einschwenken, ändert sich die Landschaft schlagartig. Wir stehen urplötzlich im Gletschervorfeld des Sidelengletschers am Fuss der Furkahörner, des Sidelenhorns und des Galenstocks. Wo der Schnee bereits geschmolzen ist, knirscht nun Granit des Aaremassivs unter unseren Bergschuhen. Wir haben die während der alpinen Gebirgsbildung stark verfaltete und zertrümmerte Pufferzone zwischen den herzynischen Gotthard- und Aaremassiven verlassen. Während der Granit des Aaremassivs im Schutze des Gotthards kaum verformt wurde, erlitten dessen magmatischen Gesteine unter den enormen Kräften der sich überfaltenden Decken der alpinen Gebirgsbildung eine Metamorphose und wurden zu deutlich geschichteten Gneisen umgeformt.
Jenseits des Sidelenbachs folgt der Weg der Moränen- und Felskrete östlich des ehemaligen Gletscherbettes bis zur Hütte hinauf (Abb. 2). Die sich jagenden Wolken geben nur sparsam den Blick auf die Felstürme des Gross und Chli Bielenhorns frei. So verziehen wir uns in die gastfreundliche Hütte und geniessen die köstliche Rösti zum etwas späten Mittagessen. Die frische Bergluft hat längst Schwefeldampf und Russ aus Nase und Lungen vertrieben.
Der Nepali Highway bleibt uns des Neuschnees und der späten Stunde wegen für heute verwehrt. Deshalb steigen wir auf dem östlicheren Hüttenweg zur Spiessenälpetli und zur darunter vorbeiführenden Passstrasse ab. Dieser Weg liegt in einer äusserst abwechslungsreichen alpinen Landschaft mit typischen glazialen Feuchtgebieten, in denen man Kröten. Frösche und Molche entdecken kann (Abb. 3). Jenseits der Passstrasse folgen wir weglos dem rechten Ufer des Sidelenbachs hinunter bis zur festungsartigen Militärunterkunft am Bahngeleise der Furka-Bergstrecke. Jenseits der Geleise stossen wir beim Sidelenstafel auf den Bergweg, der der Bahntrasse folgt bis kurz vor Realp. Wer Glück hat, begegnet hier nochmals dem letzten Tageskurs der fauchenden und qualmenden Dampfbahn. Beim Steinstafel halten wir zu einem kurzen Schwatz mit der Älplerin, deren Mann schon den 40. Alpsommer hier oben verbringt. Natürlich sind das Wetter und der frühe Schnee ein Gesprächsthema. In der Vergangenheit gab es weit heftigere Schneefälle während des Alpsommers, sodass das Vieh mit Heu per Bahn versorgt werden musste.
Nach der Station Tiefenbach teilt sich der Weg. Wir bleiben auf der Südseite der Furkareuss und der Bahntrasse. Der Bergweg umgeht in einer kurzen Gegensteigung die enge Schlucht mit den drei Eisenbahntunnels. Der Pfad wird zwar nach Schnee- und Regenfällen auch alternativ als Bergbach genutzt, was aber mit festen Bergschuhen immer noch angenehmer ist als das Fahrsträsschen auf der gegenüberliegenden Talseite. Das Tobel des Steffentals überwindet die Bahnstrecke mit einer 1925 erbauten, zusammenlegbaren Stahlbrücke. Vor jedem Winter wird sie vor Ort so zusammengefaltet, dass sie nicht mehr durch die berüchtigte Steffentallawine zerstört werden kann. Die ursprüngliche, 1913 aus Stein erbaute Brücke wurde durch die Lawine zerstört, noch bevor sie der erste Zug befahren konnte.
Vorbei am kaum mehr erkennbaren Alt Senntumstafel und den Hütten von Laubgädem erreichen wir schliesslich die Militärstrasse ins Witenwasserental, der wir talauswärts bis Realp folgen (Abb. 4). So geht eine erlebnisreiche Ausfahrt und Wanderung zu Ende, bleibt das wunderbare Geburtstagsgeschenk meiner Tochter Julia in unvergesslicher Erinnerung.
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