- Orthostatische Synkope
Die orthostatische Hypotonie (OH) wird mit zunehmendem Alter immer häufiger, ist meist asymptomatisch, kann aber auch zu Synkopen führen. Ursächlich werden primäre und sekundäre neurogene Ursachen sowie Medikamente und eine Hypovolämie unterschieden. Diagnostisch ist ein Orthostase-Test (10 Min.) und allenfalls ein 24h-Blutdruck-Profil zu empfehlen. Nach Reduktion/Eliminierung von auslösenden Faktoren gibt es nicht medikamentöse und pharmakologische Behandlungsmöglichkeiten, wobei die nicht medikamentösen Massnahmen (grosszügige Salz- und Flüssigkeitszufuhr, physikalische Gegenmanöver) den wichtigsten Eckpfeiler darstellen.
Orthostatic hypotension (OH) becomes more common with age, is usually asymptomatic, but can also lead to syncope. A distinction is made between primary and secondary neurogenic causes, as well as medication and hypovolemia. An orthostasis test (10 minutes) and possibly a 24-hour blood pressure profile are recommended for diagnosis. After the reduction/elimination of triggering factors, there are non-drug and pharmacological treatment options, with non-drug measures (a generous intake of salt and fluids, physical measures) being the most important cornerstones.
Key Words: Syncope, orthostatic hypotension, autonomic, baroreflex, orthostasis test
Einführung/Definition
Die Synkope ist definiert als ein plötzlicher, kurzer (höchstens wenige Minuten dauernder) Verlust von Bewusstsein und Muskeltonus durch eine globale, zerebrale Hypoperfusion mit spontaner, vollständiger Erholung. Es ist wichtig, dieses eng definierte Syndrom von anderen transienten Bewusstseinsstörungen (TLOC = transient loss of consciousness) wie z.B. epileptischen Anfällen, Hypoglykämie, TIA und Intoxikationen abzugrenzen, da bei diesen andere diagnostische und therapeutische Massnahmen angezeigt sind.
Die Ursachen von Synkopen sind vielfältig und in der Abbildung 1 (adaptiert nach (1)) entsprechend der Pathophysiologie in Reflex-Synkopen, kardiale Synkopen und Synkopen durch orthostatische Hypotonie (OH) unterteilt. Die OH ist ein häufiger Befund bei der Abklärung von Synkopen, schlussendlich jedoch nicht immer deren Ursache (2).
Definition orthostatische Hypotonie (4)
Abfall systolischer BD um ≥ 20 mmHg oder auf < 90 mmHg und/oder Abfall des diastolischen BD um ≥ 10 mmHg innert 3 Minuten nach dem Aufstehen.
Für Ausgangswerte von ≥ 160 mmHg im Liegen wird ein BD-Abfall von ≥ 30 mmHg vorgeschlagen.
Epidemiologie und Prognose
Synkopen sind häufig, denn sie machen bis zu 9% der Praxiskonsultationen und bis zu 2% der Notfalleintritte aus. Gesamthaft werden 4 bis 15% der Synkopen ätiologisch der OH zugeordnet, wobei Anteile bis zu 30% bei Älteren beschrieben werden. Die OH ist ein sehr häufiger Befund. Sie nimmt mit Alter und Komorbiditäten (neurodegenerativ, kardiovaskulär, metabolisch, renal) zu. Ihre Prävalenz liegt bei unter 50-Jährigen unter 5%, bei über 70-Jährigen bei ca. 20%. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass um die 90% dieser Menschen asymptomatisch sind. Aufgrund von populationsbasierten, prospektiven, epidemiologischen Daten wird die OH mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. Myokardinfarkte, Schlaganfälle, Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern und chronische Nierenerkrankungen scheinen mit der OH häufiger vergesellschaftet zu sein (4). Inwieweit bei asymptomatischen Menschen ein kausaler Zusammenhang besteht, ist unklar.
Pathophysiologie
Beim Aufstehen kommt es zu einer unmittelbaren Volumenverschiebung von 500 – 1000 ml in die Kapazitätsgefässe unterhalb des Zwerchfells. Dadurch wird der venöse Rückfluss in den rechten Vorhof, das thorakale Blutvolumen und das kardiale Schlagvolumen reduziert. Eine Zunahme des Sympathikotonus und die Verminderung der vagalen Aktivität sorgen für die Erhaltung des Blutdrucks. Bei längerem Stehen führt die transkapilläre Filtration im infradiaphragmalen Raum zu einer weiteren Reduktion des zentralen Blutvolumens um ca. 15 %, während der kardiale Auswurf um ca. 20% sinkt. Beim gesunden Menschen wird der mittlere Blutdruck durch eine Erhöhung des vaskulären Tonus im splanchnischen, muskuloskelettalen und renalen Gefässbett stabil gehalten. Die raschen Reaktionen des Kreislaufs werden auf autonom neuralem Weg geregelt. Die späteren Änderungen beinhalten neurohumorale Reaktionen, wie die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus. Ein Ausfall von jedem dieser adaptiven Reflexe kann zu einem temporären oder persistierenden BD-Abfall in der frühen oder späten Phase der orthostatischen Belastung führen (5).
Beeinträchtigungen dieser orthostatischen Reaktionen/Reflexe können direkt durch einen abrupten (initiale OH) oder allmählichen BD-Abfall (klassische oder verzögerte OH) zu einer Synkope führen. Indirekt kann die OH auch den vasovagalen Reflex triggern und so zu einer Reflexsynkope führen. Bei jungen, gesunden Menschen dominiert eher eine Störung des neurokardiogenen Regelkreises, also die Reflexsynkope (= vasovagale, neurokardiogene Synkope, «neurally mediated syncope»).
Bei Älteren und Menschen mit (u.a. neurologischen) Erkrankungen und /oder begünstigender Medikation steht die orthostatische Hypotonie im Vordergrund.
Klinik
Symptome der OH können fehlen oder unspezifisch und nicht richtungsweisend sein. Müdigkeit, verschwommenes Sehen, Schwindel, Schwarzwerden vor den Augen, Schmerzen in Nacken und Schultern («Kleiderbügel-Kopfschmerz») oder eben ein Bewusstseinsverlust, also eine Synkope, können Ausdruck einer OH sein (5).
Ätiologie
Bei den Ursachen der OH werden einerseits eine primäre (neurodegenerative) und eine sekundäre (Polyneuropathie bei internistischen Grunderkrankungen) Schädigung des autonomen Nervensystems unterschieden (Tab. 1). Andererseits können Medikamente (Tab. 2) und ein inadäquater venöser Rückfluss (Tab. 3) auch bei intaktem autonomem Nervensystem zu einer OH führen.
Diagnostik
Die Diagnostik bei einer Synkope basiert nach wie vor auf den drei Säulen Anamnese, klinische Untersuchung und EKG. Prioritär ist dabei, kardiale Synkopen (Kardiale Ischämie, Rhythmusstörung, Lungenembolie, Aortenstenose, usw.) nicht zu verpassen, da diese unmittelbar therapeutische Konsequenzen haben könnten (6).
Obligate Basisuntersuchungen bei einer Synkope:
- Eigen- und Fremdanamnese
- klinische Untersuchung
– mit besonderem Augenmerk auf kardiovaskuläre und neurologische Auffälligkeiten
– inkl. Blutdruck liegend und stehend - EKG
Um eine verzögerte Orthostasereaktion nicht zu verpassen, wird statt des 3-minütigen ein 10-minütiger Orthostase-Test (Schellong-Test) empfohlen. Ein 24h-Blutdruck-Profil (mit Angabe der Körperposition bei jeder Messung) kann bei der Diagnose der OH hilfreich sein.
Zu allfälligen weiteren Abklärungen bezüglich OH in einem spezialisierten Zentrum gehört die Kipptischuntersuchung. Diese wird, wegen des grossen Aufwands, der nicht überzeugenden Spezifität und Sensitivität sowie der meist fehlenden therapeutischen Konsequenzen, nicht häufig durchgeführt. Für die Unterscheidung zwischen neurogener und nicht neurogener OH können die nicht invasive beat-to-beat Blutdruckmessung beim Valsalva-Manöver und allenfalls eine Bestimmung der Katecholamine im Plasma im Liegen und Stehen herangezogen werden.
Therapie
Sollte sich bei der Abklärung eine reversible Ursache der OH ergeben, so wird diese selbstverständlich beseitigt (z.B. Flüssigkeitsgabe bei Hypovolämie durch Diarrhoe; Absetzen/Reduktion von Medikamenten, die eine OH auslösen bzw. begünstigen können).
In allen anderen Fällen steht an erster Stelle eine gründliche Information des Patienten über Auslöser und Risikosituationen für seine Synkopen und deren Vermeidung. Die nicht medikamentösen Massnahmen (Tab. 4) bilden die Grundlage der Behandlung. Ihre Durchführung ist jedoch oft schwierig, da diese einerseits unbequem sind (z.B. Kompressionstrumpfhosen) und andererseits von betagten und multimorbiden Patienten nur schwer durchgeführt werden können (Stehtraining, Stehen mit überkreuzten Beinen).
Auch die medikamentöse Therapie (Tab. 5) der orthostatischen Synkopen gestaltet sich bei älteren Menschen mit Begleiterkrankungen schwierig. In erster Linie wird das Mineralokortikoid Fludrocortison allein oder in Kombination mit dem Sympathomimetikum Midodrin eingesetzt, wobei die Evidenz für letzteres besser ist (8, 9).
Als Beispiel für die Komplexität und Schwierigkeit der Therapie möge ein Patient mit M. Parkinson, OH und arterieller Hypertonie (im Liegen) dienen. Auch hier sind natürlich in erster Linie die weitgehend nebenwirkungsfreien, nicht medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten (insbesondere das Liegen und Schlafen mit erhöhtem Oberkörper) auszuschöpfen. Während zwar die Grundkrankheiten aber die dagegen eingesetzten Medikamente eher nicht (10) für die OH (mit-) verantwortlich sind respektive diese verstärken, so haben die pharmakologischen Therapien der OH als unerwünschte Wirkung auch eine weitere Erhöhung des im Liegen schon bestehenden arteriellen Hypertonus zur Folge. Als möglicher Ausweg in dieser Situation sind Fludrocortison und/oder Midodrin so tief wie möglich (aber natürlich so hoch wie nötig) zu dosieren. Midodrin sollte spätestens vier Stunden vor der Bettruhe letztmals eingenommen werden. Für die Nacht ist ein kürzer wirksames Antihypertensivum (z.B. Captopril, Nitrat-Patch) zu erwägen, das nicht zu einer Natriurese und damit zu vermehrten nächtlichen Toilettengängen und einer leichten morgendlichen Hypovolämie führt (11). Dieses Vorgehen stellt allerdings trotzdem ein erhöhtes Risiko für Stürze bei allfällig notwendigen, nächtlichen Toilettengängen dar. In solchen Fällen ist sehr sorgfältig abzuwägen zwischen Lebensqualität und Reduktion des kardiovaskulären Risikos durch die antihypertensive Therapie. Bei höherem Alter und Multimorbidität des Patienten scheint eine höhere Gewichtung der Lebensqualität durchaus vertretbar und sinnvoll.
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9007 St.Gallen
Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Zur Basisdiagnostik bei Synkopen gehören Eigen- und Fremdanamnese, klinische Untersuchung, Orthostase-Test, EKG.
◆ Grundpfeiler der Behandlung der orthostatischen Hypotonie bilden die nicht medikamentösen Massnahmen (Reduktion / Absetzen von OH auslösender / verstärkender Medikation, grosszügige Kochsalz- und Wasserzufuhr, Schlafen mit erhöhtem Oberkörper, Kompressionsstrumpfhosen, Muskelanspannung, usw.)
◆ Zur medikamentösen Therapie der OH gehören Fludrocortison und Midodrin.
1. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (2019) ESC Pocket Guidelines. Diagnose und Management von Synkopen,
Version 2018. Börm Bruckmeier Verlag GmbH, Grünwald
2. van Wijnen VK, et al. Orthostatic blood pressure recovery patterns in suspected syncope in the emergency department. Emerg Med J 2018;35:226–230.
3. Freeman R. et al. Consensus statement on the definition of orthostatic hypotension, neurally mediated syncope and the postural tachycardia syndrome. Clin Auton Res. 2011;21:69–72
4. Fedorowski A., Melander O. Syndromes of orthostatic intolerance: a hidden
danger. J Intern Med. 2013;273(4):322-35
5. Freeman R. et al. Orthostatic Hypotension: JACC State-of-the-Art Review. J Am Coll Cardiol. 2018;72(11):1294-1309
6. Brignole M. et al. 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope. Eur Heart J. 2018;39(21):1883-1948.
7. Rivasi G. et al. Drug-Related Orthostatic Hypotension: Beyond Anti-Hypertensive Medications. Drugs Aging. 2020;37(10):725-738
8. Sheldon R. et al. Midodrine for the Prevention of Vasovagal Syncope. Ann Intern Med 2021;174(10):1349-1356.
9. Isaacson SH. et al. Management Strategies for Comorbid Supine Hypertension in Patients with Neurogenic Orthostatic Hypotension. Curr Neurol Neurosci Rep. 2021;21(4):18
10. Nimmons D. et al. Orthostatic Hypotension and Antiparkinsonian Drugs: A Systematic Review and Meta-analysis. J Geriatr Psychiatry Neurol. 2022;35(5):639-654
11. Cubotha S. et al. The Pressor Response to the Drinking of Cold Water and Cold Carbonated Water in Healthy Younger and Older Adults. Front Neurol 2022;12:788954.
12. Rezzonico S, Previsomini M. Orthostatische Hypotonie – eine Herausforderung für den behandelnden Hausarzt. Schweiz Med Forum 2014;14(21):418–421
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- Dezember 2022