- Personalisierte und multifaktorielle Behandlung
Die neuen SGED-Empfehlungen sehen zusätzlich eine medikamentöse Therapie vor, sobald die Massnahmen ohne Medikamente ausgeschöpft sind. Dabei steht das Risikoprofil der Patienten, vor allem das kardiovaskuläre Risiko, im Mittelpunkt der Medikamentenauswahl. Es wird eine individuelle Behandlung und Strategie empfohlen.
Fallvignette:
Alter/Beruf: 55-jähriger Patient, Inhaber einer Kleinfirma
Diabetesdauer: Diabetes seit 6 Monaten. Folgekomplikationen: keine bekannten Risikofaktoren, Nichtraucher.
Familienanamnese: Vater und Mutter mit Diabetes und Adipositas
Klinische Zeichen: Gewichtszunahme trotz häufiger körperlicher Aktivität, Schlafapnoe. Status (Vitalzeichen und pathologische Befunde): 141 kg, 183 cm (BMI 42), BU 124 cm. BD 148/97 mm Hg, Puls 103/min, ASR (+)/(+), Vibrationssinn 1.MTP 4/8, Monofilament: 10/10. Diabetes-Therapie: Janumet 50/1000, wurde nicht eingenommen, Patient möchte nicht spritzen
Medikamente: Amlodipin 10mg 1-0-0
Aktuelle Probleme: HbA1c 10.5%. Welche Therapie? (=mittlerer Blutzucker 14,2 mM)
Laboranalysen
HbA1c (%) 10.5 (4.4-5.6
Totalcholesterin (mmol/l) 5.8 (abhängig vom Risiko)
HDL-C (mmol/l) 0.8 (>1.0)
LDL-C (mmol/l) 3.2 (abhängig vom Risiko)
Triglyceride 4.2 (mmol/l) 4.2 (<1.7)
Kreatinin (µmol/l) 114
eGFR (ml/min/1.73m2 56
Albumin/Kreatinin (mg/mmol) 4.1 (<2)
Interpretation von Albumin im Urin
Messung von Albumin in mg und Kreatinin in mmol im Spoturin (wichtig)
Was ist bereits bekannt?
• Klassischer Typ-2-Diabetes
• Arterielle Hypertonie
• Klassische diabetische Dyslipidämie
• Chronische diabetische Nierenerkrankung mit Mikroalbuminurie
• Fussuntersuchung: periphere Neuropathie
• Augenarzt: nicht-proliferative Retinopathie
• Kardiovaskuläre Erkrankung? Bisher nicht symptomatisch
Die Folgeerkrankungen von Diabetes sind Schlaganfall, Herzinfarkt, arterielle Verschlusskrankheit, diabetische Retinopathie, Katarakt, Glaukom, diabetischer Fuss, Niereninsuffizienz, periphere Neuropathie.
Der Patient wird Ihnen zugewiesen zur besseren Einstellung des Diabetes. Es stellen sich die folgenden wichtigen Fragen:
• Wichtigste Kriterien bei der Therapiewahl
• Optimale Diabetestherapie
• Multifaktorielle Therapie: Optimale Blutdrucktherapie, optimale Therapie der Dyslipidämie
Klassifikation der chronischen Nierenerkrankung und des kardiovaskulären Risikos
Die Tabelle 1 fasst die Klassifikation nach KDIGO 2012 und das kardiovaskuläre Risiko zusammen.
Wichtigste Kriterien bei der Therapiewahl
• Nierenfunktion?
– Chronische Niereninsuffizienz mit Mikroalbuminurie KDIGO G3aA2
• Kardiovaskuläre Erkrankung/Herzinsuffizienz?
– Nicht symptomatisch
• Blutdruck optimal eingestellt?
– 148/97 mm Hg mit Calciumantagonist: nein
• Dyslipidämie gemäss Zielwerten therapiert?
– Triglyzeride 4.2 mM und LDL-C 3.1 mM
Optimale Therapie unter Berücksichtigung aller wichtigen Kriterien
Die essentiellen Kriterien für den Allgemeininternisten sind in der Tabelle 2 zusammengefasst
Swiss Diabetes Guide
Dr. Luca Schneider und Prof. Roger Lehmann haben eine Entscheidungshilfe für eine personalisierte Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt (L. Schneider, R. Lehmann. Swiss Medical Forum 2021;21:251-256). Mit dieser Applikation «Swiss Diabetes Guide» für die mobilen Betriebssysteme Android und iOS sowie als Web-App wird ein neues Hilfsmittel für medizinische Fachkräfte angeboten. Weitere Informationen sind unter www.diabetesguide.ch zu finden.
Ein Beispiel für die Anwendung dieses Guides ist in der Abb. 1 wiedergegeben.
Therapieempfehlungen
Empfehlungen für unseren Patienten
SGLT2-Hemmer: 4 kardiovaskuläre Endpunktstudien zeigten positive Effekte (Studien EMPA-REG, CANVAS/CANVAS R, CREDENCE; DECLARE) und können bei dieser e-GFR eingesetzt werden. Sie behandeln oder verhindern Herzinsuffizienz. Von den SGLT2-Hemmern existieren auch Kombinationen mit Metformin: Empagliflozin (Jardiance Met®), Canagliflozin (Vokanamet®), Dapagliflozin (Xigduo XR®), Ertugliflozin (Segluromet®). Daneben sind auch die GLP-1-Rezeptoragonisten empfohlen, die sich kardiovaskulär in verschiedenen Studien ebenfalls als günstig erwiesen haben. Da der Patient keine Injektion gewünscht hat, kann heute Semaglutid (Rybelsus®), der einzige oral applizierbare GLP-1 RA verordnet werden. Eine Alternative bei HbA1c 10.5%, sind DPP-4 Hemmer oder Insulin.
Behandlung der Dyslipidämie
Ernährungsumstellung (weniger Kohlenhydrate und Alkohol)?
• Mehr Bewegung? • Einsatz eines Statins? • Andere Ideen?
Die Ernährungsumstellung reduziert Triglyceride, erhöht HDL-C und reduziert LDL-C wenig. Statine sind die Therapie erster Wahl, eventuell kommt eine Kombination mit Ezetimibe zur Verstärkung der Wirkung in Frage.
Diabetes und Vorgehen bei Lipidtherapie: Wenn mit maximal tolerierbarer Statintherapie der Zielwert von 1.8 bzw. 1.4mmol/l nicht erreicht wird, Kombination mit Ezetimibe, Evaluation nach 4 Wochen, falls Zielwert nicht erreicht: Einsatz von PCSK9-Hemmern.
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Der Autor deklariert Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo Nordisk, Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca.
◆ Personalisierte und multifaktorielle Behandlung (keine glukozentrische
Behandlung)
• Rauch-Stopp • Blutdruck <140/90 mm Hg; <65 Jahre BD
130/70-79 mm Hg (und keine schweren Nebenwirkungen)
• Lipid-Management (Statin-Behandlung ± Ezetimibe ± PCSK-9-Hemmer)
• Anti-Thrombozyten Strategie (Sekundärprävention)
◆ HbA1c-Ziel und Wahl Medikament: Vermeide mikro- und makrovaskuläre Komplikationen und Hypoglykämie
• Individuelles HbA1c-Ziel 6.0-8.0% (meistens<7.0%)
• Wähle Medikamente ohne Hypoglykämien und Gewichtszunahme
◆ Kombination SGLT-2-Hemmer, GLP-1 RA und Metformin
◆ Körperliche Aktivität 30-80 Min/Tag + gesunde Ernährung (mediterran)
der informierte @rzt
- Vol. 11
- Ausgabe 5
- Mai 2021