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Online Rheumaworkshop USZ

Reaktive Arthritis

Am 6. Januar fand eine Online-Workshop zu rheumatologischen Themen unter der Leitung von Prof. Dr. med. Oliver Distler, Klinikdirektor der Klinik für Rheumatologie am USZ, statt. Die Themen waren Kryoglobulinämie-Vaskulitis, MR-Neurographie, Abklärung von Creatinkinase-Erhöhungen, «Reaktive» Arthritis und Fasciitis plantaris. Dieser Bericht fasst die Ausführungen von Prof. Ciurea zur reaktiven Arthritis zusammen.



Prof. Dr. med. Oliver Distler

Reaktive Arthritis

Prof. Dr. med. Adrian Ciurea

Die Einteilung der Arthritis ist ein nomenklatorisches Chaos: Infektiöse Arthritis, septische Arthritis, Infekt-assoziierte Arthritis, post-infektiöse Arthritis, para-infektiöse Arthritis, reaktive Arthritis, HLA-B27-assoziierte Arthritis, nicht HLA-B27 assoziierte, reaktive Arthritis, bakterielle Arthritis; virale Arthritis, stellte Prof. Dr. med. Adrian Ciurea, Stv. Chefarzt Klinik für Rheumatologie USZ, eingangs fest.

Der Referent präsentierte zunächst eine historische Einteilung aus dem Jahre 1974, gefolgt von einer vorübergehenden Einteilung und der letzten Definition aus dem Jahre 1999.

Historische Einteilung von Infektion und Arthritis: WHO+Arthritis Rheumatism Research Council 1974

Es werden insgesamt 4 Gruppen definiert:
Gruppe I: Diese Gruppe umfasst septische oder infektiöse Arthritis, bei der der verursachende Organismus in den Gelenken als Folge einer Infektion an anderer Stelle im Körper nachgewiesen wird.
Gruppe II: Diese Gruppe umfasst die postinfektiöse Arthritis, bei der bakterielle Antigene in den Gelenken nachgewiesen werden.
Gruppe III: Zu dieser Gruppe gehört die reaktive Arthritis (ReA), bei der die Infektion aus dem urogenitalen oder gastrointestinalen System stammt und eine entzündliche Gelenkerkrankung im Gelenk nachgewiesen wird
Gruppe IV: Diese umfasst die durch Mikroben ausgelöste entzündliche Arthritis, bei der weder der Organismus noch sein Produkt oder Antigen im Gelenk nachgewiesen wird.

Vorübergehende Definition der reaktiven Arthritis

Sterile, immunvermittelte Gelenkentzündung nach extraartikulärer Infektion mit einem bakteriellen Erreger, welcher nicht aus der Synovia kultiviert werden kann. Die Immunantwort ist entweder durch intra-artikuläre persistierende, sich replizierende Bakterien und/oder immunogene bakterielle Antigene ausgelöst und ist teilweise genetisch determiniert (HLA-B27).

Die letzte Definition der reaktiven Arthritis nach Consensus-Meeting 1999 bezieht sich vielmehr auf die «klassische» HLA-B27-assoziierte Form der ReA

Asymmetrische, nicht infektiöse Oligoarthritis und Systemmanifestation nach klinisch und/oder mikrobiologisch dokumentierter intestinaler oder urogenitaler Infektion. Vorausgehende Infektion ist oft nicht fassbar.

Eine Anekdote

Während der ersten Reise nach Kanada, zelebrierte Papst Johannes Paul II. am 15. September 1984 eine Messe vor Zehntausenden von Gläubigen in Midland, Ontario. Die Sicherheit wurde von 1608 Polizisten gewährleistet. Sie wurden mit einem Sandwich mit Sauce béarnaise verpflegt, welche mit Salmonellen kontaminiert war. 423 Polizisten litten unter einer Gastroenteritis, 27 unter einer reaktiven Arthritis und 18 unter einer chronischen Arthritis (5 Jahre).

Reaktive Arthritis

Epidemiologie: Inzidenz 30-40/100’000 pro Jahr. Typisches Manifestationsalter 20-40 Jahre, Geschlechtsverteilung F:M: postenteritisch 1:1, posturethritisch 1:20. Assoziation mit HLA-B27 60-80%. Verlauf in der Regel mit spontaner Besserung innert Wochen, Monaten, ca. 30% rezidivierend oder chronisch.

Muskuloskelettale Manifestationen: Asymmetrische Mono-/Oligoarthritis grosser Gelenke, vorwiegend an unteren Extremitäten. Befall des Achsenskeletts möglich (radiologisch ähnlich wie PsA: Parasyndesmophyten), Daktylitis/Enthesitis.

Extra-artikuläre Manifestatinen: Konjunktivitis, Keratitis, Uveitis, Balanitis, Sterile Urethritis, Erythema nodosum; Keratoderma blemorrhagicum (Fuss-Sohle); Schleimhautulzerationen (oral, genital)

Bakteriologische Erregerdiagnostik bei Verdacht auf reaktive Arthritis

1. Keine Hinweise auf eine vorangehende Infektion
Borrelienserologie
Chlamydia trachomatis-PCR im Morgenurin
PCR für Borrelien und Chlamydia trachomatis aus Synovia
2. Vorausgehende Infektion
a) Urethritis/Zervizitis
Borrelienserologie
Chlamydia-trachomatis-PCR im Morgenurin
PCR für Borrelien und Chlamydia trachomatis aus Synovia
b) Diarrhoe
Borrelienserologie, allenfalls Enterobakterienserologie
Chlamydia-trachomatis-PCR im Morgenurin
Stuhlkultur bei persistierender Diarrhoe oder serologischer
Hinweis auf Salmonellen Infektion
PCR für Borrelien und Chlamydia trachomatis aus Synovia
c) Respiratorischer Infekt
Borrelienserologie und Chlamydia trachomatis pneumoniae
Serologie
Anti-Streptolysin-Titer bei Racheninfekt
Chlamydia trachomatis PCR im Morgenurin
PCR für Borrelien und Chlamydia trachomatis aus Synovia
d) Zeckenstich/Erythema migrans
Borrelienserologie

Fallpräsentation 1:
30-jähriger Jurist: 1996 Salmonellen-Gastroenteritis; 2 Wochen später Gonarthritis links; im weiteren Verlauf Omarthritis und entzündliche Lumbosakralgien. 2005: 1. Uveitis-Schub, im Verlauf rezidivierend.

Basistherapien: SSZ 3/05-12/09, MTX 8/09-3/10, Infliximab seit 11/09, konnte inzwischen gestoppt werden.

Fallpräsentation 2:
21-jähriger Elektromonteur: 3/2010 akute Knie- und OSG-Schmerzen bds.; 3 Tage stationär (extern), DD viraler Infekt. 10/2010: Wechselhaft Hüft-, Knie- und OSG Schmerzen. Dysurie. 1. Morgenurin: Chlamydien-PCR positiv. Antibiotische Behandlung (inkl. Partnerin)

Coxitis bds. Punktion (Zellzahl 500,700, 2700, 1000/µl. Chlamydien-PCR negativ, Steroidinfiltration, Basistherapie mit Sulfasalazin Komplikation im Verlauf: Beidseitige Hüftnekrose; TP bds.

Kurzzeitige antibiotische Behandlung der extraartikulären Infektion

Chlamydia trachomatis: Azithromycin 1g p.o. Einzeldosis oder Doxycyclin 100mg 2x/Tag für 7 Tage. Gleichzeitige Therapie des Partners/Partnerin.

Gastrointestinale Infektion: In der Regel keine antibiotische Behandlung notwendig. Keine Auswirkung auf eine mögliche spätere Arthritis.

Fallpräsentation 3:
30-jährige kaufm. Angestellte: 11/21: Knieschmerzen re. anlässlich einer 5-stündigen Wanderung vor 2 Wochen und Persistenz seither; bereits seit 2 Jahren intermittierende Knieschmerzen rechts nach Sport, keine sonstigen Manifestationen. Keine vorgängigen Infektionen oder Stiche.

Klinisch: Gonarthritis rechts mit Erguss, aber ohne Rötung und Überwärmung
Labor: BSR 34mm/h, CRP 4.9 (<5), leichte Thrombozytose, RF- und ACPA-neg.
Synovialanalyse: Zellzahl 1’330µl, 63% mononukleäre Zellen, keine Kristalle.
PCR-Untersuchungen im Punktat:

  • Chlamydia trachomatis neg.
  • Tropheryma whipplei neg.
  • Borrelia burgdorferi pos.

Therapie: Doxycyclin 2x100mg für 30-60 Tage
Klinische Kontrolle 28.12.2021: Beschwerdefrei, Knie rechts mit minimalem Erguss (2ml): Zellzahl 477/µl, Borrelien-PCR negativ. Entscheid, die Antibiotikatherapie für weitere 30 Tage fortzuführen.

Fallpräsentation 4:
51-jähriger Gipser (aus Portugal stammend)
Zuweisung bei bekannter Spondyloarthritis mit therapieresistenter Polyarthritis.
ED vor 7 Jahren, ISG-Arthritis beidseits (MRI vor 7 Jahren).
Polyarthirits; rezidivierend erhöhte humorale Aktivität.

Bisherige Therapien: Systemische Steroide seit 7 Jahren, Methotrexat für 5 Jahre (Ineffektivität); Leflunomid für 3 Jahre (Ineffektivität); Etanercept für 4 Monate (Ineffektivität); Infliximab für 4 Monate (Ineffektivität); Golimumab für 2 Jahre (Ineffektivität); zuletzt Sandimmun für 2 Jahre (Ineffektivität). Inzwischen Prednison 20mg, Tramal 2x100mg, Inflamac 2x75mg, Dafalgan 2-3g.

Klinisch: Synovitiden beider Handgelenke, MCP II-V bds. PIP II-V rechts und II-IV links, Kniegelenke beidseits, OSG rechtsbetont.
Labor: BSR 36mm/hm CRP 33mg/l. Synovialanalyse Knie rechts: Zellzahl 350/µl, einzelne CPPD-Kristalle, viele Hydroxyapatitkristalle,

Analyse Knie rechts: PCR Borrelia burgdorferi negativ, PCR Chlamydia trachomatis negativ, PCR Tropheryma whipplet posititv.
Diagnosen: Morbus Whuipple, PCR-Nachweis Synovia und Duodenalbiopsie, Polyarthritis, St.n. ISG-Arthritis. Chronisches lumbovertebrales Syndrom bei erosiver Osteochondrose LS/S1
Therapie: Ceftriaxon i.v. für 2 Wochen, danach Bactrim forte 2×1 für 12 Monate.

Fallpräsentation 5:
48-jähriger Koch. Notfallkonsultation Freitagnachmittag: Seit 7 Tagen Exanthem an den unteren Extremitäten, zudem Schmerzen in Knie, Ellbogen und Schulter bds.; Halsschmerzen, kein Fieber. Bekannte HIV-Infektion (Erstdiagnose vor 6 Jahren).
Klinisch: Synovitis OSG bds. und Knie rechts, palpable Purpura an unteren Extremitäten.
Labor: BSR 74mm/h, CRP53mg/l.

Synovialanalysen: Zellzahl 300/µl, keine Kristalle.
Befund: Oligoarthritis und V.a. leukozytoklastische Vaskulitis
Procedere:
Punktat: PCR auf Chlamydien, Gonokokken, Borrelien, Whipple, Breitband-PCR, Labor inkl. Immunologie, ANCA, HBV/HCV-Serologien, Lues. Dermatologische Vorstellung des Patienten.

Serologie: Treponema pallidum (EIA) positiv, Partikelagglutination 1:2560.

Hautbiopsie: Bild einer leukozytoklastischen Vaskulitis mit Gefässobliterationen, fibrinoider Gefässwandverquellung, Leukozytoklasie und Erythrozytenextravasaten, Treponema Pallidum Färbung: Darstellung von reichlich hautständigen Spirochäten. Histologische Diagnose: Lues mit leukozytoklastischer Kleingefässvaskulitis.

Procedere:
Neurokonsilium und Liquorpunktion: Falls Neurolus, Hospitalisation und Penicillin i.v., ansonsten 3x Penicillin i.m. und ambulante Behandlung.

Liquor: Zellzahl 24µl.
Diagnose einer Neurolues und Start Penicillin 6×4 Mio i.v. über 14 Tage (zwingend i.v.), 30mg Prednison p.o. zur Verhinderung einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion.

Fallpräsentation 6
56-jährige Hausfrau (aus Haiti, seit 26 Jahren in CH). Zuweisung 2014 wegen seit 2 Wochen bestehenden Schmerzen und Schwellungen an Händen, Füssen, Knien, OSG links.

Gutes Ansprechen auf 50mg Prednison für 3 Tage (HA). War in Haiti vor 1 Monat. Bei einem früheren Besuch dort habe sie Dengue-Fieber gehabt.

Klinisch: Synovitiden Handgelenke bei MCPII-III bds, Schulter rechts.

Labor: BSR 12mm/h, CRP <5mg/l, ANA 1:80, RF negativ, anti CCP-AK negativ, Blutbild mit leichter Lymphopenie.
Synovia-Analyse Knie links: Zellzahl 1450µl, keine Kristalle. PCR auf Chlamydien und Borrelien negativ. Parvovirus und HIV-/HBV-/HCV-Serologie negativ. Chikungunya-Virus IgG 1:640, Chikungunya-Virus IgM 1:40, Dengue IgG 64.8 (<8.5), Dengue IgM 8.5.

Diagnose: Virale Polyarthritis (Chukungunya), St.n. Dengue-Infekt (DD : Kreuzreaktion) (<8.5).

Kann SARS-CoV-2 eine reaktive Arthritis auslösen?
Der Referent präsentierte 6 Studien mit Patienten beider Geschlechter und variablen Alters (16-73) und verschiedenen Komorbiditäten. Fünf hatten einen positiven Nasal RT-PCR-Test, einer hatte eine Serologie. Die klinische Manifestation einer reaktiven Arthritis erfolgte mit einer Verzögerung von 8 Tagen bis 3 Wochen. Die rheumatologischen Lokalisationen waren Daktylitis rechter Fuss, linker Fuss und rechtes Knie; Gelenkarthritis und Achilles-Enthese rechts; Daktylitis 2, 4, 5 rechter Fuss, Arthritis rechter Ellbogen und Hautpsoriasis; Arthritis rechte Schulter, linkes Kniegelenk.

Quelle: Online-Rheumaworkshop USZ, 06.01.2022

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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  • Vol. 12
  • Ausgabe 5
  • Mai 2022