- RETO KRAPFs Medical Voice
Frisch ab Presse:
Topisches Kühlen kein Schutzmittel bei zukünftigen Hitzewellen?
Bei Hitzewellen steigt auch in der Schweiz die Mortalität, v.a. bei älteren Individuen. Dies ist u.a. bedingt durch das altersabhängig reduzierte Durstgefühl, die Zufuhr von elektrolytfreiem Wasser (mit Gefahr der Hyponatriämie) und eingeschränktem Zugang zu Flüssigkeit (Mobilitätsprobleme). In einer kleinen, aber feinen Studie wurden im Durchschnitt 72-jährige Individuen 6 Stunden einer Umwelttemperatur von 38 °C ausgesetzt. Danach war kein Temperaturgradient zwischen Umwelt und Kerntemperatur (die rektal gemessen dann bei 38 °C lag) mehr nachweisbar. Kühlende Fussbäder und kühlende Wickel im Nackenbereich (Massnahmen, die auch bei einem hitzebedingten Stromunterbruch anwendbar wären) hatten im Vergleich zur Kontrolle keinen Effekt. Allerdings schwitzte die experimentelle Gruppe signifikant weniger (trank daher auch weniger) und entwickelte eine kleinere Pulsbeschleunigung. Die Unterschiede (sog. Effektgrösse) waren aber sehr klein und gemäss den Autoren klinisch irrelevant. Die zu kühlende Körperoberfläche war wohl zu klein und die Methode hat keinen anhaltenden Effekt auf die Temperaturkonvektion auf der Körperoberfläche.
JAMA 22023, doi:10.1001/jama.2023.24417, verfasst am 22.12.2023
Wieder einmal: Wer hat, dem wird gegeben
Das Wissenschaftsjournal «Science», resp. die es herausgebende American Association of Sciences, überweist jedes Jahr 2,5 Mio. für den wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres. Dieses Jahr ist der prämierte Durchbruch die Klasse der GLP-1 Rezeptoragonisten in ihrer Wirkung als Gewichtsreduktoren. Zwei der dabei involvierten Firmen wurden fast innert Jahresfrist zu den wertvollsten Unternehmen der Welt, und auch den typischerweise von ihnen finanziell geförderten Forschern und Klinikern dürfte es ökonomisch schon vor der Preisverleihung deutlich besser als vor einem Jahr gegangen sein …
Science 2023, https://www.science.org/boty2023 (Video und/oder Podcast), verfasst am 22.12.2023
Clozapin: Zu wenig oft verschrieben?
Clozapin wurde 1988 zur Behandlung von Psychosen/Schizophrenie zugelassen und erwies sich als speziell wirksam bei auf andere Therapien nicht ansprechenden Formen. Auch das Fehlen extrapyramidaler Nebenwirkungen ist wichtig, nicht nur bei vorbestehenden neurodegenerativen (extrapyramidalen) Erkrankungen. Es gibt begründete Hinweise, dass Clozapin wegen der Angst vor Neutropenien (weshalb das Medikament vorübergehend vom Markt genommen wurde) zu oft nicht angewendet wird und so den Patientinnen und Patienten (sowie deren Umfeld) eine gute Therapieoption vorenthalten wird. Vor allem die regelmässigen, anfänglich wöchentlichen Blutbildkontrollen sind für psychiatrische Praxen ein Imponderabilium. Die folgenden Daten könnten dies ändern: Die höchste wöchentliche Inzidenz ernsthafter Neutropenien (< 1000/ul) lag nach 9 Wochen bei 0.128%, wobei die kumulative, mediane Zeit bis zum Absetzen des Clozapins knapp 18 Wochen betrug. Die Inzidenzrate neuer Neutropenien sank danach progredient und betrug nach 2 Jahren nur mehr 0.001%. Die Autoren empfehlen – gut nachvollziehbar – wöchentliche Blutbildkontrollen bis 18 Wochen nach Therapiebeginn, dann Verlängerung des Kontrollintervalles auf alle
4 Wochen und Stopp der Kontrollen nach 2 Jahren.
The Lancet Psychiatry 2023, doi.org/10.1016/S2215-0366(23)00343-7, verfasst am27.12.2023
Angststörung zur eigenen Gesundheit (Hypochondrie) und Prognose
Fast sicher betreuen auch Sie in Ihrer Praxis solche Patientinnen und Patienten, die glauben, an mindestens einer Organerkrankung zu leiden oder/und die körperliche Symptome im Sinne eines Katastrophenszenarios überinterpretieren. Laut einer schwedischen Kohorte von gut 4100 sogenannten hypochondrischen Individuen war die Mortalität (natürliche und nicht-natürliche Ursachen) innerhalb von 25 Jahren fast doppelt so hoch (+ 86 %) wie jene von 10-mal mehr (über 41’000) Individuen ohne Hypochondrie. Die Ursachen nicht natürlicher Todesfälle sind u.a. in Suiziden (4-fach erhöhtes Risiko) zu finden, was ein Zeichen des subjektiven, vielleicht durch die Mitmenschen nicht adäquat akzeptierten Leidens und von psychiatrischen Ko-Morbiditäten sein dürfte. Schwieriger zu erklären ist die natürliche Übersterblichkeit, vorwiegend an Herzkreislauf- und Lungenerkrankungen. Diese Patientengruppe dürfte signifikant mehr medizinischen Abklärungsuntersuchungen zugeführt werden, weshalb der medizinische Interventionismus zumindest als Teilursache in Frage kommt.
JAMA Psychiatry 2023, doi:10.1001/jamapsychiatry.2023.4744, verfasst am 03.01.2024
In weniger als einer halben Minute
Hintergrundswissen über infektiöse Konjunktivitis
• Eine infektiöse Konjunktivitis ist die häufigste Augenerkrankung, die zu einer Konsultation in der Hausarztpraxis führt.
• Erwachsene: 80 % virale Erreger, 20 % bakterielle Ursachen.
• Kinder: 20 % virale, 80 % bakterielle Erreger.
• 60-90 % der viralen Konjunktivitiden werden verursacht durch Adenoviren, inkl. die Serotypen 8, 37, 64, welche eine hochkontagiöse Form (inkl. Keratitis, sog. Epidemische Keratokonjunktivitis) auslösen.
• Klinik der viralen Konjunktivitis: Wässriger Augenausfluss, assoziierte Pharyngitis, Halslymphadenopathie.
Die Therapie ist symptomatisch.
• Erreger bakterieller Konjunktividen: In der Mehrzahl Staph.aureus, Strept. pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis. Aber auch Neisserien und Chlamydien. Therapie: Topische Antibiotika.
• Typische, aber nicht beweisende Klinik der bakteriellen Konjunktivitis: Eitriger Ausfluss, verkrustete Lider nach der Nachtruhe.
NEJM 2023, doi: 10.1056/NEJMra2216081, verfasst am 27. 12. 2023
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