Editorial

Runder Tisch mit Ecken und Kanten



Vorbei sind die Wahlen und weg sind die an jeder Strassenecke vielversprechend lächelnden Gesichter auf den Plakaten der Parteien. An hunderten Rundtischgesprächen war das Gesundheitswesen ein zentrales Thema.

Im aktuellen Weltgeschehen reagieren wir zwischenzeitlich empfindlich auf das Reizwort «Explosion» der Gesundheitskosten und Prämien. Wir alle kennen die Gründe der steigenden Gesundheitskosten und wissen, wie sehr wir durch unsere Arbeit und Erfahrung bemüht sind, Schlimmeres zu verhindern. Mit geduldiger Aufklärung, raschem und unkompliziertem ambulanten Handeln gelingt es uns täglich, aufwändige und meist unnötige Abklärungen und Behandlungen zu umgehen.

Eigentlich hätten wir es verdient, uns gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Am runden Tisch hingegen sehen das unsere Politikerinnen und Politiker parteiübergreifend etwas anders und suchen und finden den schwarzen Peter einmal mehr bei den Leistungserbringern.
Schränke voller Massnahmenpakete warten nur darauf, endlich umgesetzt zu werden. Doch leider finden die involvierten Player im Gesundheitswesen am runden Tisch keinen Konsens.

Ja, es ist schön zu wissen, dass wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben, die Zufriedenheit der Bevölkerung gross ist und die Obsan im internationalen Vergleich die medizinischen Leistungen als positiv wertet. Da könnte manch ein/e frisch gewählter Politiker/in die anstehenden Probleme etwas relativieren und sich während der Legislatur lieber nicht die Finger verbrennen lassen.

Wir haben dazugelernt. Ewiges Nörgeln und Kritisieren sind kontraproduktiv. Vielmehr müssen wir das Gute sehen und unseren Patientinnen und Patienten als Partner gegenüberstehen. Die Image-Kampagne der mfe «Wir hören zu und nehmen uns Zeit» ist das aktuelle Rezept für eine gesunde Schweiz.

Und so stehen wir am Montag nach den Wahlen wieder vor unseren partnerschaftlich gesinnten Patientinnen und Patienten, welche im Zehn-Minuten-Takt reihenweise mit Ansprüchen auf uns zukommen, sich Berichte und Zeugnisse trotz perfekter Digitalisierung stapeln und abends der Notfalldienst auf uns wartet.

In einer ländlichen Praxis tätig, frage ich mich, wie es die Bauern einmal mehr geschafft haben, sich überdurchschnittlich im Parlament zu behaupten und am runden Tisch so manche Subvention durchwinken können. Während sich die Anzahl Landwirte im Parlament beinahe verdoppelt hat, ist die Ärzteschaft neu gerade mal mit drei Personen vertreten, davon eine aus der Hausarztmedizin.
Liegt es daran, dass die Landwirte es möglicherweise besser verstehen, einmal so richtig auf den runden Tisch zu hauen? Sind wir resigniert, gleichgültig, überlastet oder geht es uns womöglich (noch) zu gut?

Die vielen Änderungsvorschläge aus diversen Parteien sollten uns dennoch etwas Kopfzerbrechen bereiten. Allein mit Prävention sei’s getan: das verhindere Krankheiten, Kosten und viel Leid. Hier erinnere ich mich an den Roman «Corpus delicti» von Juli Zeh aus dem Jahre 2009 (wie weitsichtig!). Andere glauben die Lösung in der Digitalisierung und KI, wünschen sich die Einheitskasse, mehr Kontrolle über die Qualitätskontrolle und weitere Vernetzungen der vernetzten Netzwerke.

Dabei kennen wir doch die Realität durch Vergleiche aus unserem grossen Nachbarkanton bestens. Warum müssen wir all die Fehler nachahmen? Warum können wir nicht einfach vertrauen und das viele Gute und Erschaffene verbessern, mit TARDOC endlich unseren guten Feen die Möglichkeit geben, ihr Tun und Wissen vernünftig abzugelten und die medizinische Grundversorgung weiter zu stärken.

Setzen wir uns also immer wieder mit allen Parteien an den runden Tisch und philosophieren darüber, wie sich die Menschheit und Lebenserwartung in einem halben Leben beinahe verdoppelt hat, unser Patient mit Herz-Amyloidose nach seiner erfolgreichen Behandlung Karten aus den Golfferien schickt, die Totgesagte mit Bronchuskarzinom geheilt nie mehr eine Zigarette rauchen will, und mein Nachbar mit Morbus Waldenström ohne seine teuren Medikamente mir heute wohl kaum beim Überwintern der Gartenpflanzen hätte helfen können.

Dr. med. Manfred Wicki

Dr. med.Manfred Wicki

Willisau

m.wicki@hin.ch

der informierte @rzt

  • Vol. 13
  • Ausgabe 11
  • November 2023