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Schlafstörungen und Depression – Besonderheiten im Alter

Depressionen sind neben demenziellen Erkrankungen und Angsterkrankungen die häufigsten alterspsychiatrischen Erkrankungen; auch Schlafstörungen sind im Alter ein häufiges Symptom. Depressionen können sich bei älteren Menschen durch atypische Symptome äussern, sodass Altersdepressionen nicht gleich erkannt werden. Oftmals stehen körperliche Beschwerden, Schmerzen, allgemeines Unwohlsein und kognitive Störungen im Vordergrund und nicht die Hauptsymptome der Depression. Insbesondere die Abgrenzung einer Depression im Alter von einer depressiven Symptomatik im Rahmen einer beginnenden Demenz ist aufgrund der kognitiven Störungen bei Altersdepression meist schwierig. Schlafstörungen können ein Symptom der Altersdepression sein. Es können aber auch weitere Ursachen einer Schlafstörungen im Alter zugrunde liegen, und damit unabhängig von einer Depression sein. Unerkannt und unbehandelt erschwert dies die Behandlung der Depression erheblich.



Depression is the most common psychiatric disorders in old age, alongside dementia and anxiety; sleep disorders are also a common symptom in old age. Depression can manifest in older people through atypical symptoms, which means that old-age depression is not immediately recognized. Physical complaints, pain, general malaise and cognitive disorders are often the main cognitive disorders and not the main symptom of depression. In particular, the differentiation of depression in old age from depressive symptoms in the context of incipient dementia is usually difficult due to the cognitive disorders in old-age depression.
Key Words: Old age, depression, symptoms, cognitive disorders

Ursachen der Altersdepression

An der Entstehung einer Depression im Alter können somatische und psychische/psychosoziale Faktoren beteiligt sein.

Hierzu zählen das Nachlassen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, das Auftreten von körperlichen Erkrankungen mit Angst vor Autonomieverlust, Rollenwechsel (Beruf, Pensionierung, Familie – Auszug der Kinder verbunden mit einer persönlichen Neuorientierung für die Zeit der Pensionierung), Verlusterlebnisse, Veränderungen/Reduktion des sozialen Netzwerks, Wegzug/Tod von engen Freunden und Angehörigen, aber auch der Verlust des sozialen Netzwerks am Arbeitsplatz.

Um eine wirksame spezifische und individuell ausgerichtete Therapie zu planen, ist es wichtig, die Depression in ihrer Ausprägung und Intensität zunächst zu erkennen und zudem die möglichen, an der Entstehung und Aufrechterhaltung beteiligten Faktoren (körperliche und psychosoziale Faktoren) zu erfassen.

Diagnostik

Die Diagnostik der Altersdepression erfordert somit eine breite psychopathologisch-psychosoziale wie auch körperliche Abklärung, einschliesslich somatischer Untersuchungen und der Bestimmung von Laborparametern und einer Bildgebung (MRI). Die aktuell vorliegenden Behandlungsempfehlungen, die auch für die Differenzialdiagnostik für eine beginnende Demenz massgebend sind, hat die Schweizer Gesellschaft für Alterspsychiatrie vorgelegt (1). Ergänzend können Ratingskalen wie z.B. die Geriatrische Depressions-Skala (GDS) zur Bestimmung der Intensität der Depression herangezogen werden.

Zur Diagnostik gehört zwingend die Abklärung und Einschätzung der Suizidalität, die sowohl im Alter als auch bei Depressionen deutlich erhöht ist. Die Suizidalität ist anzusprechen und in ihrer Intensität zu erfassen. Die Einschätzung und Besprechung der Suizidalität erfordert eine gewisse klinische Erfahrung, zudem können auch hier ergäneznd Ratingsskalen angewendet werden (1, 2).

Therapie der Altersdepression

Die Therapie der Altersdepression sollte sich, wie schon bei der Diagnostik beschrieben, ebenfalls an den Behandlungsempfehlungen der Schweizer Gesellschaft für Altersdepression orientieren (1). Grundsätzlich gilt, dass bei sekundären Depressionen, die im Rahmen einer anderen Grunderkrankung auftreten (z.B. Schilddrüsenfunktionsstörung), zunächst die Grunderkrankung behandelt werden muss; ggf. muss jedoch – auch bei Vorliegen einer anderen Erkrankung – parallel eine Mitbehandlung des depressiven Zustandsbildes oder einzelner Symptome (z.B. Schlafstörungen, Unruhe) erfolgen. Bei leicht ausgeprägten Depressionen ist eine alleinige Psychotherapie zu bevorzugen, bei mittelgradigen Depressionen kann entweder medikamentös oder psychotherapeutisch oder auch kombiniert behandelt werden; bei schweren Depressionen ist immer eine Kombination aus medikamentös, antidepressiver Therapie und Psychotherapie anzuwenden. Hinzu kommen weitere adjuvante nicht-medikamentöse Therapien wie Lichttherapie, körperliche Aktivität und Sporttherapie sowie Ergo- und Kunsttherapie.

Die Behandlung der Depression sollte v.a. bei älteren Menschen spätestens nach einem (spätestens zwei) erfolglosen Therapieversuch(en) durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie durchgeführt werden, da meist eine ganzheitliche «psychosomatische Sichtweise» mit der Anwendung spezifischer psychotherapeutischer Strategien für die Behandlung notwendig ist.

Psychotherapie

Die Psychotherapie bei älteren Menschen muss sich an den Inhalten und Themen, die als Belastungsfaktoren für die Entstehung von Depressionen im Alter beschrieben sind (s.o.), orientieren. Ein wichtiger Aspekt ist hier, dass auch für ältere, z.T. für hochbetagte Patienten, eine Zukunftsperspektive entwickelt werden kann, auch wenn die Zeit für diese Zukunft bei älteren Menschen wesentlich kürzer ist als im jüngeren Alter. Ein anderer wichtiger Aspekt, der in der Psychotherapie aufgegriffen werden sollte, bezieht sich auf das Thema «Akzeptanz». Hier geht es darum, die aktuelle Situation, z.B. das Vorliegen einer (meist chronischen) körperlichen Erkrankung mit eingeschränkter Mobilität und Autonomie oder auch beklagte Fehler aus früheren Lebensphasen, die nicht mehr zu korrigieren sind, zu akzeptieren. Erst dann kann an Möglichkeiten zur weiteren Gestaltung der Zukunft und der Verbesserung der Lebensqualität gearbeitet werden.

Die meisten positiven Befunde liegen für die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), für die interpersonelle Therapie (IPT) und die psychodynamische Fokaltherapie vor. Für die Verfahren der dritten Welle wie ACT, CBASP, MBCT ist die Datenlagen für die Anwendung im Alter noch gering. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Therapieverfahren im Einzelfall angewendet, nicht wirksam sind (1).

Medikamentöse Behandlung

Ist eine medikamentöse Behandlung notwendig, sind grundsätzlich alle zugelassenen Antidepressiva wirksam. Bereits bei einer leichten bis mittelgradigen Depression mit ausgeprägten Schlafstörungen können Antidepressiva angewendet werden, insbesondere dann, wenn eine Psychotherapie nicht möglich ist (z.B. keine Verfügbarkeit, ausgeprägte kognitive Störungen). Die Auswahl der Antidepressiva richtet sich in diesem Fall in erster Linie nach dem Nebenwirkungsprofil und ggf. gleichzeitig vorliegender Komorbidität. Es gilt bei der medikamentösen Behandlung älterer Menschen grundsätzlich «start low, go slow». Dennoch sollte eine ausreichende Dosierung des Medikaments angestrebt und erreicht werden, die anhand von Blutspiegelkontrollen evaluiert werden kann. Auf Medikamente mit anticholinergen Nebenwirkungen sollte verzichtet werden.

Therapieresistenz

Falls eine Therapieresistenz vorliegt, sollten die in den Schweizer Behandlungsempfehlungen für Altersdepression bzw. unipolare Depression genannten Schritte (Umstellung, Kombination, Augmentation, zusätzliche biologische Verfahren) zum Einsatz kommen (1, 3).

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass wenn durch das Auftreten von Nebenwirkungen bei einer Substanz eine Dosiserhöhung nicht möglich ist, eine Kombination mit einem zweiten Antidepressivum in ebenfalls niedriger bis mittlerer Dosierung helfen kann und Nebenwirkungen minimiert werden können. Die Behandlung einer therapieresistenten Altersdepression sollte durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erfolgen.Auch persistierende Schlafstörungen können ein Grund für mangelndes Ansprechen auf eine antidepressive Behandlung sein.

Schlafstörungen im Alter

Schlafstörungen können – wie bereits erwähnt – ein Symptom der Depression sein. Es gibt aber viele weitere Gründe, die für Schlafstörungen, insbesondere im Alter, verantwortlich sein können.

Schlafregulation

Um Schlafstörungen zu verstehen, ist eine Kenntnis der Schlafregulation notwendig.
EEG-Ableitungen während des Schlafs geben uns einen Hinweis auf die elektrophysiologische Aktivität während der Nacht. Die Analyse dieser Ableitungen zeigt einen Wechsel aus NonREM-Schlaf und REM-Schlaf (Schlafzyklus), mit tiefem NonREM-Schlaf zu Beginn der Nacht und leichtem NonREM-Schlaf gegen Ende der Nacht (in späteren Schlafzyklen). An diese Schlafphasen assoziiert findet sich auch eine regelhafte Freisetzung verschiedener Hormone, die jeweils ein charakteristisches Muster aufweist (4, 5) (Abb. 1).

Eine Erklärung für die Schlafregulation liefert das Zwei-Prozess-Modell (6). Der Schlaf ist an den durch die Sonne vorgegebenen Hell-Dunkel-Rhythmus des 24-Stunden-Tages gekoppelt und unterliegt somit einem circadianen Rhythmus. Dieser wird durch einen endogenen Schrittmacher im Zwischenhirn (nucleus suprachiasmaticus) gesteuert (=Prozess C – circadian). Gleichzeitig beeinflusst – unabhängig vom Hell-Dunkel-Rhythmus der Sonne – die Länge der vorangehenden Wachzeit unseren Schlaf, indem der Schlafdruck zunimmt (Prozess S – Schlafdruck), (Abb.2). Je länger man wach ist, umso tiefer ist der Schlaf in der folgenden Nacht (Schlafdruck-Prozess S). Dem tiefen NonREM-Schlaf wird eine körperliche und psychische Erholungsfunktion wie auch eine Gedächtnis-fördernde Funktion zugeschrieben, u.a. aufgrund der reduzierten Aktivität cortikaler neuronaler Aktivität sowie der veränderten Aktivität bestimmter Hormone und des Immunsystems. Der REM-Schlaf ist von der Variation der vorherigen Wachzeit weniger stark beeinflusst, sondern eher an den circadianen Rhythmus gekoppelt (5).
Aufgrund der in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse, ist es wichtig, bei der Behandlung einen gesunden, natürlichen Schlaf, mit ausreichend Tiefschlaf und stabilen REM-Schlafphasen anzustreben.

Im Alter findet sich physiologischerweise eine kürzere Schlafzeit und ein insgesamt leichterer Schlaf, zudem verändert sich auch die circadiane Komponente der Schlafregulation (Prozess C) mit dem Alter, u.a. mit einem früheren Anstieg des Cortisols in der 2ten Nachthälfte (4, 5 7) (Abb. 1).

Gründe für Schlafstörungen im Alter

Neben diesen physiologischen Veränderungen, die zu einem leichteren Schlaf mit abgeschwächtem circadianem Rhythmus für Körperkerntemperatur, Melatonin und des Cortisols mit einer Phasenvorverschiebung (Phase advance) um ca. eine Stunde führen, finden sich als Folge dieser altersbedingten Veränderungen des Schlafs und der schlafassoziierten hormonellen Sekretion (insbesondere auch Cortisol) eine erhöhte Anfälligkeit für Störungen des Schlafs durch exogene Faktoren (Stressoren) im Alter. Diese Stressoren, die diesbezüglich im Alter eine Rolle spielen können, sind analog den Belastungen, welche auch für die Altersdepression genannt wurden (s.o.). Sie können – als altersspezifische Stressoren – bedingt durch den leichteren Schlaf bei älteren Menschen schneller und intensiver zu einer ausgeprägten Insomnie führen (5).

Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Insomnie spielen gerade im Alter körperliche Erkrankungen. Hier sind insbesondere die spezifischen Schlafstörungen des Restless Leg Syndroms (unruhige Beine) wie auch der schlafbezogenen Atemstörungen (Atemaussetzer, Schlaf-Apnoe) zu nennen, die beide mit zunehmendem Alter häufiger auftreten und meist über einen längeren Zeitraum, trotz bereits bestehende Schlafstörung, unerkannt bleiben.
Als spezifische Schlafstörung ist hier auch die REM-Schlafverhaltensstörung zu erwähnen, die mit motorischen Bewegungen während des REM-Schlafs meist in der zweiten Nachthälfte einhergeht und mit einer neurodegenerativen Erkrankung aus dem Kreis der Synnucleinopathien (M. Parkinson, Lewy-Körper-Demenz) assoziiert sein kann und ebenfalls im Alter häufiger auftritt (8).

Zu diesen primären Schlafstörungen kommen eine Vielzahl körperlicher Erkrankungen, die sich negativ auf den Schlaf auswirken können. An erster Stelle sind unterschiedliche Schmerzsyndrome zu nennen, aber auch kardiovaskuläre, pulmonale und urogenitale Erkrankungen wie auch deren medikamentöse Behandlung mit z.T. schlafstörenden Substanzen (z.B. Theophylinpräparate am Abend zur Behandlung von Asthma) (9). Im Fall von bestehenden somatischen (aber auch psychischen) Komorbiditäten ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Disziplinen (Schlafmediziner, Internist, Neurologe, weitere) angezeigt, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Die Therapie der sekundären Schlafstörung erfordert eine möglichst optimale Behandlung der Grunderkrankung, wie auch der medikamentösen Einstellung der Patienten unter Berücksichtigung der schlafstörenden Eigenschaften mancher somatischer Medikamente.

Schlafstörungen im Alter – Diagnostik

An erster Stelle ist abzuklären, ob die Schlafstörung, die der Patient berichtet, überhaupt Krankheitswert besitzt oder ob es sich nur um ein fehlerhaftes Schlafverhalten oder um eine Schlafwahrnehmungsstörung handelt. Hierzu können neben einer vertieften Eigen- und Fremdanamnese, Schlaftagebücher und die Aktigraphie eingesetzt werden. Ist auf phänomenologischer Ebene eine Schlafstörung festgestellt worden, geht es dann um die Ursachensuche. Hier müssen zunächst die oben beschriebenen somatischen Gründe (somatische Komorbiditäten, potenziell schlafstörende Medikamente) und psychische Ursachen (Belastungsfaktoren, psychische Erkrankungen) entdeckt bzw. ausgeschlossen werden.

Da dieser umfassende diagnostische Prozess in einzelnen Fällen lange dauern kann, bis eine gewisse Klarheit herrscht, ist es oft notwendig, die Insomnie bereits parallel symptomatisch zu behandeln.

Dies ist auch dadurch gerechtfertigt, dass -selbst wenn eine Ursache gefunden und diese behandelt wird- oftmals eine zusätzliche spezifische Behandlung der Insomnie notwendig ist.

Für die Behandlung der Insomnie stehen medikamentöse und nicht-medikamentöse Optionen zur Verfügung (9).

Therapie der Insomnie im Alter (Tab.1)

Nicht-medikamentöse Massnahmen

Zu den nicht-medikamentösen Massnahmen zählen zur Stärkung des Prozess C konstante Schlaf- und Wachzeiten, ggf. kombiniert mit Schlafrestriktion und limitiertem Mittagsschlaf (Stärkung des Prozess S).

Der individuell angepasste Einsatz von Lichttherapie (wirkt auf Prozess C) sowie alle Massnahmen der Schlafhygiene (beide Prozesse betroffen) sind weitere, nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten, die direkt auf diese beiden Prozesse der Schlafregulation einwirken. Körperliche Aktivität im Sinne von sportlicher Betätigung mittlerer Intensität hat ebenso eine unterstützende positive Wirkung, wie aktivierende kreative und geistig stimulierende Therapien (Ergo-, Kunsttherapie), die auch zur Stabilisierung des circadianen Rhythmus eingesetzt werden können, indem sie immer zu festen Zeiten am Tag durchgeführt werden. Gerade in kürzlich veröffentlichten, kontrollierten Studien stellt sich zunehmend der positive Effekt von körperlicher Aktivität und Sport auf die Besserung von Schlafstörungen und Depressionen heraus. Besonders wirksam waren Programme mit mittlerer Intensität und einer Frequenz von drei «Trainings»-Einheiten pro Woche über drei bis sechs Monate. Über 50% der dort untersuchten Studien zeigten positive Wirkungen auf Schlafstörungen wie auch auf eine Verbesserung der Depression insgesamt (10).

Im Alter sollten sportliche Aktivitäten und Programme bei Vorliegen einer Depression oder/und Insomnie in Absprache mit und Supervision durch die behandelnden Ärzte angewendet werden.

Medikamentöse Behandlung

Bei Schlafstörungen sollten immer zunächst nicht-medikamentöse Methoden eingesetzt werden, manchmal ist es jedoch unumgänglich, auch schlaffördernde Medikamente einzusetzen. In erster Linie, jedoch nur für den kurzzeitigen Einsatz, stehen hier Benzodiazepin Hypnotika sowie Benzodiazepin Analoga (die Z-Substanzen wie Zolpidem) zur Verfügung. Sie sind für die Behandlung der Insomnie zugelassen, sollten aber v.a. im Alter aufgrund des Nebenwirkungsprofils (v.a. Sturzgefahr, kognitive Störungen, Toleranz und Abhängigkeitsproblematik) sehr zurückhaltend gegeben werden (Tab. 2).

Ist eine längere medikamentöse Behandlung der Insomnie (bei primärer oder auch bei sekundärer Insomnie) nötig, können Substanzen aus der Klasse der Antidepressiva oder der Antipsychotika gegeben werden.

Beim Einsatz dieser Substanzen im Alter bestimmt auch hier v.a. das Nebenwirkungsprofil der jeweiligen Substanz die Auswahl. Grundsätzlich sollten im Alter keine Substanzen eingesetzt werden, die anticholinerge Nebenwirkungen (u.a. Mundtrockenheit, Harnverhalt, Obstipation, Akkommodation und kognitive Störungen) aufweisen; bei vorhandenen Komorbiditäten ist v.a. auf das Potenzial zur Auslösung von extrapyramidal motorischen Störungen (EPMS), QT-Zeit Verlängerung und der Induktion einer diabetogenen Stoffwechsellage bzw. eines metabolischen Syndroms zu achten.

Es sollten nach Abklärung des Nebenwirkungsprofils und möglicher Komorbiditäten im Alter v.a. Substanzen eingesetzt werden, die keine grossen Änderungen der Schlafarchitektur induzieren und am besten eine Tiefschlafzunahme und keine REM-Schlaf-Suppression bewirken (wie z.B. Trazodon, Agomelatin, Mirtazapin oder aus der Klasse der Antipsychotika v.a. Quetiapin und Pipamperon) (Tab. 2), wobei sich der Einsatz dieser Substanzen –wie oben erwähnt – am Nebenwirkungsprofil orientiert und durch das Vorliegen möglicher Komorbiditäten limitiert ist (5).

Oft vergessen wird der Melatonin-Agonist Circadin, der für Schlafstörungen im Alter zugelassen ist und der mit zunehmendem Alter abnehmenden Stärke des Prozess C entgegenwirkt.

Als neue Behandlungsoption steht seit Ende letzten Jahres der Orexinrezeptor-Antagonist Daridorexant zur Verfügung. Er führt zu einer Verbesserung des Ein- und Durchschlafens, einer Zunahme von Tief- und REM-Schlaf und zeichnet sich v.a. durch eine gute Verträglichkeit, ohne körperliche Abhängigkeit aus, sodass er gerade für ältere Patienten eine ernstzunehmende Behandlungsoption ist (11).

Die Behandlung von Schlafstörungen im Alter besteht jedoch nie in einer alleinigen medikamentösen Behandlung; es sind immer nichtmedikamentöse Behandlungselemente einzubeziehen. Nach einer sorgfältigen Diagnostik und Schlafanamnese ist die Behandlung dann personalisiert auf die beim einzelnen Patienten vorliegende Konstellation zu planen und durchzuführen mit dem Ziel einer vollständigen Behandlung der Schlafstörung und einer Wiederherstellung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit.

Notwendigkeit der Prävention

Eine unbehandelte Insomnie hat sowohl ein erhöhtes Risiko für das Auftreten körperlicher Erkrankungen, v.a. cerebro-, cardiovaskulärer und metabolischer (Diabetes Typ II, metabolisches Syndrom) Erkrankungen, als auch psychischer Erkrankungen wie v.a. Angststörungen, kognitive Störungen und Depressionen zur Folge. Daher ist die zeitnahe und konsequente Behandlung von Schlafstörungen mit Krankheitswert zwingend notwendig.

Das Risiko für das Auftreten von Schlafstörungen im Alter kann reduziert werden durch die Einhaltung eines regelmässigen Tag-Nachtrhythmus mit festen Schlafzeiten (in der Regel Bettzeit nicht vor 22.30 Uhr) und mit festen und regelmässigen Zeiten der Nahrungsaufnahme. Ein Mittagsschlaf kann erlaubt werden, jedoch maximal eine halbe Stunde und nicht mehr nach 15 Uhr.

Hinzukommen Massnahmen zum Erhalt der körperlichen und geistigen Fitness und die Einhaltung schlafhygienischer Massnahmen. All diese verhaltensorientierten Massnahmen spielen bei der Prävention von Schlafstörungen und Depressionen eine grosse Rolle und können von älteren Personen auch selbst durchgeführt werden.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Michael Hemmeter

Chefarzt Psychiatrie St. Gallen Nord
Zürcherstrasse 30
9500 Wil

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Hatzinger M, Hemmeter U, Hirsbrunner T, Holsboer-Trachsler E, Leyhe T, Mall JF, Mosimann U, Rach N, Trächsel N, Savaskan E. Empfehlungen für Diagnostik und Therapie der. Depression im Alter. Praxis 2019; 107(3): 127–144.
2. Hemmeter U., Suidizalität erkennen und einschätzen, der informierte Arzt, 2023, 10, 13-16
3. Holsboer-Trachlser et al, Die somatische Behandlung der unipolaren depressiven Störungen: Update 2016, Teil 1, Die Akutbehandlung depressiver Episoden, SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(35):716–72
4. Steiger A: Schlafendokrinologie. Nervenarzt. 1995;66:15-27.
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7. Lorette A et al.: Sleep in the elderly. In:, 2nd edition, Editors: Claudio Bassetti, Walter McNicholas, Tiina Paunio, Philippe Peigneux, Publisher: European Sleep Research Society (ESRS) in Regensburg, Germany. Sleep Medicine Textbook. 2021;2.
8. Patel D et al.: Insomnia in the Elderly: A Review. J Clin Sleep Med. 2018;14(6):1017-1024.
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10. Hemmeter UM, Ngamsri T. [Physical Activity and Mental Health in the Elderly]. Praxis (Bern 1994). 2022;110(4):193-8.
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  • Vol. 14
  • Ausgabe 3
  • März 2024