- Schwangerschaftsdiabetes
Diätetische Massnahmen sind integraler Bestandteil der Behandlung des Schwangerschaftsdiabetes und haben einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Blutzuckerwerte. Die Richtlinien für Schwangerschaftsdiabetes empfehlen eine ausgewogene Ernährung mit einer angemessenen Nährstoffzufuhr, insbesondere für Kohlenhydrate. Eine ausgewogene Verteilung der Kohlenhydrate über den Tag und der Verzehr von Vollwertkost sind wichtig. Spezielle Diäten oder Überzeugungen können sich auf den Kohlenhydratkonsum auswirken und das Blutzucker-Profil der Patientin verschlechtern.
Dietary measures are an integral part of the treatment of gestational diabetes and have a significant impact on changes in the glycemic profile. Recommendations for gestational diabetes include a balanced diet with adequate nutritional intake, particularly of carbohydrates. Carbohydrates should be distributed evenly throughout the day and the intake of whole foods should be encouraged. Specific diets or beliefs may have an impact on the carbohydrate consumption, that subsequently can adversely affect the patient’s glycemic profile.
Key words: Gestational diabetes, Nutrition, Carbohydrates, Ketones, Fiber
Einführung
Der Gestationsdiabetes (GDM) wird durch einen oralen Glukosebelastungstest (oGTT) mit 75 g Glukose diagnosti- ziert, der zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird (1). Ein GDM erhöht das Risiko, postpartal an Typ-2-Diabetes (7 x häufiger) (2) sowie an kardiovaskulären Erkrankungen (3) zu erkranken. Als erste Behandlungsschritte werden vor allem körperliche Aktivität und diätetische Massnahmen empfohlen. Wenn sich das Blutzuckerprofil nicht verbessert, können Insulininjektionen erforderlich sein. Dieser Artikel behandelt ausschliesslich die diätetischen Massnahmen, die bei der Diagnose eines GDM vorgeschlagen werden.
Die ausgewogene Ernährung
Der ausgewogene Teller
Die bei GDM empfohlenen diätetischen Massnahmen entsprechen weitgehend einer ausgewogenen Ernährung, die für alle Menschen zu empfehlen wäre. Aktuelle Studien empfehlen eine ähnliche Kalorienzufuhr wie bei Schwangeren ohne GDM (4), aufgeteilt auf zwei bis drei Mahlzeiten, je nach den Essgewohnheiten der Patientinnen. Je nach Hungergefühl können ein bis zwei Zwischenmahlzeiten pro Tag eingeschoben werden. Diese sollten jedoch ausserhalb der Blutzucker-Kontrollzeiten (d. h. nach den zwei Stunden nach der Hauptmahlzeit) gegessen werden. Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) sollte die Verteilung der Lebensmittel auf dem Teller wie folgt aussehen: 2/5 Gemüse / Früchte, 2/5 stärkereiche und faserreiche Lebensmittel und 1/5 eiweisshaltige Lebensmittel (5).
Drei zentrale Aussagen zur Ernährung
Sobald GDM festgestellt wird, können die Gynäkologen erste Ernährungstipps geben, die eine Verbesserung der Blutzuckerwerte begünstigen können.
1 Ein kohlenhydratarmes Frühstück bevorzugen
In der Schweiz ist es üblich, ein Frühstück mit Weissbrot, Butter und Marmelade zu sich zu nehmen. Eine hohe Kohlenhydrataufnahme beim Frühstück könnte jedoch den postprandialen Blutzuckerwert verschlechtern. Ein salziges Frühstück mit nicht-kohlenhydrathaltigen Proteinkomponenten (Käse, Ei) sollte bevorzugt werden. Es wird empfohlen, auf den Konsum von Fruchtsäften oder gesüsstem Tee/Kaffee zu verzichten und stattdessen ungesüsste Getränke zu konsumieren. Um die Eisenaufnahme zu verbessern, kann Kiwi, die reich an Vitamin C (ca. 80 mg/100 g) ist, als Ersatz für Orangensaft empfohlen werden.
2 Faserreiche / vollkornhaltige Lebensmittel bevorzugen
Die Erhöhung des Faser- / Ballaststoffanteils in der Nahrung ist einer der ersten Schwerpunkte der im Rahmen des GDM vorgeschlagenen diätetischen Massnahmen. Es gibt zwei Arten von Ballaststoffen / Nahrungsfasern, die beide einen positiven Einfluss auf die Verlängerung des Sättigungsgefühls haben. Unlösliche Ballaststoffe erleichtern den Transit des Stuhles im Darm und beugen so Verstopfungen vor, die in der Schwangerschaft häufig auftreten. Lösliche Ballaststoffe verlangsamen durch ihre Viskosität die Funktion der Verdauungsenzyme (6). Dieser Effekt kann die postprandialen Blutzuckerspitzen reduzieren (7). Die meisten stärkereichen Lebensmittel enthalten sowohl lösliche als auch unlösliche Nahrungsfasern. Beide Arten von erhöhen das Sättigungsgefühl. Ein erhöhter Verzehr von Vollkornprodukten kann somit die Sättigung erhöhen. Ein Nahrungsmittel ist «faserreich», wenn 100 g mindestens 6 g Nahrungsfasern /Ballaststoffe enthalten (8).
3 Mix zwischen verschiedenen kohlenhydratreichen Lebensmittel (Reis, Getreide, Kartoffeln, Hülsenfrüchte)
Häufig hört man von Pflegekräften, dass sie GDM-Patientinnen davon abraten, Vertreter dieser Gruppe zu kombinieren, wie z. B. Hülsenfrüchte mit Getreide. In der Tat führt der Verzehr von verschiedenen stärkereichen Lebensmitteln in der Regel zu einer Überschreitung der auf dem optimalen Teller empfohlenen Menge dieser Gruppe von 2/5. Wenn die gesamte Stärkezufuhr jedoch der Verteilung auf dem SGE-Teller entspricht, ist es nicht notwendig, das Unterlassen einer Stärkemischung zu verlangen. Der Verzehr nur eines einzigen Vertreters könnte sogar negativ sein. Wenn eine Patientin eine 2/5 Portion Reis und Linsen eines Tellers mit Gemüse und Fleisch isst, wäre es unvorteilhaft, von ihr zu verlangen, nur noch Reis zu essen. Ein solcher Verzicht würde bedeuten, dass die positive Wirkung der in den Linsen enthaltenen Ballaststoffe verloren ginge (Abb. 1).
Diäten
Ketogene Diät
Laut der American Diabetes Association (ADA) sollten GDM-Diäten vermieden werden, die gewisse Makronährstoffe stark einschränken, insbesondere die ketogene Diät (very low carb) (4). Diese Diät enthält in erster Linie Fette und Proteine, aber nur sehr wenig Kohlenhydrate, d.h. zwischen 20 und 50 g pro Tag. Unter 50 g ist ein Anstieg der Ketonkörper zu erwarten. Bei hohen Konzentrationen können diese die Schwangerschaft und die fetale neurokognitive Entwicklung beeinträchtigen (9). Wir empfehlen eine Messung der Ketonkörper, wenn die Ernährung weniger als 100 g Kohlenhydrate enthält, die nicht über den Tag verteilt sind. Eine Ketonmessung ist obligatorisch, wenn die tägliche Kohlenhydratzufuhr weniger als 50 g beträgt. Diese Messung erfolgt z.B. im Kapillarblut nüchtern am Morgen. Ein Wert von 0.6 mmol/l bei schwangeren Frauen bedeutet einen signifikanten Anstieg (10). Da bei Frauen ohne GDM-Werte von 0.1 bis 0.2 mmol/l gemessen werden, haben wir einen vorsichtigen Schwellenwert von 0.3 mmol/l gewählt (10). Ausserdem kann der Ersatz von Kohlenhydraten durch tierische Proteine und Fette die Lipolyse steigern, den Anstieg der freien Fettsäuren fördern und die Insulinresistenz verstärken (4). Aus diesem Grund ist es nicht ratsam, eine ketogene Diät während einer Schwangerschaft mit oder ohne GDM fortzusetzen.
Glaubenssätze / Diäten und religiöses Fasten
Glaubenssätze und Diäten
Nach der Ankündigung eines GDM muss sichergestellt werden, dass die Patientin ihre Kohlenhydratzufuhr nicht drastisch reduziert, um ihre Blutzuckerwerte zu optimieren. Die wichtigsten Kohlenhydratquellen, die in erster Linie drastisch reduziert werden, sind in der Regel die stärkehaltigen Nahrungsmittel, die dem Körper als «Energie-Treibstoff» dienen. Die Richtlinien empfehlen, die Kohlenhydratzufuhr auf drei durchschnittliche Mahlzeiten zu verteilen. Das heisst, es ist eine gute Verteilung der Kohlenhydrate über den Tag anzustreben und gleichzeitig faserreiche / ballaststoffreiche Kohlenhydrate, wie die Hülsenfrüchte zu bevorzugen.
Eine besondere Aufmerksamkeit sollte Frauen mit Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit geschenkt werden, da glutenfreie Produkte möglicherweise mehr Kohlenhydrate und einen geringeren Ballaststoffgehalt haben.
Religiöses Fasten: Der Ramadan
Das Fasten ist ein Brauch, der in vielen Religionsgemein- schaften verbreitet ist, darunter auch der Ramadan in der muslimischen Religion. Der Ramadan bedeutet, dass die Nahrungsaufnahme nur am Morgen vor Sonnenaufgang (Suhoor) und am Abend nach Sonnenuntergang (Iftar) erfolgen darf. Das IDF DAR (International Diabetes Federation – Diabetes and Ramadan Alliance) Stratifikationsinstrument wurde entwickelt, um das Risiko für Patientinnen zu quantifizieren, die ihre Absicht bekundet haben, während des Ramadans zu fasten (11). Je nach Ergebnis des Scores wird das Fasten bei einer Schwangerschaft mit GDM nicht empfohlen. Das Risiko eines Anstiegs der Ketonkörper ist beim Fasten und in der Schwangeschaft erhöht. Der Schwellenwert für Ketonkörper von 0.3 mmol/l vor dem Essen könnte eine vernünftige Wahl sein, um die Patientin während dem Ramadan zu begleiten. Wenn der Ramadan fortgesetzt wird, kann es ratsam sein, die Aufnahme von sehr kohlenhydratreichen Lebensmitteln wie Fruchtsäften einzuschränken und gleichzeitig die Aufnahme von Ballaststoffen und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu fördern.
Veganismus
Veganismus ist eine Ernährungsform, die alle tierischen Produkte mit Ausnahme von Muttermilch ausschliesst. In der Schwangerschaft ist der Proteinbedarf der Mutter erhöht (12). Daher ist eine ausreichende Proteinversorgung notwendig. Die Vermeidung von tierischem Eiweiss erfordert eine Diversifizierung auf pflanzliche Eiweissquellen. Vegane Ernährung besteht hauptsächlich aus Hülsenfrüchten, Tofu, Tempeh, Getränken und Joghurt auf Sojabasis, Getreiden oder Nüssen (13). Die Verwendung von pflanzlichen Proteinen in Form von Hülsenfrüchten oder Getreide birgt das Risiko, dass die Kohlenhydratmenge pro Mahlzeit erhöht wird, was sich auf das glykämische Profil der Patientin auswirkt. Über den GDM hinaus kann eine vegane Ernährung zu einem Mangel an Omega-3-Fettsäuren, Eisen, Zink, Jod, Kalzium, Vitamin D und B12 führen (14). Eine vegane Ernährung bei GDM wird nicht empfohlen. Sie erfordert sehr spezielle diätetische Kenntnisse, um Mangelerscheinungen während der Schwangerschaft und im Postpartum zu vermeiden, und birgt das Risiko einer erhöhten Kohlenhydratzufuhr über den Tag.
Schlussfolgerung
Laut der Endocrine Society wird allen schwangeren Frauen mit GDM eine Ernährungsberatung empfohlen (15). Die Rolle der Ernährungsberaterin besteht darin, Ernährungsanpassungen vorzuschlagen, die sich nach dem Appetit der Patientin, ihren Präferenzen, ihrer Gewichtskurve und ihrem BMI vor der Schwangerschaft, der Entwicklung ihrer Blutzuckerwerte und gegebenenfalls der Insulinverschreibung richten. Die Herausforderung besteht darin, ein gutes Blutzuckergleichgewicht zu fördern, gleichzeitig eine angemessene Nährstoffzufuhr zu gewährleisten und die Gewichtszunahme der Patientin innerhalb der Richtlinien zu halten. Einschränkungen und spezielle Diäten bei GDM können Risiken für die schwangere Frau und den Fötus mit sich bringen. Sie sollten daher von einem qualifizierten medizinischen Team überwacht werden.
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Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
- Die heutigen Studien empfehlen für Frauen mit Schwanger- schaftsdiabetes (GDM) eine ähnliche Kalorienzufuhr wie für Schwangere ohne GDM
- Die Erhöhung des Ballaststoffanteils in der Nahrung ist
eine der ersten Massnahmen, die im Zusammenhang mit GDM vorgeschlagen werde - Wir empfehlen eine Messung der Ketonkörper, wenn die Ernährung weniger als 100 g Kohlenhydrate pro Tag enthält, die nicht gut über den Tag verteilt sind.
- Eine diätetische Betreuung ist allen Frauen mit einer übermässigen Gewichtszunahme in den ersten Monaten der Schwangerschaft oder mit einem hohen Ausgangs-BMI zu empfehlen.
1. International Association of Diabetes and Pregnancy Study Groups Recommendations on the Diagnosis and Classification of Hyperglycemia in Pregnancy. Diabetes care 2010;33:676-680
2. Bellamy L, Casas JP, Hingorani AD, Williams D. Type 2 diabetes mellitus after gestational diabetes: a systematic review and meta-analysis. The Lancet. 2009;373(9677):1773-1779. doi:10.1016/S0140-6736(09)60731-5
3. Kramer CK, Campbell S, Retnakaran R. Gestational diabetes and the risk of cardiovascular disease in women: a systematic review and meta-analysis. Diabetologia. 2019;62(6):905-914. doi:10.1007/s00125-019-4840-2
4. American Diabetes Association. Management of Diabetes in Pregnancy: Standards of Care in Diabetes—2024. Diabetes Care 2024;47:282–294
5. Société Suisse de Nutrition. Assiette optimale [En ligne].[cité le 23 avril 2024]. Disponible: Feuille_d_info_assiette_optimale_2016_2.pdf (sge-ssn.ch)
6. Schenk S, Andrey M, De Giorgi S, Le Dizes O & J.Puder, J. Quelle place pour une alimentation low-carb ou à index glycémique bas dans le diabète gestationnel ? Rev Med Suisse 2021 ;17:1083-6
7. Jovanovski E, Khayyat R, Zurbau A et al. Should viscous fiber Supplements be considered in Diabetes Control ? Results from a Systematic review and Meta-analysis of randomized controlled trials. Diabetes Care 2019;42:755-66
8. Ordonnance du DFI concernant l’ information sur les denrées alimentaires (RS 817.022.16) (État le 1er février 2024).
9. De Giorgi S, Kosinski C, Legardeur H, Le Dizes O & J.Puder J. Le rôle des cétones dans la grossesse. Forum Médical Suisse. 2022;22(38):44-48
10 Laffel L. Ketone bodies: a review of physiology, pathophysiology and application of monitoring to diabetes. Diabetes Metab Res Rev. 1999;15:412–26
11 Hassanein M, Al-Arouj M, Hamdy O, Bebakar WMW, Jabbar A, Al-Madani A, et al. Diabetes and Ramadan: Practical guidelines. Diabetes Res Clin Pract 2017;126:303-16
12. Centre de Ressources et d’Informations Nutritionnelles. Références nutritionnelles pendant la grossesse et l’ allaitement [En ligne]. [cité le 23 avril 2024]. Disponible: Références nutritionnelles pendant la grossesse et l’allaitement – Populations – Cerin
13. Société Suisse de Nutrition. L’ alimentation de la femme enceinte [En ligne]. [cité le 23 avril 2024]. Disponible: Feuille_d_info_femme_enceinte-2019.pdf (sge-ssn.ch)
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