- Schweizer Richtlinien 2020 zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2
Die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED/SSED) hat als eine der ersten Fachgesellschaften moderne und auf nach heutigem Wissensstand bezüglich kardiovaskulärem Risiko fokussierte Empfehlungen herausgegeben, die im Folgenden präsentiert werden.
Seit 2008 werden von der «Federal Drug Administration» (FDA) kardiovaskuläre Sicherheits- und Endpunkt-Studien verlangt. Diese Entwicklung hat zu ganz neuen Entwicklungen in den Therapieempfehlungen für den Diabetes mellitus Typ 2 geführt. Bis heute versterben noch ungefähr zwei Drittel der Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 an einem kardiovaskulären Ereignis. Aus diesem Grund soll zukünftig der Fokus auf Therapeutika, welche das kardiovaskuläre Risiko senken und Todesfälle verhindern, gesetzt werden.
Aktuell bestehen diese Daten für SGLT2-Hemmer und für GLP1-RA, durch welche eine Risikoreduktion sowohl für kardiovaskuläre Ereignisse als auch Mortalität und Nierenschutz erreicht werden konnte. Bei SGLT2-Hemmern wurde zusätzlich ein positiver Effekt auf Herzinsuffizienz und die Progression der Nieren-insuffizienz nachgewiesen. Die GLP1-RA haben zusätzlich eine Risikoreduktion von ischämischem Hirnschlag gezeigt. Für den SGLT2-Hemmer Empagliflozin und den GLP1-RA Liraglutid wurde eine Reduktion der Gesamtmortalität gezeigt. Eine direkte Vergleichsstudie beider Klassen oder eine kardiovaskuläre Endpunktstudie mit Kombination beider Substanzklassen liegt bis anhin nicht vor. Dennoch gibt es post hoc Analysen, welche auf einen additiven Effekt bezüglich HbA1c-Senkung, Gewichtsreduktion und Senkung des kardiovaskulären Risikos (Ereignisse und Mortalität) hindeuten.
Vorgehen im Praxisalltag
Wir werden nun systematisch die wichtigsten Aspekte zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 anhand von Vorerkrankungen und Risikofaktoren vorstellen. Zudem ist eine gute Lifestylemodifikation (Nikotin-stopp, Bewegung etc.) als Grund-pfeiler der Therapie wichtig. Die folgenden Fragen sollen als Gedankenstütze im Praxisalltag dienen. Zusammenfassend enthalten die Abbildungen 1 und 2 alle wichtigen Informationen.
1. Braucht der Patient Insulin?
Bei Hinweisen auf eine katabole Stoffwechsellage als Ausdruck von Insulinmangel wie Gewichtsverlust, Polyurie, Polydipsie oder bei HbA1c > 10% ist Insulin als Primärtherapie nie falsch. Bei chronischer Pankreatitis und/oder Ketonurie als Redflag sollte Insulin verabreicht werden. Bei der Wahl des Basisinsulins ist ein ultralang wirksames Insulin (Insulin Degludec (Tresiba) oder Insulin GlarginU300 (Toujeo) angebracht, weil darunter nachweislich weniger Hypoglykämien auftreten.
2. Wie ist die Nierenfunktion?
Eine wichtige Frage, weil die meisten Therapeutika unter eGFR 30ml/min nicht mehr verabreicht werden können
eGFR 30-45ml/min:
SGLT-2-Hemmer können gemäss Compendium bis zu einer eGFR von 45ml/min (ausser Ertugliflozin nur bis eGFR 60ml/min) gegeben werden. Neuere Daten in kardiovaskulären Outcome-Studien mit Empagliflozin (Jardiance) und Canagliflozin (Invokana) zeigen, dass diese bis zu einer eGFR von 30ml/min sicher verschrieben werden können. Die positiven Effekte bezüglich kardiovaskulärer Endpunkt oder Nierenschutz bleiben, wobei die HbA1c-senkende Wirkung verringert ist.
Ein Therapiebeginn mit Meformin ist nicht mehr empfohlen und falls bereits eine etablierte Therapie besteht, ist eine Dosisreduktion auf 1000 mg täglich sinnvoll.
eGFR < 30ml/min:
GLP1-RA (falls BMI > 28kg/m2) können bis zu einer eGFR von 15ml/min und sogar bis zur Dialyse verabreicht werden. DPP4-Hemmer sind sicher, aber ohne positiven Effekt auf die Gesamtmortalität. Für Linagliptin (Trajenta) braucht es, selbst bei Dialysebedürftigkeit, keine Dosisanpassung. Für Sitagliptin ist eine Dosisanpassung nötig. Lediglich Saxagliptin hat Hinweise auf eine erhöhte Rate von Herzinsuffizienz gezeigt.
Metformin muss gestoppt werden.
3. Leidet der Patient an Herzinsuffizienz oder soll diese verhindert werden?
Ein SGLT2-Hemmer und Metformin sollten etabliert werden, weil mit dem SGLT2-Hemmer das kardiovaskuläre Risiko deutlich gesenkt werden kann. Gute Evidenz gibt es für HFREF (heart failure with reduced ejection fraction), wobei eine positive Wirkung auf HFPEF (heart failure with pre-
served ejection fracture), als häufigste Form bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 pathophysiologisch wahr-scheinlich ist. Auch wenn beim Typ 2 Diabetes mellitus alle Risikofaktoren optimal eingestellt sind, besteht ein 45% höheres Risiko für eine Herzinsuffizienz.
4. Was ist das HbA1c-Ziel?
Bei jungen Patienten ohne Sekundärorganschäden sollte das HbA1c auf 6.5% gesenkt werden, sofern dafür keine Hypoglykämien in Kauf genommen werden müssen. Falls das HbA1c z.B. unter GLP1-RA unter 6.5% geht, sollte die Therapie deswegen nicht reduziert werden.
Ältere und polymorbide Patienten, welche Insulin oder Sulfonylharnstoffe haben, sollten keinesfalls Hypoglykämien haben und ein HbA1c von < 8% ist angemessen.
Quelle: Swiss Recommendations of the Society for Endocrinology and Diabetes (SGED/SSED) for the Treatment of Type 2 Diabetes Mellitus (2019). Diese können auf www.sgedssed.ch heruntergeladen werden.
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich
Roger.Lehmann@usz.ch
USZ Zürich
matthias.ernst@usz.ch
RL: Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo Nordisk, Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca.
ME: Reise- und Kongressspesen von Novo Nordisk, Eli Lilly und Ipsen.
- Haupttherapieziel bei Diabetes mellitus Typ 2 soll eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos und eine Nephroprotektion sein.
- Hypoglykämien sollten vermieden werden und ein Gewichtsverlust ist erwünscht und deshalb sind primär SGLT2-Hemmer und GLP1-RA, oder deren Kombination, empfohlen.
- Bei der Kombination kommen die Vorteile in Bezug auf die Herzinsuffizienz (SGLT-2 Hemmer) und in Bezug auf die Reduktion von Apoplexie (GLP-1 RA) voll zum Zug und auch die Effekte auf HbA1c Senkung und Gewichtsverlust sind additiv.
der informierte @rzt
- Vol. 10
- Ausgabe 4
- April 2020