- SGAIM Frühjahrskongress in Basel

Die Tagungspräsidenten Prof. Dr. med. Christoph Henzen, Luzern, und Prof. Dr. med. Balthasar Hug, Luzern, schrieben in ihrer Einladung «The Times They Are a-Changin’» – ein Songtitel von Bob Dylan, in dem er vor 50 Jahren Veränderung beschreibt, und die Notwendigkeit sich damit zu befassen: «you better start swimmin or you’ll sink like a stone». Tatsächlich erleben wir eine Transformation fast aller Lebensbereiche – und damit auch und ganz besonders in unserer Rolle als Ärztin und Arzt, in der Beziehung zum kranken Menschen, in der fachlichen Herausforderung, in der Interaktion im Gesundheitswesen, mit der Politik…», so die Autoren. Mit dem gewählten Motto will das Organisationskomitee auf die Wichtigkeit der interprofessionellen und interdisziplinären Betreuung des kranken Menschen hinweisen. Das zweite wichtige Anliegen des wissenschaftlichen Komitees ist «climate change and health». Die wissenschaftliche Basis soll es uns ermöglichen, die ärztliche Verantwortung zugunsten des Klimas wahrzunehmen. Das dritte Kernthema war die künstliche Intelligenz.
Klimawandel und Gesundheit
Der Klimawandel war am SGAIM Frühjahreskongress auch Thema einer Keynote Lecture. Prof. Dr. Reto Knutti, ETH Zürich, schilderte sehr eindrücklich die Klimaveränderungen der letzten Jahrzehnte. Er stellte die Diagnose «die Erwärmung ist unwiderruflich und der Einfluss der Menschen als Ursache ist klar.» Der Referent zeigte die Entwicklung der Methan- und der CO2-Werte über die Zeit und deren enormen gegenwärtigen Anstieg. Als Gegenmassnahmen bieten sich die folgenden Optionen an: ignorieren, anpassen oder abschwächen. Der Klimawandel beeinflusst die potenzielle Ausbreitung von Viren. Die asiatische Tigermücke, Zika und Dengue breiten sich aus. Gewalt und Aggressivität zeigen einen 10%igen Anstieg bei Hitze. Notfälle im Bereich der psychischen Gesundheit nehmen bei Hitze potenziell zu. Heisse Tage/Nächte und Hitzewellen sind gefährlich für ältere Menschen und verringern die Arbeitsproduktivität. Der schottische Meteorologe Scott Duncan sagte, dass er dachte, dass die 4-6°C in Kanada nicht möglich wären, jedenfalls nicht in seinem Leben. Die Geschichte zeigt, dass der Hitzerekord drei Tage nacheinander mit einer unfassbaren Marge von +4.6°C gebrochen wurde. Über diesen Moment wird man noch Jahrhunderte lang sprechen. Klimawandel als Treiber von Migration und Konflikten, so der Sachstandbericht der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften berichtet «die Medizin muss sich vom Konzept des unbegrenzten Fortschritts lösen und vermehrt personelle, finanzielle und ökologische Grenzen berücksichtigen» und «stärker auf die Gesundheitsförderung statt nur auf technische medizinische Verfahren setzen». «Die gesellschaftliche Mobilisierung muss bewirken, dass der Umwelt- und Klimanotstand in der öffentlichen Meinung als bedeutende Herausforderung für die Gesundheit der Bevölkerung anerkannt wird».
Planetarische Gesundheit: eine Handlungsstrategie der FMH zum Klimawandel für Ärzte in der Schweiz. Information von Ärzten und Patienten. Reduzierung der Treibhausgasemissionen (Abschwächung), Anpassung an den vorhersehbaren Klimawandel, Stärkung der Vorbildfunktion von Ärzten.
Unsere CO2-Emissionen sind ein Erbe für die Zukunft. Der medizinische Sektor verursacht ungefähr 6% der schweizerischen Treibhausgasemissionen und jede Menge Abfall.
Niemand hat jemals eine Entscheidung aufgrund einer Zahl getroffen. Es braucht eine Geschichte, so Daniel Kahnemann, Nobelpreisgewinner für Ökonomie 2002.
Der Referent fasste seine Ausführungen wie folgt zusammen:
- Der Klimawandel ist Realität, und die Menschheit ist die dominante Ursache der Erwärmung. Die Auswirkungen auf längere Zeiträume sind überwiegend negativ. Wir haben nicht viel Zeit zu entscheiden, aber unsere Entscheidungen und Aktionen werden die Welt über viele Jahrhunderte beeinflussen. Der Klimawandel ist beinahe unumkehrbar.
- Um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen, müssen die Netto-CO2-Emissionen vor 2050 auf null sinken. Die derzeitigen Anstrengungen reichen nicht aus, um dieses Ziel zu erreichen
- Technologisch und wirtschaftlich ist ein ehrgeiziges Klimaziel noch erreichbar. Es gibt starke wirtschaftliche Anreize zur Risikominderung. Langfristig ist es billiger, jetzt Abhilfe zu schaffen, als später zu zahlen.
- Wir haben noch nie so viel über die Wissenschaft und die Lösungen gewusst. Dies sei eine Chance. Aber es braucht politischen Willen, Innovation, Vision und Führung.
Neues zur Lungenembolie
Mit einem fiktiven Fallbeispiel begann Prof. Dr. med. Dragomir Aujesky, Bern, seine Präsentation. Ein 90 Jahre alter Mann präsentiert sich mit akuter Dyspnoe, die vor 2 Tagen begann. Der Mann leidet an einer arteriellen Hypertonie, die mit Lisinopril behandelt wird. Der Blutdruck beträgt aktuell 110/70mmHg, Puls 100, SO2 92%. Thorax-Röntgen und COVID-19-Test sind normal. Was sind die nächsten angemessenen Untersuchungsschritte bei diesem Patienten? A) Klinische Wahrscheinlichkeit und D-Dimer (cut-off 500µg/l), B) Computertomographische, pulmonale Angiographie (CTPA). Kompressionsultraschall der unteren Extremitäten, weitere Strategien. Der hochsensitive D-Dimer-Test leidet an mangelnder Spezifität (40%). Um eine Lungenembolie (PE) auszuschliessen sind bei ambulanten Patienten 3 Patienten notwendig, bei hospitalisierten Patienten 30, bei Krebspatienten 9, bei über 80jährigen 20, bei Schwangerschaft (30. bis 42. Woche) 4.
Die Einführung der CTPA war mit einer Überdiagnose und minimaler Veränderung der Mortalität vergesellschaftet. Grundlage der PE-Diagnose sind Algorithmen. D-Dimer vermeidende Diagnostik-Strategie: 8 PE Rule-out Kriterien: Alter ≥50 Jahre, Puls ≥100/Min., SO2 <95%, Hämoptyse, Estrogeneinnahme, Chirurgie/Trauma innerhalb der letzten 4 Monate, vorgängige Lungenembolie, einseitige Beinschwellung. Keines dieser Kriterien: keine Lungenembolie, ≥1 Kriterium: reguläre Untersuchung, z.B. D-Dimer. CTPA. Falschnegative Rate 0.1% in der PE Rule-out-Gruppe, 10% weniger CTPAs im Vergleich zur Kontrollgruppe. Mit Alters-adaptiertem D-Dimer Cut-off Falschnegativrate <0.5%, 10% weniger CTPA im Vergleich zum 500µg/l Cut-off. Risikoadaptierter D-Dimer-Cut-off: Falschnegativrate 0.6%, 14% weniger CTPA im Vergleich zu 500µg/l D-Dimer-Cut-off.
«Neue» diagnostische Trends sind Renaissance des Beatmungs-Perfusions-Lungen-Scans (V/Q Scanning). V/Q Scanning wird nach klinischer Vorhersage, und D-Dimer dem CTPA zum Ausschluss der Bestrahlungsexposition vorgezogen. Eine vielversprechende Technologie ist das SPECT V/Q Scanning. Grössere Richtigkeit (83-100% Sensitivität, 87-100% Spezifität), geringe Rate nicht diagnostischer Tests (<5%), grosse klinische Studie laufend.
Zurück zu unserem Fall: Revised Geneva-Score (6 Punkte), moderate Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie. D-Dimer 1150µg/l, CTPA 2 kleine subsegmentale Lungenembolien.
Behandlungsstrategie 1: A) Antikoagulation (AC), B) Keine AC, Falls AC, Behandlungsstrategie 2: A) LMWH plus VKA, B) DOAC. Behandlungsstrategie 3: Ambulante Behandlung, B) Hospitalisierung.
Subsegmentale Lungenembolie
Ungefähr 15% der mit CTPA entdeckten Lungenembolien.
Bis zu 75% können falsch positive Befunde sein (Artefakten). Nur mittelmässige Übereinstimmung zwischen den beurteilenden Radiologen (k=0.38). Die klinische Bedeutung ist unbekannt. Mangel an randomisierten Behandlungsstudien. Muss eine subsegmentale Lungen Embolie antikoaguliert werden? In einer prospektiven randomisierten multizentrischen Studie wurden 296 Patienten mit niedrigem Risiko mit isolierter subsegmentaler Lungenembolie ohne begleitende proximale tiefe Venenthrombose nur mit telefonischer Überwachung (keine Antikoagulation) behandelt. Das Outcome war VTE Rückfall innerhalb von 90 Tagen. Es gab 8 VTE-Rückfälle (3.1%), 4 nicht tödliche Lungenembolie-Rückfälle und 4 tiefe Venenthrombosen.
Umgang mit subsegmentalen Lungenembolien gemäss den 2021 ACCP-Guidelines: Patienten mit subsegmentalen Lungenembolien ohne proximale tiefe Beinvenenthrombosen 1) falls hohes Risiko für VTE-Rückfälle (hospitalisierte oder Krebspatienten): Antikoagulation, 2) bei niedrigem Risiko für VTE-Rückfälle: klinische Überwachung.
Prognose bei symptomatischer Lungenembolie
- Nicht massive Lungenembolie:
Systolischer Blutdruck ≥90mmHg: 95% der Patienten 30 Tages-Mortalität 8%: Antikoagulation zu Hause oder im Spital. - Massive Lungenembolie:
Systolischer Blutdruck <90mmHg oder Schock: 5% der Patienten 30 Tages-Mortalität 27%: Thrombolyse im Spital.
Klinisch prognostische Kriterien
Der Referent orientierte ferner über den PESI (Pulmonary Embolims Severity Index) (Aujesky AJRCCM 2005), den vereinfachten PESI (Jimenez und Aujesky, Arch Intern Med. 2010) und die HESTIA Kriterien (Zondag, JTH 2011). Niedrig Risiko-Patienten basierend auf dem PESI, vereinfachtem PESI oder HESTIA sollten für ambulante Behandlung vorgesehen werden (Grad B, BTS 2018).
Die Risikostratifizierung ist in den ESC-Guidelines von 2019 festgelegt. Schock oder Hypotension bedeutet hohes Risiko und Primärperfusion. In den anderen Fällen wird das Risiko auf Grund von (s) PESI und rechtsventrikulärer Funktion evaluiert. Bei hohem Risiko (PESI) und rechtsventrikulärer Dysfunktion soll Troponin bestimmt werden, falls positiv intermediäres bis hohes Risiko: Antikoagulation, Überwachung, ev. Rescue-Perfusion. Bei niedrigem PESI-Risiko, ohne rechtsventrikuläre Dysfunktion, niedriges Risiko: Antikoagulation, Heimpflege in Betracht ziehen, frühe Entlassung.
Bei Patienten mit intermediärem Risiko für Lungenembolie verhindert die fibrinolytische Therapie eine hämodynamische Kompensation, erhöht aber das Risiko für Blutung und Schlaganfall.
Antikoagulation entsprechend 2021 ACCP-Guidelines
- DOACs (Apixaban, Dabigatran, Edoxaban, Rivaroxaban) werden vorgezogen. Dies kann nicht für alle Patienten mit CrCl <30ml/Min gelten, ebenso nicht für Patienten mit Anti-Phospholipid Antikörper Syndrom. Hier sind VKAs einzusetzen, bei Schwangerschaft niedermolekulares Heparin.
- Bei aktivem Krebs: DOACs mit Ausnahme von Dabigatran, werden niedermolekulares Heparin oder VKAs vorgezogen.
Post Lungenembolie-Syndrom
- Die Inzidenz chronischer thromboembolischer pulmonaler Hypertonie beträgt ca. 4%
- Aber ungefähr 1/3 der Patienten haben Restsymptome (Dyspnoe, Abnahme der Belastungsintoleranz, Stress, Angst) 3 Monate nach Lungenembolie ohne pulmonale Hypertonie.
- Aetiologie: Dekonditionierung, Übergewicht, und kardiorespiratorische Komorbidität eher als anhaltende Perfusionsstörungen und rechtsventrikuläre Dysfunktion.
- Nutzen einer bewegungsorientierten Rehabilitation? (Klok, Blood Rev 2014; Kahn, Chest 2016)
Fazit
- Zur Diagnose der Lungenembolie sollte wenn möglich eine CTPA-vermeidende Strategie angewandt werden
Die klinische Bedeutung einer subsegmentalen Lungenembolie und das Risiko/Nutzen-Verhältnis der Antikoagulation sind ungewiss - Niedrig-Risiko-Patienten aufgrund eines validierten prognostischen Scores ((s)PESI, HESTIA) sind Kandidaten für die ambulante Behandlung
- Thrombolyse ist indiziert bei hämodynamisch instabilen Patienten
- DOACs für die Antikoagulation in den meisten Fällen. Die Dauer hängt vom Kontext ab
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