- Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit
Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist eine häufige Krankheit mit substantiellem Anteil an der Mortalität und Morbidität unserer Gesellschaft. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter, sodass dieses Krankheitsbild hinsichtlich der heutigen Bevölkerungsstruktur versorgungsrelevant ist (und bleiben wird). Während bei der Behandlung der akuten koronaren Herzkrankheit (akute Koronarsyndrome / Herzinfarkte) die perkutane (oder chirurgische) Revaskularisation einer konservativ-medikamentösen Therapie grundsätzlich klar überlegen ist, muss die Wahl der Therapiestrategie bei der stabilen koronaren Herzkrankheit differenzierter betrachtet werden.
Ein Stent heilt nicht langfristig die Krankheit, er löst lediglich momentane Durchblutungsstörungen. Entsprechend sind Therapieempfehlungen zur Behandlung der stabilen koronaren Herzkrankheit – insbesondere hinsichtlich allfälliger invasiver / operativer Revaskularisationsmassnahmen – stets Individualentscheide und müssen im Gesamtkontext (Lebenserwartung, Komorbiditäten, subjektiver Leidensdruck, Koronaranatomie, Patientenwunsch, etc.) gesehen werden. Publizierte Richtlinien sind dabei hilfreich, nachfolgende Ausführungen basieren auf den 2014 von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und der Europäischen Gesellschaft für Herzchirurgie (EACTS) gemeinsam veröffentlichten Guidelines zur myokardialen Revaskularisation (1). Diese gemeinsam erarbeiteten Richtlinien unterstreichen die Bedeutung der interdisziplinären Entscheidungsfindung («Heart Team», bestehend aus invasiven / nicht-invasiven Kardiologen und Herzchirurgen).
Historischer Rückblick
Pectanginöse Beschwerden werden in der Menschheitsgeschichte bereits früh beschrieben. Von der Antike bis ins späte Mittelalter finden sich zahlreiche Berichte einer klinischen Symptomatik, die sich in der Rückschau als Angina pectoris beschreiben lassen, damals jedoch nicht mit einer Erkrankung des Herzens in Verbindung gebracht wurden. Die älteste Beschreibung einer Krankheit, die rückblickend als Angina pectoris gedeutet werden kann, findet sich auf einem ägyptischen Papyrus, der etwa aus dem Jahr 1500 a. C. stammt, inhaltlich sogar auf die Zeit des Alten Reiches (2500–2000 a. C.) zurückgeht: «Findest du einen Mann, dessen Brust schmerzt, und der auch Schmerzen an seinem Oberarm und an seinem Magen leidet, so sollst du sagen, dass der Tod ihm naht.» Hier findet sich bereits die Assoziation von Brustschmerz mit Ausstrahlung. Ursächlich wird diese Symptomatik jedoch auf eine Erkrankung des Magens zurückgeführt. Aufgrund dieser Vorstellung wurden damals auch Kräuter, die Erbrechen und Durchfall auslösen, zur Behandlung empfohlen.
In der Neuzeit wird die Angina pectoris als Erkrankung des Herzens erkannt, es werden auch erste Zusammenhänge zwischen pathologischen Veränderungen der Herzkranzgefässe und den klinischen Symptomen hergestellt. Erst seit den 1930er Jahren werden im engeren Sinne pathophysiologische Konzepte der Angina pectoris entwickelt, die eine Störung der Beziehung zwischen der vom Herzen zu leistenden Arbeit und der Versorgung des Herzens durch die Kranzgefässe in den Mittelpunkt stellen (2).
Die Entdeckung / Einführung der Koronarangiographie in den späten 1950er Jahren bildete die Grundlage zur Revaskularisation. Die erste chirurgische Revaskularisation erfolgte erstmalig im Februar 1964 in Leningrad durch Vasilii Ivanovich Kolesov mittels Implantation der linksseitigen A. mammaria (LIMA) als freier Graft auf einen Posterolateralast der Circumflexa. Der argentinische Chirurg Rene G. Favarolo führte im Mai 1967 an der Cleveland Clinic (Ohio, USA) bei einer 51-jährigen Patientin die erste erfolgreiche Venen-Bypass-Operation am Herzen durch. Die erste perkutane koronare Intervention wurde am 16. September 1977 am Universitätsspital Zürich durch Andreas Grüntzig durchgeführt. Dabei wurde eine isolierte symptomatische proximale RIVA-Stenose mittels perkutaner Ballonangioplastie (PTCA) behandelt. Am 28. März 1986 setzt Jacques Puel in Toulouse und bald darauf Ulrich Sigwart in Lausanne die ersten Metallstents in menschliche Koronargefässe ein.
Zur medikamentösen Therapie: Der Einsatz von Nitroglycerin zur Behandlung der Angina pectoris wurde bereits 1879 im Lancet publiziert (3). Die antithrombotische Wirkung von Aspirin wurde 1950 entdeckt. 1963 wurde der erste Betablocker (Propranolol) entwickelt, Kalziumantagonisten folgten 1966. 1973 wurde erstmalig ein Statin synthetisiert. Der erste Einsatz eines ACE-Hemmers (Captopril) als Antihypertensivum erfolgte 1979, AT2-Antagonisten kamen 1998. Es gibt nach wie vor neuere Entwicklungen in der medikamentösen Therapie der koronaren Herzkrankheit (z.B. Ivabradin 2008, Prasugrel 2010, PCSK9-Hemmer 2015).
Prognostische Therapieziele
Es ist unbestritten, dass zur Verbesserung der Prognose bei der koronaren Herzkrankheit eine optimale medikamentöse Basistherapie (antithrombotische Therapie, Statin) und die Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren entscheidend ist. Aber wie gefährlich ist eine Koronarstenose eigentlich? Aus älteren Myokardperfusionsstudien wissen wir, dass eine Stenose ohne induzierbare Ischämie eine jährliche Ereignisrate (Tod / Myokardinfarkt) von < 1% hat, während bei Vorliegen von Minderdurchblutung diese Ereignisrate auf 6.4% steigt (4). Entsprechend steht der prognostische Vorteil einer Revaskularisation gegenüber einer konservativ-medikamentösen Therapie primär mit der Reduktion des Ischämieareals im Zusammenhang (5). Dieser Effekt kann bereits bei einer Reduktion des ischämischen Myokardareals von 5% der Gesamtmuskelmasse beobachtet werden (6). Bei der Beurteilung des Ischämie-Ausmasses scheint der angiographische Stenosegrad (anatomische Information) nur bedingt entscheidend (7, 8), wichtiger ist der Nachweis einer Minderdurchblutung (funktionelle Relevanz). Dabei sind entweder vorgängige bildgebende Verfahren (z. B. Myokardszintigraphie, MRI, Stressechokardiographie) oder hämodynamische Messungen während der Koronarangiographie (z. B. fraktionierte Flussreserve FFR) nötig. Grossangelegte Studien zur Revaskularisation als prognostisches Therapieziel laufen (z. B. ISCHEMIA-Trial, Clinicaltrials.gov NCT01471522). Die aktuellen anatomischen / funktionellen Kriterien zur Revaskularisation bei stabiler KHK (symptomatisch oder asymptomatisch / stumme Ischämie) aus prognostischen Gründen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Symptomatische Therapieziele
Thorakale Beschwerden sind in der Allgemeinbevölkerung sehr häufig und eine Korrelation mit angiographisch intermediären Koronarstenosen im Rahmen einer KHK nicht immer klar (insbesondere ohne Ischämienachweis). Bei Symptomkorrelation ist eine Revaskularisation allerdings eine sinnvolle Therapieoption. Entsprechend ist eine Revaskularisation von Koronarstenosen > 50% (mit bildgebendem Ischämienachweis oder FFR < 0.80) bei fehlendem Ansprechen auf eine anti-ischämische Medikation klar empfohlen (Empfehlungsgrad I, Evidenzlevel A) (1). Die Resultate einer kürzlichen in der Presse vieldiskutierten Studie (ORBITA-Trial (9)) stellte diese Empfehlung in Frage. Allerdings müssen die Methodik dieser Studie differenziert betrachtet und deren Resultate mit Vorsicht interpretiert werden (10).
Stent oder Bypass?
Die Wahl der Revaskularisationsmodalität ist stets ein Individualentscheid, muss im klinischen Gesamtkontext (Lebenserwartung, Komorbiditäten, subjektiver Leidensdruck, Koronaranatomie, Pa-tientenwunsch, etc.) gesehen werden und sollte interdisziplinär im «Heart Team» (bestehend aus invasiven / nicht-invasiven Kardiologen und Herzchirurgen) evaluiert werden. Als Faustregel gilt, dass eine chirurgische Revaskularisation (ACBP-Operation) zunehmend nachhaltiger wird, je ausgeprägter der atherosklerotische Koronarbefall ist. Die Komplexität der Koronaranatomie kann mit angiographischen Scores bestimmt werden (z. B. SYNTAX-Score). Während der SYNTAX-Score I lediglich die Koronaranatomie berücksichtigt, wird mit dem SYNTAX-Score II die zu erwartende 4-Jahres-Mortalität aufgrund Patientencharakteristiken, Koronaranatomie und Behandlungsstrategie (PCI vs. ACBP) bestimmt (www.syntaxscore.com).
– HerzKlinik Hirslanden,
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich
– Universität Zürich
Rämistrasse 71
8006 Zürich
christophe.wyss@hirslanden.ch
Der Autor hat in der Vergangenheit speakers fee von Medtronic, Abbott, Novartis und Menarini bekommen. In Zusammenhang mit dem vorliegenden Artikel bestehen keine Interessenskonflikte.
- Therapieempfehlungen zur Behandlung der stabilen koronaren Herzkrankheit – insbesondere hinsichtlich allfälliger invasiver / operativer Revaskularisationsmassnahmen – sind stets Individualentscheide und müssen im Gesamtkontext (Lebenserwartung, Komorbiditäten, subjektiver Leidensdruck, Koronaranatomie, Patientenwunsch, etc.) gesehen werden
- Die koronare Revaskularisation hat in ausgesuchten Situationen einen prognostischen Benefit gegenüber einer medikamentösen Therapie
- Die koronare Revaskularisation ist eine sinnvolle Therapieoption zur symptomatischen Behandlung von pectanginösen Koronarbeschwerden (insbesondere bei fehlendem Ansprechen auf eine anti-ischä-mische Medikation)
- Die Wahl der Revaskularisationsmodalität (ACBP vs. PCI) sollte interdisziplinär im «Heart Team» (bestehend aus invasiven / nicht-invasiven Kardiologen und Herzchirurgen) evaluiert werden.
1. 2014 ESC/EACTS Guidelines on myocardial revascularization, Eur Heart J 2014;35:2541–2619
2. Heusch B et al. Kurze Geschichte der Angina pectoris: Vorstellungen von der Myokardischämie im Wandel der Zeit. In: Heusch G. (eds) Pathophysiologie und rationale Pharmakotherapie der Myokardischämie. Steinkopff 1990
3. Murrell W. Nitroglycerin as a remedy for angina pectoris. Lancet 1879;113:113–5
4. Iskander S, Iskandrian AE. JACC 1998
5. Hachamovitch et al. Circulation 1998;97:535-43
6. Shaw et al. COURAGE Nuclear Substudy. Circulation 2008;17(10):1283-91
7. Wijns et al. JNC 2007;93:856-61
8. Gaemperli et al. Radiology 2008;248:414-23
9. Al-Lamee R et al. Percutaneous coronary intervention in stable angina (ORBITA): a double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2017
10. Chaitman BR et al. ORBITA revisited: what it really means and what it does not? Eur Heart J 2018;39:963–5
der informierte @rzt
- Vol. 8
- Ausgabe 7
- Juli 2018