- Über den Allalin- und Hohlaubgletscher
Bereits während der sogenannten kleinen Eiszeit zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert spielte der Allalingletscher ein unberechenbares Spiel. In der Ebene von Mattmark bestand bereits ein natürlicher Bergsee, dessen Grösse von den Vorstössen und Rückzügen des Gletschers abhängig war. 1589, 1633, 1680 und 1772 stiess der Gletscher jeweils bis zur gegenüberliegenden Seite des Saastals vor und staute das Wasser. Mehrfach kam es in der Folge zu Flutwellen, die nicht nur den Talboden der Saaser Gemeinden verwüsteten, sondern auch Schäden bis hinunter nach Visp anrichteten.
Wir verlassen den höchsten Erdschüttdamm der Schweiz auf dem Fahrsträsschen entlang des Westufers des Stausees und folgen diesem bis unmittelbar nach dem ersten grossen Bach südlich des Tunnels (keine Stirnlampe notwendig), wo bergwärts der weiterhin fahrbare Zuweg der Schwarzbergalp abzweigt. Bei der Alp beginnt der stotzige, aber gute Bergweg zum Schwarzbergkopf hinauf. Dieser Pfad ist weiss-rot-weiss markiert. Im unteren Abschnitt ist er etwas ausgesetzt und erfordert Trittsicherheit. Leider liegt der Aufstieg in der prallen Morgensonne, der wir nicht entkommen, obwohl wir den ersten Bus für die Anfahrt gewählt haben. Dafür gewinnen wir rasch an Höhe, da der Pfad nach Querung der Felsbänder praktisch nur noch in der Falllinie verläuft.
Beim Aufstieg treffen wir auf Saaser Mutten, einen eigenständigen Schlag der Bergamaskerschafe. Sie haben lange, herunterhängende Ohren und einen deutlich gekrümmten Nasenrücken, der Ramsnase genannt wird. Ihr Bestand ist bedroht. 2014 wurden 103 der seltenen Saaser Mutten von italienischen Schäfern gestohlen und über den nahen Ofentalpass, eine alte Schmugglerroute, nach Italien getrieben. Die Diebe wollten mit dem Verkauf der Tiere Schulden abbezahlen. Sechs der gestohlenen Tiere wurden bei Domodossola von italienischen Wildhütern wiederentdeckt, die übrigen waren bereits verkauft und wohl auch geschlachtet worden.
Bis zum Schwarzbergkopf hinauf weitet sich der Blick über den Stausee hinaus auf den Grenzkamm rund um die Jazzilücke sowie den Ofental- und Monte Moropass. Gegen Westen schliessen Schwarzberg- und Strahlhorn die Rundsicht ab. Südwestlich des Schwarzbergkopfes führt ein Pfad durch Geröll und Schnee zum Allalingletscher hinunter, den man in der fast flachen, weitgehend spaltenfreien Zone zuerst in nordwestlicher, dann nördlicher Richtung quert (Abb. 1a). Die Route ist mit Stangen sehr gut gekennzeichnet. Die in der Folge weiss-blau-weiss markierte Pfadspur quert die teilweise auf Eis liegende Blockzone zwischen Allalin- und Hohlaubgletscher in der Nähe der östlich gelegenen Felsabbrüche (Abb. 1b). In diesem Bereich ist erneut Aufmerksamkeit und Trittsicherheit notwendig. Auf dem schmalen Hohlaubgletscher weisen erneut Stangen den Weg und danach weiss-blau-weisse Markierungen zum weithin sichtbaren Weg zur Britanniahütte SAC hinauf (Abb. 2). Die nahen Viertausender Allalin-, Rimpfisch- und Strahlhorn sowie das etwas weniger hohe Fluchthorn dominieren die ganze Zeit über diese herrliche Gletscherpassage. In der Hütte werden wir herzlich empfangen und geniessen das währschafte Mittagessen auf der sonnigen Terrasse mit Blick auf den langen Herweg über die Gletscher.
Der erste Abschnitt des früheren Verbindungswegs entlang des Hinter Allalins zur Bergstation Felskinn der Luftseilbahn Alpin Express kann infolge des fortgeschrittenen Gletscherschwunds und des nachlassenden Permafrosts nicht mehr begangen werden. Der aktuelle Weg führt durch die Ebene zwischen Klein Allalin und Egginer zum gleichnamigen Joch hinüber (Abb. 3). Der letzte Abschnitt über den ausgeaperten Chessjengletscher ist teilweise mit weissem Flies abgedeckt, damit eine einfache Passage überhaupt noch möglich bleibt (Abb. 4). Da ich Saas-Fee noch aus meinen Kindertagen kenne, bin ich einmal mehr erschüttert über das Ausmass des Gletscherrückgangs in den Alpen.
Erschreckend für uns war auch die Ausrüstung vieler der Menschen, denen wir auf dieser Gletschertour begegnet sind. Anstelle von festen, hohen Bergschuhen wurden knöchelfreie Laufschuhe ohne brauchbares Profil getragen, die innert kürzester Zeit vor eisiger Nässe trieften. Solche in alle Richtungen verformbare ‚Gurkensschuhe‘ haben im Hochgebirge nichts verloren. Kurze Hosen trugen zwar der Wärme des Sommertags Rechnung, nicht aber dem notwendigen Schutz bei einem Sturz auf dem Eis. In den modischen, teilweise am Po herumhängenden Rucksäcklein war wohl auch kein Platz für warme Zusatzkleidung, geschweige denn für eine Notfallapotheke, die angesichts des unsicheren Gangs ohne Bergstöcke mehr als angezeigt gewesen war. Gletscher bleiben Gletscher, weswegen die Route zu Recht weiss-blau-weiss markiert ist und somit bergerfahrenen Wanderern vorbehalten bleiben sollte, die wissen, was sie tun.
Aufgepasst
In dieser Rubrik werden Berg- und Schneeschuhwanderungen vorgestellt, die in der Regel wenig bekannt sind, zu aussergewöhnlichen Orten führen und die Genugtuung einer besonderen persönlichen Leistung bieten, sei es, dass man sich am Abend nach der Arbeit noch zu einer kleinen körperlichen Anstrengung überwindet, bzw. sich in ein oder zwei Tagen abseits breit getretener Wege unvergessliche Naturerlebnisse erschliesst. Zur besseren Beurteilbarkeit des Schwierigkeitsgrades der Tourenvorschläge wird jeweils eine Einschätzung anhand der SAC-Skala für Berg- (T1 bis T6) und für Schneeschuhwanderungen (WT1 bis WT6) gegeben. Die schwierigste Wegstelle, unabhängig von ihrer Länge, bestimmt jeweils die Gesamtbewertung der Route. Letztendlich bleibt aber jeder selbst für die Beurteilung seiner Fähigkeiten und Eignung für die vorgestellte Wanderung verantwortlich. Die Gehzeiten sind Richtwerte und gelten für normal trainierte Wanderer. Sie müssen nicht zwingend mit den Angaben auf Wegweisern übereinstimmen.
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