- Umgang mit COVID-19 und Coronaimpfskepsis
m Rahmen der FOMF-Fortbildungen fand am 14.1. 2021 ein Online-Symposium zu COVID-19 mit den Experten Prof. Dr. med. Johannes Bogner, München, und Prof. Dr. med. Philipp Tarr, Basel, statt.
Persönliche Erfahrungen mit der Behandlung und Erkenntnisse der bisherigen Forschung
Der Leiter der Sektion Klinische Infektiologie am Klinikum der Ludwig Maximilian Universität München, Prof. Dr. med. Johannes Bogner, präsentierte beispielhaft zwei Patienten aus der eigenen Praxis, die an COVID-19 erkrankt waren.
Fallvignette 1: 48-jähriger Mann: Symptombeginn ohne respiratorische Symptome, Fieber 39.7 Grad, Husten und Fieber seit 7 Tagen, O2-Sättigung bei Raumluft 92; Belastungsdyspnoe. Der Zustand hat sich innert 2 Tagen wesentlich verschlechtert. Der Patient dekompensierte und musste intubiert werden. Bei COVID-19 werden teils profunde lebensbedrohliche Hypoxien ohne für den Patienten subjektiv wahrnehmbare Symptomatik beobachtet. Das Phänomen der «Silent Hypoxemia» wurde erstmals im Zusammenhang mit COVID-19 beschrieben. Die Hypoxie kommt schleichend, so dass man den Zeitpunkt der Intubation übersehen kann.
Der Patient hat sich erholt, es geht ihm inzwischen verhältnismässig gut.
Fallvignette 2: 65-jähriger Mann mit Hypertonie, Fieber 40 Grad und Ruhedyspnoe, AF 29/Minute. O2-Sättigung bei Raumluft 79%, unter 6 Liter O2 9; nach 2h intubiert. Bei ihm ist unter den gegebenen Verhältnissen ein schlechter Verlauf anzunehmen.
Die Krankheit kann also sehr unterschiedlich schwer auftreten, die möglichen Komplikationen sind anfangs oft schlecht einschätzbar.
Nicht zu unterschätzende Kardiomyopathie?
- Schwere COVID-19 Infektionen verursachen meistens Troponin-Erhöhungen, kein Typ-I Myokardinfarkt (Ruan Q et al. Int Care Med 2020;46:846-48)
- 7% der Todesfälle erfolgen durch fulminante Myokarditis. Bei 38% beitragender Faktor (Wang D et al. JAMA 2020;323:1061-69):
- 12% der Verlegungen auf IPS wegen Arrhythmien Troponin ist ein guter prognostischer Marker für Mortalität, aber
- kardiale Beteiligung vs. Epiphänomen bei schwerer systemischer Erkrankung (kardialer Stress)?
COVID-19 ist eine Multisystemkrankheit
Sie betrifft das Nervensystem: ZNS, PNS, Geruchsinn, Geschmacksinn, Guillain Barré, Stroke; das Herz: Myokarditis, Rhythmusstörung; den Gastrointestinaltrakt: Bauchschmerzen, Übelkeit, Diarrhoe; das Endokrinium: Blutzuckerentgleisung; Thyreoiditis;
Allgemeinsymptome : Fatigue, Muskelschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen; das Gefässsystem: Thrombosen, Embolie, Mikrothromben;
die Haut: Exanthem, Urtikaria, Pernio-like Läsionen;
die Niere: akutes Nierenversagen
Diagnostik: Wen testen? Womit?
Im Folgenden sind die verschiedenen Möglichkeiten, die der Referent erwähnte, aufgelistet.
Am besten alle testen oder möglichst viele.
- SARS-CoV-2-PCR (Achtung: ca. 20% falsch negativ) Nasopharyngealer Abstrich; Speichel, Sputum oder anderes tiefes respiratorisches Sekret (ENTA. BAL) Stuhl
- Antigentest: Cave niedrigere Sensitivität
- Serologie
- Labor-«Set» an charakteristischen Parametern
- HRCT
Laborcharakteristika
- Differenzialblutbild PCT Fibrinogen
- Lymphopenie Ferritin Troponin
- Eosinophilie CRP D-Dimer
- Thrombopenie Interleukin Blutgase
LDH Albumin
Corona-Impfskepsis
Soll ich mich (meine Familie, meine betagten Eltern, meine Kinder …) gegen Corona impfen?, stellte Prof. Dr. med. Philip Tarr, Co-Chefarzt, Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Baselland, Universität Basel, in den Raum. Er präsentierte eine durch den Schweiz. Nationalfonds subventionierte Studie über impfskeptische Eltern und Ärzte.
Ziele der Studie waren:
- Gründe für Impfskepsis von Eltern und Ärztinnen besser verstehen
- Gründe von Eltern, welche komplementär- bzw. alternativmedizinische Praxen aufsuchen, berücksichtigen.
- Verbesserung von Impfverständnis, Kommunikation und Impfberatung für Ärzte, Eltern und Jugendliche in der Schweiz.
Es wurden detaillierte Interviews mit komplementär-medizinisch tätigen Ärzten und Beobachtungen von Impfkonsultationen durchgeführt. Die Konsequenzen des Referenten waren, dass wir zum besseren Umgang mit impfskeptischen Eltern von der patientenorientierten Kommunikations- und Arbeitsweise von Komplementärmedizinern lernen können. Dies bedeutet insbesondere, dass man sich Zeit nehmen sollte, um die Wünsche der Eltern zu verstehen, die Patienten in Impfentscheidungen einzubeziehen, und ihre Bedenken sollten ernst genommen werden.
Schulmedizinisch orientierte Ärzte finden impfskeptische Patienten oft anstrengend und zeitaufwendig. Besorgte impfskeptische Eltern fühlen sich von schulmedizinischen Ärzten teils nicht ernst genommen und suchen eine Komplementärmediziner- in auf. Diese finden dagegen, dass impfskeptische Patienten nicht mühsam sind und betrachten die Beratung von impfskeptischen Personen als eines ihrer Kerngeschäfte.
Die bisherige Impfkommunikation könnte kontraproduktiv sein
Der Referent führte als Beispiel das BAG-Bulletin 3 vom 15. Januar 2018, «Aktueller Stand zur Wirksamkeit und Sicherheit der verfügbaren Impfstoffe», auf. Die Impfungen werden als sicher und wirksam beurteilt. Impfskeptische Ärzte sagen dazu: «Solche Artikel nehmen wir als ’Impfpropaganda’ wahr und lesen sie gar nicht mehr.» Auch impfskeptische Eltern und Pflegefachpersonen scheinen wenig empfänglich zu sein für die bisherige Art der «Impfbotschaften» von Behörden und Ärzten.
Was heisst aber kontraproduktiv konkret? Die wiederholte Betonung, dass Impfstoffe sicher und wirksam sind, erzeugt einen paradoxen Effekt, indem die wahrgenommene Sicherheit von Impfungen abnimmt. Die wiederholte Betonung, dass die Impfskepsis zunimmt und die Impfraten sinken (was nicht stimmt) fördert Misstrauen und Skepsis. Dagegen sollten Informationen für eine ausgewogene und individuelle Impfberatung veröffentlicht werden. Der Referent verweist dazu auf den Update zur HPV-Impfberatung 2019 (Dietrich Lena et al. Swiss Medical Forum 2019;19:220-226), worin die Autorin festhält: «Medienberichte, Social Media, das persönliche Umfeld und insbesondere die Empfehlung der Ärztin haben einen bedeutenden Einfluss beim HPV-Impfentscheid. Wer Impfberatungen durchführt, sollte gemäss dem aktuellen Wissensstand ausgewogene Informationen zur HPV-Impfung vermitteln und den Adoleszenten und Eltern urteilsfrei ein offenes Ohr anbieten können. Die Kenntnis der Faktenlage wird ihnen die bestmögliche, individuelle Entscheidung für ihre Gesundheit ermöglichen.»
Impfskepsis gegenüber Corona Impfung
- Noch nie wurde erfolgreich eine Impfung gegen ein Coronavirus entwickelt
- Noch nie wurde erfolgreich eine sichere und wirksame Impfung auf RNA Technologie entwickelt
- Noch nie kam eine sichere und wirksame Impfung innert weniger als einem Jahr auf den Markt
o Ja nicht einmal innert weniger als 5 Jahren - Die allerersten Dosen mRNA-Covid-Impfungen wurden Ende Juli 2020 gegeben.
Wir können heute, 5 Monate später, seltene langfristige Nebenwirkungen der Impfungen nicht ausschliessen (Prof. Christoph Berger, TV SRF Puls 4.1.2021).
Impfskepsis scheint also etwas völlig Normales zu sein. Wie kann man heute Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit einer Impfung haben, die es erst seit wenigen Monaten gibt? Dazu sind die folgenden Fragen berechtigt:
- Wie lange hält der Impfschutz?
- Braucht es Auffrisch-Dosen?
- Sind wir sicher, dass es nicht langfristige Nebenwirkungen geben wird ?
- Kann ich das Virus trotz Impfung «still» kriegen und weitergeben?
- Wie gut ist der Schutz
o bei älteren Personen?
o bei immungeschwächten Personen?
o bei Schwangeren, bei Kindern? - Wird mein Arbeitgeber ein Impfobligatorium einführen?
- Vorsicht: Impfobligatorien werden Widerstand auslösen und zu krankgeschriebenen und demonstrierenden Pflegefachpersonen führen.
Diese Fragen zu stellen ist adäquat. Wir sollten aufhören, Impfgegner und Impfskeptiker in einen Topf zu werfen. Sie unterscheiden sich in wesentlichen Punkten:
- Impfgegner: etwa 1-3% der Bevölkerung: Sie sind gegen alle Impfungen
- Impfskeptiker: ca. 30% der Bevölkerung
o Machen sich Sorgen um Sicherheit von gewissen Impfungen
o Impfen selektiv (diese, aber nicht jene Impfung)
o Impfen später als offiziell empfohlen (z.B. erst mit 1-jährig)
o haben erhöhten Informationsbedarf, gehen ev. zu 2 Ärzten, lesen Bücher, diskutieren mit Freunden und Familie
Ist zurückhaltendere, nuanciertere Kommunikation für Impfskeptiker überzeugender als die bisherige Impfbegeisterung?
Impfungen werden von Swissmedic nur zugelassen, wenn sie sicher und wirksam sind. Dafür werden sie gründlich getestet. Das Risiko ernsthafter Komplikationen bei einer Erkrankung am Coronavirus ist um ein Vielfaches höher als die Wahrscheinlichkeit schwerer Nebenwirkungen aufgrund der Covid-19-Impfung. Das Coronavirus ist die Gefahr, nicht die Impfung.
Das Covid-Komplikationsrisiko ist sehr stark altersabhängig. Auch der Nutzen der Impfung ist daher stark altersabhängig.
Fallsterblichkeitsraten und Hospitalisierungsraten in verschiedenen Altersgruppen (Quelle BAG):
Die Abwägung zwischen Impfen oder Abwarten mit der Impfung
Ohne Impfung: Die Angst Covid-19 zu kriegen ist stets vorhanden. Ich weiss aber, dass und wie ich mich vor einer Covid-Ansteckung schützen kann. Ich kann ja noch 2-3 Monate warten mit Impfen – bis dann weiss ich viel mehr über seltene Nebenwirkungen.
Mit Impfung: Es herrscht Angst vor seltenen Nebenwirkungen. Die Sorge, an Infektionen v.a. mit den neuen mutierten SARS-COV-2 Stämmen zu erkranken, ist aber überwunden.
Der Referent schloss mit den Worten: «Optimismus ist wichtig – wir werden uns noch ein paar Jahre mit SARS-CoV2 beschäftigen müssen».
riesen@medinfo-verlag.ch