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13th Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD)

Update zur Behandlung von Angststörungen und Depression

Das 13th Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) vermittelte den Teilnehmer ein Update bezüglich verschiedenen innovativen Therapiekonzepten bei Angststörungen und Depression.



Welche neurologischen Effekte und welchen Nutzen haben Psychedelika in der Psychotherapie? Prof. Dr. med. Franz X. Vollenweider von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich ging in seinem Vortag dieser Frage nach. Zu Beginn stellte er klassische Psychedelika wie LSD, Psilocybin und Ayahuasca vor und erläuterte deren Wirkmechanismus als serotonerge Agonisten basierend auf ihrer Serotonin-ähnlichen chemischen Struktur. Zusätzlich zur Anregung des serotonergen Systems können die Psychedelika auch die Plastizität im Gehirn erweitern. Sie führen dosisabhängig zu einer positiven Entgrenzung der Selbst-Umweltwahrnehmung (Oeceanic self-boundlessness). Die damit verbundene Lockerung der kognitiven Kontrolle und Aktivierung schwer zugänglicher Emotionen kann in der Psychotherapie genutzt werden. In klinischen Studien mit Krebspatienten hat die Anwendung von Psilocybin oder LSD eine rasche Reduktion von Depressions- und Angst-Symptomen bewirkt. Welche Komponenten der Selbst/Ich-Entgrenzung zu diesem Effekt beitragen, gilt es zu erforschen. Mittels Neuroimaging wird beispielsweise versucht, die Entgrenzung oder die veränderte Kognition zu objektivieren.

So geht eine starke Depression einher mit einem negativen Bias in der Emotionsverarbeitung; die Patienten zeigen eine erhöhte emotionale Antwort in der Amygdala. Psilocybin schwächt die Reaktion auf beispielsweise negative Gesichtsausdrücke ab und die Abschwächung der Amydala-Antwort korreliere damit. «Die Leute fühlen sich weniger bedroht von den eigenen angstvollen Gedanken», sagt Vollenweider.

Die vorläufigen Ergebnisse einer randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Phase-II Studie aus Zürich scheinen den therapeutischen Nutzen von Psilocybin zu bestätigen. Patienten mit mittelschwerer Depression erhielten eine Psilocybin-Therapie kombiniert mit Mindfullness-Training und zeigten eine der Interim-Analyse eine Ansprechrate von 69% gegenüber 16% in der Placebo-Gruppe. Abschliessend sagte Prof. Vollenweider, dass eine mittlere Dosis von Psychedelika bei therapeutischen Sitzungen die Emotionsverarbeitung, die Selbst-Prozessierung, die Kognition und die soziale Kognition verbessern und so eine therapeutische Wirkung entfalten kann. Wie die durch Psilocybin bewirkte Neuroplastizität und die Lernprozesse mit der Therapie zusammenwirken, bleibt derzeit noch offen.

Die sogenannte behandlungsresistente Depression: von der Forschung zur Klinik

Prof. Dr. hcmult. Dr. med. Siegfried Kaspar von der Medizinischen Universität Wien sprach in seinem Vortrag über behandlungsresistente Depression (TRD), die eine unterdiagnostizierte Subgruppe der Depression ist und oftmals fälschlich auf psychosoziale Variablen zurückgeführt wird. Die TRD wird charakterisiert durch ein Nichtansprechen auf mindestens zwei genügend lange Behand-lungen mit Antidepressiva der gleichen Wirkstoffklasse bei ausreichender Do-sierung und guter Adhärenz. Prof. Kaspar zeigte auf, dass die TRD biologischen Faktoren unterliegt und dass eine verminderte Neuroplastizität sowie eine reduzierte serotonerge Aktivität eine zentrale Rolle spielen. Unbehandelt zeige eine TDR vielschichtige Konsequenzen. Es treten mehr Komorbiditäten, eine höhere Hospitalisierungsrate und -dauer sowie eine ca. 7-fach erhöhte Mortali-tät bzw. Suizidrate auf als bei behandelten Patienten mit TDR.

Weiter präsentierte Prof. Kasper Studienergebnisse, die darlegen, dass eine Add-on Behandlung mit verschiedenen pharmakologischen Strategien in der Drittlinie Erfolge erzielen und die Neuroplastizität wiederherstellen kann. Vor-nehmlich werden hierbei NMDA- und GABA-Rezeptoragonisten oder -modulatoren eingesetzt, mit Esketamin-Nasalspray als vielversprechender neu-zugelassener Therapieform. Unterdessen erfreuten sich auch Psychedelika zunehmender Beliebtheit. Eine gesteigerte Aktivität der 5-HT2A Rezeptoren führt bei dieser Behandlungsform zu erhöhter Konnektivität im Gehirn und Verbesserung der TRD. Hier gäbe es allerdings noch Bedarf an weiterführenden Studien, so Prof. Kasper.

Abschliessend bemerkte Prof. Kaspar, dass diese neuen pharmakologischen Optionen sehr nützlich seien, aber die bestehenden Behandlungsstrategien nicht ersetzen würden.

Pharmakotherapie bei Angst und Depression – Welche Pflichten ergeben sich aus dem «Label»?

Prof. Dr. med. Dr. iur. Thomas D. Szucs, Hirslanden Klinik Zürich, Direktor des Instituts für Pharmazeutische Medizin an der Universität Basel und Verwaltungsratspräsident der Helsana, widmete sich den Pflichten, die das Label eines Medikaments, das in der Schweiz der Fachinformation entspricht, aufwirft.

Wie der Referent aufzeigte, sind die Implikationen des Labels in der heutigen Zeit weitaus komplexer als in der Vergangenheit und werfen eine Reihe medizinischer, juristischer und ethischer Fragen auf. Besonders der «Off-Label-Use» (OLU) ist in vielerlei Hinsicht komplex, allerdings in einigen Fällen, beispielsweise in der Onkologie oder in der Pädiatrie, auch unvermeidbar. Dass OLU besonders bei den psychiatrischen Therapien weit verbreitet ist, zeigen verschiedene Studienergebnisse, u.a. aus der Schweiz. Um dies noch zu verdeutlichen, forderte Prof. Szucs die Teilnehmer auf, an einer digitalen Live-Umfrage teilzunehmen. Das Ergebnis zeigt eindeutig: Die überwältigende Mehrheit hat bereits Off-Label-Medikamente verschrieben, die meisten davon zur Behandlung von Patienten mit Depression. Zudem sind sich fast alle einig, dass Psychiatern erlaubt sein sollte, mehr Off-Label-Verschreibungen vorzunehmen, sofern sie erstattet werden.

Anschliessend klärte Prof. Szucs über die rechtlichen Hintergründe des OLU in der Schweiz auf. Dieser ist grundsätzlich erlaubt, wenn der Arzt die volle Verantwortung trägt und der OLU dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Zudem ist eine sorgfältige Risikoabwägung essenziell. Die Haftung liegt bei der entsprechenden Firma, wenn ein Produktionsfehler vorliegt, oder sie sich nicht ausreichend vom OLU distanziert. Dass in einzelnen Szenarien sogar eine Pflicht zum OLU besteht, zeigte Prof. Szucs anhand eines Rechtsfalls aus Deutschland, in dem einem Kind mit Herpes-Enzephalitis die Off-Label-Behandlung mit Aciclovir zu lange verwehrt wurde. Auch das KVV ermöglicht mittlerweile OLU in bestimmten Situationen, wenn es beispielsweise keine
Behandlungsalternativen gibt.

Besonders hob der Referent die Wichtigkeit genetisch bedingter unerwünschter Wirkungen hervor, die in den entsprechenden Fachinformationen vermerkt sind und bei der Verschreibung von Medikamenten unbedingt beachtet werden müssen. Es liegt in der Sorgfaltspflicht der Ärzte, die Patienten auch hinsichtlich zukünftiger Behandlungen zu informieren, falls ein bestimmter Biomarker für unerwünschte Wirkungen vorliegt. Unterstrichen wird dies durch Bundes-gerichtsurteile, die sich mit der Nicht-Beachtung des Labels bei der Verschreibung befassten.

Letztendlich ist Prof. Szucs überzeugt: OLU kann und sollte nicht verboten werden und ist oft die einzige und beste Wahl für die Patienten. Allerdings muss die Beachtung des Labels als Akt der Sorgfalt und die Nichtbeachtung des Labels als Sorgfaltspflichtverletzung verstanden werden. Denn, wie ein Zitat von Giacomo Girolamo Casanova aus dem 18. Jahrhundert auf den Punkt bringt: «Gift in den Händen eines Weisen ist ein Heilmittel, ein Heilmittel in den Händen des Toren ist Gift.» Dabei gewinnen genetische Biomarker immer mehr an Bedeutung.

Interventionelle Verfahren bei Angst und Depression

«Uns allen geht es darum, einen krankhaften Zustand, der im Gehirn entsteht, positiv zu verändern», startete Prof. Dr. med. Daniela Hubl, Universitäre Psychiatrische Dienste, Bern, ihren Vortrag über interventionelle Verfahren bei Angst und Depression. Dabei folgt der Einsatz interventioneller Psychiatrie keinen strengen Regeln und wird oft als Alternative erwogen, wenn Patienten auf klassische Therapieansätze nicht ansprechen oder wenn Standardtherapien nicht angewandt werden können. Unterdessen gibt es vermehrte Hinweise darauf, dass auch ein frühzeitiger Einsatz hilft.

Prof. Hubl beleuchtete zunächst die Geschichte der elektrischen Hirnstimulation und gab einen Überblick über die am häufigsten angewandten Methoden. Der Einsatz neurostimulatorischer Verfahren beruht zumindest teilweise auf pathophysiologischen Kenntnissen psychiatrischer Erkrankungen und zielt unter anderem auf die Normalisierung von Dysregulationen im Bereich des präfrontalen Kortex ab. Die Identifikation neurobiologischer Prozesse dient dabei der Lokalisation der Zielregionen für eine nichtinvasive Hirnstimulation (NIBS).

Die häufigsten Methoden in der interventionellen Psychiatrie sind Elektrokon-vulsionstherapie (EKT) mit Muskelrelaxation in Kurznarkose, Transkranielle Magnetstimulation (TMS) und transkraniale Gleichstrombehandlung (tDCS). Insbesondere die TMS sowie die EKT werden zur Akutbehandlung von insbesondere behandlungsresistenter Depression eingesetzt. Die verschiedenen TMS-Stimulationsprotokolle, die üblicherweise in Form einer Behandlungsserie inzwischen bis zu mehrmals täglich über längere Zeit angewandt werden, wurden im Vergleich zur Anfangszeit der Methode deutlich optimiert. Erforderten die konventionellen niedrig frequenten Stimulationen eine Behandlungsdauer von bis zu 50 Minuten, führt die moderne Theta-Burst-Stimulation (TBS) den je nach Stimulationsmuster gewünschten inhibierenden oder aktivierenden Effekt bereits nach etwa drei Minuten herbei. Dank solcher Fortschritte wird die TMS-Behandlung zunehmend in Empfehlungen zur Depressionsbehandlung berücksichtigt, so auch in den entstehenden Deutschen Nationalen Versorgungsleitlinien bei therapieresistenter Depression und schwer zu behandelnder Depression.

tDCS kommt eher bei leichter Depression zum Einsatz, wobei die Evidenz für die Wirksamkeit bisher nicht unumstritten ist. So konnte zum Beispiel bisher kein Vorteil der tCDS zusätzlich zur kognitiven Verhaltenstherapie gezeigt werden.

Obgleich die klinische Resonanz zur interventionellen Psychiatrie gemäss Prof. Hubl insgesamt zumeist positiv ausfällt, sind in der Schweiz einige Herausforderungen bezüglich Finanzierung zu meistern. Einige Methoden werden aktuell noch nicht ausreichend von den Krankenkassen unterstützt. Trotzdem werden vor allem EKT und TMS in einigen Schweizer Zentren und spezialisierten Praxen angeboten. Abschliessend wies die Referentin auf das wichtige Engagement der Schweizerischen Gesellschaft für Interven­tionelle Psychiatrie (SGIP) hin, über die Fähigkeitsausweise erlangt werden können. So kann das Angebot der verschiedenen Methoden in Zukunft weiter ausgebaut werden.

red.

der informierte @rzt

  • Vol. 12
  • Ausgabe 8
  • August 2022